Von Alexander Eisenkopf und Andreas Knorr.
Eine Sternstunde der Demokratie sah der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus in der Debatte anlässlich der Verabschiedung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite: „Nie war so viel Demokratie in der Pandemiebekämpfung wie jetzt“ lautete ein Kernsatz seiner mit großem Pathos und zeitweise den Tränen naher Stimme vorgetragenen Rede.
Schaut man sich die Regelungen des mittlerweile berühmt-berüchtigten Paragraphen 28b des neuen Infektionsschutzgesetzes genauer an, fühlt man sich bedauerlicherweise an eine andere demokratische Republik auf deutschem Boden erinnert, die auch mit dem Reisen ihre Probleme hatte. Oder ist das alles eine große Realsatire?
Seit Wochen wird über den Sinn und Unsinn von Ausgangssperren diskutiert. Den Allermeisten dürfte klar sein, dass es dabei nicht um nächtliche Spaziergänge in holder Frühlingsluft geht, sondern darum, private Zusammenkünfte zu verhindern, auch wenn kein Politiker dies so sagt. Da Diskotheken, Clubs, Gaststätten, Bars und dergleichen geschlossen sind, verlagern die Bürger das Feiern eben ins Private. Dies kann nur verhindert werden, wenn über Ausgangssperren sozusagen die Logistik der Feierwilligen unterbunden wird. In die Wohnungen selbst traut man sich ja (noch) nicht.
Dass jetzt aber auch das Reisen in Pkw und Zügen beziehungsweise der Aufenthalt auf Flughäfen unter die Ausgangssperre fallen, wenn Gebiete tangiert werden, wo eine solche gilt, hat eine neue Qualität. Dazu stellen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in trockenem Juristendeutsch fest:
„Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs sollen auch öffentliche Verkehrsmittel von der Ausgangsbeschränkung erfasst sein. Demnach ist also in Landkreisen bzw. kreisfreien Städten, in denen die Ausgangsbeschränkung gilt, zwischen 22 Uhr und 5 Uhr der Aufenthalt in Fortbewegungsmitteln untersagt. Eine Durchreise wäre nur dann gestattet, wenn dies in § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG n.F. als Ausnahmetatbestand definiert wäre; dies ist jedoch nicht der Fall. Daraus folgt, dass eine Durchreise durch Gebiete, in denen die Ausgangssperre gilt, nur dann gestattet ist, wenn sie einem der in § 28b Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a-f IfSG n.F. genannten Ausnahmetatbestände dient.“
Was machen Menschen, die dauerhaft in einem Wohnmobil leben?
Wunderbar, welche bürokratischen Monster das Handwerk der Pandemiebekämpfung so gebiert. Darf der Schienenverkehr der Deutschen Bahn nachts Gebiete ab einer bestimmten Inzidenz nicht mehr durchfahren? Müssen Autobahnen ab 22:00 Uhr für private Fahrten gesperrt oder der Verkehr umgeleitet werden? Dürfen Flugpassagiere mit touristischen Absichten nicht mehr zwischen 22:00 und 05.00 Uhr für Nacht- oder Frühflüge anreisen oder auch losfliegen? Und was machen Menschen, die dauerhaft in einem Wohnmobil leben?
Die ersten der letzten Aufrechten haben Gottseidank bereits gegen diese Absonderlichkeiten opponiert. So wettert Wolfgang Kubicki gegenüber der Presse, das Ganze sei ein „weder für die Bürger noch die Behörden einzuhaltender Irrsinn“. Bundesgesundheitsminister Spahn bestätigte aber am letzten Freitag gegenüber der Presse, dass mit Inkrafttreten des geänderten Infektionsschutzgesetzes faktisch auch ein Nachtreiseverbot für weite Teile Deutschlands gelte. „Wenn es heißt, nicht rausgehen, heißt das also auch, nicht zu reisen“, antwortete er auf eine entsprechende Anfrage der Neuen Zürcher Zeitung.
Bekanntermaßen waren in der Deutschen Demokratischen Republik touristische Auslandsreisen für DDR-Bürger nur in Länder des damaligen Ostblocks möglich. Reisen in das nicht-sozialistische Ausland waren nur in Ausnahmefällen möglich. Gründe für das Verbot einer Reise, eine sogenannte Reisesperre, waren vielfältig. Dazu gehörte "der Schutz der öffentlichen Ordnung oder anderer staatlicher Interessen der Deutschen Demokratischen Republik" sowie "der Schutz der Prinzipien der sozialistischen Moral und sozialer Erfordernisse", wie es „Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ (im Original noch nicht gegendert) auf der Internetpräsenz Demokratie statt Diktatur dokumentiert.
Wahrscheinlich ist nächtliches Reisen auch heute der öffentlichen Ordnung und den sozialen Erfordernissen nicht zuträglich. Ziehen wir also die Zipfelmützen an, gehen früh schlafen und warten auf eine neue Sternstunde der Demokratie.
Prof. Dr. Alexander Eisenkopf ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbes. Wirtschafts- und Verkehrspolitik, an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.