Claudio Casula / 23.04.2022 / 14:00 / Foto: US Department of State / 8 / Seite ausdrucken

Israel: Bibi läuft sich wieder warm

Während im islamischen Fastenmonat Ramadan erneut Terror und Unruhen das Land heimsuchen, drohen innenpolitisch plötzlich wieder instabile Verhältnisse. Ein Blick zurück und in die Gegenwart.

In Israel hat nie eine Partei allein regiert. Von der Staatsgründung 1948 an bis 1977 führte die linke Arbeitspartei alle Regierungen an, stellte sämtliche Premierminister, darunter Ben-Gurion und Golda Meir. Nach fast 30 Jahren konnte Menachem Begin vom Likud die Vorherrschaft der Linken brechen und führte die erste rechte Regierung des Landes an – wie alle Regierungschefs vor und nach ihm mit etlichen Koalitionspartnern. Wobei das israelische Parteiensystem ständig in Bewegung ist. Parteien vermehren sich durch Zellteilung oder weil man der Ansicht ist, es gebe immer noch nicht genügend Auswahl zwischen sehr weit links und sehr weit rechts und deshalb bedürfe es dringend einer Parteineugründung, nicht selten als Ego-Projekt von Polit-Promis, die ihre Partei nicht mehr hinter sich wissen.

Mit Begins Abtritt 1983 begann die Zeit der instabilen Verhältnisse, die wir uns nun im Zeitraffer etwas näher ansehen. Bereits 1984 musste Begins Nachfolger Jitzchak Schamir eine Regierung der Nationalen Einheit, wie die Große Koalition in Israel genannt wird, mit der Arbeitspartei eingehen und im Amt mit Schimon Peres rotieren. Zwei Jahre später ebenso, diesmal aber ohne Peres als Premierminister. 1992, der „Friedensprozess“ hatte begonnen, wurde Jitzchak Rabin Regierungschef. In der Folge eskalierte der palästinensische Terror, das innenpolitische Klima war vergiftet und Rabin wurde im November 1995 von einem rechten Extremisten ermordet.

Schimon Peres beerbte Rabin im Amt, doch eine palästinensische Terrorwelle wurde ihm zum Verhängnis: Er verlor die Wahl 1996 gegen den Likudnik Benjamin „Bibi“ Netanjahu. Für den war 1999 Schluss, als der ehemalige Generalstabschef Ehud Barak versprach, einen Friedensdeal mit den Palästinensern zu erreichen, ohne die Sicherheit Israels aufs Spiel zu setzen. Doch Camp David scheiterte 2000 und Jassir Arafat trat die „Al-Aksa-Intifada“ los; der beispiellose Terror auf Straßen und Plätzen, in Einkaufszentren, Linienbussen und Restaurants kostete tausend Israelis das Leben und brach Barak 2001 politisch das Genick. Auf ihn folgte Ariel „Arik“ Scharon, der auch die Wahl 2003 gewann, Anfang 2006 jedoch einen Schlaganfall erlitt und ins Koma fiel. Sein glückloser Nachfolger Ehud Olmert machte ebenfalls Bekanntschaft mit Arafats Intransigenz und trat 2008 zurück. Nach den Wahlen 2009 kehrte Bibi an die Macht zurück und blieb dort zwölf lange Jahre.

Es steht wieder 60:60

In dieser Zeit prosperierte Israel wirtschaftlich, hielt erfolgreich die feindliche Umgebung in Schach und feierte sogar außenpolitische Erfolge wie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einigen arabischen Staaten. Innenpolitisch war Bibi – wie letztlich jeder Premier – „umstritten“, wie man hier so schön sagt, man sagte ihm Anfälligkeit für Korruption nach und bis heute hat er deshalb Prozesse am Bein. Nachdem er mehrmals mit dem Versuch gescheitert war, eine Koalition zu schmieden, wurde er trotz des Wahlsieges (der Likud ist mit derzeit 30 Sitzen die weitaus stärkste Fraktion in der Knesset) aus dem Amt gedrängt: Der Rechte Naftali Bennett konnte schließlich eine Acht-Parteien-Koalition zusammenbringen, die gerade mal eine Stimme über den Durst vorweisen konnte: Mit 60:59 Stimmen wurde Bennett zum Premierminister gewählt, im August 2023 soll ihn sein Koalitionspartner im Amt Jair Lapid ablösen.

Bennetts äußerst heterogene Koalition u.a. aus Nationalisten, Liberalen, der linken Arbeitspartei, der Grünen-ähnlichen Meretz und der arabischen Islamisten-Partei Ra’am brachte vor allem eines zusammen: der unbedingte Wille, den ewigen Bibi loszuwerden. Der hält sich allerdings bis heute für unersetzlich, in seinen Augen haben sich acht Zwerge zusammengetan, um einen Riesen zu Fall zu bringen.

