Das Feuilleton ist eine aussterbende Gattung des deutschen Journalismus. Wo es nicht weggespart wird, ergibt es sich dem Zeitgeist. An „Highlights“ fehlt es nicht. Das Spektrum der Themen reicht vom Event der „Willkommenskultur“ bis zur Helene-Fischer-Show an Weihnachten. Mit dem Boulevard wetteifern die Redaktionen der Tages- und Wochenblätter, der ARD und des ZDF um den Beifall einer größtenteils hedonistisch verblödeten Konsumgesellschaft. FOCUS online beispielsweise titelte in den letzten Tagen: „Dieter Bohlen will Sylvie Meis zu RTL zurückholen“, „So sieht Michael Jacksons jüngster Sohn heute aus“, „Liebes-Aus bei Sylvie Meis“, „Tokio Hotel-Sänger Bill Kaulitz gesteht: Habe ein ganzes Jahr lang nur gekifft“.
Alles Kultur, mehr Kultur, als jedes Feuilleton ertragen kann, will es sich nicht selbst zum Besten halten. Auf der Achse werden wir das nicht länger unwidersprochen hinnehmen. Unter dem Kolumnen-Titel „gesehen, gelesen, gehört, verpasst“ gibt es fortan, einmal in der Woche, ein Achse-Feuilleton mit dem satirisch geschärften Blick auf das kulturelle Zeitgeschehen, auf Erstaunliches sowie auf Absonderliches.
Dass das die Gattung nicht retten wird, steht dabei von Anfang an außer Frage. Aber welcher Feuilletonist hätte je der Versuchung widerstehen können, gegen den Strom zu schwimmen. Keiner von denen, die es ernst meinten, hat sich damit begnügt, solange am Bleistift zu kauen, bis ihm einfiel, was jedem anderen genauso hätte einfallen können. Allesamt waren sie ein bisschen verrückt. „Ein Feuilleton zu schreiben heißt, auf einer Glatze Locken zu drehen“, erklärte Karl Kraus seinen Lesern schon 1911 im 13. Jahrgang der „Fackel“.
Jedes Blatt bekommt ein Blättchen
Dafür, dass sein Bonmot nicht so vernichtend gemeint war, wie später gern unterstellt, stand der begnadete Spötter mit jeder neuen Ausgabe seiner Zeitschrift ein. Wusste er doch, dass die scheinbar aus dem Nichts ondulierten „Locken … dem Publikum besser als eine Löwenmähne der Gedanken“ gefielen, mitunter sogar mehr, als es die literarisch frisierte Kritik verdiente. Feuilletonistisch musste sich auch zausen lassen, wer mit von der Partie sein wollte, ohne über das Talent des „Narren“ zu verfügen: „Halb vernünftig, witzig, übertrieben, albern, mitunter nur dazu da, das Pathos der Stimmung“ zu stören, wie Friedrich Nietzsche 1878 geschrieben hatte.
An Möglichkeiten dazu fehlte es seinerzeit weniger als heute. Wie die Pilze aus der Erde schießen, so kamen mit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts immer neue Blätter auf den Markt. Und alle wollten sie sich ein kulturelles Ansehen geben, indem sie ihrem jeweiligen Hauptteil, den Nachrichten aus Politik und Wirtschaft, ein Blättchen – so die deutsche Übersetzung des französischen Feuilleton – anfügten. Es gehörte zur Zeitung wie das Salz an die Suppe. Verhandelt wurden die Angelegenheiten des Theaters, der Literatur und der Kunst, auch die Mode und das Weltgeschehen. Nichts, über das da nicht gesprochen werden konnte.
Manchem mutete das fast schon wieder bedenklich an. In seinem Roman „Das Glasperlenspiel“ prägte Hermann Hesse 1943 das Schlagwort vom „Zeitalter des Feuilletonismus“, einer Epoche der kulturellen Beliebigkeit. Tatsächlich waren nicht unbedingt die Themen entscheidend, sondern der Blick dieses oder jenes Autors auf die Dinge, seine Ironie, sein Stil, seine Respektlosigkeit, sein Geschick, im Kleinen das große Ganze zu erkennen, ohne sich von den Großen etwas vormachen zu lassen, nicht von den Künstlern und erst recht nicht von den Politikern.
