Der zurückgetretene Staatssekretär Patrick Graichen war die grüne Eminenz einer weitverzweigten Klimawandel-Vetternwirtschaft. Mit Grünen und SPD regiert in Sachsen die CDU in einer Koalition. In der CDU-geführten Staatskanzlei in Dresden scheint man es mit den Gesetzen nicht so genau zu nehmen.
Unsere Demokratie lebt. Man muss nur genau hinschauen, mit der Lupe. Die rechtsstaatliche Institution, die in Sachsen Ausgaben und Finanzgebaren kontrolliert sowie die Budgethoheit des Landtages verteidigt, ist der Sächsische Landesrechnungshof, kurz SRH, mit Sitz in Leipzig. Er ist unabhängig, vom Landtag bezahlt und mit hochqualifizierten Finanzfachleuten besetzt. Die studieren akribisch Haushalts- sowie Stellenpläne der Ministerien, vergleichen geplante mit tatsächlichen Ausgaben und versuchen – mehr oder weniger erfolgreich – darauf hinzuwirken, dass wir in Sachsen nicht über unsere Verhältnisse leben.
Der 24-seitige Jahresbericht 2022 zum Personalhaushalt Band II liest sich wie ein „Tatort“-Krimi. Heftig kritisiert der SRH den Umgang der CDU-Staatskanzlei in Dresden mit dem sogenannten „Personalpool Demografie“. Das sind 390 Personalstellen, für die die Staatskanzlei haushaltsrechtliche Verantwortung trägt. Wenn z.B. in einem Ministerium ein Mitarbeiter in Rente geht, darf sich das Ministerium bis zu 36 Monate vorher per Antrag aus dem Pool eine Stelle nehmen und damit bereits den Nachfolger einstellen. In dieser Phase kann der alte Kollege den neuen Kollegen einarbeiten. Beide Stellen laufen parallel. Nachdem der alte Kollege in Rente ist, wird die „ausgeborgte“ Stelle an den Pool zurückgegeben. Der neue Kollege sitzt jetzt auf der Stelle seines Vorgängers. Im Verwaltungsdeutsch heißt dieser Vorgang Einfädeln. Genau beschrieben auf Seite 100, Ziffer 126.
Doch nun – Achtung! – stellt der SRH in seinem aktuellen Bericht fest, Seite 79, Absätze 10 und 11:
„Eine Vielzahl der Stellen … wurden nicht zur Bewältigung des demografischen Wandels, sondern vielmehr ohne haushaltsrechtliche Ermächtigung und lediglich durch Verwaltungserlass für sog. ‚Nicht vorhersehbare Aufgabenmehrungen‘ genutzt (dazu später noch mehr, d. A.) … Der Personalpool Demografie … wurde zum Beschleuniger des Stellen- und Personalzuwachses. Dies stellt nicht nur eine schwere Verletzung des Haushaltsrechtes dar, sondern unterläuft auch das Budgetrecht des Landtages und führt zu einem dauerhaften Stellenaufwuchs.“
Noch schärfer wird es auf Seite 98, Ziffer 113:
„Dies stellt einen Missbrauch des Demografiepools und eine Missachtung des Budgetrechts des Parlaments dar.“
Dort steht tatsächlich das Wort „Missbrauch“. Haushaltsrecht ist Verfassungsrecht. Und dagegen wurde verstoßen. Muss jetzt eigentlich der sächsische Verfassungsschutz die Staatskanzlei beobachten? Oder wird die Staatskanzlei sogar als „gesicherte haushaltsmissachtende Bestrebung“ eingestuft? Zwinkersmiley.
Wo sind die Stellen geblieben?
Die Staatskanzlei ist verantwortlich für die Bewirtschaftung der 390 Poolstellen. Die entsprechen einem jährlichen Personalausgabenvolumen in Höhe von 34 Millionen Euro. Nun kommt die nächste Ohrfeige im SRH-Bericht, Seite 95, Ziffer 91:
„Die Staatskanzlei hat keinen zentralen Überblick über die Ist-Besetzung der 390 Poolstellen“.
Wie bitte? Doch, Sie haben das gerade richtig gelesen. Die sächsische Staatskanzlei hat keine Ahnung, wo sich 34 Millionen Euro sächsische Steuergelder in Form von Personalstellen befinden. Sind sie hier, sind sie dort. Niemand weiß, offenbar.
CDU-Staatskanzlei lebt offenbar in Wolkenkuckucksheim
Auf Seite 95, Ziffer 92, stellt der SRH sinngemäß fest, dass sich die Staatskanzlei aus ihrer Verantwortung herausreden möchte, indem sie behauptet, dass es sich beim Personalpool nicht um einen klassischen Stellenplan handele und dass sich doch bitte schön die Ressorts selbst um die Stellen, die sie aus dem Pool abgreifen, kümmern müssten.
