Ist Putin wirklich paranoid?

Die Frage, ob Putin paranoid ist, beschäftigt den politisch-medialen Komplex in Deutschland derzeit. Das mag ja auch sein, aber er verhält sich nach den Maßstäben seiner Welt vollkommen logisch und das hätte man wissen können.

In den ersten Tagen der russischen Aggression gegen die Ukraine beschäftigten sich die deutschen Medien mehr mit der geistigen Verfassung Putins als mit den ukrainischen Opfern des russischen Überfalls. Diese Suche nach paranoiden Zügen oder der Einnahme von Stereoiden und anderen astrologischen Beschäftigungen sagt mehr über den Zustand des deutschen Journalismus aus als all seine Eingeständnisse, sich auch geirrt zu haben. 

Es trifft zu, dass mit der Länge der Herrschaft eines Diktators dieser auch immer stärker paranoide Züge annimmt. Sieht man sich die Geschichte an, dann scheint diese Eigenschaft wie ein Naturgesetz zu sein. In der neueren Geschichte stehen dafür Stalin, Hitler und Mao, im Kleineren auch Ceausescu, in der Gegenwart Erdogan. Auch Putin kann dem nicht entkommen, seine wirre Rede zur Begründung des Krieges zeugt davon. Keinesfalls jedoch ist seine Entscheidung für diesen Überfall paranoid, sie ist für seinen Machterhalt völlig logisch.

Putin gelang es, seine Armee zu modernisieren, aber nicht sein Land. Er ist ökonomisch auf einer Höhe mit Spanien, aber mit einer dreifach größeren Bevölkerung. Die Eroberung der Krim und von Teilen der Ostukraine hatte ihm einen Höhepunkt in der Zustimmung der Russen gebracht. Und acht Jahre später? Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation für die Mehrheit der Bevölkerung, Zunahme des Einflusses der Opposition und teilweise offene Unzufriedenheit der Oligarchen. Um seine Macht nicht zu gefährden, musste Putin handeln: Unterdrückung der Opposition, Erinnerung der Oligarchen, wem sie ihren Reichtum verdanken und am wirkungsvollsten: Krieg! Weitgehend ist in Deutschland verkannt, dass Putin mit der Eroberung der „Kornkammer Ukraine“ auch auf eine bessere Versorgung der Russen hofft. 

Solange deutsche Politiker und Journalisten die Zwänge verkennen, die aus dem Machterhalt eines Diktators resultieren, werden sie auch dessen Entscheidungen nicht verstehen und eigene falsche Entscheidungen treffen.

Raschen Zusammenbruch der Ukraine in die Welt hinausposaunt 

Baerbock und Scholz beklagen lauthals, sie seien von Putin betrogen und belogen worden. Das ist nicht richtig. Sie haben sich betrügen und belügen lassen. Allein dies disqualifiziert sie, weiterhin auf dieser Bühne Politik zu betreiben. Damit wäre für Friedrich Merz die Chance gekommen, sich als zukünftiger Bundeskanzler zu positionieren. Dafür müsste er den sofortigen Rücktritt der Regierung fordern, aber keinesfalls dieser seine Unterstützung zusichern. Allerdings ist die Geschichte auch angefüllt mit verpassten Gelegenheiten, einschließlich der Geschichte des Friedrich Merz. 

Etliche frühere Generäle der Bundeswehr und ein früherer militärischer Berater Merkels hatten einen raschen Zusammenbruch der Ukraine lauthals in die Welt hinausposaunt. Anscheinend haben diese Militärs in ihrer Ausbildung das Fach „Militärgeschichte“ versäumt. Am 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Die Polen verteidigten sich tapfer, ganz allein, Warschau kämpfte gegen eine zweiwöchige Belagerung, 16.000 deutsche Soldaten ließen in vier Wochen in Polen ihr Leben. Die früheren Bundeswehrgeneräle erhalten hohe Pensionen. Wofür? Für Defätismus?

Jetzt wird in deutschen Medien eifrig darüber spekuliert, ob sich Putin verkalkuliert haben könnte, weil er sich isoliert und keinen Berater mehr an sich heranlassen soll. Was für dümmliche Fragen. Stalin hat zahlreiche seiner Berater erschießen lassen, immer wechselnd, und die übriggebliebenen zitternd ständig um ihr Leben. Er hat sich vielfach verkalkuliert. Hier nur drei: Er wollte die Finnen im Winter 1939 in einem Blitzkrieg niederringen, ließ sich 1941 nicht vom bevorstehenden Überfall Hitlers überzeugen und wollte 1948 mit der Blockade Berlins die Alliierten vertreiben. Am Ende krepierte er allein auf dem Fußboden seines Schlafzimmers.

