Die Regierung im Rom unter Giorgia Meloni, ein halbes Jahr im Amt, versucht die großen Probleme des Landes in den Griff zu kriegen, vor allem das Migrationsproblem und die bereits angeschobenen subventionierten wirtschaftlichen Projekte.
Die Regierung des centrodestra, der rechten Mitte (Fratelli d`Italia, Lega, Forza Italia), hat ihr erstes Halbjahr hinter sich. In den Regionalwahlen in Friaul-Venetien ist der Kandidat der Lega mit 64 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden, allerdings bei einer Wahlbeteiligung von 45 Prozent. Die größte Oppositionspartei, der Partito Democratico, ist inhaltlich gespalten und hat sich, statt eine sachgerechte Opposition zu betreiben, auf moralisierende Attacken verlegt. Fürchten muss Meloni Frustration in der eigenen Wählerschaft und den daraus folgenden „Astensionismo“, die Wahlenthaltung.
Der Regierung Meloni wird man nicht den Vorwurf machen können, sich nicht ernsthaft um eine Eindämmung der illegalen Migration zu bemühen. Im Wahlkampf des vergangenen Jahres gehörte es zu den zentralen Themen Melonis, dieses Problem nicht wie die Vorgängerregierung schleifen lassen zu wollen. Die Innenministerin Lamorgese der Regierung Draghi hat das Problem zwar nicht glattweg geleugnet wie die deutsche Innenministerin, sie hat es aber weder klar benannt, noch Lösungen vorgeschlagen.
In den Sommermonaten verfünffacht sich in der Regel die Zahl der Migranten, die über die Mittelmeerroute Italien erreichen wollen. Auf Basis der Zahlen des ersten Quartals 2023 könnte dies, so Innenminister Piantedosi, bis zu 400.000 Asylbewerber bedeuten. Wenn die Regierung ihr basales Wahlversprechen, dieses Problem zu lösen, nicht einhalten kann, wird ihr letztlich der Hinweis auf objektive Schwierigkeiten wenig nützen. Die Regierung hat zwar einen nationalen Notstand in Kraft gesetzt, der dient aber nicht der Eindämmung der Migration, sondern ihrer besseren Verwaltung. Die Migranten sollen gleichmäßiger und schneller über ganz Italien verteilt werden, und es wurden Gelder zur Verfügung gestellt, um die Aufnahmezentren aufzurüsten – eine Lösung des Problems ist das nicht. Letztlich bleiben nur die beiden Möglichkeiten, die Abfahrten in Zusammenarbeit mit den Behörden vor allem in Libyen und Tunesien zu verhindern und zweitens die Rückführung in die Heimatländer, so wie es etwa von Großbritannien in einem Abkommen mit Ruanda praktiziert worden ist.
Meloni selbst hat Mitte April eine Reise nach Äthiopien unternommen, das eines der wichtigsten Durchgangsländer für Migranten ist und in dem gegenwärtig über 800.000 Flüchtlinge leben. Natürlich ist die Stabilisierung und Entwicklung dieses und anderer Länder Afrikas fundamental für die Lösung des Problems, wie die Regierungschefin betonte, nur hilft diese Erkenntnis aktuell nicht weiter. Italienintern soll der Schutzstatus für Flüchtlinge restriktiver vergeben werden. Für den Augenblick wirbt die Regierung um Verständnis, dass sich ein in Jahrzehnten entstandenes Problem nicht in wenigen Monaten lösen lässt.
PNRR – Italien in der Subventionsfalle
Viel Geld in kurzer Zeit und dies noch zu den Bedingungen des Geldgebers auszugeben, ist für niemanden einfach. Im Rahmen des 750-Milliarden-Kreditprogramms Next Generation der EU-Kommission wurde Italien mit 191 Milliarden bedacht, davon 67 Milliarden geschenkt, der Rest rückzahlungspflichtig, allerdings ohne dass die Konditionen bis heute festgelegt worden wären. Der politische Zweck war ein doppelter: Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird, und zudem ließ sich so die EU-Kommission als Spieler am Kreditmarkt etablieren – souverän ist, wer sich verschulden kann.
