Liebe Frau Stein, Sie schreiben aus meiner Seele. Ich bin intellektuell und stehe auch dazu und ich möchte und muss mit meinem Intellekt gefordert werden. Das ist notwendig für die geistige und auch körperliche Gesundheit. Nach Abschaffung des Fernsehers vor einigen Jahren hat das eigene Denkvermögen nochmal einen Schub bekommen. Seitdem leide ich enorm unter dieser Verflachung von Inhalten und dem Anspruch von ehemals qualitätsvollen journalistischen Produkten. Wo gibt es in der Medienwelt ein ordentliches Maß an täglicher geistiger Nahrung? Man muss sehr viel suchen. Da hilft ein anspruchsvolles Buch schon sehr. Aber mit wem darüber diskutieren? Da geht es schon weiter. Menschen mit eigenem reflektierten Denken kenne ich kaum. Und das schlimme ist, dass diese Verflachung auch an den Universitäten Einzug gehalten hat. Habe die Erfahrung gemacht, dass dort an einiger Stellen nur der Mainstream die Denkrichtung vorgibt.
Man schlägt den Sack und meint den Esel, eine alte Volksweisheit. Wer aber ist der Sack und wer der Esel ? Wenn man mit dem Sack die Journaille meint, dann greift das sicher zu kurz, genau so kurz wie wenn man den Esel mit dem Publikum gleich setzt. Aber zwischen Sack und Esel besteht eine Wechselwirkung. Der Esel mag nämlich Hysterie und Hype, auch wenn er ursprünglich träge und bockig sein mag. Die Journaille füttert den Esel damit, weil sie weiß , dass er fast alles schluckt . Selbst Greta, Carola und Luisa. Auch wenn man noch so sehr auf den Sack einprügelt, leer wird er - leider - nicht.
Hinzu kommt, dass die Unterscheidung zwischen Nachricht und Kommentar endgültig abgeschafft wurde. Nur Meinungen wecken Emotionen und kreieren Klicks. Die fatale Folge ist, dass ein Sack in China nicht mehr einfach umfällt. Da muss pov rein. Kraus hat in der tat das Problem schon klar erkannt. Erdbeben in Wien ist so ein schoener Beitrag der Fackel, der das Phänomen gut beschreibt.
Es geht ja nicht um niveaureiche Debatte, sondern um Beeinflussung. Ob der deutsche „Intellektuelle“ zu dieser überhaupt in der Lage wäre, steht auf einem anderen Fragebogen. Man packt den Kunden an seiner empfindlichen Stelle und die liegt eher am Hintern als im Hirn. Außerdem ist die intellektuelle Debatte der Deutschen Sache nie gewesen. Sie haben es eher mit Handfestem, im Gegensatz beispielsweise zum Franzos‘. Der liebt die Debatte. Da geht‘s von rechts nach links. Rauf und runter. Den Deutschen würde so etwas verwirren. Er müsste ja bei jedem ausgesprochenen Gedanken zunächst überlegen, ob man das denn überhaupt sagen darf. Oder ob er damit gegen die mittlerweile tausend ungeschriebenen Gesetze der Political Correctness verstößt. Aber soweit ich gehört habe, ist dieses in Frankreich mittlerweile nicht so viel anders. Immer auf der Hut sein. Bloß nicht in Verdacht geraten. Niemandem, oder besser ganz Bestimmten, nicht auf die Füße treten, ihnen auf keinen Fall zu nahe treten. Da gibt es eindeutige No Gos. Verminte Regionen. Fettnäpfchen so tief wie ein Eimer Farbe. Schade, der Diskurs verkommt. An die Stelle tritt Scheinheiligkeit. Verbiesterte Moral. Verlogene Schein-Religiosität. Hatten wir doch schon alles. „Das tut man nicht“ , „das sagt man nicht“, „das denkt man nicht“. Alles alte Kamellen. Nur das Motto hat sich leicht verändert. Und die Intellektuellen? Versagen auf kompletter Linie. Wieder einmal. Was viel über ihre Bedeutung aussagt.
Bei beiden heutigen Achgut-Morgenartikeln fallen mir die “Ketzer” des Mittelalters ein, denen man unter vielem anderen zur Last legte, auf die “Hostie”, also den “Leib des Herrn”, gespuckt zu haben, was ich bisher immer für abstruse, leere Anschuldigungen gehalten habe. Aber eigentlich scheint es mir immer vorstellbarer, daß den einen oder anderen nicht vom christlichen Köhlerglauben korrumpierten Geist mitunter eine namenlose, hilflose Wut über die epidemische Selbstentmündigung der menschlichen Vernunft durch das christliche Dogma überkam und ihn zu solchen hilflosen Gebärden hinriss.