Eine literarische Eleganz, der man die Mühen des Schreibens nicht anmerkt
Große Feuilletonisten sind immer Einzelgänger gewesen, Moralisten wie Erich Kästner, der es als seine Pflicht ansah, auf dem Platz „zwischen den Stühlen“ auszuharren. Wenn es etwas gibt, wodurch sich das Feuilleton auszeichnet, das ihm den Charakter einer neuen Kunstform verlieh, dann ist es diese geistige Unabhängigkeit seiner besten Vertreter gewesen, ihr Mut zur eigenen Meinung. Vielfach wurden die Texte überhaupt nur wegen der Autoren gelesen, die sie geschrieben hatten. Selbst wenn die Leser dem, was sie lasen, dann nicht immer zustimmen mochten, bestach doch allemal eine literarische Eleganz, der sie die Mühen des Schreibens nicht mehr anmerkten.
Dabei war, was sich nachher so ausnahm, als sei es mit leichter Hand hingeworfen, oft großer Anstrengung abgerungen. „Man möchte nicht glauben“, bekannte Alfred Polgar einmal selbstironisch, „was für Plage es oftmals macht, den Nagel so zu biegen, dass er auf den Kopf getroffen ist.“ Nein, Plaudertaschen sind die Feuilletonisten nie gewesen. Leichte Kost lieferten nur die Stümper, wenn sie bedenkenlos aufs Papier hämmerten, was ihnen eben in den Sinn kam, um mit umständlichem Ausdruck Zeilen zu schinden.
Dagegen offenbarte sich im leichtfüßigeren Stil der Besseren stets die innere Unabhängigkeit, eine Freiheit des Denkens, die ihre Leser spürten, egal, worum es gehen mochte. Und es ist gewiss kein Zufall, dass dieses Feuilleton seine Blüte gerade in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in den Roaring Twenties erlebte. Damals habe, schreibt Heinrich Mann in seinen Erinnerungen, „geistige Freiheit“ bestanden: „Einzig die Republik hat sie den Deutschen jemals gewährt – nicht aus Schwäche, sondern weil in ihrer Executive einige sich selbst achteten“. Es herrschten, wie bedroht auch immer, freiheitliche Verhältnisse.
Ihre publizistische Entsprechung fanden sie nicht zuletzt im Feuilleton. Es ist die journalistische Gattung der Demokratie. Im Obrigkeitsstaat muss sie verkümmern. Im nationalen wie nachher im „real existierenden“ Sozialismus der DDR wurden die Kulturteile der Medien in den Dienst der Propaganda gestellt. Für feuilletonistische Gedankenspiele blieb kein Platz mehr.
Es gilt der erweiterte Kulturbegriff
Und im Westen, was geschah im Westen nach dem Ende der Diktatur? Zeitungen, Zeitschriften und das Radio investierten in den Aufbau neuer Kulturredaktionen, Schriftsteller kamen zu Wort, vornehmlich in den Nachtprogrammen. Das Fernsehen zog mit eigenen Magazinen nach. Die Älteren unter uns mögen sich noch an „aspekte“ und „ttt“ zu verträglichen Sendezeiten erinnern. Plötzlich gab es sie wieder, die Politiker, die ihre schützende Hand über die Freiheit hielten.
Daran hat sich bis heute pro forma nichts geändert. Aber sind die Verhältnisse noch so kulturell geprägt, wie sie in den Erinnerungen Heinrich Manns aufleuchten? Auf den ersten Blick, vielleicht. Nur, wenn man näher hinschaut und sieht, worüber die Kulturredaktionen unterdessen berichten, kann einem schwarz vor Augen werden. In den kleineren Zeitungen bietet das Feuilleton oftmals kaum mehr als Veranstaltungshinweise, gelegentlich garniert mit den Werbetexten der Veranstalter. Andere halten sich an den „erweiterten Kulturbegriff“, indem sie das Etikett auf alles und jedes pappen, das irgendwie aufgewertet werden soll.
Die gesetzwidrig verfügte Aufnahme hunderttausender von Zuwanderern wird uns als „Willkommenskultur“ verkauft. Der Kultursender 3sat widmete der „Kultur der Selbstbefriedigung“ einen ganzen Themenabend, indes Klaus Wowereit in seinen Erinnerungen schreibt: „Kultur ist für mich, wenn die Kinder auf der Bühne stehen, die Mütter die Kostüme nähen und die Großeltern den Kuchen backen.“
Bescheidener geht es wahrlich nicht. Backe, backe Kuchen. Friede, Freude, Eierkuchen. Und höchste Zeit, die Tassen wieder ein wenig zurechtzurücken – Locken auf der Glatze zu drehen. Das nächste Mal in einer Woche an der gleichen Stelle, im Feuilleton der Achse.