Aber er hinterließ eine Weltmacht. Putin will mit der Etablierung Russlands als dritte gleichberechtigte Macht neben der USA und China als Diktator überleben. Wer sich dieser Macht entziehen will, obwohl er nach Putins Vorstellungen zum eigenen Machtbereich gehört, muss in dieser Welt notfalls mit Gewalt dazu gezwungen werden. In Tschetschenien, Georgien und der Krim gelang ihm dies. Eine Niederlage in der Ukraine würde seine Prätorianer aktiv werden lassen. Die wollen auch politisch überleben und fragen sich nach einer Niederlage automatisch, ob das mit oder ohne Putin aussichtsreicher ist. 

In einer mehrfach fatalen energiepolitischen Sackgasse

Die Kehrtwende bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine löst nicht die Frage auf, welche Stellung Deutschland künftig in der Welt einnehmen wird. Vielleicht lässt das Dilemma des von russischem Gas abhängigen Landes wenigstens die Einsicht wachsen, wie tief das Land in einer mehrfach fatalen energiepolitischen Sackgasse festsitzt. In die wollte uns die derzeitige Bundesregierung weiter hinheinführen. Doch bis zu dem Punkt, an dem wir stehen, haben uns die Vorgängerregierungen geführt. Frau Merkel hat es viermal und Herr Schröder hat es zweimal getan: Sie haben einen Eid abgelegt, in dem sie sich verpflichteten, zum Wohle des deutschen Volkes zu wirken und Schaden von ihm abzuwenden. Haben sie durch ihre Energie- und Russlandpolitik diesen Eid nicht verletzt? Bisher hat sich offenbar noch kein Verfassungsrechtler explizit mit der Frage beschäftigt, durch welches Verhalten eines Bundeskanzlers dieser Eid verletzt werden könnte. 

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Peter Woller / 27.02.2022

Wenn Putin paranoid ist, was sind denn dann unsere “Politiker” in Berlin und anderswo, die irgendwelchen in Regenbogen-Farben schillernden Seifenblasen hinterher laufen?

Richard Reit / 27.02.2022

Das FDJ Mädel und der KGB Mann konnten halt gut miteinander.Wehrpflicht abgeschafft, Auftrag von Landesverteidigung auf Intervention umgestellt, Anzahl der Soldaten, der Panzer, der Flugzeuge, Munition usw auf einen Bruchteil reduziert, notwendige technologische Verbesserung blockiert, Gelder gekürzt und stattdessen in die ganze Welt verschenkt….die Frau und ihre MinisterInnen haben ganze Arbeit geleistet.Wer redet eigentlich noch darüber, dass sie direkt nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban hundert Millionen überwiesen hat.weitere hunderte Millionen zugesagt .Die Skandale sind so zahlreich, dass man den Überblick verliert.

Hans-Joachim Gille / 27.02.2022

Zitat: “Das mag ja auch sein, aber er verhält sich nach den Maßstäben seiner Welt vollkommen logisch und das hätte man wissen können.” -Zitatende Das ist nur die halbe Wahrheit. Putin verhält sich auch nach den Maßstäben des Westens für den Westen vollkommen logisch. Der einzige Haken daran ist, daß Putins Rußland nicht zum Westen gehört. “Not one of us”.

giesemann gerhard / 27.02.2022

Es ist und es war nie ein Fehler, mit den Russen Geschäfte zu machen. Es ist auch kein Fehler, mit der muslimischen Welt Geschäfte zu machen - wir sollen sie nur nicht als zu alimentierende Gäste ins Haus lassen bei Kaffee und Kuchen. Als zahlende Gäste: Welcome. Gilt natürlich auch für die Russen. Asylgewährung ist eine Notfallmaßnahme, kein Einwanderungsprogramm. Und die Lieferung von Abwehrwaffen an die angegriffene Armee ist eigentlich selbstverständlich. Angriffswaffen wie Panzer etwa kommen ohnehin nicht in Frage. Ob man sich in Putin getäuscht hat oder der uns, kann mensch diskutieren. Für Putin ist eben klar: Fällt die UA aus seinem Machtbereich heraus, dann ist er selbst auch bald fällig. Wir sollten ihm klar sagen: Genau das ist unser Ziel, du musst weg повели́тель президе́нт - Herr Präsident. Mitsamt dem System Putin. Zum Wohle von Mütterchen Russland, моя́ ма́тушка Росси́я. Wäre auch für uns angenehmer.