In Italien ist die Regierung Conte II unter anderem daran gescheitert, dass sie nicht in der Lage war, effiziente Strukturen für die Nutzung der EU-Gelder zu schaffen. Der Nachfolger Draghi hat es dann geschafft, mit einer Kompetenz-Inszenierung (Regierung der Besten etc.) und einigen organisatorischen Veränderungen die Probleme unter der Decke zu halten. Die Gelder sollen innerhalb von drei Jahren wenn nicht ausgegeben, so doch zumindest projektiert werden. Aber selbst bereits finanzierte Projekte werden nicht abgeschlossen: In der Provinz Cuneo in Piemont sind von 1.800 bereits finanzierten Projekten bisher lediglich sieben realisiert. Statt sich auf einige Großprojekte im Bereich Infrastruktur, Gesundheitswesen und Energiesicherheit zu konzentrieren, versickern die Gelder jetzt in zahllosen Kleinprojekten, oft im Bereich von Freizeit und Tourismusförderung. Das mag für einzelne Kommunen sinnvoll sein, grundlegende Voraussetzungen für weiteres Wirtschaftswachstum werden damit nicht geschaffen.
Nach meinen persönlichen Erfahrungen ist das italienische Gesundheitssystem besser als sein Ruf. Insbesondere die niedrigschwellige Versorgung in den Kommunen scheint zu funktionieren. In vielen Dörfern gibt es Ambulatorien, in denen mindestens einmal in der Woche ein Arzt Sprechstunden hält und gegebenenfalls Medikamente verschreiben kann. Zu den Zielen des Piano nazionale di ripresa e resilienza (PNRR) gehört es, diese bürgernahe Versorgung engmaschiger zu gestalten. Aber innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens lässt sich die Suche nach Standorten, der Bau von Häusern oder die Rekrutierung von Personal nicht realisieren.
So hat in Italien die Diskussion um den Sinn geschenkten oder unter Bedingungen geliehenen Geldes neu begonnen. Was die Bedingungen anbelangt: In einer der abendlichen stundenlangen Polit-Talkshows des Rete 4 erklärte ein Wirtschaftswissenschaftler, man könnte als italienischer Staat doch zu ähnlichen Bedingungen Geld aufnehmen und hätte dann Handlungsfreiheit, was die Realisierung von Projekten anbelangt. Der trockene Einwand einer Journalistin: Dann sind es aber keine europäischen Schulden mehr, es haftet nicht mehr die EU, sondern Italien.
Die Regierung Meloni hat das PNRR in seiner jetzigen Form von beiden Vorgängerregierungen geerbt und versucht jetzt, mit dem Hinweis auf eine seit 2021 vollständig veränderte Lage, die Gelder in Projekte zu leiten, die vor allem der Energiesicherheit Italiens dienen und zudem den Zeitrahmen zu flexibilisieren. Die politische Linke, angefangen beim Staatspräsidenten Mattarella, beschwört dagegen den ursprünglichen Auftrag, mit den EU-Geldern die ökologische Transformation Italiens voranzutreiben.
Die Mehrheit des centrodestra im römischen Parlament – also Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia – hat beschlossen, eine parlamentarische Kommission einzurichten, welche die Epidemie-Politik der Regierungen Conte II und Draghi untersuchen soll. Der Untersuchungsauftrag ist weit gefasst, begonnen mit der Erklärung des Notstandes und der Bewertung der Maßnahmen nach den Kriterien von Vernunft, Angemessenheit und Effizienz. Gegenstand der Arbeit der Kommission soll die Frage sein, ob die Maßnahmen mit der Verfassung vereinbar waren, ausreichend wissenschaftlich begründet waren und in Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verhängt worden sind.