Auch Sachsen hat mit Zahlen unsauber gearbeitet, um die „Pandemie der Ungeimpften“ zu begründen. Aber die richtigen Zahlen passen nicht zur Corona-Politik. Manche will die Staatsregierung erst gar nicht wissen.
Noch im Oktober sprach Sachsens Sozialministerin Petra Köpping von der „Pandemie der Ungeimpften“. Zahlreiche Medien berichteten von explodierenden Inzidenzen bei den Ungeimpften.
Reichlich zwei Monate nach den Aussagen der sächsischen SPD-Politikerin scheint sich der Verdacht zu erhärten, dass auch in Sachsen bei der Berechnung der Inzidenzen von Ungeimpften statistisch unsauber gearbeitet wurde, um es höflich auszudrücken. „Es wird klar, dass in großem Maße Personen mit unbekanntem Impfstatus den Ungeimpften zugeordnet wurden – wie in Bayern und Hamburg“, schreibt die Welt. Vergessen wir nicht, dass auch in Sachsen Staatsregierung, Behörden und Gerichte ihre Entscheidungen oft damit begründeten, wie angespannt die Coronalage im Freistaat sei, u.a. aufgrund der vielen Ungeimpften. Und nun das. Manch einer würde möglicherweise die Formulierung „statistischer Betrug“ für angemessen halten. Irreführung ist es in jedem Fall. Da müssen sich sächsische Politiker nicht wundern, dass sich die Bürger auf immer zahlreicheren Spaziergängen Verschwörungstheorien zusammenreimen, wenn dafür die Staatsregierung selbst mit falschen Statistiken die Steilvorlage liefert. Man fragt sich: Wer wird die politische Verantwortung für die Herausgabe der falschen Zahlen übernehmen?
War die „vierte Welle“ doch nicht so tödlich?
Prognostische Aussagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Sachsens Ministerpräsident hatte am 11. November prophezeit, dass die vierte Welle die bisherigen Wellen in den Schatten stellen würde.
Wörtlich: „Diese vierte Welle wird mehr Opfer, auch mehr Todesopfer, verlangen als alles, was wir bisher kannten. Aus dem vergangenen Jahr wissen wir: Wir müssen bis Ostern durchhalten. Vorher wird diese Welle nicht zu Ende sein“.
Aber stimmt das wirklich?
Die Zahlenlage für Sachsen laut o.g. offizieller Statistik ist (Stand 29.12.2021) wie folgt:
Corona-Verstorbene zwischen 11.11.21 und 29.12.2021: 2.253
Corona-Verstorbene zwischen 11.11.20 und 29.12.2020: 2.365
Fakt ist: Der sächsische Regierungschef lag daneben. Weder sind die sächsischen Krankenhäuser bisher untergegangen noch hat die vierte Welle „mehr Opfer, auch mehr Todesopfer“ verlangt „als alles, was wir bisher kannten“. Abgesehen davon scheint hoch fraglich, ob Sachsens Corona-Todes-Statistik plausibel ist. Denn oft ist unklar, ob jemand, der einen positiven PCR-Test hatte, tatsächlich an Corona gestorben ist, insbesondere bei älteren Menschen mit Komorbiditäten.
Höhere Inzidenzen, aber weniger Covid-Patienten
Die Inzidenzen erreichten in Sachsen am 24. November ein Maximum und lagen dreifach höher als der bisherige Peak am 23. Dezember 2020. Nachzulesen in den Daten, die die Staatsregierung selbst veröffentlicht hat.
Trotzdem ist die Hospitalisierung jetzt niedriger! Der Höhepunkt der 2021er Welle lag am 7. Dezember bei insgesamt 2.777, der Höhepunkt der Vorjahreswelle am 29. Dezember bei 3.427 durch Covid-Patienten belegten Betten. Ein Rückgang von 650 Belegungen bzw. 19 Prozent. Die Daten zeigen, wie schlecht sich die Inzidenz als Begründungsinstrument für politische Maßnahmen eignet. Nur am Rande: Auf der o.g. Website heißt es „laborbestätigte Neuinfektionen“. Korrekt müsste es heißen: „positiv getestet“. Denn der PCR-Test kann nicht unterscheiden, ob er aktive Partikel findet oder nicht-infektiöse Bruchteile.
Was heißt hier „positiv getestet“?
