Der erste Dank geht auch an die Männer: an jene, die sich dem Migrantinnen-Marsch am Internationalen Frauentag in Hamburg aus Solidarität anschließen: „Wir freuen uns, dass ihr hier seid und uns unterstützt“, so Hourvash Pourkian von „International Women in Power“. Zusammen mit der „Initiative an der Basis“ initiierte die gebürtige Iranerin die Demo unter dem Motto „Gleichberechtigt, selbstbestimmt, frei“ für die Rechte von Frauen und Mädchen.
Selbstbewusste Frauen finden sich da am Gänsemarkt zusammen. Eine sagt kompromisslos ins Mikrofon: „Seit 40 Jahren kämpfen wir gegen das islamische Regime im Iran. Wir werden das so lange tun, bis es untergeht.“ Ein Gedicht ist zu hören, gewissermaßen eine Ode an die Freiheit. Andere tragen Schilder, die von entsetzlichen Schicksalen erzählen. Man sieht etwa das Foto von Parsa, einer Bildungsministerin, die man 1980 im Iran in einen Kartoffelsack steckte und dann erschoss. Woanders ist das Bild eines wunderschönen Mädchens zu sehen. Darunter steht: „Basem Donjawaisi – im Alter von 7 Jahren im Iran vergewaltigt und ermordet.“ Andere Schilder definieren das Selbstverständnis der Demo: „Für Frauen, nicht gegen Männer“ etwa oder „Keine Toleranz den Intoleranten.“ Am Mikrofon ist derweil wieder die Initiatorin der Demo. Sie erinnert an die Frauenrechtlerin und Kinderpsychiaterin Homa Darabi, die sich in einer stark frequentierten Teheraner Einkaufsstraße selbst verbrannte. Ihr Entschluss, auf diese Weise gegen die brutale Unterdrückung zu protestieren, war bestärkt worden, als man eine 16-Jährige wegen Tragens von Lippenstift kurzerhand erschossen hatte.
Eine weitere Rednerin ist einerseits beeindruckt von der starken Familientradition im Iran. Sie weiß aber auch: Einige Mädchen überleben die Hochzeitsnacht nicht. Sie verbluten innerlich. Hintergrund: Mädchen dürfen laut iranischem Zivilgesetz ab dem 13. Lebensjahr verheiratet werden. Das Iran Journal ergänzt: „Überdies können Eltern von Mädchen unter 13 Jahren von einem Richter die ‚Heiratsreife‘ ihrer Tochter bestätigen lassen. So können selbst Mädchen im Alter von sieben oder acht Jahren ganz legal von ihren Eltern verheiratet werden“ (!) – gegen hohes Brautgeld. Zur Einordnung: „1974 hatte der damalige Machthaber Schah Mohammad-Re-za Pahlavi durch ein neues Familienschutzgesetz das Heiratsalter für beide Geschlechter auf 18 Jahre angehoben. Doch gleich nach der islamischen Revolution wurde diese Reform rückgängig gemacht.“ Zur Sprache kommt dennoch, dass nicht allein Männer an der gewalttätigen Lage schuld sind. Von einem Fall ist die Rede, als eine Muslima ihre Tochter an den Haaren so lange durchs Zimmer gezogen hat, bis der Kopf blutete – nur weil sie Fahrrad fahren wollte wie ein Junge. Es entspricht durchaus dem dortigen Erziehungsideal, heranwachsenden Mädchen solche Flausen nachhaltig auszutreiben. Pourkian bedauert diese fatale Vorstellung von Erziehung, aus der Prinzen statt Männer hervorgehen, während Frauen zum Schweigen verdammt sind.
