Thilo Schneider / 20.12.2020 / 10:00 / Foto: Timo Raab / 34 / Seite ausdrucken

Illegale Weihnachten

Das Schöne am Kapitalismus ist ja, dass sich Geld immer einen Weg sucht. So ging ich jetzt im Dezember (noch vor 21 Uhr), mitten im bayerischen Lockdown, durch den Stadtpark zu meinem Auto, als ich hinter mir einen leises „Psst“ hörte. Nun ist „Psst“ normalerweise keine Ansprache, auf die ich reagiere, aber vielleicht war es der Duft von Glühwein, der mich umdrehen ließ.

Vor, beziehungsweise soeben noch hinter mir, stand ein junger, unrasierter Mann in einem schwarzen Hoodie, dessen Kapuze er über den Kopf und tief in die Stirn gezogen hatte. „Willst Du Glühwein?“, fragte er halblaut. Es ist Dezember, es ist kurz vor Weihnachten. „Glühwein? Hast Du welchen?“, vergewisserte ich mich, nicht sicher, richtig gehört zu haben. Der junge Mann drehte sich kurz nach links und rechts um. „Echten Nürnberger Christkindlesmarkt. Und wenn es sein muss, auch noch mit Erdbeer- und Brombeergeschmack.“, bestätigte er mich und winkte mir mit einer kurzen Handbewegung. „Komm mit“, forderte er mich auf.

Ich folgte ihm auf einem Seitenarm des Stadtparks, der, so wusste ich, auf eine tiefere Ebene des ehemaligen Stadtmauergrabens, vorbei an einem Wehrturm, in Richtung eines kleinen Teichs führte. Schwer einsehbar die Stelle. Wie geschaffen für Gelichter aller Art. Natürlich war mir etwas mulmig, ich bin erst zweimal im Leben mehr versehentlich an einen Joint geraten, und wenn ich mich tatsächlich für Drogen interessiert hätte, dann hätte ich nicht gewusst, an wen am Bahnhof ich mich hätte wenden müssen. Aber derart proaktiv war ich auch noch nicht angegangen worden. Andererseits lebt ein Drogendealer ja auch von dem guten Ruf innerhalb seiner Kundschaft, und wenn sein Stoff in Ordnung war – dann konnte er ja sicher sein, dass ich wiederkomme. Ich bin ja alt und damit grundsätzlich markentreu. Daher ging ich guten Vertrauens mit.

„Gibt es hier auch Silvesterkracher?“

Kurz darauf stand ich am Teich in der Drogenhölle und traute meinen Augen nicht: An den drei Glühweinkesseln stand tatsächlich mein Friseur. „Sie hier?“, fragte ich ehrlich überrascht. „Ja, Guten Tag, Herr Schneider, ja, komisch, gell? Aber was will ich machen? Wir haben Lockdown und ich muss ja trotzdem irgendwie über die Runden kommen, ich habe ja auch eine Familie zu ernähren …“, erklärte er hastig und wortreich. „Ja, aber Sie könnten doch illegal Haare schneiden, statt hier illegal Glühwein zu verkaufen …“, schlug ich vor. Er sah mich an wie eine Mutter ihr dümmstes von vier Kindern. „Ach, Herr Schneider … auf illegales Haareschneiden kommt die Polizei bei mir doch als erstes. Die haben schon letzte Woche meinen Hobbykeller gefilzt …“, erläuterte er weiter. „Und? Haben sie Sie erwischt?“ Er grinste verschmitzt: „Nein, in meinem Hobbykeller habe ich das Tattoo-Studio eines Freundes stehen, der wiederum in seiner Garage meine Berufsaccessoires hat. Die Zeiten sind hart …“

„Und der Glühwein ist richtig gut und echt?“, wandte ich mich dem Grund meines Hierseins wieder zu. „Na klar. Großes Ehrenwort. Vorgestern war einer hier, der hat ihn mit Wasser gestreckt, bis er wie Kinderpunsch war, aber meine Kollegen und ich …“, er faltete die Hände nach außen und knackte mit den Fingern, „… haben das unterbunden. Das hat etwas mit Ehre zu tun. Kein gestreckter Stoff. Außerdem haben wir hier nur ehrliche Leute – sehen Sie sich um …“

Und tatsächlich. Um den Teich herum verkaufte mein Banker Christbaumkugeln und Lametta, und die beiden Mitarbeiterinnen meiner Steuerberaterin ratschten an einem Stand mit Crêpes. Schräg gegenüber saß die Gattin meines Hausarztes über selbst gebackenem Christstollen und Plätzchen, die die Tüte Kokosmakronen („nach Mutters Rezept“) für schlappe 15 Euro an die Weihnachtssüchtigen vertickte. Ich war in einen regelrechten illegalen Weihnachtsmarkt geraten. „Gibt es hier auch Silvesterkracher?“, fragte ich meinen haareschneidenden Glühweindealer.

