Die Hexenjagd auf J.K. Rowling begann heute vor drei Jahren. Seitdem wird die Schriftstellerin als transphob diffamiert. Wie infam das ist, wird deutlich, wenn man die ganze Geschichte kennt. Gerd Buurmann erzählt sie. Es ist die Geschichte einer mutigen, ehrlichen und differenzierten Frau, die gegen eine gefährliche Ideologie kämpft.
Heute vor drei Jahren, am 10. Juni 2020, schrieb J.K. Rowling ihre Gedanken rund um das Thema Geschlecht und Transsexualität auf. Eine kleine Erinnerung an diesen Text in Zeiten der neuen Hexenjagd.
„Es ist nicht einfach, dies zu schreiben, aus Gründen, die gleich klar werden, aber ich weiß, dass es an der Zeit ist, mich zu einem Thema zu äußern, das von Toxizität umgeben ist. Ich schreibe dies, ohne den Wunsch zu haben, diese Toxizität noch zu verstärken.“
So beginnt der Text von J.K. Rowling vom 10. Juni 2020. Wenn man ihn liest, bemerkt man sehr schnell, mit welcher Verlogenheit und mit welchem Willen zur Diffamierung die Schriftstellerin seit Jahren verleumdet wird. Es ist eine neue Hexenjagd.
Rowling schrieb den Text, nachdem sie öffentlich ihre Unterstützung für Maya Forstater erklärt hatte. Diese hatte vor einigen Jahren ihren Job als Steuerberaterin verloren, nachdem sie erklärt hatte, dass das Geschlecht für sie eindeutig biologisch bestimmt sei. Rowling hatte sich zu dem Zeitpunkt ihrer öffentlichen Unterstützung schon mindestens zwei Jahre mit Geschlechternormen und Transsexualität beschäftigt, da eine Detektivin in den Krimis, die sie schrieb, immer wieder mit genau diesen Themen konfrontiert wurde.
Als Autorin dieser Krimis recherchierte Rowling bei Twitter und studierte dort die Positionen diverser Personen in Sachen Geschlecht und die Art, wie sie diese Positionen artikulierten. Dafür machte sie Screenshots, betätigte Like-Buttons und folgte verschiedenen Personen verschiedenster Überzeugungen. Das brachte einen Mob gegen sie auf. Es wurde ihr vorgeworfen, in Kontakt mit bösen Menschen zu treten, die falsches Gedankengut verbreiten. Die Hexe hatte mit dem Teufel getanzt.
Zu einer ersten großen Eskalation kam es, als sie begann, der Amateurboxerin Magdalen Berns auf Twitter zu folgen. Über sie schreibt Rowling:
„Magdalen war eine äußerst mutige junge Feministin und Lesbe, die an einem aggressiven Gehirntumor starb. Ich folgte ihr, weil ich direkt Kontakt zu ihr aufnehmen wollte, was mir auch gelang.“
Magdalen war fest von der Bedeutung des biologischen Geschlechts überzeugt und wehrte sich gegen den Vorwurf, Lesben seien fanatisch, wenn sie den Sex mit Transfrauen mit Penissen verweigern. Dass Rowling es gewagt hatte, mit dieser Frau Kontakt aufzunehmen, führte zu einer Eskalation.
Die Bücher von Rowling wurden von Fanatikern verbrannt, mehrere Vorträge wurden gecancelt und sie erhielt unzählige Drohschriften auf digitale und althergebrachte Weise. Sie wurde wiederholt mit Beleidigungen wie „Fotze“ und „Schlampe“ überzogen und immer wieder wurde ihr vorgeworfen, mit ihrem „Hass“ buchstäblich Transsexuelle zu töten. Es erreichte sie aber auch eine „Lawine von E-Mails und Briefen, die auf mich einprasselten, von denen die überwältigende Mehrheit positiv, dankbar und unterstützend war.“
Schwule Kinder, die das Geschlecht wechseln wollen?
Die positiven Zuschriften bezeichnet Rowling als einen
„Querschnitt freundlicher, einfühlsamer und intelligenter Menschen, von denen einige in Bereichen arbeiten, die sich mit Geschlechterdysphorie und Transsexuellen befassen, und die alle zutiefst besorgt darüber sind, wie ein gesellschaftspolitisches Konzept die Politik, die medizinische Praxis und die Sicherheit beeinflusst. Sie sind besorgt über die Gefahren für junge und schwule Menschen und über die Erosion der Rechte von Frauen und Mädchen.“
Die nächste Eskalation kam, als Rowling in der Corona-Krise ein kostenloses Kinderbuch auf Twitter teilen wollte. Sofort stürmten Aktivisten ihren Twitter-Account, warfen ihr erneut vor, Hass zu verbreiten und überzogen sie mit einer Salve frauenfeindlicher Beleidigungen. Eine Beleidigung, die damals immer mehr zur Mode wurde, ist das Wort TERF. Das Wort ist ein Akronym und steht für „Trans-Exkludierende Radikale Feministin“.
