Dass Thüringens CDU-Chef Mario Voigt mit seinem AfD-Pendant Björn Höcke in ein TV-Duell ging, sorgte für Aufsehen und Protest. Heraus kam eine ganz normale Fernsehsendung, fast wie früher mit deutlichem Meinungsstreit um Grundsätzliches.
Wenn ein sogenanntes TV-Duell zweier Spitzenkandidaten schon tagelang vor der Sendung ein präsentes Medienthema ist, dann schürt das natürlich die Erwartungen. Eigentlich sollten sich nur zwei Männer streiten, die das Amt des Thüringer Ministerpräsidenten anstreben. Doch mehrfach haben Politiker nicht beteiligter Parteien davor gewarnt, diese Diskussion überhaupt zu führen. Die Thüringer SPD startete gar eine Kampagne, doch um Himmelswillen nicht diese Sendung zu sehen. Denn CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt stellte sich seinem AfD-Pendant Björn Höcke und das ist derzeit wohl der deutsche Politiker mit dem schlechtesten Medien-Leumund. Wenn sein Name fällt, dann werden Leser und Zuschauer immer auch darüber informiert, dass man Höcke „Faschist“ nennen dürfe und er beim Thüringer Verfassungsschutz als Rechtsextremist gilt.
Ansonsten galt es vielen Politikern und Redakteuren bislang als eherne Benimmregel, dass man mit so einem nicht redet, denn das würde ihn nur aufwerten. Dass man mit ihm nicht redete, schadete ihm und seiner Partei allerdings nicht, im Gegenteil. Trotz der nachweislichen Erfolglosigkeit wollen viele Politiker und Medienwerktätige an dieser liebgewonnenen Benimmregel aber festhalten. Deshalb war die Aufregung so groß, als sich CDU-Mann Voigt zum verbalen Duellieren mit Höcke bereit erklärte und es dafür bei WELT TV auch einen Sendeplatz gab.
Gestern Abend nun war es so weit: Voigt trat gegen Höcke an. Eine solche lange Live-Diskussion mit dem wohl bekanntesten AfD-Mann hatte es noch nicht gegeben. Die Zuschauer fragten sich, ob es wohl verbale Ausschreitungen geben würde. Vielleicht schlimme Provokationen oder heftiger lauter Streit? Andere hofften vielleicht eher auf Szenen mit hohem realsatirischen Unterhaltungswert. Wer würde sich dann mehr blamieren, Höcke oder Voigt?
Hohelied auf die EU
Solche Erwartungen wurden enttäuscht. Das Ganze war ein recht normales TV-Duell zweier Spitzenkandidaten. Sicherlich sehr kontrovers geführt, was heutzutage alles andere als selbstverständlich ist, aber dennoch ein Schlagabtausch der kaum Aufsehen erregt hätte, wenn nicht AfD-Mann Höcke einer der Duellanten gewesen wäre. Aber diese Normalität ist wiederum auch bemerkenswert, wenn man bedenkt, welch teuflische Auswirkungen des Redens mit Höcke in den letzten Tagen beschworen wurden. Und auch Mitdiskutant Voigt präsentierte sich zuvor bei der Verteidigung seiner Teilnahme als eine Art Drachentöter, der Höcke inhaltlich stellen würde. Aber es geschah nichts Weltbewegendes, sondern meist Erwartbares, außer vielleicht eine kleine Überraschung. Auf die Wahlentscheidung der Thüringer Wähler dürfte dieses Duell wahrscheinlich kaum Auswirkungen haben.
Am Beginn wurde über die Zukunft der EU gesprochen. Höcke wurde mit seinem Satz „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann" konfrontiert. Und er erklärte, mit weniger Pathos, dass seine Partei die EU, die in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit Deutschland schade, durch einen europäischen Staatenbund ersetzen wolle. Letztlich argumentierte er vor allen mit all den industrie- und wirtschaftsschädlichen EU-Beschlüssen, die im Zusammenhang mit dem sogenannten Green Deal beschlossen wurden. An verhängnisvollen EU-Entscheidungen herrscht ja wahrlich kein Mangel, wie beispielsweise beim Verbrenner-Verbot.
Und Voigt singt derweil ein Hohelied auf die EU, die zwar auch manchmal Fehler mache, aber in den letzten Jahrzehnten für Frieden und Wohlstand gesorgt hätte. Und Letzterer wäre bedroht, wenn es die EU nicht mehr gäbe. Das war nicht mehr als die Präsentation bekannter Textbausteine. Und spontan wurde Voigt an dieser Stelle nur, als er Höcke unterbrach, um ihn zu belehren, dass man in Thüringen ein Hackepeter-Brötchen nicht Mettbrötchen nennen darf.
