Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 04.08.2022 / 10:00 / 12 / Seite ausdrucken

Italien im Sommerwahlkampf

Wer hat Mario Draghi – politisch – umgebracht? Die Frage bleibt aktuell, weil die Linke ihre Antwort zum Wahlkampfthema macht.

Schaut man sich den Verlauf der Regierungskrise an, dann ist eigentlich klar: Es war ein Suizid! Die 5Stelle unter der Führung des ehemaligen Premierministers Conte hatten Draghi in einem Gesetzesverfahren die Unterstützung entzogen und waren faktisch aus der Regierung ausgeschieden. Forza Italia und Lega, Berlusconi und Salvini, haben daraufhin dem Ministerpräsidenten den Vorschlag gemacht, eine Regierung Draghi 2 zu bilden, in der die Gewichte hätten neu ausbalanciert werden müssen – eine politische Selbstverständlichkeit, zudem ein in Italien vielfach praktiziertes Verfahren. Aber einem Draghi stellt man keine Bedingungen, Supermario bestand auf der alten Konstellation und ging auf die inhaltlichen Wünsche des centrodestra in seiner Rede im Senat mit keinem Wort ein.  FI und Lega blieb, außer einem politischen Selbstmord, nichts anderes übrig, als sich zu enthalten, bzw. bei der Vertrauensabstimmung den Saal zu verlassen, um nicht direkt gegen Draghi stimmen zu müssen 

Die 5Stelle waren die ersten, die aus der Draghi-Mehrheit ausgeschert sind – aber die Legende vom unverantwortlichen Verhalten des centrodestra wird Wahlkampfthema bleiben. Ob damit für die Linke viel zu gewinnen ist, angesichts der deutlich gesunkenen Zustimmung für Draghi und seine Regierung…? Mit dem Dahinsiechen der Anti-Partei 5Stelle und dem Aufstieg der Fratelli di Italia, Giorgia Melonis FdI, haben sich in den letzten zwei Jahren die politischen Gewichte massiv verschoben, sodass die Mehrheit der Italiener mit Neuwahlen nach 4,5 Jahren einverstanden sein dürfte (Umfragen dazu sind mir nicht bekannt).

Zur wahlpolitischen Ausgangslage

In Umfragen liegen die Parteien des centrodestra, FI – Lega – FdI, ca. 15 Prozentpunkte vor dem centrosinistra, Partito democratico – 5Stelle – diverse Kleinparteien. Vor allem liegen sie auch politisch weit vorn. Die Rechte kann unideologisch die Themen aufgreifen, die Italien bewegen: irreguläre Migration, explodierende Lebenshaltungskosten, seit Jahren massiv steigende Energiepreise, ein wenig effizientes Steuersystem etc. 

Die Themen des centrosinistra sind Rassismus, Gender, ius soli (Staatsbürgerschaft für jeden in Italien Geborenen), Antifaschismus.

Politisch ist der centrodestra auch besser positioniert, weil FI – Lega – FdI anscheinend zu einer gewissen Geschlossenheit gefunden haben. In der Villa Berlusconis in Rom ist verabredet worden, ein gemeinsames Wahl- bzw. Regierungsprogramm vorzulegen. Zudem, und dies ist ein zentraler Punkt, den Ministerpräsidenten stellt im Fall einer Mehrheit des centrodestra die Partei, welche die meisten Stimmen erhält. Gegenwärtig wäre das Giorgia Meloni. Ihre Umfragewerte haben allerdings sehr davon profitiert, dass ihre FdI die einzige Oppositionspartei war. Hingegen ist Salvinis Lega, um Regierungsfähigkeit und „Verantwortungsbewusstsein“ zu demonstrieren, vor allem in der Corona-Politik ständig Kompromisse eingegangen. 

Salvini kann jetzt frei agieren, und so können sich die Stimmenanteile innerhalb des Lagers noch erheblich verschieben – worauf er sicherlich spekuliert. Es wird sich zeigen, ob seine Maxime „uniti si vince“, vereint gewinnt man, im Wahlkampf tatsächlich gilt. 

