Peter Grimm / 11.11.2019 / 06:25 / Foto: Tina M. Ackerman / 65 / Seite ausdrucken

Lametta zur Halbzeitpause

Die – nach Umfragewerten – kleinste „Große Koalition“ die es je gab, hat – nach den Worten der Übergangs-SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer – einen sozialpolitischen Meilenstein gesetzt. Das klingt gewaltig, beinahe so, als hätten die drei Parteivorsitzenden, die der Presse am Sonntagnachmittag ihren hart errungenen „Kompromiss“ zur Grundrente verkündeten, eine neue Rentenformel gefunden, mit der sich die Grundrechenarten auch über das Jahr 2030 hinaus austricksen lassen.

Aber die in der Wählergunst arg geschrumpften Großkoalitionäre hatten mitnichten die Herausforderung angepackt, dass das gegenwärtige Rentensystem den Wechsel der geburtenstärksten Jahrgänge von der Einzahler- auf die Empfängerseite in den nächsten gut zehn Jahren nicht überstehen kann. Nein, es ging – kaum einem Medienkonsumenten konnte es in den letzten Wochen entgangen sein – um die Grundrente, die alle bisherigen Grundsicherungsempfänger, die mehr als 35 Jahre rentenversicherungspflichtig gearbeitet haben, ab 2021 bekommen sollen. Mit jährlichen Mehrkosten aus dem Steuertopf von 1,5 Milliarden Euro kalkuliert die Bundesregierung an dieser Stelle. 1,5 Millionen Menschen sollen davon profitieren.

Bei 1,5 Millionen potenziellen Wählern kann – das muss man verstehen – bei Funktionären einer Partei, die dem Abgrund der Bedeutungslosigkeit Wahl für Wahl näher rückt, der nüchterne Verstand schon mal aussetzen. Und so forderte die SPD schon vor Monaten, dass es die aufgestockte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung geben solle. Die Christdemokraten sperrten sich und verwiesen allen Ernstes auf den Koalitionsvertrag, in dem von der Bedürftigkeit die Rede ist. Aber in den modernen Zeiten gilt das penible Einhalten von Verträgen ja als Kleinkrämerei von Ewiggestrigen, wenn man die geltenden Regeln doch für eine gute Sache über Bord werfen kann. Und ist nicht die bessere Bezahlung von alten Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und nicht für ein bisschen mehr Geld ihre Vermögensverhältnisse offenbaren wollen, eine solche gute Sache?

Zumal es um den Fortbestand der „Großen Koalition“ geht, denn bald – quasi in der Halbzeitpause – will die SPD ja bekanntlich über einen Ausstieg aus dem, bei der Basis weitgehend unbeliebten, Bündnis entscheiden. Die Regierungsmitglieder und viele Genossen in der Parteispitze wollen dies nicht, denn zum möglichen Amtsverlust droht bei eventueller Neuwahl ein weiterer Absturz in Richtung Bedeutungslosigkeit. Auch die großen Koalitionsbrüder und -schwestern fürchten die Wählerflucht, deshalb haben alle Beteiligten den beinahe zwanghaften Drang, die Halbzeitbilanz der kleinsten „Großen Koalition“ in den schönsten Farben zu malen.

Mitleidiges Einknicken

Bei der Verkündung des aktuellen Rentenkompromisses beeilten sich vor allem die Parteivorsitzenden von CSU und SPD, zu betonen, wie schön die Halbzeitbilanz mit dieser sozialpolitischen Meilensteinentscheidung abgerundet wird.

Was Kompromiss genannt wird, ist letztlich ein mitleidiges Einknicken der Christdemokraten vor der SPD-Forderung. Zwar solle das Einkommen eines Antragstellers geprüft werden, nicht aber die Bedürftigkeit. Und die Einkommensprüfung besteht offenbar im Wesentlichen aus einem Datenabgleich, den die Rentenversicherung mit den Finanzämtern durchzuführen hat. Darüber, ob die Rentenversicherung dies überhaupt vollumfänglich realisieren kann, wurden keine Angaben gemacht. Vielleicht hat einfach niemand diese Frage aufgeworfen.

