Mittels Moralkeule, Simplifizierung und unter Ausnutzung gruppendynamischer Prozesse gelingt es der Politik, die Menschen zu steuern. Dies gilt es zu erkennen – und zu handeln.
Von Jens Kegel.
„Ob es uns gefällt oder nicht, Tatsache ist, dass wir in fast allen Aspekten des täglichen Lebens, ob in Wirtschaft oder Politik, unserem Sozialverhalten oder unseren ethischen Einstellungen, von einer (…) relativ kleinen Gruppe Menschen abhängig sind, die die mentalen Abläufe und gesellschaftlichen Dynamiken von Massen verstehen. Sie steuern die öffentliche Meinung, stärken alte gesellschaftliche Kräfte und bedenken neue Wege, um die Welt zusammenzuhalten und zu führen.“
Diese Sätze stammen aus dem Buch „Propaganda“ von Edward Bernays, 1928. Damals entwickelte sich das junge Geschäftsfeld der PR bzw. Propaganda rasant, und Bernays tat alles, um den Begriff entsprechend ausschließlich positiv zu verwenden. Nicht erst seit Goebbels jedoch wird „Propaganda“ mit suggestiver Beeinflussung großer Menschengruppen gleichgesetzt und fast ausschließlich negativ besetzt. Im Wortfeld schwingt Manipulation mit, die ebenfalls als abzulehnende Form der Beeinflussung aufgefasst wird. Herrscher, Mächtige aller Zeiten bedienten sich ihrer, mehr un- als bewusst. Religionsstifter und -führer, Herrscher jeglicher Couleur.
Sozialpsychologie und Neurologie haben in vielen Jahrzehnten empirischer Forschung Erhebliches dazu beigetragen, die Mechanismen zu verstehen. Beeinflussung / Propaganda hat viele Schwungräder. Eines der größten ist der Wunsch von Menschen, zur sozialen Gemeinschaft dazuzugehören. Für unsere Vorfahren war es potenziell tödlich, aus dieser ausgestoßen, geächtet zu sein. Dem Tod durch Verhungern folgten in der Geschichte der Menschheit Reichs-Acht, Scheiterhaufen, die Stigmen „vogelfrei“, „ungläubig“, „Volksfeind“, „Andersgläubiger“, „Konterrevolutionär“, „Impfgegner“… Der Wunsch, integraler Bestandteil der Gemeinschaft zu sein, ist evolutionsbiologisch tief in unserem Gehirn eingegraben und darum auch heute noch hochwirksam.
Unterstützt wird dieser Wunsch durch einen wichtigen Mechanismus unseres Hirns: Spare, wo immer es geht, Denkenergie. Die Folge ist: Wenn Andere sagen, wie ich denken, handeln oder eben nicht denken oder handeln soll, dann spart dies Hirn-Benzin. Und wenn diese anderen auch noch selbsternannte oder wirkliche Autoritäten sind, folgen die Gehirne umso leichter. Dies bewiesen u.a. das berühmte Gefangenen-Experiment von Zimbardo und das unheimlich-gruselige von Milgram. Es ist kein Zufall, dass Medien Karl Lauterbach als „Gesundheits-Experten“ bzw. Epidemiologen bezeichnen. Ob er Letzteres wirklich ist, wird nicht mehr hinterfragt. Ein anderes Beispiel ist der scheidende Gesundheitsminister. Man frage einen beliebigen Gesprächspartner, ob dieser sich in Sachen Gesundheit von einem Bankkaufmann einen Rat holen würde.
Hieb mit der Moralkeule
Neben Gemeinschaft und Autorität ist Angst ein bedeutender Antreiber. Diese evolutionsbiologisch äußerst sinnvolle Emotion bewahrte und bewahrt das Individuum davor, eine potenziell tödliche Handlung zu begehen. Religionsgemeinschaften mit starken hierarchischen Strukturen nutzen diese Angst. Sie kommunizieren wirkliche Bilder und Metaphern, um den armen Gläubigen die Folgen etwaiger Abtrünnigkeit vor Augen zu führen; man betrachte nur mal das Bild „Die Hölle“ von Hieronymus Bosch. Goebbels schürte jahrelang die Angst vor dem Untergang des Abendlands, ausgelöst und forciert durch eine „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“. Und uns Heutigen wird seit fast zwei Jahren Angst gemacht mit massenhaftem Tod.
