Chaim Noll / 18.08.2021 / 06:00 / 212 / Seite ausdrucken

Impfen: Szenen einer Mischehe

Mein Frau ist Impfgegnerin, ich habe mich dreimal impfen lassen. Wir leben also in Mischehe. Ich weiß, das Wort ist „vorbelastet“ aus der NS-Zeit wie so viele deutsche Wörter, ohne dass sie etwas dafür können. Aber ich verwende es hier in aller Unschuld: Ich meine eine Ehe zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen.

Man hat dieses Wort früher für Ehen aus einem katholischen und einem protestantischen Partner verwendet. Die Aversionen zwischen den Angehörigen verschiedener christlicher Richtungen waren tief und unerbittlich. Bis in den Tod. Einen von der falschen Religion zu heiraten, bedeutete oft den Bruch mit Familie und Freunden. Vergessen wir nicht, dass der Dreißigjährige Krieg, der Deutschland zerrüttet und weitgehend entvölkert hat, seinen Ausgang nahm im Streit der Konfessionen. Einst erzählte mir ein katholischer Freund aus Bayern, dass er noch Mitte des 20. Jahrhunderts als einziges katholisches Kind in einer sonst durchweg protestantischen Schulklasse in Baden-Württemberg ein ähnliches Martyrium durchlebt hätte, wie man es von jüdischen Kindern wüsste oder heute vom einzigen blonden Bio-Deutschen in einer Schulklasse in Berlin-Neukölln.

Wir leben also in Mischehe. Aus eher pragmatischen Gründen habe ich mich gegen Corona impfen lassen, einmal, zweimal, inzwischen sogar dreimal. „Ich mach mir Sorgen, wie ich Dich wieder von der Spritze weg bekomme“, erklärte meine Frau nach dem dritten Schuss. Abgesehen davon, dass ich beruflich ins Ausland fliegen muss, was inzwischen nur noch für Geimpfte problemlos möglich ist, habe ich auch keine Angst davor. Als ich vor zwanzig Jahren nach einer Gehirn-Operation fast an einer infektiösen Meningitis gestorben wäre und mein Leben von der Wirkung eines bestimmten Antibiotikums abhing – es musste in einer auch befreundete Ärzte erschreckenden Dosis mehrere Tage lang injiziert werden –, habe ich die Furcht vor der Injektionsnadel verloren. Ich betrachte ihr sanftes metallenes Glimmern nicht mehr mit dem Gefühl, als lauere dort der Tod. Meine Frau dagegen meidet jede Berührung mit Kanülen, Produkten der Pharma-Industrie, überhaupt mit konventioneller Medizin. Sie würde sich niemals gegen Grippe impfen lassen, wie ich es jedes Jahr tue. Ein Antibiotikum käme allenfalls bei akuter Lebensgefahr infrage. Lieber liegt sie drei Wochen auf dem Sofa und kuriert sich mit Ingwer-Tee und homöopathischen Mitteln. Es stärke ihr Immunsystem, behauptet sie, außerdem fände sie endlich Zeit zum Lesen.

Das krampfhafte Suchen nach Unterscheidungen

Jeder nach seinem Geschmack. Ich bin für drei Wochen Sofa zu ungeduldig. Meine Frau war von Anfang strikt gegen die Corona-Impfungen, sie hatte Erschreckendes darüber im Internet gelesen. Beim ersten Mal hat sie versucht, es mir auszureden, doch mich haben die Argumente der Impfgegner nicht überzeugt. Auch heute, ein halbes Jahr, nachdem ich meinen ersten Shot bekommen habe, fühle ich mich nicht genetisch manipuliert, auch nicht physisch oder psychisch beeinträchtigt. „Natürlich“, sagt meine Frau dazu, „es ist wie bei Demenz, du selbst wirst es als letzter merken.“ Sie hält Gleichgültigkeit gegenüber der Impfung für ein Zeichen von Nicht-Informiertheit. Von ihr und guten Freunden wurden mir hunderte Links zugesandt, in denen Menschen mit missionarischem Eifer vor der Vergiftung und Verseuchung durch mörderische Impfstoffe warnen.

Das Impfen bei uns war verführerisch einfach: Ich musste in der zehn Minuten Fußweg entfernten Poliklinik ein paar Minuten warten, dann war es geschehen. Ich habe nur noch die Schultern gezuckt angesichts der ungeheuren, an ein Shakespearsches Drama erinnernden, geradezu existenziellen Bedeutung, die der Frage Impfen oder Nicht-Impfen beigemessen wird. Sie ist nur eine der vielen Entscheidungen auf Sein oder Nichtsein, die wir täglich neu erfinden. In Wahrheit ist das, was wir betreiben, die Fragmentierung unserer Gesellschaft. Der zum Überleben nötige Konsens wird zerrüttet und zerspalten durch immer neu erklärte, mit tödlichem Ernst vertretene Alternativen: links gegen rechts, Nichtdenker gegen Querdenker, neocon gegen woke, Corona-Gläubige gegen Leugner, Klima-Aktivisten gegen Autofahrer, Impfgegner gegen Geimpfte. Es ist das krampfhafte Suchen nach Unterscheidungen, die eine vom Globalismus geschaffene Gleichheitsgesellschaft strukturieren sollen.

