Italien – Wahlkampf in der Hitze des Augusts

Um den Wahlsieg der derzeit als Favoritin gehandelten Giorgia Meloni zu verhindern, setzt das Mittelinksbündnis stark darauf, die Konkurrentin in die Nähe des Faschismus zu rücken. Bisher scheint das wenig erfolgversprechend.

Die parteiinternen Kämpfe um die Listenplätze für die beiden Kammern des Parlamentes sind vorbei, die Listen beim Staatspräsidenten eingereicht. Im Jahr 2020 hat die Anti-Establishment Bewegung 5 Stelle (5 Sterne) im Rausch ihres Über-30-Prozent-Ergebnisses bei den Wahlen 2018 ein Referendum initiiert, mit dem Ziel, die Zahl der Sitze nach den dann folgenden Wahlen um ein Drittel zu kürzen. Mit einer Mehrheit von 70 Prozent haben die Italiener dann dieser Beschneidung ihrer politischen „Casta“ zugestimmt.

So mancher Parlamentarier dürfte jetzt diese erfolgreiche politische Initiative verfluchen und die 5 Stelle sich selbst: Ihnen steht der Absturz von der stärksten Fraktion auf die Repräsentation einer 10-Prozent-Partei bevor. Der Niedergang dieser basisdemokratischen Reform-Bewegung, die ihre Wurzeln vor allem im italienischen Süden hatte, ist einer Führung geschuldet, welche die politischen Anfangsimpulse im parlamentarischen Alltag nicht mehr umgesetzt hat.

Angesichts der stark geschrumpften Aussichten auf einen Parlamentssitz haben die Parteien weitgehend auf die sonst übliche Aufstellung von VIP, von populären Sternen und Sternchen, verzichtet. Im Wesentlichen haben sich die alten Polit-Profis in den innerparteilichen Machtkämpfen durchgesetzt. Beim Partito democratico (Pd) und bei der Lega sind die Getreuen um Letta und Salvini zum Zuge gekommen. Vergleichsweise harmonisch ging es bei Melonis Fratelli di Italia zu: Wer von zwei Prozent auf über 23 Prozent (aktueller Umfragewert) steigt, hat eher das Problem, kompetente Bewerber zu finden. 

Der Pd hat den Spitzenpatz der europäischen Liste an den Virologen Andrea Crisanti vergeben, einen Verfechter der Lockdown-Politik. Dabei stellte sich heraus, dass Crisanti seit Jahren Mitglied des Pd ist – Freiheitseinschränkungen unter dem Label des Gesundheitsschutzes sind wie in Deutschland linke Politik. Bei einem Sieg des centrosinistra gilt der jetzige Gesundheitsminister Speranza, ein Lauterbach-Double (oder umgekehrt), als gesetzt. Gegenwärtig gibt es noch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Restriktionen für Ungeimpfte im Gesundheitswesen – der Gleichlauf zwischen Italien und Deutschland ist mitunter verblüffend. 

Meloni, Salvini, Berlusconi – „Gemeinsam siegt man“

Wer mit Kellnern und Wirten spricht, hört die Sorge, dass im Herbst wieder neue Einschränkungen kommen könnten. Realität sind jetzt schon die verdreifachten Preise für Strom und Gas. Manche Gastronomen hängen ihre Rechnungen von 2021 und 2022 nebeneinander ins Schaufenster, verbunden mit der Ankündigung, das Geschäft oder Restaurant zu schließen, falls hier keine Entlastung kommt. 

Der centrodestra, das Mitterechts-Bündnis, ist wahlpolitisch gut aufgestellt. Die drei Parteien, die diese Formation tragen, setzen in ihren Programmen und durch ihre Führungsfiguren je unterschiedliche Akzente: Giorgia Meloni mit den Fratelli di Italia spricht wertkonservative Wähler an, Matteo Salvini mit der Lega setzt auf die Eindämmung der illegalen Migration plus sozialpolitische Versprechungen, und Silvio Berlusconi holt mit Forza Italia seine Stimmen im wirtschaftsliberalen Lager der kleinen und mittleren Unternehmer. Alle drei Parteien wollen die Verfassung dahingehend ändern, dass der Staatspräsident direkt gewählt wird. Hier könnte sich übrigens eine neue Chance für Mario Draghi ergeben, der seine Ambitionen auf den Quirinal, den Sitz des Staatspräsidenten, wohl nicht aufgegeben hat. Im Wahlkampf hält er Äquidistanz zu allen Parteien und bescheinigt Italien, dass das Land es mit jeder Regierung aus der Krise „schaffen“ wird.

