Hunger nach Angst

Die meisten Grünen hatten auch im Gegensatz zu mir einen Führerschein. Sie waren so klug, dafür vorzusorgen, dass die Welt eventuell nicht untergehen würde, und die Welt ist zum Glück ja auch nicht untergegangen.

Manch „Mensch“ unter uns erinnert sich vielleicht noch an folgende Apokalypse: Auf dem Bildschirm des öffentlichen Rundfunks waren Hochwälder zu sehen, vollkommen baumleer, ein paar traurige, gebrochene Stümpfe ragten noch in den Himmel. Natürlich sah man erst den Wald in vollem Laub, dann erst die Comuputersimulation, denn ohne den vorherigen Wald wäre es ja nicht so wirkungsvoll gewesen.

Nicht nur ich war total geschockt. So entdeckte meine beste Jugendfreundin bald an der Gartentanne „Angsttriebe“. Als ich ihr zum Geburtstag eine selbstgepflückte Blume mitbrachte, sagte sie nur: „Mörder!“ Ja, es ging auf das Ende zu. Die Zeichen waren sichtbar, vor allem damals schon in den Medien, aber auch in den Beziehungen: Da die Welt bald untergehen würde, waren liebevolle altmodische Worte überflüssig.

Damals blickte ich noch fern und ein guter Film war immer eine Dystopie. In meiner Kindheit und Jugend wurde ich insgesamt von mindestens drei Untergangszenarien gequält: das nukleare Wettrüsten, dann das Waldsterben und dann ein Reaktorunfall im Stil von Tschernobyl im Westen. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ein Junge aus der Grundschule auf dem Heimweg sagte, wenn die Atombombe fiele, könnte ich schnell zu ihnen kommen, denn sie hätten einen großen Keller.

Das Protoexemplar eines „Körnerfressers“

Wir alle hatten Angst. Der Klimawandel, Überbevölkerung (die interessanterweise heute nicht mehr thematisiert wird) und Ressourcenkriege kamen als Bedrohungen unterschwellig hinzu, wir hatten auch schon von dem nebulösen Bericht des Club of Rome gehört. Viele meiner Gleichaltrigen waren der Meinung, die letzte Generation zu sein und wollten auf keinen Fall Kinder in die Welt setzen. In der Tat sind wir dann ja auch eine kinderlose Generation geworden.

Meine Angst, die mich tagtäglich belastete und eine merkwürdige Unruhe erzeugte, spülte mich in die Nähe der Grünen. Diese schienen Rezepte für eine Zukunft zu haben: vor allem keine Markenklamotten kaufen, Getreidebrei essen und viel Fahrrad fahren. Da das eh meinem Lebensstil entsprach, engagierte ich mich gerne für die Sonnenblumenpartei. So landete ich sogar in einer Dorfratsitzung und nervte dort die Eingeborenen mit der Forderung, noch mehr Grünstreifen statt Parkbuchten anzulegen. Ich war also wirklich das Protoexmeplar eines „Körnerfressers“.

Immerhin traf ich bei den Grünen einige interessante und nette Leute und will das nicht missen. Meine Angst vor dem Weltuntergang war aber so konkret, dass ich jahrelang nur Politik und Kultur machte, um die Welt zu retten. Schließlich lief mir die Zeit davon, und ich stellte irritiert fest, dass Andere aus dem gleichen grünen Umfeld Bausparverträge hatten oder Berufe, mit denen sie in Staatsdienste traten. Die meisten Grünen hatten auch im Gegensatz zu mir einen Führerschein. Sie waren so klug, dafür vorzusorgen, dass die Welt eventuell nicht untergehen würde, und die Welt ist zum Glück ja auch nicht untergegangen.

Der Energiehunger ist ungebremst

Das Waldsterben wurde abgewendet, das Wettrüsten zumindest vorerst beendet. Die UdSSR ging pleite, und genau in dem Moment hatten wir das Glück, dass ein besonnener Herr mit Kaffeefleck auf der hübschen Glatze die entscheidenden Schritte zu einer vorläufigen Aussöhnung zwischen Ost und West wagte. Wer zu viel Emmerich-Filme gesehen hat, stellt sich den Klimawandel mehr als ein nächtliches Ereignis vor. Das ist es nicht. Zwar zeigen Untersuchungen über die Eiszeit, dass sich das Klima wirklich schnell ändern kann, aber die Einflüsse auf das Klima sind so vielfältig, dass wir zugeben müssen: Nichts genaues weiß man nicht.

Der verregnete kalte Sommer im Norden dieses Jahr wirkt eher wie das Vorspiel einer neuen kleinen Eiszeit, wie sie auch durch veränderte Sonnenaktivität herbeigerufen werden kann. Das Klima wird sich ändern, und die CO2-Emissionen werden ihren Anteil daran haben, weswegen ich übrigens heute meinen fanatischen Kampf gegen die Kernkraft bereue. Denn wenn wir ehrlich sind: Immer mehr Menschen werden immer mehr Energie verbrauchen. Immer mehr Menschen wollen auf dem Niveau des Westens leben. Und mit jeder neuen Erfindung kommt ein Energie-Vampir hinzu. Der Rechner hat nicht das papierlose Büro gebracht, das E-Bike nicht das Auto verdrängt, es wird nur alles immer mehr.