Rowling nennt ein paar Beispiele für Frauen, die mit dieser Bezeichnung überzogen wurden, zum Beispiel die Mutter eines schwulen Kindes, die befürchtete, ihr Kind könne das Geschlecht wechseln wollen, um homophobem Mobbing zu entgehen und eine ältere Dame, die nicht mehr in den Bekleidungsladen Marks & Spencer einkaufen geht, weil es dort jedem Mann, der sagt, er sei eine Frau, gestattet wird, in die Damenumkleidekabinen zu gehen.
Nach all diesen Erfahrungen beschloss J.K. Rowling am 10. Juni 2020 ihre Haltung zu der ganzen Angelegenheit zu Papier zu bringen. In ihrem Text „J.K. Rowling schreibt über ihre Gründe, sich zu Sex- und Gender-Themen zu äußern“ erklärt die Schriftstellerin, dass sie allein schon aufgrund ihres Berufs im Zweifel für die Meinungsfreiheit eintritt. Der Umstand, dass sie aufgrund ihrer Debattenbeiträge immer öfter angefeindet und gecancelt wird, ist für sie daher inakzeptabel.
Zudem verweist sie auf ihr jahrelanges soziales Engagement für Frauen und Kinder. Ihre Stiftung unterstützt zum Beispiel Projekte für weibliche Gefangene und für Überlebende häuslichen und sexuellen Missbrauchs. Sie schreibt:
„Mir ist schon seit einiger Zeit klar, dass der neue Trans-Aktivismus erhebliche Auswirkungen auf viele der von mir unterstützten Anliegen hat (oder wahrscheinlich haben wird, wenn alle seine Forderungen erfüllt werden), weil er darauf drängt, die gesetzliche Definition des biologischen Geschlechts (Sex) zu untergraben und durch einen neuen sozialen Begriff von Geschlecht (Gender) zu ersetzen.“
In diesem Zusammenhang gibt es für Rowling einen ganz besonders wichtigen Grund für ihren Einsatz, nämlich eine Sache, von der Rowling sagt, sie sei den meisten Menschen wahrscheinlich gar nicht bewusst. Ihr selbst war es jedenfalls nicht bewusst, erst als sie anfing, sich gründlich mit diesem Thema zu beschäftigen. Es ist eine Sache, die zutiefst das Thema der Emanzipation von Frauen betrifft.
Transgender-Echokammern auf Social Media
Bis vor einigen Jahren stellten Männer noch die Mehrheit der Menschen, die zum anderen Geschlecht wechseln wollten. Dieses Verhältnis hat sich jedoch in den letzten Jahren umgekehrt und zwar massiv. Im Vereinigten Königreich ist die Zahl der Mädchen, also die Zahl von jungen Frauen, die zum anderen Geschlecht konvertieren wollen, von 2010 bis heute um über 4.400 Prozent gestiegen. Dabei sind autistische Mädchen zahlenmäßig deutlich überrepräsentiert.
Rowling erklärt, dass ihr diese enorme Explosion bei jungen Frauen Sorgen bereitet, vor allem auch die zunehmende Zahl von Menschen, die die Entscheidung bereuen, allerdings Schritte unternommen haben, die ihren Körper unwiderruflich verändert haben. Um das Phänomen weiter zu analysieren, beschäftigte sich J.K. Rowling unter anderem mit der amerikanischen Ärztin und Forscherin Lisa Littman, die folgende Entwicklung bemerkt hatte:
„Eltern beschrieben im Internet ein sehr ungewöhnliches Muster der Transgender-Identifizierung, bei dem sich mehrere Freundinnen und sogar ganze Freundesgruppen gleichzeitig als Transgender identifizierten. Ich wäre nachlässig gewesen, wenn ich nicht die soziale Ansteckung und den Einfluss von Gleichaltrigen als potenzielle Faktoren in Betracht gezogen hätte.“
Littman beschreibt in einem Aufsatz, wie sich immer mehr Jugendliche als Transgender identifizieren und sich dabei mehr und mehr in „isolierte Echokammern“ auf sozialen Medien zurückziehen. Diese Echokammern tragen zu einer schnell einsetzenden Geschlechtsdysphorie bei.