Auch mein Freundeskreis ist in verschiedene Konfessionen gespalten. Meine Position in der allgemeinen Entzweiung ist eher schwach: Ich mache aus meiner Impfung keine Ideologie, gehöre zu keiner Partei. Bin also zwischen die Fronten geraten – die undankbarste Position. Denn dass ich mich habe impfen lassen, bedeutet nicht, dass ich der Viren-Panik verfallen bin oder der verbreiteten Obsession von einer unser Leben umstürzenden „Pandemie“. Die Anti-Corona-Regimes vieler Regierungen inklusive Lockdown, Begegnungsverbot und Maskenzwang halte ich für maßlos übertrieben und kontraproduktiv. „Wenn du das alles so klar siehst“, fragt meine Frau, „warum hast du dich dann impfen lassen?“ Weil meine Impfung eine Bagatelle ist verglichen mit der Selbstzerstörung einer ganzen Zivilisation. Einer Zivilisation, an der ich hänge. Und die Taliban sind auf dem Marsch...

Foto: Sichtplatz.de/Achgut.tv

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Sigrid Miller / 18.08.2021

Ich gratuliere, Glück gehabt. Trotzdem kein Grund, so verharmlosend darüber zu berichten. Allein die tatsche, dass die Hersteller sich von der Haftung haben entbinden lassen und dass der Feldversuch jetzt an Menschen stattfindet, die sich darüber nicht wirklich bewusst sind, reicht mir schon um es nicht zu tun.  Das ist eine Notzulassung, deren Notfall nicht besteht. Was dort drin ist, wird nicht kontrolliert, was es bei einer regulären Zulassung sehr wohl würde. Gerade gestern ist bei uns in Österreich (St. Pölten) wieder eine Frau nach der Impfung an einer Hirnblutung gestorben. Darüber wird viel zu wenig berichtet. Wer das Risiko eingehen will, den kann ich nicht abhalten, aber hier so zu tun, als wäre jetzt alles gut, ist halt auch nicht in Ordnung.  Warten wir die Erkältungswelle ab.

Werner Arning / 18.08.2021

Mangels Vorhandensein akuter existenzieller Bedrohung scheint sich der Mensch eine solche gerne zu erfinden, um mit gewissem Abstand (wie etwa beim Krimi im Fernsehen) das Grundsätzliche zu erspüren: den Kampf ums Überleben. Es scheint dann nichts wichtigeres mehr zu geben, als diesen vermeintlichen Überlebenskampf. In solchen Fällen wird die Not gerne dramatisiert, eine gewisse Hysterie macht sich breit. Die übelsten Absichten werden unterstellt. Die Frage gerät zu einer Frage über Sein und Nichtsein. Über Gut und Böse. Für viele wird sie fortan zum Lebensinhalt, ja zum Lebenselixier. Der Kampf gilt dem Bösen. Die Fronten sind eindeutig festgelegt. Es gibt kein Zwischendrin. Zwischendrin bedeutet, zermalmt zu werden zwischen den Linien. Dabei …?

Horst Kruse / 18.08.2021

Es gibt immer weniger Menschen ,die an das glauben , was man vor Jahrzehnten den ” lieben Gott ” genannt hatte . Gleichwohl scheint es viele Menschen zu geben , die religiöse Bedürfnisse haben . Da schlägt dann die Stunde für Ersatzreligionen wie die ” Zeugen Coronas ” und die ” Jünger Gretas ” . Gegen Religion lässt sich nur schwerlich rational argumentieren . Ich selbst halte Impfen für eine große Erfolgsgeschichte , wenn ich etwa an Impfungen gegen Kinderlähmung oder Pocken denke . All`diese Impfstoffe haben bis zu ihrer regulären Zulassung eine Vorlaufzeit von mehreren Jahren , in denen sie gründlich getestet werden . K e i n Corona - Impfstoff verfügt über eine solche reguläre Zulassung. Zudem sind die Hersteller von jeglicher Haftung freigestellt . Gleichwohl sollte jeder Mensch selbst entscheiden , welches Risiko er höher einschätzt : Die Gefahr einer Corona - Infektion oder die Gefahr en , die mit einem nicht hinreichend geprüften Impfstoff verbunden sind . Furchtbar und unverschämt ist nur der Druck , den Politiker fast aller Parteien auf die Menschen ausüben .

Kay Ströhmer / 18.08.2021

“...ich habe mich dreimal impfen lassen” - da fehlt ein Wörtchen: “bisher”. Alles Gute, wäre schade.