Jetzt ist es ihm gelungen, Bennett die hauchdünne Mehrheit zu nehmen, indem er die Abgeordnete Idit Silman ins Oppositionslager lockte, angeblich wurde ihr für den Fall eines Sieges bei Neuwahlen der Posten der Gesundheitsministerin versprochen.

Und damit steht es in der Knesset wieder 60:60, die Pattsituation, die seit Jahrzehnten in der Knesset besteht und zuletzt zu vier Wahlen binnen zwei Jahren führte, lässt es fraglich erscheinen, ob Lapid im nächsten Sommer tatsächlich ins Amt des Regierungschefs rotiert. Bibi, der mittlerweile 72 Lenze zählt, meint es ernst mit seinem zweiten Comeback.

Mehrheitsverhältnisse volatil wie immer

Nach 24 Wahlen, 36 Regierungen und 14 Premierministern ist noch immer keine Ruhe in die Politik Jerusalems eingekehrt. Derzeit wuseln die Abgeordneten von 13 Parteien durchs 120-Köpfe zählende Parlament, und die Mehrheitsverhältnisse sind trotz einer inzwischen bestehenden 3,25%-Hürde immer noch so volatil wie zuvor. Notfalls schließen sich religiöse oder arabische Kleinparteien zu Blöcken zusammen oder kandidieren auf einer gemeinsamen Liste, um die 3,25%-Hürde zu nehmen.

Mit insgesamt 15 Jahren und 92 Tagen Regierungszeit ist der mit allen Wassern gewaschene Polit-Profi Bibi der Premierminister mit der längsten Amtszeit. Und nach wie vor glaubt er, dass das Land bei ihm in den besten Händen ist, Prozesse um Korruption und Vorteilsnahme im Amt hin oder her. 

Die Chancen für ein zweites und letztes Comeback stehen so schlecht nicht. Zwar kündigte Premierminister Naftali Bennett an, seine 60-Stimmen-Koalition unbedingt zusammenzuhalten, aber jetzt bringen die erneuten arabischen Terroranschläge und Unruhen auf dem Tempelberg den Yemina-Mann in die Bredouille. Nicht zuletzt weil sein arabischer Koalitionspartner ein unsicherer Kantonist ist, wenn es um den israelisch-palästinensischen Konflikt geht. Um die Kuh erstmal vom Eis zu bekommen, hat Ra’am ihre Mitgliedschaft in der Koalition für zwei Wochen eingefroren, aber wer weiß, ob sie nach den Knesset-Ferien im Mai überhaupt zurückkehrt. Bis dahin könnte eine weitere Runde im Krieg mit der im Gazastreifen herrschenden islamischen Terrororganisation Hamas eingeläutet sein, wofür es durchaus Anzeichen gibt. Fragt sich, auf welcher Seite der Barrikade sich Ra’am dann positioniert.

Laut einer aktuellen Umfrage wollen 33 Prozent der Israelis, dass die Koalition trotz der Pattsituation weitermacht, 29 Prozent wünschen sich, dass Bibi eine Regierung bildet und 21 Prozent sind für Neuwahlen. Das wäre dann der fünfte Urnengang in weniger als drei Jahren. Wie sagte der Satiriker Ephraim Kishon doch schon vor Jahrzehnten: Wir haben in diesem Land sehr häufig Wahlen, aber selten eine Wahl.

Foto: US Department of State via Wikimedia Commons

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Gabriele Klein / 24.04.2022

....man sagte ihm Anfälligkeit für Korruption nach . So lang mans nicht genau weiß sollte man nichts nachsagen.  Denn da steht: “Du sollst kein falsches Zeugnis abgeben.”  (Auch nicht um Wahlen zu beeinflussen….) Ansonsten bin ich froh wenn dieses komische “Bündnis” verschwindet u. hoffentlich Netanyahu zurückfindet. Er dürfte seine Amtskollegen im Ausland bestens “kennen” , ein großes Plus in schwerer Zeit Im Gegensatz zum jetzigen “Gespann”  fiel er mir nicht ein einzig mal in Sachen Diplomatie unangenehm auf. Halt, einmal war was, da verlor er die Facon vor der UN wo er, sinngemäß meinte (wenn ich mich richtig erinner) “You are a whole bunch of liars”, Allein dafür bekommt er von mir ne “standing ovation” Denn, ich halte die UN für eine Gefahr nicht nur für Israel sondern die Menschheit schlechthin auf Grund ihrer neuen Charta, den 17 SDGs die mit der alten Charta nicht kompatibel ist aus dem einfachen Grund: Das globale Ziel Null Armut, Null Krankheit ist so strunzdumm wie seine Prämisse “Null Erdbeben” ,von denen ein einziges, reichen könnte um für globale Armut zu sorgen, auch bei gutem Klima. An diesem extremen Beispiel erkennen wir dass das Ziel 0 Armut und 0 Krankheit , lkonsequent umgesetzt,  bei knappen Ressourcen, zum Serienmord an Armen und Kranken führt so wie unter Hitler auch. Was nun die knappen Ressourcen anlangt die den Mord in Serie lukrativ machen,  ,könnten, so dürfte ein einziger “Nimmersatter” Parteivorsitzender für einen ernsten Ressourcen Engpass bereits reichen,, (vielleicht noch ergänzt durch weitere geschäftstüchtige Parteigänger und einem “nimmersatte” Sendeapparat der ihre Propaganda in Dauerschleife gegen Zwangsabgabe seiner Hörer absetzt.,