Aufschlussreich ist eine Studie, die Ct-Werte in 162.457 durchgeführten PCR-Tests untersuchte. Die Positivrate betrug 2,6 Prozent (4.164 Fälle). Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dieser Arbeit um eine repräsentative Stichprobe handelt. Beteiligt war Prof. Paul Cullen. Zu hören ist er in der Folge 186 bei Indubio mit dem Titel: „Ein Test als Fetisch“.
Hier heißt es ab Minute 2:50:
„Die Hauptaussage der Arbeit war, dass ... ungefähr die Hälfte der gemessenen, als positiv ausgewerteten Befunde einen Ct-Wert hatten von über 25 und ungefähr 40 Prozent einen Ct-Wert von über 30 … 25 bis 30 kann man vielleicht diskutieren. Aber bei einem Ct-Wert über 30 ist es sehr unwahrscheinlich, dass genügend aktive Virusmenge vorhanden ist, dass diese Person ansteckend ist.“
Induktiv schließen die Autoren u.a.:
„In light of our findings that more than half of individuals with positive PCR test results are unlikely to have been infectious, RT-PCR test positivity should not be taken as an accurate measure of infectious SARS-CoV-2 incidence.“
("Angesichts unserer Erkenntnisse, dass mehr als die Hälfte der Personen mit positiven PCR-Testergebnissen wahrscheinlich nicht infektiös waren, sollte die Positivität von RT-PCR-Tests nicht als genaues Maß für die Inzidenz von infektiösem SARS-CoV-2 angesehen werden.")
Haben zehntausende Sachsen sinnlos in Quarantäne gesessen?
Bezogen auf Sachsen könnte plausibel erscheinen, dass seit 2020 mindestens 40 Prozent der PCR-Testpositiven sinnlos in Quarantäne gesessen haben. Das betrifft Zehntausende, die nur wegen eines Laborwertes, nicht aufgrund ärztlicher Diagnostik in den Hausarrest mussten. Ein prominenter Virologe, der regelmäßig in deutschen Talkshows auftritt, bestätigte mir, dass seiner Meinung nach Ct-Werte über 30 bzw. 32 keinerlei klinische Relevanz hätten. Allerdings bestätigte er mir das nur unter vier Augen.
Die Ermittlung der Variable „positiv getestet“ erfolgt nicht nach einem standardisierten Messverfahren, da die meisten Labore unterschiedliche PCR-Kits verwenden. Somit entspricht die Ermittlung der Inzidenz nicht den Kriterien der Messtheorie.
Das Merkmal „positiv getestet“ könnte – statistisch gesehen – normalverteilt sein. Ein Blick auf die sächsischen Corona-Grafiken scheint das zu bestätigen. Weder ist eine Schiefe ersichtlich noch ist die Verteilung links- oder rechtsschief. Es scheint sich tatsächlich um eine Normalverteilung zu handeln. Daran ändern offenbar auch politische Knallhart-Regeln nichts. Wer sich in seinem Umfeld umhört, der könnte feststellen, dass – verglichen zum Vorjahr – mehr Personen eine Corona-Infektion durchmachten, mit Symptomen und ohne, egal ob geimpft oder ungeimpft. Das erklärt möglicherweise die Höhe der Normalverteilung.
Eine statistische Verzerrung kann nicht ausgeschlossen werden: denn die Zahl der durchgeführten PCR-Tests ist unbekannt und damit, ob und wie stark sie mit der Anzahl der Testpositiven kovariieren bzw. korrelieren. Unberücksichtigt ist auch die Rate der falsch-positiv Getesteten.
Kein Interesse an wissenschaftlichen Studien?
Es wäre zweifellos hilfreich gewesen, hätte Sachsen auf eigene wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen können. Die Landesuntersuchungsanstalt (LUA) hat nach eigenen Angaben seit Pandemie-Beginn bis jetzt über 188.397 SARS-CoV-2-PCR-Tests durchgeführt. Weder hat die LUA eine Ct-Werte-Auswertung vorgenommen, auch nicht stichprobenartig, noch wurde eine solche Auswertung durch die Regierung in Auftrag gegeben. Ihr ist auch kein Labor in Sachsen bekannt, das eine solche Auswertung durchgeführt hat. Schade.