Bei mancher netten Öko-Familie steht das E-Auto nebem dem Diesel. Der Energiehunger ist also ungebremst, und wer möchte leben wie unsere Vorfahren noch vor hundert Jahren? Schon als Kind dachte ich Folgendes: Wenn das Öl aus der Zeit der Dinosaurier stammt, wird es, wenn wir das alles verbrennen, wieder so warm wie zur Zeit der Dinosaurier. Klingt irgendwie magisch, aber ist auch was dran. In den Hungerstreik getreten bin ich deswegen nicht, vielleicht weil das Essen eh knapp war und es reinregnete.

Ein Hungerstreik ist kein Argument

Ja, und da wir bei Magie sind und dem Hang zum religiösen Bezugswahn: Das Klima wird nicht in Deutschland entschieden. Deutschland hat so gut wie gar keinen oder allenfalls einen minimalen Einfluss auf den Klimawandel. Das, was wir nicht produzieren, produziert China unter schlimmeren Bedingungen und wir kaufen es. Junge Menschen sollen sich zu recht Sorgen um die Zukunft machen, aber das betrifft viele Dinge: Klimawandel, Artenrückgang, Massenmigration, Erodierung der demokratischen Systeme Europas. Ein paar Wirtschaftskrisen wird es auch noch geben. Sie sollen sich aber nicht damit kaputt machen.

Ich erinnere mich, wie meine ständige Atomkriegsangst so konkret war, dass sie ganz besondere, neurotische Wege suchte. So erinnerte mich schließlich sogar das Clippen bei einem Aufnahmegerät (eine rote Lampe, die eine Übersteuerung anzeigt) an den Einschlag von Atomraketen. Ich musste tatsächlich Wege finden, diese Ängste abzustreifen. Angst und Ohnmacht zusammen erzeugen Zwänge und vor allem auch Aggressivität, und vielleicht ist mancher Aktivismus in Wirklichkeit nur eine Verschiebung von subtilen Ängsten. Wer mit der Angst und dem Idealismus und der Sensibilität junger Menschen spielt und sie in einen Hungerstreik treibt, handelt unverantwortlich und missbraucht junge Menschen.

Junge Menschen sind immer idealistisch, sie wollen es immer besser machen. Das wollten die jungen Kommunisten, die jungen Nazis genauso wie die jungen Hippies oder zahlreiche junge Menschen in irgendwelchen Sekten (wobei die Hippies höchstens sich selbst, die Nazis aber die ganze Welt beschädigt haben). Wir alten Säcke sind froh, dass wir irgendwie überlebt haben und denken: Ja, aber mach mal halblang, das Leben hat viele Facetten. Deswegen haben wir nicht automatisch recht, die jungen Leute haben es aber auch nicht automatisch.

Zudem neigt ein gewisses Alter zu einer Engführung der Sichtweisen. Wenn man das ein paarmal erlebt hat, sieht, wie sich radikale Positionen im neuen Gewand wiederholen, man aber ganz alltäglich das Essen auf den Tisch kriegen und die Kinder an die Hausaufgaben erinnern muss, werden andere Dinge mindestens ebenso wichtig. Spießig? Nein, Weltrettung fängt schon da an, wo ich dem Kind beim Fahrrad flicken helfe und Vokabeln abfrage.

In einem demokratischen Diskurs zählen hoffentlich Argumente, mit denen man um Mehrheiten wirbt. Ein Hungerstreik ist kein Argument. Diese Leute bringen sich in Gefahr. Dafür habe ich kein Verständnis. Und wer so stark auf Angst setzt, dem ist vielleicht die Idee abhanden gekommen, wie ein schöneres Leben aussehen könnte. Die Angst klingt mehr und mehr wie eine Durchhalteparole, der Endkampf einer Bewegung, die ihre beste Zeit längst hinter sich hat.

Snorre Martens Björkson schreibt Erzählungen, Romane, Hörspiele, Kindergeschichten, Theaterstücke und Songs. Er unterrichtet Klavier und leitet zwei Chöre. Privat beschäftigt er sich mit älterer Geschichte, germanischer Dialektologie und den besonderen kulturellen Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien. Gedichte, Songs und Angaben zu Veröffentlichungen finden sich untercafemeolodie.de

Foto: Snorre Martens Björkson

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Adam von Schluchz / 23.09.2021

Ist ihnen, liebe Leser, schon aufgefallen wieviel People of Color seit einiger Zeit im Werbefernsehen zu sehen sind? Das Baby, PoC, macht Werbung für eine bestimmte Windel, damit sich das/die/der Kleine weiter in der vollgepuschten Windel wohl fühlt. Der PoC mit seiner weißen Frau im deutschen Oberklasse Auto aus Bayern, da wo die Schwarzen regieren. Die Rasierklinge die dem Gesicht eines PoC die glatte Oberfläche verleiht. Und die Moderator:Innen werden auch immer Pigmentierter. Was will man uns damit sagen? Auf was will man uns vorbereiten? Oder ist es nur eine neue Modeerscheinung, auserkoren von den Werbefuzzis? Dann hätten sie die falsche Zielgruppe im Auge. Fragen über Fragen.

