Georgia Meloni und das Vertrauen in die Institutionen

Als Aufgabe ihrer Regierung sieht Georgia Meloni an, das verlorene Vertrauen der Italiener in die Institutionen wiederherzustellen. Kann das gelingen?

Giorgia Meloni hat die Wahl am 25. September deutlicher gewonnen als prognostiziert. Für einen letzten Mobilisierungsschub dürfte die Präsidentin der EU-Kommission gesorgt haben mit ihrer Drohung, bei deviantem Verhalten der künftigen Regierung „Instrumente“ auszupacken…  Und umgekehrt wird für die Anhänger des linken Partito Democratico  der Empfang Enrico Lettas durch den Kanzler des gegenwärtig wenig beliebten Germania  nicht euphorisierend gewirkt haben. 

Ihren ersten koalitionsinternen Machtkampf hat Meloni ebenfalls gewonnen, mit etwas Glück. Silvio Berlusconi wollte seine Kandidatin für den Vorsitz des Senats benennen und konnte sich koalitionsintern nicht durchsetzen. Um die Unverzichtbarkeit seiner Forza Italia zu demonstrieren, enthielten sich die Senatoren der FI bei der Wahl zum Senatspräsidenten. Mit etlichen Stimmen der Opposition, da wurden wohl alte Rechnungen mit Berlusconi beglichen, wurde Melonis Kandidat Ignazio La Russa dann doch im ersten Wahlgang gewählt. Berlusconi ist Profi genug um zu wissen, wann er verloren hat. Für die Stabilität der künftigen Regierung dürfte der Ausgang dieses Spiels letztlich vorteilhaft sein. 

Auf eine Wahl ganz verzichtet haben 36 Prozent der Italiener, das sind 9 Prozentpunkte mehr als 2018. Indirekt hat Meloni den Grund dafür angesprochen: als Aufgabe ihrer Regierung sieht sie an, das Vertrauen der Italiener in die Institutionen wieder herzustellen. Wobei das Vertrauen im Süditalien mit Wahlbeteiligungen teils unter 50 Prozent deutlich geringer ist als im Norden, wo häufig auch Beteiligungen von über 70 Prozent erreicht wurden. 

Die Volatilität des italienischen Wahlvolkes

Die Zustimmung für ihre Fratelli di Italia – der Parteinahme ist der italienischen Nationalhymne entnommen, fratelli bedeutet im Italienischen auch Geschwister – verteilt sich relativ gleichmäßig über die einschlägigen Kategorien Alter, Geschlecht, Bildung.  Es sind keineswegs nur die „Alten“, die FdI gewählt haben.  Regional gibt es einen klaren Schwerpunkt im Norden und in Teilen Mittelitaliens. 

Der Partito democratico hat eine linksbürgerliche und wohlhabende Wählerschaft in den Zentren der großen Städte im Norden, in Mailand, in Turin und in den Städten entlang der Via Emilia von Pavia über Bologna bis Ravenna, zudem die roten Hochburgen in der Emilia und der Toskana. Für Letta hat es allerdings nicht gereicht. Sein dezidiert identitätspolitischer Kurs plus die traditionelle Antifa-Kampagne, diesmal gegen Meloni, hat ihm bis in die Kernwählerschaft mürrische Kritik und Enthaltungen eingetragen. Der Pd hat etwa 800.000 Wähler verloren. Letta gibt auf, ein möglicher Nachfolger ist der Präsident der Emilia-Romagna Stefano Bonaccini, der mit seinem eher sozialdemokratischen Kurs die letzten Regionalwahlen gewonnen hat. Ihm wäre die Erkenntnis zuzutrauen, dass es für die Linke nicht mehr ausreicht, eine faschistische Gefahr herbei zu phantasieren, um dann als politisch korrekter Demokrat selbstverständlich gewählt zu werden.

