Ein Bürgermeister trat mit seinem gesamten Gemeinderat aus Protest zurück. Werden andere folgen? Kommt jetzt eine Ausstiegs-Welle der Kommunalpolitiker? Wie wird sie aussehen und welche Folgen wird sie haben?
Gestern Abend trat der parteilose Bürgermeister der 1.100-Seelen-Gemeinde Freisbach, Peter Gauweiler, wie angekündigt mitsamt seinem Gemeinderat zurück (Achgut berichtete). Die Kommunalpolitiker wollten damit gegen das finanzielle Ausbluten der Kommunen protestieren. Von den Steuereinnahmen bleibt der Gemeinde nach Abzug der Umlagen u.a. für den Landkreis nicht einmal mehr genug Geld für die Erfüllung der kommunalen Pflichtaufgaben. Auf der anderen Seite bürdet der Bund den Landkreisen und Kommunen immer mehr Verpflichtungen auf, sei es durch steigende Asylbewerberzahlen oder die Pflicht zur Aufstellung von Wärmeplänen. Im Falle von Freisbach war der Auslöser des Protests, dass die Kommunalaufsicht die Genehmigung des defizitären Gemeindehaushalts versagt. Die Neuregelung des Finanzausgleichs in Rheinland-Pfalz enthalte die Vorgabe für einen ausgeglichenen Haushalt, deshalb habe die Kommunalaufsicht nicht anders reagieren können. Der Landesinnenminister empfahl klammen Kommunen eine Erhöhung der Grundsteuer, also genauer, des Grundsteuerhebesatzes. Das wollten die Gemeinderäte nicht und beschlossen zusammen mit dem Bürgermeister bekanntlich lieber den kollektiven Protest-Rücktritt.
Der wurde am Dienstagabend nun in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung vollzogen – unter den Augen einiger Journalisten und dem Applaus vieler Bürger. Selbst die Tagesthemen, die sich sonst erklärtermaßen nicht für „Ereignisse von lediglich regionaler Bedeutung“ interessieren, berichteten darüber. Offensichtlich schwant auch manchem öffentlich-rechtlichen Redakteur, dass in der sogenannten Provinz viel mehr Unmut gärt, als es sich der Ballungsraum-Bewohner vorstellen kann. Vielleicht folgen bald auch andere Bürgermeister dem Freisbacher Beispiel und wählen aus Protest den Ausstieg aus dem Amt. Den nunmehr Ex-Bürgermeister Gauweiler würde es freuen. „Wenn wir alleine bleiben, wird nichts passieren. Wenn aber andere diesen Schritt mitgehen, muss das Land reagieren", sagte er in die Kamera des SWR.
Das Beispiel Freisbach bewegt und ist auf breites öffentliches Interesse gestoßen. Viele Berichterstatter konzentrieren sich auf den Konflikt mit dem Land Rheinland-Pfalz, das defizitäre Haushalte nicht mehr genehmigen will, aber auch keinen auskömmlichen kommunalen Finanzausgleich anbietet. Doch das Problem, dass am Ende die Kommunen vor Ort die Lasten verfehlter Bundespolitik tragen müssen und diese immer größer werden, während die Einnahmen schrumpfen, kennt man in vielen Orten Deutschlands. Insofern könnte das Beispiel auch außerhalb von Rheinland-Pfalz Schule machen.
Aber vielleicht gibt es solche Rücktritte schon längst in den kleineren deutschen Rathäusern. Nach dem letzten Achgut-Artikel zu dem Thema schrieben uns einige Leser von zurückgetretenen Bürgermeistern in ihrer Region. Die können vielfältige Gründe haben. Demonstrative Rücktritte aus Protest gegen Landes- und Bundespolitik haben noch großen Seltenheitswert. Oder bemerkt man sie überregional nur nicht?
Ein Rücktritt ohne Folgen?