Ein weiterer mächtiger Faktor der Beeinflussung: moralische Verpflichtung gegenüber den anderen Individuen der sozialen Gemeinschaft. Heute sind es die anderen Menschen unseres Landes, denen wir uns moralisch zu verpflichten haben. Ungeimpften wird die Verantwortung in die Schuhe geschoben, dass die sog. Pandemie noch nicht vorbei ist. Dass Moral aber nicht nur zeitgebunden, sondern von Herrschenden oft auch initiiert wird, machen wir uns nicht bewusst, denn oft genug haben wir durch jahre- oder jahrzehntelange Gewöhnung die Moralvorstellungen zu unseren eigenen gemacht. Wir hinterfragen auch nicht, ob dieser Hieb mit der Moralkeule gerechtfertigt ist oder nicht, denn er aktiviert die bereits genannte Angst vor dem Ausschluss aus der Gemeinschaft.
Neben Angst und den wohltuenden Wirkungen einer Autorität wirkt die seit Jahrzehnten bekannte kognitive Dissonanz. Haben sich Menschen erst einmal ein Weltbild geschaffen, durch eigene Anschauung oder medial vermittelt, dann ist dies kaum noch zu erschüttern. Alternative Fakten werden nicht wahrgenommen, aktiv ausgeblendet oder bis zur Unkenntlichkeit zurechtgebogen. Mittels selektiver Wahrnehmung lassen Menschen dann nur noch jene Informationen passieren, die unserem scheinbar selbstständig gewonnenen Weltbild entsprechen. Wenn Medien und Mächtige als Vorfilter agieren, funktioniert dies natürlich umso besser. Ein möglicher Weg, die Widersprüche zwischen eigenem Weltbild und neuen Informationen zu beseitigen, heißt: Weltbild ändern.
Dazu benötigen wir aber extrem viel Energie. Im Extremfall müssen Menschen ihr gesamtes Leben infrage stellen, was naturgemäß keiner tut. Kurt Tucholsky bringt es auf den Punkt: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Ihm sekundiert der Psychologe Kevin Dutton in seinem Buch „Gehirnflüsterer“: „Die Mehrheitsmeinung ist eine der mächtigsten Kräfte des Universums. Nur wenige von uns haben offenbar die psychische Struktur, sich gegen sie zu stellen."
Schwarz-weiß statt Grautöne
Womit wir bei gruppendynamischen Prozessen angelangt sind. Menschen in Gruppen empfinden vollautomatisch ihre Gruppe, die in-group, als qualitativ höherstehender als andere Gruppen. Sie verteidigen diese darum auch sofort gegen andere Meinungen und Gruppeninteressen, denn sie selbst sind ja Teil dieser Gemeinschaft. Zugleich sinkt in Gruppen die Leistung des Einzelnen, denn wir geben unbewusst einen Teil der Verantwortung an andere ab. Wenn diese Gruppe nun von außen, z.B. durch Mächtige oder/und Medien, zusätzlich in ihrem bereits vorhandenen Glauben gestärkt wird, die bessere zu sein, kommt es zu einem sich selbst verstärkenden Zirkelschluss. Der mag zwar völlig irrational sein, funktioniert aber hervorragend: Ich bin integraler Bestandteil einer (besseren) Gruppe… Dies wird mir von außen permanent bestätigt… also ist meine Gruppe besser. Auch dies lässt sich in der Geschichte immer wieder erkennen: Gläubige empfinden sich besser als Nichtgläubige, „Volksgenossen“ glaubten, sie seien besser als „Volksfeinde“, „Arier“ empfanden sich als höherstehend als Juden, Impf-Befürworter sehen sich als besser als Impf-Skeptiker. Wenn diese Meinungen dann von einer höheren Instanz, von so genannten Autoritäten bestätigt und forciert werden, müssen die scheinbar Besseren über diese „Tatsache“ nicht mehr nachdenken.
Ein wichtiges Element in Gruppen ist neben der positiven Eigensicht die Verstärkung der Auffassungen / Ideen / Meinungen Einzelner. War die eigene Meinung vor Eintritt in die Gruppe noch vage oder eher gemäßigt, verstärkt sich diese in der Gruppe. Salopp gesprochen: Meine Meinung verstärkt sich, wenn sie der Gruppenmeinung entspricht. Und wer am lautesten brüllt bzw. die radikalste Forderung innerhalb der Gruppe stellt, hebt sich hervor, siehe Söder.