Weil das so ist, wie Sie es schildern, Frau Stein, habe ich soben meine dritte Patenschaft in diesem Jahr für die Achse des Guten einbezahlt und auch an Sciencefiles einen weiteren Obulus entrichtet. Irgendwo muss das Futter für’s Hirn ja herkommen.
Unsere Medien ähneln immer mehr denen in der DDR. Damals gab es die SED, die Partei der fleißigen Werktätigen, aber auch befreundete sozialistische Bruderländer auf der einen Seite. Die anderen waren die bösen Imperialisten, Revanchisten und ewig Gestrigen aus der BRD und Westberlin, Drogensüchtige und Arbeitslose. Dazwischen gab es nichts. Wenn man das jeden Tag hört, glaubt man es irgendwann. Das Westfernsehen entschärfte diese Sicht etwas. Heute gibt es fast nur noch Gutmenschen in einer harmonischen, sozialen und bunten Republik, deren Namen Deutschland immer mehr zur Last wird. Ein vereintes Europa ohne Grenzen ist angesagt. Dieses Glück wollen nun die Nazis von der AfD zerstören. Das läuft in allen TV-Kanälen und ist ebenso in den Zeitungen nachzulesen. Zum Glück gibt es Alternativen im Internet. Dort kann sich jeder seine eigene Traumrepublik basteln. Deshalb haben wir doch so viele Parteien, oder?
Es mangelt - pardon - schlichtweg grundsätzlich an der Qualität der aktuellen Journalistenschar. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist es leider faktisch so, dass sich inzwischen offenbar insbesondere jene zum Journalistenberuf hingezogen fühlen, denen es an sonstigen Fähigkeiten mangelt. Und das rächt sich selbstverständlich, weniger an den dadurch vermeintlich “journalistisch” Tätigen, sondern vielmehr an den Empfängern deren Botschaften. Insbesondere die intellektuelle Basis zur Differenzierung zwischen Fakten und Meinung, zwischen Objektivität und Ideologie muss oft vermisst werden. An deren Stellen treten “Haltung” (sprich: Konformität) und geradezu missionarischer Eifer, eigene Ansichten zu verbreiten, notfalls auch im Wege des Verschweigens tatsächlicher Zusammenhänge und der Beschönigung unliebsamer Wahrheiten - der Zweck soll halt die Mittel heiligen. Dazu tritt, dass offenbar auf fachliche Expertise immer weniger Wert gelegt wird. Klassischer Fall ist inzwischen der freie Journalist (gerne auch weiblich), der soeben noch zum jüngsten Klatsch um Kleiderordnungen anlässlich von Preisverleihungen beitrug, bevor er sich (mit mehr oder weniger bescheidenem Erfolg) in der Berichterstattung ökonomischer Themen versucht, um den Arbeitstag dann mit dem üblichen Bashing (gegen Trump, Putin, Johnson, Orban, etc. etc.) zu beschliessen.
Der deutsche Journalismus missbraucht die Pressefreiheit in geradezu perverser Weise, versteht sich wie in einer Diktatur als “Volkserzieher”, moralisiert, “erfindet”, bauscht auf, wiegelt ab und verschweigt schier unglaubliche Vorkommnisse, anstatt sich demütig daran zu erinnern, dass man in den beiden Diktaturen stramm und fest auf der Seite des Unrecht stand und jeweils danach alles tat, um die Täter zu schützen. Stattdessen werden die Opfer diffamiert und heute sollen mit den Verbrechen der Nationalsozialisten jene der Kommunisten verdeckt werden. Ein mehr als trauriges Kapitel in unserer jüngeren Geschichte ist die Tatsache, dass sich ein Heer von gut bezahlten Journalisten als Einflussagenten von Geheimdiensten diktatorischer Staaten einspannen ließ, um den demokratischen Rechtsstaat den Garaus zu bereiten. Wenn man daran denkt, dass die SED Westberlin einnehmen wollte, um sich das dortige Vermögen anzueignen und mit den Bürgern als Geiseln Kasse zu machen, weil die DDR restlos pleite und viele Journalisten forderten ernsthaft, dass die Bundesrepublik diese widerwärtige und ineffiziente SED-Diktatur mit Geldspritzen am Leben erhält, dann fragt man sich schon, wo man eigentlich lebt.
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