Zwar besteht ein deutliches Konkurrenzverhältnis zwischen den drei Bündnispartnern, aber allen scheint klar zu sein: Uniti si vince, gemeinsam siegt man… so Salvini. Ministerpräsident soll werden, wer die meisten Stimmen holt, im (gegenwärtig sehr wahrscheinlichen) Fall eines Sieges. Auf einem vor einigen Tagen verbreiteten Foto stehen Salvini und Meloni vor der Meerenge von Messina, um ihre gemeinsame Unterstützung für das Projekt einer Brücke zwischen Sizilien und Kalabrien zu demonstrieren. Dabei wirken sie fast wie ein Liebespaar…

Desaströse Lage der Mittelinks-Parteien 

Die wahlpolitische Lage des centrosinistra, der „Mittelinks“-Parteien, hingegen, ist desaströs. Von linker Mitte kann man kaum noch sprechen; der Pd ist von Letta weit nach links gedrückt worden, der Vorsitzende des Pd hat kein identitätspolitisches Thema ausgelassen. Sein neuester Streich: Meloni hatte vorgeschlagen, deviantes Verhalten (Drogen, Alkohol, Kleinkriminalität etc.) bei Jugendlichen mit verstärkten Sport- und Freizeitangeboten einzudämmen. Letta twittert dazu, die Bedeutung von Devianz verdrehend: „Ich denke es und ich sage es, es lebe die Devianz“. 

Von dem erhofften „campo largo“, dem weiten progressiven Bündnis, sind als Partner für den Pd nur zwei noch weiter linksstehende Kleinparteien übriggeblieben. Darunter die italienischen Grünen, die ehrlicherweise zusammen mit „Sinistra“ als „Alleanza Verdi e Sinistra“, als Linksgrüner Zusammenschluss firmieren. 

Der Wahlkampf Lettas besteht bisher im Wesentlichen aus „negative campaigning“ mit dem Ziel, Meloni in die Nähe des Faschismus zu rücken. Im Faschismus stand M für Mussolini. (Ein Bekannter hat mir einmal seine antiquarisch erworbene – oder war es doch ein Erbstück? – Taschenuhr mit diesem M gezeigt.) M soll nun für Meloni stehen… Auf einer Kaimauer des Hafens von Bari steht noch in großen Buchstaben hingepinselt: Umberto Re, Mussolini Duce. Bisher hat es niemand für nötig gehalten, dieses einstige Staatsbekenntnis zu übermalen, die Italiener interessiert das nicht. Die Schrift verwittert ohnehin.

In den Umfragen liegt Meloni mittlerweile deutlich vor Letta.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Ludwig Luhmann / 01.09.2022

Schwabs Marionette Draghi wird sich schon ein paar schmutzige Tricks einfallen lassen. - Ich warte auf den Tag, ab welchem die Worte Faschist und Nazi den Leuten nur noch ein müdes Lächeln abringen ...

Jochen Lindt / 01.09.2022

Das italienische Volk tendiert leider dazu, immer den Gartenzwerg mit der größten Mütze zu wählen.  Obwohl… naja… wir wählen die Kobolde in Annalenas Garten. Mal sehen wer am Ende schlauer ist.

Thomas Szabó / 01.09.2022

Die systematischen Faschismus & Nazi-Vergleiche sind eine Nazimethode. Man verunglimpft den politischen Mitbewerber auf das übelste. Früher brüllte man “Du Jude!” Heute brüllen desselben Geistes Kinder “Du Nazi!” Nur weil du andere exzessiv als Nazis beschimpfst, bedeutet das noch lange nicht, dass du selber kein Nazi bist. Ich beschimpfe auch viele Leute als Nazis, aber ich erkläre es auch jedes mal auf das genaueste warum. Diejenigen die ich als Nazis bezeichne sind keine Nationalsozialisten im klassischen Sinne, aber sie haben eine ähnliche Geisteshaltung. Joseph Goebbels war schon im Recht, als er Nazis & Kommunisten als das selbe Menschenmaterial benannte. Nazi steht heute für das absolut Böse, wie Jude zwischen 1933-1945 und noch früher Satan. Satan, Jude, Nazi, die historischen Höhepunkte des Bösen, oder die der ultimativen Entmenschlichung? Ja, die Nazis waren böse, aber das Wort Nazi als gewissenlose Waffe ebenso.