Überregional bemerkt wurde jedenfalls vor einem knappen halben Jahr der Rücktritt von Bürgermeister Burkhard Biemel in der 3.300-Seelen-Gemeinde Dorf Mecklenburg im Landkreis Nordwestmecklenburg. Er hatte den Schritt unter anderem auch mit der verfehlten Asylpolitik des Bundes begründet, deren Folgen man dann den Kommunen überlasse. „Ich durfte keinen Wohnraum für Betreutes Wohnen bauen, aber jetzt soll ich Wohnungen für Flüchtlinge bereitstellen“, erklärte Biemel seinerzeit sein Rücktritts-Motiv. Doch hatte sein Rücktritt Folgen?
Dorf Mecklenburg hat inzwischen einen neuen Bürgermeister. Der frühere Stellvertreter und dann kommissarische Verwalter des Amtes, Jörg Dargel, wurde kürzlich mit 58,2 Prozent der abgegebenen Stimmen zum neuen Bürgermeister gewählt. Wie sein Vorgänger kommt er aus der „Freien Wählergemeinschaft Dorf Mecklenburg". Es scheint, als bliebe kommunalpolitisch alles beim Alten. Und bei den Adressaten des Protest-Rücktritts hat dieser nichts bewirkt. Die Asyl-Politik in Deutschland hat sich nicht geändert. Die Zuwandererzahlen steigen weiter, und immer mehr Kommunen, Städte und Landkreise sehen sich damit überfordert, neue Quartiere zu schaffen. Immer öfter regt sich Protest gegen neue Asylbewerberunterkünfte, besonders in kleineren Orten, in denen sich die ethnische und kulturelle Zusammensetzung der Einwohnerschaft auf einen Schlag dramatisch verändert. Ein bekanntes Beispiel ist das kleine Upahl, das im gleichen Landkreis wie Dorf Mecklenburg liegt. Der Protest der Bürger dort hatte es ebenfalls in die überregionalen Medien geschafft.
Viele Meinungsbildner und ihre Kundschaft halten noch an dem Bild fest, es seien im Wesentlichen die Ostdeutschen, die gegen die massenhafte Aufnahme von Asylbewerbern protestieren. Die sind nun überrascht, dass sich in den letzten Wochen die Meldungen über Proteste im Westen mehren. „Solch einen Vorfall kennen wir bisher nur aus den Bundesländern im Osten Deutschlands“, wunderte sich die stellvertretende integrationspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, Lisa Kapteinat, im Gespräch mit der Westfalenpost über eine inzwischen bundesweit bekannt gewordene Bürgerversammlung in Arnsberg Ende Juli. Eigentlich sollten die Bürger dort lediglich über das Projekt, in einem alten Kloster im Ortsteil Oeventrop Asylbewerber unterzubringen, informiert werden. Doch es kam zu solch massiven Protesten, dass der Besitzer des ehemaligen Klosters sein Angebot zurückzog. Die Westfalenpost berichtete:
„Was als Informationsveranstaltung zu einem Flüchtlingsprojekt gedacht war, wurde schnell zu einer Protestkundgebung - und endete im Eklat. Die Pläne der Bezirksregierung Arnsberg für eine Flüchtlingsunterkunft im Arnsberger Stadtteil Oeventrop scheitern am Widerstand der Bürger. 850 von ihnen hatten sich in und vor der Ruhrtalhalle versammelt und so vehement gegen die Pläne gewettert, dass Immobilienbesitzer und Investor Christoph Kraas plötzlich aufstand, ans Mikrofon ging und verkündete: „Ich sage hiermit ab. Das Vorhaben spaltet den Ort.“ Der zuvor ausgebuhte Oeventroper erntete dafür Jubelrufe, tosenden Applaus und Glückwünsche zu seiner Entscheidung.“
Verweigerung statt Ausstieg?
Auch Landräte, Bürgermeister und andere gewählte Kommunalpolitiker dürften immer weniger Neigung verspüren, die unbeliebten Asylbewerberunterkünfte gegen eine immer stärkere Ablehnung der eigenen Bürger durchzusetzen. Wann beginnen die ersten, an dieser Stelle ihren Dienst zu verweigern?