Diesen Entschuldigungszettel lässt der SRH allerdings nicht gelten. Auf Seite 95, Ziffer 93, hebt der Sächsischen Rechnungshof den Zeigefinger Richtung Staatskanzlei:
„Gemäß … der … SäHO (Sächsische Haushaltsordnung, d. A.) sind für alle zur Bewirtschaftung zugewiesenen Stellen Stellenbesetzungslisten mit den erforderlichen Angaben zu führen. Eine Unterscheidung zwischen „klassischen“ und „nicht klassischen“ Stellenplänen wird bewusst nicht getroffen. Die Führung der Stellenbesetzungslisten stellt auch keine bloße Förmelei dar, sondern ist für die Haushaltssteuerung unerlässlich. … Die … Weitergabe von Bewirtschaftungsbefugnissen … an eine Vielzahl von Behörden erhöht sogar noch das Bedürfnis nach einer vollständigen, lückenlosen und zentralen Nachweisführung. Die SK (Staatskanzlei, d. A.) ist gehalten, für die … veranschlagten Poolstellen eine Stellenbesetzungsliste zu führen.“
Zack, Entschuldigungszettel einkassiert. Jetzt hat die Staatskanzlei eine Hausaufgabe: lückenlose Stellenbesetzungsliste bitte. Wer übernimmt die Hausaufgabenkontrolle? Freiwillige vor.
Wenn es das Gesetz nicht hergibt, kommt die Selbstermächtigung
„L’État, c’est moi!“ – „Der Staat, das bin ich!“, behauptete einst der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. So viel royale Selbstherrlichkeit finden die da oben in Sachsen offenbar fetzig. Denn in Sonnenkönig-Manier kreierte die Staatskanzlei per Erlass die sogenannte Fallgruppe „Nicht vorhersehbare Aufgabenmehrung“, Seite 96, Ziffer 99. Übersetzt: wenn sich in einem Ministerium die Aktenberge türmten, konnte es sich kurzfristig eine Stelle aus dem Pool abzwacken. Auch dafür gibt es vom SRH eine schallende Ohrfeige, Seite 96, Ziffer 101:
„Die von der SK (Staatskanzlei, d. A.) per Erlass erfolgte Einführung der Fallgruppe „Nicht vorhersehbare Aufgabenmehrung“ ist haushaltsrechtlich unzulässig. Sie findet keine Rechtsgrundlage in dem vom Landtag beschlossenen Haushalt. Sie missachtet zudem die Grundintention des Demografiepools als eine demografische Brücke … Der Demografiepool ist … kein Instrument, um unter Umgehung des Parlaments Stellen für neue Aufgaben bereit zu stellen ... „
Noch mal zum Mitschreiben: „haushaltsrechtlich unzulässig“ – man könnte auch sagen: illegal! Auf Seite 101, Ziffern 128 bis 138, zeigt der SRH beispielhaft auf, wie der haushaltsrechtlich unzulässige Erlass dann „angewendet“ wurde. Im konkreten Fall griff das Innenministerium 13 Poolstellen für die Landesdirektion Sachsen ab. Hierzu berichtet das SRH:
„Der … Fall zeigt exemplarisch, wie der Demografiepool … als Instrument zur Schaffung neuer Stellen unter Umgehung des Haushalts- und Budgetrechts missbraucht wurde … Die Stellen des Pools wurden in diesen Fällen erlasswidrig und haushaltsrechtswidrig beantragt und genehmigt.“
Kein Kommentar.
Die Bevölkerung in Sachsen schrumpft, die Verwaltung wächst
Das Kunststück, immer weniger Menschen durch immer mehr Beamte und Angestellte verwalten zu lassen, gelingt in Sachsen offenbar immer besser. Dazu heißt es auf Seite 79:
„Trotz … sinkender Bevölkerungszahlen … setzt der Freistaat seinen nach 2016 begonnenen Weg eines massiven Stellen- und Personalzuwachses fort. Die Dynamik ist stark steigend. Die Zahl der Stellen stieg im Zeitraum 2016 bis 2021 um rd. 9.000 auf 93.397. Das sind mehr als 10%.“
Eine eindrucksvolle Grafik dazu gibt es auf Seite 88, Ziffer 49. Damit einher geht, dass die Personalausgaben förmlich explodiert sind.
Sachsen schrumpft. Nachzulesen beim Statistischen Landesamt des Freistaates hier. Demnach könnte bis 2070 die Bevölkerungszahl in Sachsen um bis zu 22 Prozent abnehmen. Damit würde sich ein seit Jahren anhaltender Trend im Freistaat fortsetzen. Doch die Kenia-Koalition (CDU, SPD, Grüne), die in Sachsen seit 2019 regiert, beschloss in jedem Doppelhaushalt weitere tausende zusätzliche Stellen. Dazu der SRH auf Seite 89, Ziffer 54:
„Die Regierungsneubildung war mit einer umfangreichen Stellenmehrung und Umressortierung ganzer Aufgabenbereiche verbunden; Untersuchungen zum Personalbedarf wurden nicht angestellt.“
Frei nach dem Motto: wer will wer will, wer hat noch nicht, wurde Personal eingestellt, als gäbe es kein Morgen. Damit wurden jetzigen und künftigen sächsischen Steuerzahlern heftige Personal- und Pensionskosten aufgehalst.
Keine personalwirtschaftliche Gesamtstrategie
So steht es auf Seite 90, Ziffer 60, des Jahresberichtes. Augenscheinlich existiert in Staatskanzlei und Regierung auch kein Unrechtsbewusstsein angesichts der vom SRH aufgedeckten Missbräuche des Haushaltsrechts. Von uns Bürgern fordert die Regierung in Dresden gern und nachdrücklich, dass wir Gesetze einhalten, pünktlich Steuern zahlen und nicht bei Rot über die Ampel fahren sollen. Aber sie selbst missachtet Gesetze und bläht – offenbar aus purem Eigeninteresse – die Verwaltung massiv auf. Wenn das die Zukunft sein soll, kann einem nur angst und bange werden.
Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und studiert Psychologie.