Thomas Szabó / 01.09.2022

Liebe Frau Stern. Ich erfand das Wortspiel “Nationaler Sozialismus - Internationaler Sozialismus”, um auf die inhaltlichen, ideologischen Parallelen zwischen rechten & linken Ideologien hinzuweisen. Es handelt sich dabei nicht um Framing, da wir nur vorhandene Seelenverwandtschaften aufzeigen. Die linken Ideologien töteten im 20 Jahrhundert an die 100 Millionen Menschen; mehr als die rechten Ideologien. Der Öko-Kommunist Pol Pot rottete im Rahmen seines Klassenkampfes bis zu einem Drittel der Bevölkerung seines Heimatlandes aus. Der linke Hass richtet sich gegen das eigene Volk. Das sehen wir an der Grünen Landesverräter-Partei, die “DEM DEUTSCHEN VOLKE” vom Reichstag tilgen wollte und Deutschland für den globalen Kolonialismus freigeben will. Ich prägte auch den Begriff der mangelnden “Linken Vergangenheitsbewältigung”. Wer die linken Verbrechen leugnet ist nicht besser als ein Holocaustleugner. Ralf Stegner sagte Gewalt sei nie links; noch nie was von Gulag gehört? Die geistigen Erben der linken Gulag-Wärter kondolieren in den KZs und vergießen Krokodilstränen. Das sind tatsächlich Nazis. Wir haben genug Material gegen sie in der Hand.

Christian Kohler / 01.09.2022

Enrico Letta hat den Stab an die eher unbekannte Elly Schlein weiter gegeben. Die in Lugano ( Tessin ) geborene und aufgewachsene Tochter eines amerikanischen Professors war von 2014 bis 2019 im Europ. Parlament. Sie scheiterte an der Wiederwahl und zog in Bologna in den Gemeinderat und ins Kommunalparlament in der Emilia Romana. Sie versteht sich als Vertreterin des Feminismus, der LGBQT Freaks, ihre Agenda beinhaltet so ziemlich alles was links-grün ideologisch gefärbt ist. Obwohl ihre Kontahentin eine Frau ist reduziert sie Signora Meloni zu einer weiblichen Regierungschefin. Sich selbst sieht sie als feministische Anführerin. Irgendwie erinnert es mich an das Geschwätz von Roth, Baerbock und Konsorten. Bin gespannt ob das italienische Wahlvolk eine Abkehr der Staatsauflösenden Politik wählt oder Obamas Wahlhelferin Elly Schlein wünscht, abschreckendes Beispiel Dland, die die ähnlich gelagerten Krisen in Italien verstärkt.

Wilfried Düring / 01.09.2022

Warum wird von Frau Meloni erwartet, daß sie sich ‘offen vom Faschismus distanziert’? Meloni wurde 1977 geboren und ist für die Verbrechen von Mussolini&Co; nicht verantwortlich. Im Alter von 15 Jahren war sie Mitglied der Jugendorganisation der faschistoiden Nachfolgepartei - aber 15-jährige stehen in Deutschland doch bekanntlich unter ‘Artenschutz’; egal was sie tun! Später gehörte Meloni zur Führung der der Jugendorganisation der Alleanza Nazionle des Politikers Gianfranco Fini. Fini formte die AN zu einer rechtskonservativen Partei, die sich EINDEUTIG vom Faschismus abwandte. Damit ist obige Frage doch wohl beantwortet! Das sich Meloni nach Fusionen wie Spaltungen im ‘rechten Lager’ gegen die Person Berlusconi stellte und sich schließlich für die Gründung einer eigenen Partei entschied - macht sie gerade sympathisch. Man sollte entsprechend diesem Beitrag mal Führungsfiguren und ‘Altlasten’ der Sozialisten/Linken/Grünen kritisch vorstellen sowie deren Vergangenheit, Verstrickungen in Korruption usw. . Insbsondere in Ungarn und Rumänien kann man da interessante Entdeckungen machen. Ich freue mich schon auf die blöden Gesichtszüge und das verkniffene, verlogene Grinsen unserer Völkerrechtlerin, wenn das Bundes-Schnatterinchen der ersten italienischen Ministerpräsidentin die Hand geben muß. Viva Georgia!

Sara Stern / 01.09.2022

Wäre es nicht sinnvoll, als Konservative, wenn man schon einen gewissen Medieneinfluss hat möglichst die Linken als Nazis zu framen? Die Behauptung ist der Regel substanzlos ist und dient hauptsächlich dazu Dritte auf die eigene Seite zu ziehen. Wenn man nun die Linken erfolgreich als Nazis framed, kommt von denenlogischerweise nur “selber Nazi!”. Wer aber die Medienmacht hat, der bestimmt, wo es haften bleibt. Dann noch ne italienische Doku, warum Hitler links war (Umwelt, Sozialismus, Arbeiter….finden sich genügend Grüne/linke Punkte im damaligen Parteiprogramm) und schon hätte man das Narrativ um 180 Grad gedreht. Und sobald die Linken Nazis sind, will auch keiner was mit denen zu tun haben. So einfach wäre das.

Dr Stefan Lehnhoff / 01.09.2022

Die echten Faschisten nennen die anderen Faschisten. Auch wie in Deutschland .

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