Die Weigerung bestimmte Vorgaben aus Landes- und Bundeshauptstadt einfach nicht pflichtgemäß zu exekutieren, hat es in einigen Landkreisen schon während des Corona-Ausnahmezustands gegeben. Im Januar 2022 hatte der damalige Vize-Landrat Udo Witschas (CDU) angekündigt, dass der Landkreis die damals ab Mitte März verhängte berufsbezogene Impfpflicht für Pflegekräfte und Krankenhauspersonal nicht umsetzen werde. Der Mann, der als Kandidat zur Landratswahl im Juni des gleichen Jahres antrat, stellte sich dem Gespräch mit jenen Bürgern, die gegen die grundrechtseinschränkenden Corona-Maßnahmen protestierten, und versprach: „Wenn Sie mich danach fragen, was das Gesundheitsamt des Landkreises Bautzen machen wird ab dem 16.3., dann werden wir, unser Gesundheitsamt, unseren Mitarbeitern im Landkreis Bautzen in der Pflege und im medizinischen Bereich kein Berufsverbot aussprechen".
Er ruderte danach zwar verbal etwas zurück und erklärte, nur um die Pflege nicht zu gefährden, würde der Landkreis vorerst keine umgeimpften Pflegekräfte aus ihrem Beruf verbannen können, doch letztlich blieb es bei einer Verweigerung mit öffentlicher Ansage. Witschas wurde ein paar Monate später zum Landrat gewählt. Nach dieser Landratswahl gab es übrigens ein lautstarkes Aufatmen von Politikern und vielen Medienschaffenden, weil es in Sachsen nicht – wie von manchen befürchtet – zum Amtsantritt eines AfD-Landrats kam.
Derweil beschert die Bundespolitik den Kommunen und ihren Kommunalpolitikern immer neue Zumutungen. Beispielsweise werden sie voraussichtlich verpflichtet, kommunale Wärmepläne zu erstellen. Neue Aufgaben, kaum genug Geld, die bestehenden Aufgaben zu erfüllen und Pläne zu exekutieren, die die eigenen Bürger verprellen – das macht insbesondere die ehrenamtliche Kommunalpolitik für engagierte Bürger nicht gerade attraktiver.
Das treibt auch den nunmehrigen Ex-Bürgermeister von Freisbach um, wie er dem Focus in einem Interview sagt:
„Das Ehrenamt ist eindeutig in Gefahr. Unsere Gemeindevertreter im Gemeinderat wurden von den Bürgern gewählt, aber wenn die Vertreter nicht mehr entscheiden können, dann stellt sich die Frage, warum wir überhaupt noch da sind, wenn wir nur noch dasitzen. Der Rücktritt ist ein Hilferuf, stellvertretend für viele andere Kommunen."
Wer besetzt die Leerstellen?
Wann werden solche Hilferufe gehört? Auch dass immer mehr Bürger bereit sind, die Partei zu wählen, die alle bislang und aktuell regierenden Parteien in immer schrilleren Tönen für unwählbar erklären, ist ja eine Art von Hilferuf, den die Adressaten aber nicht verstehen wollen.
Und wenn nun die frustrierten Kommunalpolitiker nach und nach aussteigen, wer kommt denn dann und besetzt die leeren Plätze? Das wäre eine Frage, die sich verantwortungsbewusste politische Amtsinhaber auf Landes- und Bundesebene vielleicht stellen müssten, aber davon ist bei dem gegenwärtigen Regierungspersonal nichts zu bemerken. Im Gegenteil, sie laden viele praktische Probleme ihrer Weltrettungspolitik weiterhin einfach bei den unteren Ebenen ab und gängeln sie dabei noch mit Vorschriften und Vorgaben. Selbst wenn der kollektive Kommunalpolitiker-Protestrücktritt von Freisbach nicht Schule macht, so kann es unter deutschen Kommunalpolitikern trotzdem eine Ausstiegs-Welle geben, die berühmte Abstimmung mit den Füßen gewissermaßen. Vielleicht wird sie überregional lange nicht bemerkt, bis sich alle lautstark darüber wundern, dass dort, wohin die Entscheider Aufgaben verschieben wollen, niemand mehr ist. Oder sie wundern sich darüber, wer da stattdessen sitzt.
Damit diese Zeilen nicht allzu deprimierend enden, soll am Schluss natürlich die Möglichkeit, dass die Proteste und Hilferufe Gehör finden und Verantwortungsbewusstsein in führende Ämter einzieht, nicht unerwähnt bleiben.