Littmans Aufsatz sorgte für eine helle Aufregung. Ihr wurde vorgeworfen, voreingenommen zu sein und sie wurde beschuldigt, Fake News zu verbreiten. Wie auch Rowling erlebte sie eine Flut von Beschimpfungen. Mit allen Mitteln wurde versucht, ihre Arbeit zu diskreditieren. Die Kampagne führte sogar dazu, dass die Zeitschrift, in der der Artikel erschienen war, diesen Text kurzeitig offline nahm, ihn allerdings später wieder neu veröffentlichte, nachdem er erneut und noch genauer überprüft worden war. An dem Artikel war nichts auszusetzen, dennoch sorgte die Kampagne gegen Lisa Littman dafür, dass ihre Karriere einen Schlag erlitt. Rowling schreibt:
„Lisa Littman hatte es gewagt, einen der zentralen Grundsätze des Trans-Aktivismus infrage zu stellen, nämlich dass die Geschlechtsidentität einer Person ebenso angeboren ist wie die sexuelle Orientierung.“
Rowling beschäftigt sich in ihrem Text ebenfalls mit dem Argument vieler Trans-Aktivisten, ein Teenager mit Geschlechtsdysphorie würde sich umbringen, wenn man ihm nicht gestatte, seinen Körper oberflächlich anzugleichen. Als Gegenargument verweist Rowling auf den Psychiater Marcus Evans, der in einer Gender-Klinik in England gearbeitet hatte, dann aber ausgetreten war. Er erklärt, dass die Behauptungen, Kinder würden sich umbringen, wenn ihnen der Übergang nicht gestattet werde, „im Wesentlichen nicht mit belastbaren Daten oder Studien in diesem Bereich übereinstimmen.“ Er betont zudem: „Sie stimmen auch nicht mit den Fällen überein, denen ich über Jahrzehnte als Psychotherapeut begegnet bin.“
Rowling hatte als Teenie eine Zwangsstörung
Nach all diesen Studien und persönlichen Erfahrungen kommt J.K. Rowling zum folgenden Schluss:
„Je mehr Berichte ich über Geschlechtsdysphorie las, mit all ihren aufschlussreichen Beschreibungen von Angstzuständen, Dissoziation, Essstörungen, Selbstverletzung und Selbsthass, desto mehr habe ich mich gefragt, ob ich nicht vielleicht auch, wenn ich dreißig Jahre später geboren worden wäre, einen Übergang versucht hätte. Der Reiz, der Weiblichkeit zu entfliehen, wäre enorm gewesen. Als Teenager hatte ich mit einer schweren Zwangsstörung zu kämpfen. Ich hätte dann vermutlich online eine Gemeinschaft und Verständnis gefunden, die ich in meiner unmittelbaren Umgebung nicht gefunden habe. Ich glaube, ich hätte mich dazu überreden lassen, mich in den Sohn zu verwandeln, von dem mein Vater offen gesagt hat, dass er ihn bevorzugt hätte.“
J.K. Rowling beschreibt ihre Jugend mit sehr viel Ehrlichkeit. Sie beschreibt, wie geistig und geschlechtslos sie sich in ihrer Jugend gefühlt hatte und dass viele kleine Kriege auf ihrem weiblichen Körper ausgefochten wurden. Immer wieder geriet sie in Konflikt mit sich und der Gesellschaft aufgrund ihres Körpers, der ihr manchmal wie eine Last und Prüfung vorkam. Dennoch entfloh sie ihrem Körper nie. Für die heranwachsende J.K. Rowling gab es nämlich nicht die Möglichkeit, ein Mann zu werden.
Deshalb suchte sie sich andere Wege, die ihr beim Erwachsenwerden halfen: Bücher und Musik. Sie las zum Beispiel die Philosophin Simone de Beauvoir, die einst sagte, es sei völlig natürlich, dass eine heranwachsende Frau sich über die Einschränkungen empört, die ihr durch ihr Geschlecht auferlegt werden. Rowling schreibt:
„Zu meinem Glück fand ich heraus, dass sich mein eigenes Gefühl des Andersseins und meine Ambivalenz gegenüber dem Frausein in den Werken von Autorinnen und Musikerinnen widerspiegelten, die mir versicherten, dass trotz all der Dinge, die eine sexistische Welt dem weiblichen Körper entgegenzuwerfen versucht, es ist in Ordnung, dass im eigenen Kopf nicht alles voller rosaroter Rüschen ist und das ein Mädchen nicht gefällig sein muss, sondern dass es in Ordnung ist, verwirrt zu sein, düstere Gedanken zu haben, sich sowohl sexuell als auch nicht sexuell zu fühlen und sich nicht sicher zu sein, was oder wer man ist.“
Für Rowling ist die Zeit, die wir heute durchleben,
„die frauenfeindlichste Zeit, die ich je erlebt habe. In den 80ern habe ich mir vorgestellt, dass es meinen zukünftigen Töchtern, sollte ich welche haben, viel besser gehen würde als je zuvor, aber angesichts der Gegenreaktionen gegen den Feminismus und einer von Pornos durchdrungenen Internet-Kultur glaube ich, dass es für Mädchen deutlich schlechter geworden ist. Ich habe noch nie erlebt, dass Frauen in diesem Ausmaß verunglimpft und entmenschlicht werden.“
All diesen Hass erleben Frauen, weil sie biologische Frauen sind und nicht, weil sie sich als Frauen fühlen. Daher erklärt Rowling „Frau ist kein Kostüm!“
Für Rowling ist die Frau keine Idee im Kopf eines Mannes. Deshalb kritisiert sie auch die neue sogenannte „integrative Sprache“, die Frauen als „Menstruierende“ oder „Menschen mit Vulva“ bezeichnet und dadurch in ihren Augen entmenschlicht und erniedrigt. Für Frauen, die von gewalttätigen Männern erniedrigende Beleidigungen erhalten haben, sei diese neue Bezeichnung nicht neutral, sondern feindselig und entfremdend.