Ein weiterer Antreiber: Simplifizierung. Obwohl die Welt hochkomplex ist, vereinfachen Mächtige so lange, bis nur noch zwei Pole existieren, die einander diametral gegenüberstehen. Schwarz-weiß statt Grautöne. Dass dadurch auch keine Notwendigkeit der argumentativen Auseinandersetzung mehr möglich ist, liegt auf der Hand. Entweder, oder. Dies kommt wiederum dem Gehirn entgegen, das permanent nach Möglichkeiten sucht, Energie zu sparen. Sachlicher Austausch von Argumenten hingegen kostet Energie. Mehr noch: Argumentierende benötigen Fakten und müssen im schlechtesten Fall ihre Meinung revidieren. In Religionen und Ideologien glaube ich oder nicht. Die Nicht-Gläubigen und Kritischen müssen argumentieren, nicht die Gläubigen und Anhänger einer Ideologie.
Schlucken wir nicht kritiklos alle Brocken, die sie uns hinwerfen
Vereinfachung wiederum korrespondiert hervorragend mit dem fundamentalen Attributionsfehler. Dieser besagt: Wenn der Andere X sagt, dann muss er wohl auch von X überzeugt sein. Dass der Andere vielleicht gänzlich andere Interessen verfolgt oder selbst fremdgesteuert handelt, wird meist gar nicht in Betracht gezogen. Die Geschichte ist überreich an Beispielen. Päpste als Hurenböcke, SPD-Genossen als Industrievertreter, Politiker als Lobbyisten; aktuell als Lobbyisten der Pharmaindustrie.
Zum Schluss das Wichtigste: Menschen beeinflussen einander immer. Menschen wollen, dass Andere in ihrem Sinne handeln. Mütter warnen vor der heißen Herdplatte; Lehrer ermahnen zum Lernen. Wenn Menschen versuchen, Andere – auch medial – zu beeinflussen, dann ist dies eine der Triebkräfte menschlicher Entwicklung. Wenn aber die Beeinflussung für uns schädliche Folgen hat, dann dürfen wir dies nicht den Beeinflussern anlasten, denn Beeinflussung ist keine Einbahnstraße. Informationen eines Senders werden vom empfangenden Individuum individuell dechiffriert, mit bereits vorhandenen abgeglichen und individuell gedeutet. Die immer wieder gern verwendeten Begründungen (Goebbels hat uns manipuliert. Aber es steht doch in der Zeitung. Na, wenn ein „Gesundheitsexperte“ das sagt…) sind nichts weiter als Verschieben von individueller Verantwortung. Es ist eben viel bequemer, die Anderen verantwortlich zu machen und nicht selbst nachzudenken. Wenn aber das Kind dann im Brunnen liegt und jämmerlich weint, sind weder Söder, noch Lauterbach oder Spahn zur Stelle. Die waschen ihre Hände in Unschuld.
Notwendige Beeinflussung von übler Propaganda zu unterscheiden, ist keine Bring-, sondern eine Holschuld, also die Aufgabe von uns allen. Wenn wir kritiklos alles fressen, was uns Mächtige wohlfeil und alternativlos in der guten Stube bequem servieren, dann tragen wir selbst die Verantwortung für unser Nicht-Handeln. Und auch dafür, wenn die Folgen der Propaganda uns selbst (negativ) betreffen. Mächtige werden immer – egal in welcher Staatsform – die Maschine der Propaganda gut ölen. Heute noch besser als vor hunderten Jahren. Denn heute ist klar, wie diese funktioniert.
Ich bitte, nein, ich fordere uns alle auf: Seien wir wachsam. Analysieren wir, wer welche Interessen wirklich verfolgt. Schlucken wir nicht kritiklos alle Brocken, die sie uns hinwerfen. Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung: Sehen wir auch hinter die Kulissen der hörigen Staats-Medien, die ihre Rolle als „Vierte Gewalt“ längst dem schnöden Mammon geopfert haben. Achten wir darauf, nicht vom Getriebe der Propaganda-Maschine zermahlen zu werden. Denn im Gegensatz zu früheren Zeiten können wir uns heute nicht mehr rausreden: Das haben wir nicht gewusst.
Dr. Jens Kegel ist in der zweiten deutschen Diktatur aufgewachsen. Seit zwanzig Jahren ist er selbstständig und trainiert und coacht Führungskräfte. Zugleich arbeitet er als Autor, Texter und Ghostwriter.