Letztlich ist es auch egal, denn, wenn nicht geprüft werden kann, dann gilt noch viel mehr, dass sich die SPD zulasten des deutschen Beitrags- und Steuerzahlers auf ganzer Linie durchgesetzt hat. Dennoch ist es lächerlich, von einem sozialpolitischen Meilenstein zu sprechen, mit dem keines der Probleme angegangen wird, die das Rentensystem in seinen Grundfesten bedrohen. Es ist allenfalls ein Meilensteinchen für die direkten Nutznießer. Doch auch da haben sich die Genossen vielleicht nicht hinreichend Gedanken darüber gemacht, welches Signal sie mit der Forderung nach dem Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung eigentlich aussenden. Diejenigen, die wirklich bedürftig sind, empfinden das Verfahren sicher als so lästig, wie man eben jeden bürokratischen Akt lästig findet. Traumatisierend dürfte er für die meisten allerdings nicht sein, denn wer so arm ist, der ist in Sachen Bedürftigkeitsnachweise bei Sozialbehörden zumeist schon abgehärtet und gestählt. Wirklichen Nutzen vom SPD-Kurs haben eigentlich vor allem diejenigen, die auf den Rentenaufschlag eben nicht angewiesen sind.

Und besonderen Charme hat die Botschaft, dass man vor zwei Jahren die Öffentlichkeit mit langwierigen und detailverliebten Koalitionsverhandlungen belästigt hat, weil doch dafür späterhin der Streit um die schon geregelten Details vermieden werde, um nun genau das über den Haufen zu werfen, nachdem man eine Detailfrage nutzt, um die Öffentlichkeit schon wieder mit langen Koalitionsgesprächen zu langweilen.

Allein schon wegen dieses nervtötenden Politikstils, sich pseudodramatisch lange an kleinkarierten Fragestellungen aufzuhalten und zu den großen Herausforderungen lieber nichts Konkretes verlauten zu lassen, möchte man darauf hoffen, dass die SPD-Parteitagsdelegierten im Dezember für ein Ende dieser Vorstellungen votieren.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Tina M. Ackerman navy via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Heinz Gerhard Schäfer / 11.11.2019

Finanzminister Scholz ist eine einzige Katastrophe! Für die Grundrente möchte er die Finanztransaktionssteuer (auch auf Aktien) einführen und die steuerliche Verrechnung von realisierten Kursverlusten zu Kursgewinnen abschaffen. Das trifft vor allen Dingen jene jungen Sparer, welche über Aktiensparpläne ihre Alterssicherung betreiben. (Folglich fallen Sparer später dann auch in die Grundrente). Fondsgesellschaften und große Aktionäre werden ihr Kapital aus Deutschland und zunehmend aus der EU abziehen, zu Lasten unserer Aktiengesellschaften und der Wirtschaft. Kapitalflucht aus der EU ist angesagt. (Nicht nur wg. der Nullzinspolitik der EZB , der laufenden Rezession und der absehbaren Finanzkrise). Olaf Scholz wird daher nicht mehr die benötigten 1,5 Mrd. €/Jahr abzocken, die er meint für die Grundrente brauchen zu müssen. Der Aktienhandel wird einbrechen. Zur Erinnerung: War es nicht die SPD, welche jahrelang das Rentenniveau abgesenkt und die Besteuerung der Rentner eingeführt hat? War es nicht die SPD, welche das Renteneintrittsalter erhöht hat? (Müntefering). Dann will er “Männervereinen” die Gemeinnützigkeit entziehen! (Frauenvereinen nicht?) Was soll ein kleiner Sportverein (Fußball) denn machen, wenn er keine Damenfrauschaft zusammenbringt. Abgesehen von den heutigen Schwierigkeiten, ehrenamtliche Vorstandsposten überhaupt zu besetzen. (Egal welches Geschlecht). Damit stehen dann so manche Vereine vor dem “AUS”, weil Vereinsheime und deren Unterhalt nicht mehr finanziert werden können. Aber wir brauchen ja auch kein ehrenamtliches Engagement mehr. Irre,- diese sozialistische Finanzpolitik in Deutschland. Es wird Zeit zu gehen.

M.Friedland / 11.11.2019

Mich interessiert mal, wie der Lebenslauf eines Menschen aussieht, der Anspruch auf die Grundrente hätte, unter Berücksichtigung solcher Umstände wie Unterhaltspflicht bei Eheleuten, Versorgungsausgleich bei Geschiedenen, Hinterbliebenenrente ,“Mütterrente” usw. , und dennoch 35 Jahre eingezahlt hat…

Th. Rosche / 11.11.2019

Schlicht gesagt :  Alle unfähig, fertig und verbraucht ! Aber seit dem Anfang ihrer Dienstzeit. Man kann sie nicht mehr sehen und hören !  Gestern mal wieder ca. 20 Sekunden bei Anne Will rein geguckt, da war gerade Malu in der Linse, die Frau dürfte bei uns noch nicht mal die Papierkörbe leeren. Sie hatte übrigens gerade bemerkt, die SPD hätte fertig. Einsicht ist der erste Schritt…................... Für die vernünftige Rente gibt es genügend Blaupausen. Die Deutschen brauchen das Rad nicht neu erfinden. Schöne Woche !  Bin täglich hier, alles prima,  Achgutler !!!