Kurt Müller / 27.02.2022

Ich habe bei einem Studentenaustausch das Mahnmal über den Sieg über den Hitlerfaschismus in der Nähe von Moskau besucht. Nach dem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz einer der wichtigsten Momente im Leben. Wenn man das besagte Mahnmal in Russland gesehen hat, erst dann begreift man den hohen Stellenwert, den der Sieg über den Faschismus mit 27,000,000 (27 Millionen) militärischen und zivilen Opfern hat. Aus der Sicht Russlands wurde dieser Krieg nicht nur von Deutschland begangen, sondern kam zum dritten Male nach Napoleon und nach dem ersten Weltkrieg aus der westlichen Hemisphäre. Diese Erfahrung muss in jeder russischen Politik logischerweise bis heute ein bestimmendes Moment in der Handlung und Zukunftsplanung haben. Wir aus Ostdeutschland vor 1989 Geborene und vor 1989 auf die Freundschaft mit Russland in einer paramilitärischen Zeremonie Vereidigte, jedenfalls die Meisten und gewiss Intelligenteren von uns damals, haben die Notwendigkeit einer zuverlässigen und unzerbrüchlichen Freundschaft mit Russland verstanden. Im Gegensatz zu Westdeutschen, die zahlenmäßig die Mehrheit in der Gesellschaft und nahezu die Gesammtheit im Medienbetrieb stellen, diese haben das eben nie verstanden und hetzen mangels Einfühlungsvermögen seit 15 Jahren sträflichst gegen Russland mit einer völlig einseitigen Sicht auf das Land und Leute, und haben den schweren Fehler begangen, ihre Kultur für das Maß aller Dinge zu halten, aber offenkundige neofaschistische Umtriebe in der Ukraine in Verbindung mit einer ständigen militärischen Aufrüstung weder zu kritisieren noch einen klaren Standpunkt wie zum Beispiel gegenüber der AfD einzunehmen; dabei war die Ukraine ein Kollaborateur Hitlers. Die Folge davon ist ein seit 15 Jahren schwelender Konflikt, der seit Mitte der 90er absehbar ist. Die heutige Situation ist mit die Schuld westlicher Politiker, rücksichtsoser Journalisten und kapitalistischer Intrigen. Der Verlierer ist aktuell die Arbeiterklasse in Deutschland und in der Ukraine.

Rudi Hoffmann / 27.02.2022

......, zum Wohle des deutschen Volkes zu wirken und Schaden von ihm abzuwenden ,  “so wahr uns Gott dabei helfe” !  !  !  ” und das ist der Schwachpunkt”  und nicht justiziabel !

Harald Unger / 27.02.2022

Cäsarenwahn, nicht Paranoia. Was der gelernten DDR-Marxistin ihre astronomisch übersteigerte Selbstsucht war - ist Putins astronomisch übersteigerter Geltungswahn. - - - In diesen Tagen offenbart sich, leider auch in den Kommentarspalten auf Achse & Reitschuster, die verheerenden Auswirkungen von 16 Jahren Merkel Regime. In Form einer geistigen und moralischen Verwahrlosung, deren Grundtenor das fraglose Befürworten des putinesken Faschismus und Totalitarismus ist. Das Selbstbestimmungsrecht ist ebenso unbekannt, wie das Budapester Abkommen. Allein die Befindlichkeit Seiner Liebden, Generalissimus Zar Putinski zählt. Ihr zu wallfahren, ist köstlichste Genugtuung. ../2

Harald Unger / 27.02.2022

“../2 Ganz anders, ebenso erhellend, ist das Geschehen in den schlandischen Gleichschaltungsmedien. t-kloline titelt (bitte vorher hinsetzen): Annalena Baerbock - Frau Tacheles ... Annalena Baerbock war im Wahlkampf zur tragischen Figur geworden. In der Russland-Krise wirkt sie jetzt plötzlich wie gemacht für ihr Amt als Außenministerin. Wirklich überraschend ist das nicht. - - - Als Anhängsel von New York Times, MSNBC, Washington Post & CNN, geben die d-sprachigen MSM ein Bild der Groteske ab. Deren Antiputinismus geht noch auf Hillary Clinton zurück, die enorme Summen und Manpower aktivierte, aus Trump einen russischen Agenten zu machen. Dabei war es genau umgekehrt, wie der Sonderermittler Durham jetzt offenlegte. - - - Ich kann nur hoffen, die Achse-Autoren wie auch Boris Reitschuster bleiben ihrer altmodisch journalistischen Linie treu. Und lassen sich weder von Trollarmeen noch den Gleichschaltungsmedien korrumpieren.

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