Die 5Sterne Partei ist zur Partei des Südens geworden, so wie die Lega zu ihren Ursprüngen als Partei des Nordens – Lega Nord war der Gründungsname- zurückgekehrt ist. Beide Parteien haben die Zahl ihrer Wähler in etwa halbiert: beide haben gut 75 Prozent ihrer Wähler jeweils im Süden bzw. im Norden gefunden. Das Thema der 5Stelle im Süden war die Verteidigung des Reddito di cittadinanza, eine Art Bürgergeld, das praktisch ohne Kontrollen und ohne Sanktionen an Arbeitslose ausgezahlt wird. Da wandelt sich, wie ein Kommentator bissig bemerkte, die Stimme in Brot um.  Die Lega hatte gefordert, den vielfach nachgewiesenen Missbrauch dieses „Bürgergehaltes“ zu beenden, was sie im Süden zur Bedeutungslosigkeit verurteilt hat. 

Das traditionelle Großthema der Lega ist die Autonomie der Regionen, ein politisches Projekt, das – obwohl durch Volksabstimmungen gestützt – seit einem Jahrzehnt nicht vorankommt. Der Verdacht, dass die Lega hier nicht liefern kann, und all die Kompromisse, die Matteo Salvini in der Regierung Draghi mitgetragen hat, haben zu einem drastischen Einbruch auch im Norden geführt. Lega und 5Stelle sind Regionalparteien geworden, die Nord-Süd Spaltung Italiens hat sich auch politisch vertieft.

Melonis Sieg – das Ende der Experten-Regierungen

Die Parteien der Rechten Mitte erreichen mit rund 44 Prozent der Stimmen etwa 56 Prozent der Sitze in der Abgeordnetenkammer und ebenso im Senat. Das italienische Wahlrecht ist wie das deutsche gemischt aus Proporz- und Mehrheitswahlrecht, ein Drittel der Sitze wird über Direktwahl vergeben. Die absolute Mehrheit der Sitze hat der centrodestra erreicht, weil die Direktkandidaten der FdI im Norden und der Mitte Italiens vielfach erfolgreich waren. Eine Abstrusität wie Überhangmandate gibt es nicht, die Zahl der Sitze bleibt gleich. 

Giorgia Meloni hat die Wahlen gewonnen und tatsächlich haben alle anderen sie verloren, einschließlich ihrer Bündnispartner Salvini und Berlusconi. Eine naheliegende Erklärung für diesen Erfolg: die FdI waren die einzige Opposition zur Regierung Draghi! So ist die Wahl auch eine klare Entscheidung für eine politische Regierung und eine Absage an „technische“ Experten-Regierungen und deren Prätention, als quasi „Regierung der Besten“ – so die Eigenwerbung des Draghi-Kabinetts – demokratische Willensbildung überflüssig zu machen.

Italiener haben, darin den Deutschen nicht unähnlich, eine Neigung zur Selbstabwertung, allerdings weniger zur moralisierenden Überheblichkeit. Selbstverzwergung ist politisch so tödlich wie Größenwahn und Meloni hat mit dem Aufruf zum „Italienstolz“ eine emotionale Grundlage für ihre Politik geschaffen. In ihrem Buch „Io sono Giorgia“, Ich bin Giorgia, ich bin Italienerin – Mutter – Christin, markiert sie Grenzen, das Unverhandelbare ihrer Person und ihres Fundamentes. In dem Buch beschreibt sie ihren Werdegang und entwickelt politische Positionen aus ihren Erfahrungen heraus. Das Buch besteht nicht aus der für Politiker üblichen Zusammenstellung von Reden oder Referententexten: es kann in dieser persönlichen Dichte nur von ihr selbst geschrieben worden sein, es ist – ja – authentisch. 

Nicht die Fratelli di Italia haben die Wahl gewonnen, sondern „La Meloni“. In dem Arbeiterviertel Roms, in dem sie aufgewachsen ist, streunen jetzt Journalisten herum und befragen die Nachbarn, wer diese Giorgia eigentlich ist. Während des Lockdowns, so einer ihrer Bekannten, stand sie in der Schlange vor einer Metzgerei und man bot ihr an, die vorbestellte Ware an der Schlange vorbei abzuholen. Sie lehnte ab. Und ihr nimmt man ab, dass dies kein PR-Trick war – die Öffentlichkeit bestand damals nur aus einigen Wartenden.