„Verdammte Egoisten“

„Die hatte die Lateinlehrerin des hummernistischen Anna-Gallina-Gymnasiums, bis die Tschetschenen das übernommen haben. Seitdem hat man sie nicht mehr gesehen und man munkelt …“, er zeigte auf das pechschwarze Wasser des Teiches, das heimelig die Weihnachtsbeleuchtung spiegelte, „… dass sie sozusagen baden gegangen ist ...“ Und tatsächlich sah ich jetzt auch zwei zwielichtige Typen, ganz hinten, hinter dem Stand mit dem Weihnachtsschmuck, die mit grimmigen Gesichtern eine ziemlich große Plastiktüte bewachten und diese plötzlich schnappten und sich hektisch in die Büsche schlugen.

„Halt, stehenbleiben“, brüllte eine Stimme, und ungefähr zwanzig Polizisten stürmten das Kriminellennest von Weihnachtsdealern. Mein Friseur versuchte, durch das angrenzende Dickicht zu fliehen, wurde jedoch von gleich zwei Polizisten angesprungen, die ihn zu Boden warfen und seine Hände mit Kabelbindern fixierten. Unter dem Schlachtruf „verdammte Weihnachtsmarktgänger“ erhielt ich einen Stoß in den Rücken und fiel auf den feuchten Schotter des Gehwegs. Ich sah, wie einer Seniorin, die offenbar ebenfalls Kundin hier war, der Rollator weggetreten wurde, wodurch sie neben mir herniedersank. „Ihr Bullenschweine“, keuchte ich, während ein gefühlt 200 Kilo schwerer Polizist auf meinem Rücken kniete und mir die Hände nach hinten riss.

Von irgendwo hörte ich das Böllern der illegalen Silvesterknaller, es können auch Schüsse gewesen sein. Mir wurde plötzlich warm im Schritt. Ein Polizist hatte den Brombeerglühwein umgetreten, der sich nun unter meinen Hosenbeinen verbreitete, eine weitere Lache Glühwein kroch unter mein Gesicht. Es roch nach Alkohol, Zimt und Vanille, als zwei andere Polizisten den Plätzchenstand meiner Hausarztgattin anzündeten. „Wir kriegen Euch! Immer!", brüllte ein etwas bulligerer Staatsdiener, offensichtlich der Anführer der Staatsschergen, und aus dem Augenwinkel sah ich weitere Polizisten, die sich die Jackentaschen mit Lebkuchen und gebrannten Mandeln füllten.

Der Revolutionär in mir war erwacht: „Ihr hindert uns nicht, Ihr hindert uns nicht, oh Du Fröhliche“, brüllte ich, noch am Boden liegend, aber mein Angreifer zerrte mich zuerst auf die Knie und dann auf die Füße und verpasste mir einen Faustschlag ins Gesicht. „Verdammte Egoisten“, brüllte er mich durch seine Maske an, und ich schwöre, hätte ich sie nicht aufgehabt, dann hätte ich seinen Speichel im Gesicht gehabt. „Meine Oma ist 96! Willst Du, dass sie wegen Dir stirbt, Du Weihnachtsschwein?“, erklärte er seinen überharten Einsatz und ich versuchte, durch meinen mit Blut und Glühwein getränkten Mundschutz den Schmerz wegzuatmen. 

So aber führte uns die Staatsgewalt durch den Parkweg nach oben, während wir Verhafteten alle gemeinsam trotzig „Stille Nacht, heilige Nacht“ durch unsere Masken sangen. Sie mögen uns unsere Freiheit nehmen – unsere Weihnachtsstimmung nehmen sie uns nicht!

(Weitere kriminell gute Artikel des Autors auch unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.         

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Bernd Ackermann / 20.12.2020

“Sie mögen uns unsere Freiheit nehmen – unsere Weihnachtsstimmung nehmen sie uns nicht!” - Sie haben zu viel Braveheart gesehen Herr Schneider, da rief ein blau geschminkter Australier etwas ähnliches. Aber egal, no pasarán, wie man unter uns Revolutionären sagt. Das Problem ist, dass sich die meisten unserer Mitbürger niemals auf einem illegalen Weihnachtsmarkt schleichen würden, sie sind inzwischen viel zu sehr daran gewöhnt gegängelt zu werden und es scheint ihnen egal zu sein. Der Mensch kann sich an alles gewöhnen, sogar ans gehängt werden, solange man nur lang genug hängt. Alte russische Bauernweisheit. Oder so.