Frances Johnson / 23.04.2022

Ich würde mich freuen, schon allein, weil die europäischen Medien dann Amok laufen. Gleiches gilt für Trump. Interessant ist doch, dass bei Wegbleiben von Ärgernissen - was wäre, wenn Putin weg wäre - es einem vorkommt, als wüssten sie allesamt nichts zu schreiben. Die Lücken werden mit Rezepten ausgefüllt. Es widert mich an. Der gute alte Recherchejournalist ist gestorben worden. Einer der letzten ist Aust. Ansonsten verstehe ich nicht genug von der diffizilen Politik des kleinen Landes in seiner komplizierten Gemengelage. Netanyahu hat es immerhin zusammengehalten.

Arne Ausländer / 23.04.2022

Israel in der Sackgasse - mit haBibi wird es gewiß so bleiben. Ein Beispiel dafür, daß auch das Übel, daß man kennt, das größte sein kann.

Frank Stricker / 23.04.2022

Oldies but Goldies, demnächst wieder auf Tour , Bibi und Donald….....

Ludwig Luhmann / 23.04.2022

Israels spezielle Pfizerei hat mich sehr viel über dieses Land und seine Leute gelehrt.

Wilfried Cremer / 23.04.2022

Hallo Herr Casula, vielleicht hat Netanjahu eine Chance, wenn er etwas Neues bringt, robuste Prävention z.B., anstatt nur das ausgespielte Reagieren auf den Terror.

Harald Unger / 23.04.2022

“Prozesse um Korruption und Vorteilsnahme im Amt hin oder her.” - - - Worum es geht, sind Naturalien (Champagner & Zigarren) deren Gegenwert höchstens einem Glas Rotweins entspricht, den sich der $ Milliardär Abbas des Mittags gönnt. Man erinnere sich an die globale Erschütterung, als herauskam, wie das Sara in die “Pfandflaschen-Affäre” verstrickt war. Was das Publikum bei all dem jedoch nie erfährt, ist z.B. der Höchstsatz von ca. $30 pro Person, für die Bewirtung von Staatsgästen des israelischen Premiers in dessen Haus. An Israel werden eben andere Maßstäbe gelegt. - - - Daß, z.B., H. Clinton sich die Übergabe der strategischen U.S. Uran-Vorräte an Putin, von diesem mit $ 245 Millionen an ihre ‘Stiftung’ entlohnen ließ, während Hubby sich mit schlappen $ 500.000 Antrittsgagen für ‘Reden’ in Russland zufriedengab. Für so ein Taschengeld ist Obama in Russland natürlich nicht angetreten. Da musste noch ordentlich was draufgelegt werden. Den Vogel in Sachen tatsächlicher, blutiger Korruption, schießt allerdings die Biden-Crime-Family ab. In der Ukraine, Russland und vor allem China. Der tatsächliche Grund des Anti-Putin-Kurses der Biden-Junta (mit den deutschsprachigen MSM als willige Abnicktruppe). Schließlich hatte man, um davon abzulenken, in einer jahrelangen, global beispiellosen 24/7 Denunzierungskampagne, Trump der eigenen Taten bezichtigt. - - - Das (großfettundviele!) wäre mal eine journalistische Recherche zum Thema Korruption wert.

Gerd Quallo / 23.04.2022

Angesichts der Heterogenität des Parlaments und damit auch der Wähler, in Anbetracht der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit Israels überrascht und enttäuscht mich die lange Zeit rigorose Corona-Politik der Israelis. Gerade wegen der entschlossenen israelischen Corona-Maßnahmen kam ich mir als Impf-Verweigerer wie jemand vor, der letztlich doch Verschwörungstheorien aufsaß.

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