Die wahlpolitische Lage für den centrosinistra ist aktuell ein Desaster: Der Vorsitzende des Partito democratico, Enrico Letta, phantasiert seit einigen Monaten von einem „campo largo“, einem „weiten Feld“ aller progressiven Parteien und geht gewissermaßen mit dem Käscher durch die politische Landschaft, um Parteien und Gruppierungen einzusammeln. Vornehmlich wären das die Reste der 5Stelle plus deren diverse Abspaltungen. Vorbild ist für Letta das linke Sammelbecken L’ulivo, das zwischen 1995 und 2007 die Basis einiger Regierungen war. Bisher ist nicht zu sehen, dass aus dem ersehnten „campo largo“ ein wirkungsvolles Wahlbündnis werden könnte. Der Pd ist die Partei des linksbürgerlichen städtischen Establishments, einst der Hauptgegner der 5Stelle. Alle übrigen Gruppierungen, die ideologisch infrage kämen, sind in der Formationsphase und zahlenmäßig unbedeutend.

Kampf gegen rechts?

Das „Anbräunen“ bzw. für Italien passender „anschwärzen“ vor allem der Giorgia Meloni in der italienischen und internationalen Presse hat begonnen. So erschien die linke Repubblica vor einigen Tagen mit einem Titelbild der Meloni und der Schlagzeile „Falange“, also der spanischen Variante des Faschismus. Direkt Fascista zu titeln, hat man sich wohl nicht getraut. In der deutschen Presse scheint die Kennzeichnung als „rechtsextrem“ mittlerweile verpflichtend zu sein.

Schon die von Staatspräsident Sergio Mattarella am 13. Februar 2021 eingesetzte Regierung Draghi hatte den politischen Sinn, Neuwahlen zu verhindern, in denen der centrodestra und vor allem Salvini eine gute Chance gehabt hätten. Der Hebel damals waren ca. 200 Mrd. Euro Hilfsgelder aus Brüssel, die der kompetente Technokrat Draghi effizient und quasi „unpolitisch“ einsetzen sollte. Wir werden sehen, welche Drohkulisse die Europäische  Kommission, möglicherweise in Kooperation mit der EZB, aufbaut, um das Brüsseler Imperium gegen die „sovranisti“, die mehr nationale Eigenständigkeit wollen, und gegen Rechts zu verteidigen.

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Leserpost

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Roland Müller / 04.08.2022

Von den 200 Milliarden Euro “Wiederaufbauhilfe” für Italien hat der Italienische Parteiensumpf bis zum Rücktritt vom Herrn Draghi weniger als 10 Prozent für Wirtschaftsförderung und Instandhaltung der Infrastruktur vorgesehen. Es geht also wie auch in Deutschland um Wählerstimmenkauf auf Pump um Meloni und Salvini zu verhindern.

Dr Stefan Lehnhoff / 04.08.2022

@G. Meyer: So bald Sie Ls abständiger Mensch etwas vernünftiges sagen.

Thomas Brox / 04.08.2022

Italien erhält die besagten 200 Milliarden Euro aus dem schuldenfinanzierten EU-Wiederaufbaufonds. Etwa die Hälfte als Zuschuss (also geschenkt), der Rest als Kredit, siehe [de.idgroup.eu: Jörg Meuthen: 26 Milliarden Euro für uns, fast 200 Milliarden für Italien!]. Der Rest wird natürlich auch nie zurückgezahlt. Finanziert wird der Wiederaufbaufonds hauptsächlich durch das inflationäre Gelddrucken der EZB: Zuerst einmal druckt die EZB unter dem Namen PEPP 750 Milliarden Euro und kauft damit Staatsanleihen zur Finanzierung des Fonds auf. Das reicht aber noch lange nicht, der Wiederaufbaufonds hat ein viel größeres Volumen. Pompöse und verwirrende Programmnamen, aber nichts von alledem ist durch echte Wertschöpfung erwirtschaftet. Im Zuge des Wiederaufbaufonds verteilt dann der parasitäre EU-Beamtenapparat die Mittel an die Mitgliedsstaaten für irgendwelche unsinnigen Projekte. ++ Der Hauptzahler ist natürlich der produktive oder ehemals produktive deutsche Untertan: Erstens direkt durch abgepresste Steuern und Abgaben, und zweitens durch die von der EZB erzeugte Inflation zur Staatsfinanzierung. ++ Da EU-Beamte bei der Ausübung ihres Amtes Immunität genießen, und ein wirksames Controlling im EU-Apparat sowieso nicht existiert, wird ein großer Teil der Mittel in dunklen Kanälen verschwinden. Unterdessen werden die potemkinschen Dörfer von den schmarotzenden deutschen Staatssendern als wegweisende Fortschritte bejubelt. ++ Man sollte sich keine Illusionen machen: Egal wer in Italien (oder in einem anderen Club Med Land) regiert, die EU-Transferzahlungen gehen weiter. ++ Die EU-Beamten erhalten übrigens 8,5% Gehaltserhöhung - gesetzlich garantierter Inflationsausgleich. Leistung muss sich lohnen!