Kleine Überraschung
Beim nächsten Thema, der Migration überraschte Voigt dann aber. Gefragt nach seinen Vorstellungen, wie denn die illegale Einwanderung endlich zu bremsen sei, hörte sich der CDU-Mann an, als wäre er in einem AfD-Wahlwerbespot aufgetreten. In seinem Wahlkreis gäbe es keine Kindergartenplätze für Deutsche mehr, weil die alle an Migrantenkinder vergeben würden, das könne man nicht länger hinnehmen. Er wolle die illegale Migration auf Null zurückführen, mit harter rechtsstaatlicher Unterstützung für Polizei und Justiz und konsequentem Rückführen und Abschieben.
Da blieb Höcke eigentlich nur noch die Ergänzung, dass man auch die sogenannten Pull-Faktoren angehen müsse. Es müsse die Nachricht in der Welt verbreitet werden, dass in Deutschland nicht mehr Vollversorgung und Bezahlung locken, wenn man hierhergekommen ist. Das Sozialamt Deutschland habe geschlossen, diese Botschaft müsse bei den Menschen in der Welt ankommen.
Außerdem erinnerte er noch daran, dass es eine CDU-Kanzlerin war, die die Massenzuwanderungswelle ab 2015 nach Kräften gefördert hat, was Voigt ganz treu bestritt. Zur Kritik an Merkels Migrations-Politik fehlt Voigt offenbar die nötige Souveränität.
Immerhin sorgte Höcke an dieser Stelle noch für eine kleine Überraschung, als er eine Remigrationsinitiative ankündigte. Dabei meinte er in diesem Falle allerdings nicht die Remigration von Ausländern in ihre Herkunftsstaaten, sondern das Zurückholen Deutscher, insbesondere deutscher Fachkräfte, die in den letzten Jahren ausgewandert sind.
Es gab natürlich auch die Versuche, Höcke mit Zitaten aus seinen Büchern oder Reden einer schlimmen Gesinnung zu überführen oder zu irgendeiner anstößigen Äußerung zu provozieren. Das gelang nicht so recht, denn Höcke präsentierte abgewogen klingende Interpretationen seiner Worte, was Voigt zum Vorwurf an den AfD-Mann führte, dass er hier jetzt ganz anders reden würde als auf einem AfD-Parteitag. Nur einmal hatte sich Höcke etwas verheddert, als er nichts zu einem eigenen Zitat zu sagen vermochte und das damit begründete, dass er sich an den Kontext in dem es entstand, gerade nicht erinnern könne.
Hausverbot in der KZ-Gedenkstätte
Als es um die Erinnerungspolitik ging, beklagte Höcke das Hausverbot, das die Gedenkstätte Buchenwald gegen ihn und andere AfD-Politiker verhängt habe. Er könne dort nun zu keiner Gedenkfeier gehen, während die Politiker anderer Parteien dorthin eingeladen würden. Voigt hatte zuvor gesagt, ein Mann, der in der Gedenkstätte Buchenwald Hausverbot hat, dürfe nicht Thüringer Ministerpräsident werden.
Auch die einst viel zitierte und kritsierte Forderung von Höcke nach einer 180-Grad-Wende in der Erinnerungspolitik war Thema. Der AfD-Mann erklärte,dass er die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Vergangenheit für wichtig halte, allerdings wolle er trotzdem vor allem ein insgesamt positives Geschichtsbild für Deutschland vermitteln.
Als es um Thüringens Landespolitik ging, gab sich CDU-Mann Voigt kämpferisch. Man liege zwar derzeit hinter der AfD, aber er wolle jetzt das Blatt wenden. „Wir werden stärkste Kraft werden“, versprach er. Und natürlich möchte er Ministerpräsident werden und die Linksregierung ablösen, aber dabei nicht mit Höcke zusammenarbeiten.
Die Frage der Moderatorin, mit welcher bunten und eher linkslastigen Koalition er dann aber regieren wolle, ließ Voigt unbeantwortet. Nur dass er nichts mit der AfD zu tun haben will, betonte er immer wieder. Höcke rief Voigt zum Schluss etwas pathetisch zu einer gemeinsamen Regierungsbildung auf: „Meine Hand bleibt ausgestreckt“. Der CDU-Mann lehnte das erwartungsgemäß vehement ab.
Statt der geplanten 45 Minuten diskutierten die beiden Spitzenkandidaten 71 Minuten. Doch die waren immerhin nicht so langweilig wie andere politische Gesprächsformate. Vielleicht, weil inzwischen ein an sich durchschnittliches TV-Duell wegen des tatsächlichen inhaltlichen Streits in Grundsatzfragen schon etwas Besonderes im deutschen Fernsehen ist. Die Duellanten waren aber nur durchschnittliche Duell-Darsteller, allerdings sind sie von ihren Mitarbeitern offenbar besser vorbereitet worden, als es sonst üblich ist.
Für unsere Rubrik „Achgut zum Hören“ wurde dieser Text professionell eingelesen. Lassen Sie sich den Artikel hier vorlesen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.