Foto: Quirinale.it CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Christian Feider / 20.10.2022

man nennt es “Demokratie”...etwas ziemlich ungewohnt gewordenes in Deutschland. Das die Brüder gewonnen haben,zeigt die endgültige Abkehr von aus Brüssel “diktierten” und vom Präsidenten umgesetzten an den Bürgern vorbei eingesetzten “Expertenregierungen”..eine Konstruktion,die wie die “Kommissare” in Brüssel das absolute Gegenteil einer Demokratie darstellen…nur ist “man” von den Medien zu vernebelt worden,um das Offensichtliche noch zu erkennen. Zum Glück gibt es Widerstand,der gewinnen kann,wie in Italien!

Jan Blank / 20.10.2022

Italien ist ohne Transfers aus Brüssel zahlungsunfähig.  Frau Meloni wird also vor den Direktiven der EU zu kuschen haben oder wird: Arm aber frei. Italien hat die älteste Bevölkerung Europas und das Rentenniveau beträgt dort 90 % des letzten Gehalts. Sagen sie denen mal, dass ihre Versorgung in Zukunft darin besteht, mit `nem Stock in der Hand die Ziegen von den Tomaten vertreiben zu dürfen. Ich wünsche Frau Meloni wirklich nur das Beste, aber sie wird eine Menge Authentizität brauchen….............

sybille eden / 20.10.2022

Danke, nach diesem sehr informativen und neutralen Artikel in guter journalistischer Tradition, ist es Zeit, eine gute, leckere Pasta zu kochen und eine Flasche Chianti auf den Tisch zu stellen !

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 29.02.2024 / 14:00 / 4

Traktoren mit Trikolore

Bauernproteste, Landschaftsschutz, die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen, Regionalwahlen auf Sardinien: In Italien ist allerhand los, was auch Auswirkungen auf uns haben könnte. Auf den Traktoren, die in…/ mehr

Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 20.06.2023 / 14:00 / 6

Berlusconis Erbe

Berlusconi hat den Italienern eine klare Alternative geboten. Der italienische Bürger wählt rechts oder links, wenn er denn überhaupt wählt. Allen Versuchen, dazwischen eine unabhängige…/ mehr

Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 28.04.2023 / 16:00 / 7

Italien – mühsames Umsteuern

Die Regierung im Rom unter Giorgia Meloni, ein halbes Jahr im Amt, versucht die großen Probleme des Landes in den Griff zu kriegen, vor allem…/ mehr

Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 08.03.2023 / 14:00 / 25

Meloni erfolgreich – darf die das?!

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Italien einen klaren politischen Gegenwillen zur linkssozialistisch-woken Agenda. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stabilisiert das rechte Lager und nimmt Reformen…/ mehr

Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 01.09.2022 / 14:00 / 8

Italien – Wahlkampf in der Hitze des Augusts

Um den Wahlsieg der derzeit als Favoritin gehandelten Giorgia Meloni zu verhindern, setzt das Mittelinksbündnis stark darauf, die Konkurrentin in die Nähe des Faschismus zu rücken. Bisher scheint…/ mehr

Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 04.08.2022 / 10:00 / 12

Italien im Sommerwahlkampf

Wer hat Mario Draghi – politisch – umgebracht? Die Frage bleibt aktuell, weil die Linke ihre Antwort zum Wahlkampfthema macht. Schaut man sich den Verlauf…/ mehr

Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 06.07.2022 / 12:00 / 39

Emergenza: Italien in Ausnahmezuständen

Die italienische Regierung hat jüngst den Ausnahmezustand wegen der Wasserknappheit in fünf norditalienischen Regionen ausgerufen. Die EU empfiehlt, den Klimawandel stärker zu bekämpfen. Doch dass…/ mehr

Hermann Schulte-Vennbur, Gastautor / 16.04.2022 / 15:00 / 15

„Italien zu regieren, ist nutzlos”

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi zeigte sich in seiner letzten Pressekonferenz überzeugt, dass die italienischen Bürger, ähnlich wie bei den Corona-Maßnahmen, in Sachen Ukraine-Krieg eine kraftvolle einheitlich handelnde Regierung…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com