12 Prozent Ausfall bei Pflegepersonal in sächsischen Kliniken
Im Freistaat Sachsen fehlen 300 Intensivbetten. Wo genau, ist hier nachzulesen. Gemeldet werden die betreibbaren Intensivstations-Betten an das DIVI-Intensivregister. Dazu teilt das Sozialministerium per E-Mail u.a. mit:
„Eine gesonderte Übersicht, in der die Entwicklung für jedes einzelne Krankenhauses im zeitlichen Verlauf dargestellt ist, liegt dem Sozialministerium gegenwärtig nicht vor … Es gibt viele Ausfälle beim Pflegepersonal. Der Rückgang der Intensivkapazitäten hat sich bis heute nicht erholt: Auch aktuell weiterhin bspw. ca. 9 – 12% Ausfall beim Pflegepersonal in den Krankenhäusern.“
Offenbar aber nicht am Uniklinikum Leipzig. Von dort schrieb ein Sprecher:
„Wir haben den überwiegenden Teil des Jahres 2021 120 verfügbare und betriebene Erwachsenen-Intensivbetten gemeldet. Aktuell betreiben wir im Zuge der vierten Welle weitere 15 Intensivbetten (insgesamt also aktuell 135 Betten). Seit April 2020 haben wir am UKL ca. 180 neue Stellen für Pflegekräfte geschaffen und besetzt. Wir haben aktuell ausreichend Pflegekräfte an Bord, um die o.g. Betten zu betreiben.“
Ob das so bleibe, hänge von der Verfügbarkeit der Mitarbeiter ab, es dürften nicht zu viele krank werden oder in Quarantäne gehen müssen, so der Sprecher. Die Betreuung von Covid-Patienten binde enorm Personal und mache trotz des o.g. Stellenaufbaus die Einschränkungen im Regelbetrieb erforderlich.
Zumindest fehlen im Uniklinikum Leipzig keine Fachkräfte. Das dürfte auch Sachsens Sozialministerin Petra Köpping wissen, denn sie sitzt im Aufsichtsrat der Leipziger Universitätsklinik, gemeinsam mit ihrem Ministerkollegen Sebastian Gemkow.
Es stellt sich die Frage, wie dramatisch die Lage in den Kliniken wirklich ist. Es ist sehr schwierig, ein klares Bild zu bekommen. Einige Krankenhäuser scheinen zu mauern. Sie antworten auf Anfragen überhaupt nicht, oder wenn ja, verweigern sie Auskünfte.
Tausende Sachsen wollen in Kliniken helfen
In Sachsen wird nicht nur gemeckert, es wird auch gern geholfen. Anfang Dezember hatte die Regierung den „Ärzte- und Pflegepool Sachsen“ an den Start gebracht. Dort haben sich 2.280 Freiwillige gemeldet (29.12.2021). Das Sozialministerium listet in einer E-Mail konkret auf:
• medizinisches Fachpersonal: 360 (Arzt/Ärztin; ATA, Hebamme; Medizinstudierende; MFA; MTLA; Notfallsanitäter; Pflegefachkraft; Pflegehilfskraft; PTA)
• sonstiges Personal: 1.870 (inkl.: Andere Ausbildungen im Gesundheitswesen (Ergo, Physio, ...); Helferinnen und Helfer für Serviceleistungen in der Krankenpflege; Unterstützer für nichtpflegerische Tätigkeiten, Transportdienstleistungen und Administration (m/w/d)), inkl. 490 Personen ohne medizinischen Hintergrund nach eigenen Angaben z.B. RentnerInnen, Pädagogen, ehem. Zivildienstleistende, etc.
Bezogen auf die drei großen Regionen:
• Krankenhaus-Cluster Chemnitz: ca. 620 Freiwillige
• Krankenhaus-Cluster Dresden: ca. 1.030 Freiwillige
• Krankenhaus-Cluster Leipzig: ca. 575 Freiwillige
(Quelle: Sozialministerium Sachsen, Stand Montag, 20.12.2021)
Die sogenannten Inzidenzen in Sachsen gehen schnell runter. Tausende Sachsen wollen in den Kliniken solidarisch helfen, um den Personalmangel zu überwinden. Das sind echte Lichtblicke, die positives Denken und Motivation fördern könnten. Doch was macht die sächsische Staatsregierung stattdessen? Sie verschärft die Corona-Maßnahmen.
Völlig unverständlich.
Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt in Leipzig und studiert Psychologie.