Die einfache Wahrheit in der Toiletten-Frage
Für Rowling ist die Auseinandersetzung mit der Gewalttätigkeit von Männern ein sehr persönliches Thema, denn auch sie wurde Opfer häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe. Nur unter großen Schwierigkeiten konnte sie ihrer ersten gewalttätigen Ehe zusammen mit ihrer Tochter entkommen. Bis heute wirkt das Trauma nach. Sie schreibt:
„Die Narben, die Gewalt und sexuelle Übergriffe hinterlassen, verschwinden jedoch nicht, egal wie sehr man geliebt wird und wie viel Geld man verdient hat.“
J.K. Rowling weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtige Schutzräume für Frauen sind. Sie erklärt, wenn man die Türen von Toiletten und Umkleidekabinen für jeden Mann öffnet, der glaubt oder fühlt, eine Frau zu sein, „dann öffnet man die Tür für alle Männer, die reinkommen möchten. Das ist die einfache Wahrheit.“
Das bedeutet nicht, dass sie die Gewalt leugnet, die auch Transfrauen erleben:
„Transsexuelle Menschen brauchen und verdienen Schutz. Wie Frauen werden sie am häufigsten von Sexualpartnern getötet. Transfrauen, die in der Sexindustrie arbeiten, insbesondere farbige Transfrauen, sind besonders gefährdet. Wie alle anderen Überlebenden häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe, die ich kenne, empfinde ich nichts als Empathie und Solidarität mit Transfrauen, die von Männern missbraucht wurden.“
Für Rowling geht es um die Gewalt gegen Frauen. Sie selbst kennt diese Gewalt, die sie nicht nur in ihrer ersten Ehe erlebt hatte. Schon vorher hatte sie einen schweren sexuellen Übergriff erleben müssen: „Dieser Angriff ereignete sich zu einer Zeit und in einem Raum, in dem ich verwundbar war, und ein Mann nutzte eine Gelegenheit.“
Auch deshalb ist Rowling so besonders schockiert über den Ton, der ihr auf Twitter entgegenschlägt. Sie wird als transphob bezeichnet, als Fotze, Schlampe und TERF, die Schläge und den Tod verdient hat. Vor diesen Menschen, die sich nicht selten als Trans-Aktivisten ausgeben, hat J.K. Rowling Angst und mit ihr viele andere Frauen:
„Ich weiß das, weil so viele mit mir Kontakt aufgenommen haben, um ihre Geschichten zu erzählen. Sie haben Angst vor Doxxing, vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes oder ihrer Existenzgrundlage und vor Gewalt.“
Trotz all der Gewalt weigert sich J.K. Rowling zu schweigen. Sie will sich keiner Bewegung beugen, von der sie glaubt, „dass sie nachweislich Schaden anrichtet, indem sie versucht, die „Frau“ als politische und biologische Klasse zu untergraben.“
Vor heute genau drei Jahren schrieb sie:
„Ich stehe an der Seite der mutigen Frauen und Männer, Schwule, Heteros und Transsexuelle, die sich für Meinungs- und Gedankenfreiheit sowie für die Rechte und Sicherheit einiger der Schwächsten in unserer Gesellschaft einsetzen: junge schwule Kinder, fragile Teenager, und Frauen, die auf ihre gleichgeschlechtlichen Räume angewiesen sind und diese behalten möchten.“
An diese Worte sollte man sich das nächste Mal erinnern, wenn man wieder einmal hört, J. K. Rowling sei transfeindlich, eine TERF, Hexe oder, um es mit den Worten von Rowling selbst zu sagen, Voldemort.
Gerd Buurmann spielt als Theatermensch, schreibt und inszeniert in diversen freien Theatern von Köln bis Berlin. Er ist Schauspieler, Stand-Up Comedian und Kabarettist. Seit April 2022 moderiert er den Podcast „Indubio“ der Achse des Guten.