Surfen auf der ideologischen Zeitgeist-Welle
Mit mehrfach lautstarkem „Nein!“ zu Steinigungen, Genitalverstümmelungen, Verfolgung von Nicht-Muslimen oder der Zusammenarbeit mit dem politischen Islam zieht der Demonstrationszug weiter zum Rathausplatz. Dort trifft er auf weitere Fraueninitiativen. Die konzentrieren sich allerdings auf die ewig selbe „antikapitalistische“ Leier aus der sozialistischen Mottenkiste. Es ödet an. Daran ändert auch der offenbar unbedingt unterzubringende Neusprech von den „nicht-binären, trans und inter Personen“ nichts, die doch aus Protest ihre Arbeit niederlegen sollten. Hintergrund: Tatsächlich profitiert diese Community bereits erheblich von bundesweiten Interessenvertretungen und bevorzugter Politik. Allein schon das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ unterstützt „derzeit neun unterschiedliche Träger mit einer Laufzeit von fünf Jahren (Anfang 2015 bis Ende 2019) und mit maximal 130.000 Euro pro Jahr für Maßnahmen“, die zur „Akzeptanz gleichgeschlechtlicher, trans- und intergeschlechtlicher Lebensweisen beitragen“ (siehe hier auf Seite 24). Warum halten sie nicht Maß um der gerechten Verteilung willen?
Männliche Anwesenheit ist hier außerdem unerwünscht. Das mit dem von Pourkian und anderen Frauen gewünschten „Schulterschluss“ ist insofern an diesem Tag nicht wirklich umsetzbar. Zwei Welten eher, die aufeinandertreffen. Die einen surfen auf der ideologischen Zeitgeistwelle. Rebecca Sommer von der „Initiative an der Basis“ weiß indessen aus direkter Lebenserfahrung der Mitglieder zu berichten: „Wir sind diejenigen, die unmittelbar in ihrer alltäglichen Praxis erleben, was das friedliche und freie Zusammenleben in unserer demokratischen säkularen Gesellschaft bereichert, aber auch gefährdet und bedroht.“ Warum sie den Migrantinnen-Marsch unterstützt? „Weil wir an der Basis hautnah mitbekommen, wie schon kleine Mädchen mit Kopftuch zur Schule kommen und von ihren Brüdern kontrolliert und beherrscht werden“, warnt sie schließlich: „Wir verlieren unsere Freiheit, Stück für Stück … Genau so hat es im Iran angefangen … Dort kämpfen die Frauen um jedes Stückchen Freiheit, um jeden Zipfel Haar, der unter dem Kopftuch gebannt – nein – verbannt ist!“ Die Initiative fordert Unterstützung für die Opfer, hinsehende Medien und handelnde Politik.
„Gewalt sollte nicht Teil irgendeiner Kultur sein“
Ein kleines Weilchen noch hält man sich am Rathausplatz auf. Die Migrantinnen lassen an Luftballons geheftete Bilder von geschändeten und ermordeten Frauen in die Luft steigen. Nach musikalisch begleiteten interkulturellen Kreistänzen ist das Energielevel wieder hoch genug, um weiterzuziehen; durch die Mönckebergstraße am Hauptbahnhof vorbei bis zum Jungfernstieg. Der Demonstrationszug ist zwischenzeitlich von anfangs rund 50 auf bis zu 150 Personen angewachsen. Eine Demonstrantin mit Kontakten zum Iran erzählt von einem kürzlich vermissten 15-jährigen Mädchen, deren Leiche man später im Fluss findet. Ohne Niere. Man hört auch von einer 16-Jährigen, die den Steinigungstod erleiden musste, weil ihr Schleier verrutscht war und ein Mann daraufhin ihr Haar gesehen hat. Es ist unfassbar schlimm.