Ralf.Michael / 23.09.2021

Zwecklos ! Die grünen Blindgänger haben den Schuss nicht gehört ! Und Edmond Hamiltons SF-Thriller von 1952 “SOS - Die Erde erkaltet” haben Die auch nicht gelesen..Schade, das ist ein ganz anderes Szenario als eine Vielleicht-Erderwärmung und viieeel realistischer ” ;o)) Ich halte es für absoluten Schwachsinn, vor dem in 10 Jahren stattfindenden Armageddon noch eine Immobilie zu erwerben…..

Johann Joachim Lindner / 23.09.2021

Ja, der Wald stirbt. Man kann es deutlich erkennen. In meiner Heimatregion sind riesige Flächen mit Fichten abgestorben, tot. Aus der Luft sind diese Flächen brauner, abgestorbener Fichten gut zu erkennen. Vor ca.30 Jahren wurde uns erklärt, es sei der saure Regen. Jetzt ist es der Klimawandel. Vielleicht ist es auch nur die Monokultur. Die Aufforstung abgeholzter Buchen-und Mischwälder, dessen Holz Jahrhundertelang für den Bergbau und die Holzkohlegewinnung genutzt wurde.

Hans-Peter Dollhopf / 23.09.2021

“So entdeckte meine beste Jugendfreundin bald an der Gartentanne „Angsttriebe“. Als ich ihr zum Geburtstag eine selbstgepflückte Blume mitbrachte, sagte sie nur: „Mörder!“ Ja, es ging auf das Ende zu. Die Zeichen waren sichtbar.” Nordische Wälder oder Blumenwiesen sind auch Existenzbasis der Menschheit seit der Minute Eins ihres Erscheinens auf der Uhr der bisherigen Evolution gewesen und herrlich im Bewusstsein. “Der Wald steht schwarz und schweiget, Und aus den Wiesen steiget Der weiße Nebel wunderbar. Wie ist die Welt so stille, Und in der Dämmrung Hülle So traulich und so hold!” Welcher außereuropäische Indigene beschrieb jemals seine natürliche Existenzgrundlage mit solcher Verliebtheit! Einzig Dichter und Denker der Juden waren uns tausend Jahre darin Lehrer. “Meinem Freund gehöre ich, und nach mir steht sein Verlangen. Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld hinausgehen und unter Zyperblumen die Nacht verbringen, daß wir früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sproßt und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume blühen. Da will ich dir meine Liebe schenken.” Und noch nach dreitausend Jahren antwortet ihr ein deutscher Jude: “Du bist wie eine Blume, So hold und schön und rein; Ich schau’ dich an, und Wehmuth Schleicht mir in’s Herz hinein. Mir ist, als ob ich die Hände Auf’s Haupt dir legen sollt’, Betend, daß Gott dich erhalte So rein und schön und hold.”

B.Kroeger / 23.09.2021

Vielleicht liegt es in Deutschland daran, dass sie es doch immer so gut meinen mit der Welt und dennoch zielgerichtet immer wieder gegen die Wand fahren, bzw. gefahren werden. Das deprimiert auf Dauer…

H. Hoffmeister / 23.09.2021

Danke Herr Björkson, dass wir in der Industrie und im Dienstleistungssektor Ihre Lernkurve finanzieren durften und trotz Ihrer früheren, uns ständig das Leben erschwerenden Aktivitäten daran festgehalten haben, für Fortschritt und Produktivitätssteigerung - und damit für Steigerung von Wohlstand und Wohlfahrt - zu sorgen. Dafür wurden und werden wir nach wie vor angefeindet, verachtet und als Problem bezeichnet. Lustigerweise sind die, die uns anfeinden, die größten Nutzniesser unserer ständig mühsamer werdenden Arbeit.

Andreas Zöller / 23.09.2021

“Wir alle hatten Angst.” Alle? Also, ich nicht. Ich hatte eine Ducati 900SS. Und jede Menge Spaß.

Alexander Mazurek / 23.09.2021

@Andreas Mertens: Eine gute Zusammenstellung, danke! Cui bono? Die voraussetzungslose Revolution des Nihilismus darf keines der angeblichen Ziele erreichen und braucht deshalb immer neue, nur “wissenschaftlich” begründet und angsterregend müssen sie sein, zu unserem Besten. Sonst käme sie zum Stillstand und verlöre ihre Dominanz. Und ihre Reiter den Platz an der Sonne.

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