Olaf Hüffner / 04.08.2022

Vergessen sie bitte nicht die Netzwerke der Großfinanz, aus denen ein Herr Draghi entsprungen ist. Es ist für Personen wie ihn ein Leichtes, via Brüsseller Oligarchen ohne bürokratisches Theater und vor allem ohne “öffentliches Interesse” Finanzmittel abzuschöpfen. Da hat es ein Unbequemer wie Herr Orban weitaus schwerer.

Edgar Jaeger / 04.08.2022

@Gottfried Meier, wenn Sie so eine Frage stellen sind Sie rechtextrem.

Ulrich Schellbach / 04.08.2022

@Gottfried Meier…“Ab wann ist man rechtsextrem?”...Das ist eine sehr gute Frage, die ich mir auch schon lange gestellt habe. Was ist denn überhaupt einfach nur “rechts”? Nach meinen intensiven Forschungen im üblichen Angebot des deutschen Mainstreams und darauf beruhender, veröffentlichter Konsumentenkommentare,  ist das in diesem, unserem Land der “Seeheimer Kreis” der SPD. Entsprechend gilt alles für die so bemüht engagierte Zivilgesellschaft was in der relevanten Parteienlandschaft nach “Linken”, “Grünen” und “SPD” folgt als “rechtsextrem”. CDU, CSU und FDP (AFDP) haben es nur noch nicht ganz so willig bemerkt, bzw. spielen aus Opportunitätsgründen die drei Affen. Ich hoffe, Herr Meier, dass ich Ihnen helfen konnte.

Uwe Dippel / 04.08.2022

Ihre Frage, @Gottfried Meier, ist leicht zu beantworten. Die FDP ist das Leitgestirn: wenn sie nach links rückt, was sie im Moment tut, dann tut sie das um dem Rechtsextremismus ganz knapp auszuweichen. Oder, anders herum: Alles was rechts von der FDP ist, ist potentiell rechtsextrem. Sogar Friedrich Merz gibt derzeit Vollgas nach links, um nicht auf irgendwelche rechten Eisberge aufzufahren: Ein Ex-Anwalt der RAF ist selbstverständlich satisfaktionsfähig; ein Ex-Anwalt der AfD selbstverständlich nicht.

Rainer Niersberger / 04.08.2022

Das Problem bei diesen korruptiven Sedierungen, hier in Form der 200 Mrd “gedrucktem” Geld, bei dem Sch’land wieder einmal ganz vorne haftet, ist zum einen die kurze Wirksamkeit von derartigen konsumistischen Entlastungen, zum anderen laufen die Kosten naturgemaess nur noch schneller davon, denn die Treiber rechnen natuerlich mit immer weiteren derartigen “Entlastungen”. Zudem gehen sie nicht selten an die “Falschen”, in Italien, wo nur noch die Mafia wachsen duerfte, leicht auszumachen, und sie loesen natuerlich nicht die substantiell anderen, gesellschaftlichen Probleme.  Letztlich verzögern sie nur den Aufwaermprozess fuer eine überschaubare Zeit, der danach allerdings umso heftiger einsetzt.  Nebenbei : Aktuell erhöhen die Heimbetreiber in Schland, nicht selten französische AGs, ihre Preise um 20 bis 30 %. Mtl sprechen wir von 600 Euro plus. Gesamtpreis mtl 4500 bis 5000 Euro.  Die Folgen sind klar, denn etwaige, private Restvermoegen schmelzen wie Butter in der Sonne und die dramatisch steigenden Kosten (und zugleich die Gewinne der französischen AGs) werden zu Lasten des deutschen Zahlers sozialisiert.  Eine “staatliche” Kontrolle findet nicht statt. “Peanuts” auf dem Weg der grossen Transformation, obwohl die weiteren Folgen bei einer aelter werdenden Gesellschaft durchaus interessant sind.  Elend, wohin man schaut, nicht nur in bella Italia.

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