Claudius Pappe / 11.11.2019

Kann denn Keiner mehr rechnen ? 1,5 Millionen berechtigte ehemalige Wenigarbeitende, die mindestens 10 % über die Grundsicherung ( wie hoch ist die ? 860 Euro ?) bekommen sollen, sind dann mind. pro Nase ( auch Ehefrauen die um die Private Krankenkasse zu sparen pro Forma im Betrieb des Mannes angemeldet waren) ca.  1000 Euro/ Jahr bei 80 %.  Da aber die “Rentenerhöhung schon bei 30 % Rente (336 Euro) bis 80 % (896 Euro) gezahlt wird, bekommt wohl jeder meht als 1000 Euro/Jahr. Nehmen wir mal einen Durchschnitt von 500 Euro/Monat der ” Bedürftigen” an, dann sind es 5 mal so viel. Dann werden schnell aus den 1,5 Milliarden…………………...7,5 Milliarden pro Jahr.

Rolf Lindner / 11.11.2019

Man fragt sich inzwischen schon fast jeden Tag: Sind die denn verrückt geblieben? Der DDR-erfahrene Bürger kennt es. Maßnahmen total an der Realität vorbei mit anschließender Selbstbeweihräucherung. Selbst bei geschlossenen Grenzen, ohne hunderttausende Sozialinvasoren, wäre das Projekt Grundrente in der beschlossenen Form bereits ziemlicher Unsinn. Unter den Bedingungen der offenen Grenze ein zusätzlicher Pullfaktor, dessen Kosten ein Vielfaches der angesetzten 1,5 Milliarden betragen werden.

Werner Halfo / 11.11.2019

Vieleicht sollte man innerhalb dieses Rahmens auch über eine Bedürftigkeitsprüfung für Unternehmen nachdenken. Für Unternehmen die ihre Mitarbeiter ihre Löhne ganz oder Teilweise “aufstocken“ läßt.

Albert Pflüger / 11.11.2019

Geld wird allgemein überschätzt in Zeiten des “whatever it takes”.....

Karin Brandl / 11.11.2019

Das Finanzamt kontrolliert die Rentner nicht. Wer keine Steuerklärung abgibt, zahlt keine Steuern.  Dann klappt’s auch mit der Grundrente.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 14.05.2024 / 11:00 / 132

Demokratie gefährdendes Irrlicht nach dem AfD-Urteil

Was bedeutet es, wenn ein CDU-Politiker wie Marco Wanderwitz (Foto) erklärt, eine „bedrohliche“ Partei nicht mehr „auf politischem Weg kleinbekommen“ zu können und deshalb nach…/ mehr

Peter Grimm / 09.05.2024 / 06:15 / 122

Sind normale Bürger Gewaltopfer minderer Güte?

Wer „demokratischen“ Politikern Gewalt antut, soll härter bestraft werden, als wenn er den gemeinen Bürger angreift? Welch undemokratische Idee. Selbst als es für Politiker der…/ mehr

Peter Grimm / 08.05.2024 / 06:15 / 61

Die CDU feiert Parteitag

In Berlin sollen ein neues Grundsatzprogramm und schöne Reden den einen zeigen, dass die Merkel-CDU Geschichte ist und den Merkelianern das Gegenteil beweisen. Und alle…/ mehr

Peter Grimm / 06.05.2024 / 10:00 / 103

Politik für ausgewählte Gewalttaten?

Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Europaparlamentarier in Dresden rufen die Regierenden wieder zum „Kampf gegen rechts“, und die Innenministerin will mit „Maßnahmen“ reagieren. Die…/ mehr

Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / 29

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab…/ mehr

Peter Grimm / 01.05.2024 / 06:00 / 52

Durchsicht: Grenzen der Ausgrenzung

Die AfD solle nicht mehr zum städtischen Gedenken an NS-Verbrechen eingeladen werden, forderten die Grünen im Leipziger Stadtrat, und sorgten für eine interessante Debatte. / mehr

Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Peter Grimm / 23.04.2024 / 06:05 / 94

Anleitung zum vorbeugenden Machtentzug

Was tun, wenn die AfD Wahlen gewinnt? Das Votum des Wählers akzeptieren? Oder vielleicht doch schnell noch mit ein paar Gesetzen dafür sorgen, dass sie…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com