Während es in Deutschland um die „Wir machen auf“-Bewegung still geworden ist, regt sich aktuell in Polen Widerstand. Seit diesem Montag ist es zu einigen Öffnungen von Läden und Hotels sowie der Bewirtung in Restaurants trotz Lockdown gekommen. Ab dem 1. Februar wollen auch Fitness-Center nachziehen. Den Rahmen dazu bietet die Aktion „OtwieraMY“ („wir machen auf“), die ähnlich wie ihre deutsche Schwester in den sozialen Medien unter dem gleichnamigen Hashtag zu finden ist. Nur dass die Revolte in Polen schon vielfach in die Tat umgesetzt wurde. Auf Online-Karten sind beteiligte Restaurants, Geschäfte und Hotels eingetragen. Polnische Artikel berichten vom Widerstand aus verschiedenen Regionen (siehe hier, hier, hier, hier und hier).
Deutsche Medien halten sich bislang mit aktuellen Informationen über die Lockdown-Proteste in Polen zurück. Für die Einordnung der Ereignisse erhielt ich die Unterstützung einer Warschauer Journalistin sowie eines polnischen Staatsbürgers, der in Deutschland lebt und erst vor wenigen Tagen von einem Besuch seiner Heimat zurückkehrte.
Hintergrund für den zivilen Ungehorsam in Polen ist der weit verbreitete Unmut über die Corona-Politik der Regierung. Diese hatte ein Ende des Lockdowns bei sinkenden Fallzahlen versprochen. Die Corona-Zahlen gingen zurück (der 7-Tage-Mittelwert liegt in Polen aktuell bei circa 7.000 bis 8.000 Fällen), doch ein Ende des Lockdowns wurde noch nicht verbindlich in Aussicht gestellt. Vorläufig wurde der Lockdown bis Ende Januar verlängert.
Restaurant geöffnet für „Restauranttester“
Einige Unternehmer sind daher nicht länger bereit, die Einschränkungen zu akzeptieren. Bereits vor der konzertierten Aktion hatten vereinzelt Gewerbe wieder aufgemacht. Vor Gericht waren verhängte Strafen seitens der Behörden aufgehoben worden, da die Judikative den in Polen verhängten Lockdown als gesetzeswidrig einstuft. Das Land hätte vor einer Verhängung des Lockdowns laut Gesetz erst den Notstand beziehungsweise den Zustand einer Naturkatastrophe ausrufen müssen. Dies ist jedoch verzögert worden, da sonst die Durchführung der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr gefährdet gewesen wäre.
In verschiedenen Regionen Polens gibt es nun Proteste. Mitunter gehen polnische Gastronomen bei ihrem Widerstand sehr kreativ vor. Das polnische Online-Portal Nowiny24 berichtet mit deutlicher Sympathie für die Revolte:
„Am Dienstag blieb in einem der mexikanischen Restaurants in Rzeszów nicht einmal ein Krümel übrig. Das Essen ist dank der ‚Tester‘ verschwunden, denn das Restaurant ist de facto geschlossen. Nur diejenigen, die helfen, das Essen zu ‚testen‘, werden ins Haus gebeten. Jeder kann ein solcher Prüfer werden, außer Polizisten und Gesundheitsinspektoren.
Andere Restaurants operieren unter dem Deckmantel der Treffen der Partei „Konfederacja“. Die Partei organisiert dort Parteiversammlungen für alle willigen Leute. Trotzdem gibt das Gesundheitsamt seine Bemühungen nicht auf, solche cleveren Leute zu bestrafen.“
„Unternehmer haben aufgehört, der Regierung zu glauben“
Restaurants und Geschäfte, die aktuell öffnen, werden von der Polizei beziehungsweise Gesundheitsbehörde kontrolliert. In manchen Fällen erfolgte keine Bestrafung, wie beispielsweise in Poznan. In anderen Fällen werden auch Strafen verhängt, wie aktuell beispielsweise in Lodz. Ob diese Strafen von den Gerichten akzeptiert werden, bleibt abzuwarten. Die beteiligten Läden geben an, nach wie vor die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. In einigen Fällen haben Gastronomen auch angekündigt, zu Strafzahlungen bereit zu sein, da dies immer noch besser sei als bankrott zu gehen. In diesem Beitrag des polnischen Internet-Portals „Onet“ heißt es:
„Nach der Analyse der Finiata Group steht die Gastronomie am Rande des Bankrotts – jeder fünfte Gastronom in Polen schätzt das Durchhaltevermögen nur auf etwa einen Monat. Derzeit 7,5 Prozent (Landesdurchschnitt: 3,7 Prozent) der noch auf dem Markt tätigen 68.300 Gastronomiebetriebe haben ernsthafte Schulden, die sich Ende September auf 695,6 Mio. zł (ca. 153 Mio. Euro, Anm. d. Red.) beliefen.“
Doch erwartungsgemäß ist die polnische Regierung nicht erfreut und hat angekündigt, am Protest teilnehmenden Betrieben die staatlichen Hilfen zu streichen. Ähnlich wie in Deutschland berichten einige Unternehmen jedoch, gar keine Hilfen bekommen zu haben.
Agata Wojtowicz, Präsidentin der Wirtschaftskammer Tatra (Tatrzanska Izba Gospodarcza), wird vom polnischen Portal Bankier zitiert:
„Die Unternehmer sind gezwungen, ihre Geschäfte zu öffnen, und das wird einen Schneeball-Effekt zur Folge haben. Viele Unternehmer qualifizierten sich nicht für staatliche Rettungsschirme. Die Verzweiflung in der Öffentlichkeit wächst, weil kein Ausweg aus dieser Situation in Sicht ist. Es gibt keine klare Regierungserklärung, wann diese Einschränkungen enden werden, und sie werden uneinheitlich verlängert. Die Unternehmer haben bereits aufgehört, an die Ankündigungen der Regierung zu glauben, weil sie auf eine Freigabe der Wirtschaft nach dem 17. Januar gehofft haben.“
Haben Sie den Mut, die Gerichte zu bemühen
In jedem Fall ist der polnische Widerstand der Unternehmer einen gehörigen Schritt weiter als in Deutschland. Dabei hat auch hierzulande die Judikative immer wieder Corona-Beschlüsse der Regierung für nichtig erklärt. Beispielsweise im Falle des Beherbergungsverbotes, das im vergangenen Herbst in verschiedenen Bundesländern vor dem zweiten Lockdown gerichtlich gekippt wurde. In Brandenburg hatten zwei Klagen einzelner Hoteliers dafür ausgereicht. Und gerade hat das Amtsgericht Weimar ein von der Polizei verhängtes Ordnungsgeld wegen einer Geburtstagsfeier in einem Hinterhof, bei der sich 8 Menschen aus 7 Haushalten trafen, für nichtig erklärt. Der Vorfall ereignete sich bereits am 24. April 2020 während des ersten Lockdowns. Die Argumentationslinie des Gerichtes lesen Sie bei Achgut.com.
Bekanntlich gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Der Mut zahlt sich aus, die Gerichte zu bemühen, wenn Betroffene glauben, ungerecht behandelt worden zu sein. Auch und gerade für durch den Lockdown geschädigte Unternehmer.