Ein kurdischer Mitdemonstrant kann nicht begreifen, was ein Mann davon hat, ein minderjähriges Mädchen zu heiraten: Wenn Frauen nicht frei sind, dann sind Männer auch nicht frei.“ Den Übergriff auf Mädchen empfindet er als „Unverschämtheit“. Das habe mit der „Männerdominanz“ in islamisch geprägten Ländern zu tun. Und mit konkurrierendem Prestigegehabe. Junge Damen wollten natürlich nicht mit alten Männern ins Bett gehen. „Diese Männer aber sind stolz, weil sie meinen, damit ihre Potenz zu beweisen.“ Nach dem Motto: Seht her, ich kann noch. Auf die Frage, was das für ein Stolz sein soll, über ein wehrloses Mädchen herzufallen, anstatt eine erwachsene Frau zu erobern, weiß dieser Herr auch keine Antwort. Mit Logik und gesundem Menschenverstand kommt man da nicht weit. Der entsprechende Ehrbegriff scheint untrennbar verknüpft mit der voremanzipierten Kultur, soweit man dies überhaupt so benennen kann. Denn „Gewalt sollte nicht Teil irgendeiner Kultur sein“, so ein Wunsch der Frauen. Es dürfe auch nicht sein, dass Religion als Privatsache in dieser Weise politisiert wird. „Die Probleme muss man offen in der Gesellschaft diskutieren.“ Es bleibt die Frage: „1979-2019: Europas Feigheit gegenüber dem Iran – 87 Frauen wurden vom gemäßigten iranischen Präsidenten Rouhani erhängt. Wo ist Europa? Wo sind die Feministinnen?“
Das Schweigen der Blätter
Interessant zu wissen: Der Migrantinnen-Marsch, der mit seinem Zug durch die Mönckebergstraße große Aufmerksamkeit bekam, erfährt diese nicht entsprechend in der Berichterstattung der üblichen Medien. Den größten Raum bekommen hier sämtliche politkorrekte Initiativen. Zur beschriebenen Demo heißt es im Hamburger Abendblatt lediglich: FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein: „Wir begrüßen es ... ausdrücklich, wenn heute Migrantinnen in Hamburg für die Rechte von Frauen demonstrieren, die unter dem Diktat der Scharia leiden. Die Demonstrantinnen sind zum großen Teil selbst muslimischen Glaubens und bestens integriert", also Vorbild für viele. Und weiter: „In einer ersten verschickten Version des Statements hatte die Fraktionschefin noch deutlich härtere Worte gewählt, entschärfte diese aber kurz darauf in einer geänderten Fassung.“
Die Welt erwähnt den Migrantinnen-Marsch nicht. Aus der Reihe tanzt diesmal die FAZ, die das Problem erkannt hat und titelt: "Vom Frauen- zum Gendertag" – "Die Frauen müssen aufpassen, dass ihnen der Weltfrauentag nicht aus der Hand geschlagen wird. Denn es geht an diesem Tag längst nicht mehr nur um Frauen, sondern, wie in Hamburg, um 'Frauen, Lesben, nicht-binäre, trans und inter Personen', sprich: um Genderpolitik, in der die Gleichberechtigung der Frauen ein Punkt unter vielen ist – und nur, wenn am Ende nicht Gerechtigkeit, sondern Gendergerechtigkeit steht. Dagegen zu argumentieren, ist gerade für Frauen schwierig, weil es dann sofort hieße, man dürfe eine diskriminierte Gruppe nicht gegen die andere ausspielen. Die meisten Frauen in der Welt haben allerdings andere Probleme als die identitätspolitischen Komplexe westlicher Intellektueller..." !
Siehe auch zur Radikalisierung im Iran: "Massenmörder und Folter-Fan" – "Im Iran wurde Ebrahim Raisi (58) zum Chef des Justizsystems ernannt. Raisi solle einen Wandel herbeiführen, der den 'Erfordernissen, Fortschritten und Herausforderungen' im 40. Jahr der islamischen Revolution entspreche", erklärte Khamenei. Außerdem: Heiratsantrag in einer Einkaufspassage im Iran ist „unmoralisch und unislamisch“. Das Paar wurde festgenommen. „Auf Kaution kamen beide bis zum Gerichtstermin vorläufig frei. Bis dahin wird es keine Hochzeit geben. Traditionell werden im Iran Heiratsanträge von den Eltern des Mannes bei den Eltern der Frau gemacht, die dann die Entscheidung treffen. Seit Jahrzehnten wird dieser Brauch jedoch von vielen jungen Paaren, besonders in den Großstädten, nicht mehr ernst genommen.“
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog „Luftwurzel".