Justin Theim / 18.08.2021

Sehr geehrter Herr Noll, selbstverständlich haben Sie das Recht, sich in Bezug auf diese sogenannte “Schutz” impfung gegen Covid-19 zu positionieren und sich impfen zu lassen. Was ich als Begründung bei Ihnen vermisse ist, dass sie sich zum Schutz IHRER Gesundheit haben impfen lassen. Das passt zu Ihrer Begründung, dass Sie sich von der Pandemiehysterie nicht beeindrucken lassen. Stattdessen führen Sie an, dass Sie beruflich ins Ausland reisen müssten, was man heutzutage oft nur noch als Geimpfter kann. Selbstverständlich ist auch das ein Grund, der zu respektieren ist, aber er hat mit der ursprünglichen Bedeutung des Impfens, nämlich Schutz vor Erkrankung, rein gar nichts mehr zu tun. Kann er auch nicht, weil er rein politisch erzeugt wurde und keine medizinische Basis hat. Schon die WHO hat in ihren Pandemie-Management-Empfehlungen die Schliessung der Grenzen als ineffektiv ausgeschlossen. Das umgeht man jetzt mit der falschen Behauptung, Geimpfte stellten keine Gefahr für andere dar. Auch das ein Fehlschluss, wie Daten aus Israel, Island, Gibraltar usw. zeigen, wo die Bevölkerung weitestgehend geimpft ist und die Hospitalisierungen und schweren Verläufe, gerade bei Geimpften, in die Höhe schießen, und Infos aus USA, wo Geimpfte andere Geimpfte ansteckten. Es sind also nicht die Ungeimpften, die Schuld sind Und dann bagatellisieren Sie die Impfung im Vergleich zur Selbstzerstörung einer ganzen Zivilisation. Das wiederum widerspricht Ihrer Behauptung, dass Sie sich nicht von der Pandemie-Hysterie haben anstecken lassen. Insgesamt wirkt Ihr Artikel gegenüber all den vorhergehenden aus Ihrer Feder wenig stringent und merkwürdig inkohärent. Sollte die “Impfung” bereits ihre Wirkung entfaltet haben?

Gilbert Brands / 18.08.2021

Lieber Herr Noll, wenn man es mal aus der Sicht der Wahrscheinlichkeit betrachtet, sieht es so aus: Wenn ich mich nicht impfen lasse, besteht eine Wahrscheinlichkeit von a, dass ich mit infiziere und b, dass ich danach erkranke, also insgesamt eine Wahrscheinlichkeit von a*b, dass mich das Zeug ins Bett wirft. Allerdings besteht dann auch eine Gefahr von 0%, dass ich mir Impfnebenwirkungen einhandeln könnte. Wenn ich mich impfen lasse, ist die Gefahr, dass potentiell Impfnebenwirkungen auftreten könnten, 100%. Jedoch besteht auch nur wieder die Wahrscheinlichkeit c , dass Impfnebenwirkung C eintritt (entsprechend andere Nebenwirkungen). Wenn die Impfung wirkt, fällt a auf 0. Ich hätte also c gegen a*b getauscht. Leider funktioniert die Impfung nicht. Nach allem, was inzwischen bekannt ist, bleiben a und b unverändert. Sich impfen lassen bedeutet also,  aus einer Erkrankungswahrscheinlichkeit a*b eine von a*b+c zu machen. Da obendrein c nicht besonders klein ist, ist die Impfung ein Pay-off. Sie setzen letztlich eine Art Russisches Roulette gegen ein paar Vielfliegermeilen. Kann man machen, ist eine persönliche Entscheidung, die man respektieren sollte. Muss man aber nicht machen, was man auch respektieren sollte. Sie sollten es diesen Leuten aber nicht übel nehmen, wenn die Sie auf das Russische Roulette hinweisen. Und Sie sollten vielleicht überlegen, ob die Einstellung “die Kugel war 2x nicht im Lauf, also wird sie es beim 3. Mal auch nicht sein” auf die Dauer wirklich klug ist.  

Matthias Olschowy / 18.08.2021

“...die eine vom Globalismus geschaffene Gleichheitsgesellschaft strukturieren sollen.” Vielleicht ist die Entstehung von Clustern eine Notwendigkeit der Natur. Nach dem Wegfall der durch den kalten Krieg erzeugten Ordnung bilden sich neue Unterscheidungen, dieses Mal quer durch die westlichen Gesellschaften. Dabei spielt der Widerspruch zwischen Ordnung (Unterscheidung, Diskriminierung) und Gerechtigkeit (Gleichheit) die zentrale Rolle. Dieser Widerspruch ist dem Universum inhärent . Vielleicht ist es ja die Vertreibung aus dem Paradies.

Frances Johnson / 18.08.2021

Schön formuliert. Geht mir auch so, Fronten würde ich es nicht nennen. Wir zucken die Achseln und akzeptieren es gegenseitig.

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