Henryk M. Broder / 30.05.2011 / 12:37 / 0 / Seite ausdrucken

Lebensweltlich geerdet

Es gibt Politiker, die legen es darauf an, auszuprobieren, wie weit sie gehen können, bis die Bürger die Geduld mit ihnen verlieren. Wie verzogene Kinder, die bei einem Abendessen so lange lärmen und poltern, bis auch den liberalsten Erwachsenen die Nerven versagen. Antje Vollmer zum Beispiel hat sich jahrelang für ein «Kinderwahlrecht» von Geburt an eingesetzt, das von den Eltern «vikarisch», also stellvertretend, ausgeübt werden sollte. In einem solchen Falle hätte eine Familie mit drei Kindern fünf Stimmen. Dann muss ihr jemand gesagt haben, eine solche Regelung würde gegen den Grundsatz «One man, one vote» verstossen, und der Plan verschwand in der Abstellkammer der Ideen, beinah gleichzeitig mit Frau Vollmer.

Jetzt hat sich die grüne Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, mit ­einem Vorschlag zu Wort gemeldet, der noch radikaler ist als Vollmers vergleichsweise harmlose Spinnerei. Frau ­Göring-Eckardt möchte die Deutschen aus der «Zwangsjacke» des Wachstums befreien, denn: «Wenn Wachstum das alleinige Kriterium für ein gelingendes Leben wäre, müsste man sich ja darüber freuen, wenn jemand sich in der Kneipe betrinkt und dann sein Auto zu Schrott fährt. Alkoholumsatz, Reparatur oder Neukauf bringen schliesslich die Wirtschaft in Schwung.»

So verbindet Göring-Eckardt ökonomisches Wissen mit politischer Kompetenz zu ganzheitlichem Nonsens. Was ihr vorschwebt, das ist «eine Kultur des Weniger». Und diese Kultur sollte «lebensweltlich geerdet» sein. – Gelingendes Leben, lebensweltlich geerdet, das Ganze «solidarisch» gefördert von einer Politik, die dafür sorgt, dass eine «gesamtgesell-schaftliche Diskussion» über die «Kultur des Weniger» zustande kommt.

Darf es noch ein bisschen mehr sein? Ja. «All dies darf kein elitärer Diskurs sein.» Und dafür sorgt Katrin Göring-Eckardt, indem sie mit keinem Wort sagt, worauf sie selber verzichten möchte. Weniger Einkommen, weniger Dienst­reisen, weniger Interviews? Das kann nicht gemeint sein. Denn KGE ist kein Schrittmacher, sondern ein Wegweiser, grün, mit sich im Reinen und natürlich «lebensweltlich ge erdet».

© Die Weltwoche 21/11

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