H. Krautner / 20.12.2020

Ja, wenn sich nur schon 6 Jugendliche treffen, um bisschen Spaß miteinander zu haben und dabei ein paar Bierchen schlürfen, dann wird derzeit schon von einer (illegalen) „Party“ berichtet, und das hat ja noch lange nichts mit Party zu tun.  -  Ich kann nicht verstehen, dass es nicht mehr solcher Zusammentreffen von Jugendlichen gibt,  dass es junge Leute gerade wegen der Verbote nicht mehr reizt, so etwas zu tun. Das wäre eigentlich ein ganz typisches und normales Verhalten von Jugendlichen.    -    Daran erkennt man, wie die Jugend heute zu Linientreue und Obrigkeitshörigkeit geprägt ist. Rebellentum gibt es heute in der jungen Generation nicht mehr. Dieses jugendtypische Gen wurde den jungen Leuten offensichtlich total abtrainiert.  -    Na ja, im Sozialismus ist so etwas ja auch völlig fehl am Platz.

Helge Jörn / 20.12.2020

Selber Schuld, Herr Schneider, was hängen sie auch an den Bräuchen einer Religion der alten, weißen Männer. Wenden Sie sich doch lieber der wahren Religion des Friedens zu. Deren Feste werden nicht verboten oder gestört.

Karsten Dörre / 20.12.2020

Ein Polizist kniet über Herrn Schneider und Letzterem wird warm im Schritt. Hier hat der Literat geradeso die Kurve bekommen und die Rollator-Frau unbehelligt gelassen. Übrigens: niemand soll an oder mit Corona sterben! An was anderem immer gern, z.B. mit Grippe-Viren und Lungenentzündung (ok, wird es nicht mehr geben, weil MNS lebenslang und Grippeimpfstoff demnächst auch Grippe wegimpft). Warum die Polizei den liebevollen Nahkontakt mit Corona-Verbrechern pflegt, wird nicht jedem deutlich. Die 15-Minuten-Regel scheint in der Bevölkerung nicht angekommen zu sein. Diese wird auch nicht medial täglich erwähnt, um nicht nachlässig beim Einkauf zu werden und das Wesen von Erkältungsviren zu erkennen, die bereits mit Grippe bekannt, aber seit Frühling 2020 verschüttet wurden. Für diese Erkenntnis brauchten Virologen und Politik einige Monate, bis man auf den Trichter mit familiären Kontakten kam und mit Handels-Lockdown so richtig in den logischen Misthaufen griff und immer noch genussvoll greift. Erkältungsviren sind weder aufzuhalten noch bekämpf- geschweige beimpfbar.  Das wird noch paar Jahre dauern, bis man merkt, Natur kann man nicht vorschreiben, was gut oder schlecht sei. Falls meine 86-jährige Mutter an Corona, am Coronaimpfstoff oder an was völlig anderem stirbt, bin ich sehr traurig und nimmt mich seelisch sehr mit. Aber ich mache weder Querdenkern, Coronaleugnern noch Frau Merkel oder Karl Lauterbach verantwortlich. Vielleicht irgend einer unbekannten Person, die meiner Mutter beim Einkauf zufällig begegnete.

Volker Dreis / 20.12.2020

Großes Kino !! Es fehlen nur noch linke Aktivisten, die den in ihren Augen trotz allen verhaßten Polizisten zurufen “Keinen Millimeter nach rechts” oder “Reichsbürger raus”.

Sepp Kneip / 20.12.2020

Die Geschichte kommt mir vor wie ein Traum, den ich kürzlich hatte. Menschen, die dem Virus trotzen, werden zusammengeknüppelt, und Menschen, die dem Virus huldigen, verhalten sich sozusagen politisch korrekt. Ein politisches Virus, dieses Covid 19. Es wird auch nur von der indigenen Bevölkerung verbreitet, während Merkels Gäste in hellen Scharen bei uns einfallen, ohne aufgehalten, geschweigen denn niedergeknüppelt zu werden. Im Traum hatte ich die Vision, dass das Virus ganz bewusst in China bestellt wurde.

giesemann gerhard / 20.12.2020

@Gerd H.: Wen kielholen? Den Thilo? Oder lieber die anderen? Denn Backbord ist links und Stüerbord ist rechts. Und an Backbord brennt de rode Lamp, an Stüerbord de greun - wenn du das nicht behollen kannst, will ick dien Heck verbleun. (Wer das aufsagen kann, der bekommt das Kaptainspatent bei der christlichen Seefahrt).

Lutz Herrmann / 20.12.2020

Also das ist mal echte Satire. Das kriegt der Böhmerknilch niemals hin. Selbst wenn er wollte. Und der unschöne wahre Kern an der Geschichte ist natürlich, dass die lieben Ordnungshüter nun wieder fleißig Jagd auf die Einheimischen machen. Laut unserem Fußballtrainer soll ich die Kinder nun nicht mehr zum Ascheplatz fahren, weil die liebe Polizei dort patrouilliert, um dort jeden Hopps zu nehmen ungeachtet des gleichen Hausstands.

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