Home-Office

Ein Tag im Home-Office? Schön wär's! Der Schatz hat etwas dagegen.

„Willst du dich nicht anziehen?“, fragt mich der Schatz am Frühstückstisch, an dem ich barfuß mit Pyjama-Hose und einem T-Shirt sitze. „Nein“, gebe ich kurz zurück und beiße in mein Nutella-Brötchen (mit Butter drunter. Nutella immer mit Butter, sonst gilt es nicht, um das ein für allemal zu klären). Der Schatz runzelt die Stirn: „Hast du dir Urlaub genommen?“ „Nope“. Nächster Biss. Der Schatz schaut auf die Uhr, gleich muss er weg, zur Arbeit. Nächster Versuch: „Bist du krank?“ „Njet“, und ich trinke einen Schluck Kaffee. „Ich gebe es auf“, sagt der Schatz, „bitte sage mir, warum du noch nicht angezogen bist. Überrasche mich!“ Ich trinke einen möglichst laaaangen Schluck Kaffee. „Ich mache heute Home-Office!“, verkünde ich. „Home-Office“, echot der Schatz, vielmehr spuckt er mir das Wort ins Gesicht. „Du machst also Home-Office“, stellt meine Gattin in einem Ton fest, als hätte ich soeben gestanden, Kennedy erschossen zu haben. „Ja. Home-Office. Ich arbeite heute von zu Hause aus.“

„Thilo“, sagt der Schatz, „ich sehe hier aber nicht dein Büro-Notebook!“ „Ich arbeite mit dem Handy.“ „Du hast keine Kundenunterlagen auf dem Handy!“ „Nein, aber wenn ich welche brauche, lasse ich mir die aus dem Büro schicken. Als Screenshot. Die einfachen Fragen kann ich auch ohne PC beantworten!“ „Ich glaube eher, du machst heute blau!“ „Nein, ich mache heute Home-Office!“ „Erzähl mir nix, ich kenne dich!“ Ungefähr so läuft unser Gespräch, und leider kennt mich der Schatz ja wirklich und ich ärgere mich etwas, weil, wenn ich gesagt hätte, dass ich krank bin, dann hätte er mich umsorgt und dann in Ruhe gelassen, aber weil er jetzt meint, ich würde mich vor der Arbeit drücken, wird er mich tyrannisieren, und ich sehe mich mit Schrammen und Beulen in einem scharfen Kreuzverhör in irgendeinem Ostberliner Kellerloch hocken, während mich der Vernehmungsbeamte fragt, warum ich heute nicht angezogen bin! „Du meinst also, ich würde mich vor meiner Arbeit drücken“, verifiziere ich meine Vermutung. Wieder der Blick auf die Uhr: „Ja!“ 

Das ärgert mich jetzt, denn selbst wenn ich mich vor der Arbeit drücken wollte, dann würde ich mich nur ungern dafür rechtfertigen wollen, außerdem bin ich selbstständig, ich kann mich jederzeit vor der Arbeit drücken, wenn ich mich drücken will. Ich bezahle ja eine Assistenzkräftin, damit ich mich jederzeit vor der Arbeit drücken kann, außerdem habe ich keine 180 Tage bezahlten Urlaub wie die Angestellten und jedes Recht, mich vor der Arbeit zu drücken, und zwar ganz ohne dass mir jemand ein schlechtes Gewissen zu machen versucht, das ich jetzt schon habe. Das geht ja von meinem Geld ab, ich kann das selbst entscheiden, und so habe ich dem Schatz das auch gesagt. 

Ich muss doch ganz dringend ins Büro…

„Home-Office“, hat er langsam und betont zurückgesagt und das Wort schwebt, umgeben von kleinen Eiskristallen, über dem Frühstückstisch. Und da? Fällt da nicht eine kleine Schneeflocke auf mein Butternutellabrötchen? Der Schatz hat das drauf. Diesen eiskalten Spott, jahrelang trainiert von Kinderaussagen wie „Ich kann nicht in die Schule, mir ist schlecht!“. „Ja, verdammte Axt, Home-Office! Ich werde das Handy in Bereitschaft haben…“ „…während du auf der Playsi oder der X-Box zockst!“, vollendet die Dame meines Herzens meinen Satz. Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht zocke ich auch auf dem PC und gehe zwischendurch zum Rauchen auf den Balkon. Das muss ich mir noch überlegen. Home-Office ist die Hölle. Weil, wenn es klingelt, muss ich ja rangehen und das Spiel pausieren, was wahnsinnig stressig ist, erst recht, wenn ich gerade mit einem Bossgegner ringe oder in einen Hinterhalt geraten bin oder mich die Amerikaner angreifen oder sich sonst eine brenzlige Situation entwickelt, ich kann es noch nicht sagen, aber davon macht sich der Schatz natürlich mal wieder keine Vorstellung! 

„Du könntest deinen Home-Office-Tag dazu nutzen, die Sachen für die Steuer zu machen!“, schlägt der Schatz vor. Ja. Könnte ich. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mich an meinem Home-Office-Day mit den Räubern und Verbrechern vom Finanzamt zu beschäftigen, damit die dann Toiletten für sexuell Hilflose in Berlin bauen können. Super Idee! Mir kommt das halbe Nutella-Brötchen wieder hoch. „Könnte ich!“, sage ich und füge „Du musst gleich weg!“ hinzu. „Zwei Minuten habe ich noch“, stellt der Schatz fest und holt seine Schuhe aus dem Flur, was so viel bedeutet, wie dass ich mich noch zwei Minuten beschimpfen lassen muss. „Es ist nicht nur dein Geld, es ist UNSER Geld, das dann heute fehlt“, sagt der Schatz in Richtung Boden beim Schuhebinden. Ohooo, nicht nur, dass ich den Finanzamtskram machen soll, es geht dabei auch noch um UNSER Geld! „Weißt du, wie mein Job funktioniert? Es ist wichtig, dass ich mich gelegentlich mental erhole, dafür ist so ein Home-Office-Tag eine ganz wunderbare Einrichtung“, versuche ich eine letzte Verteidigung. 

„Jaja“, sagt der Schatz und zieht sich seine Jacke über, „vergiss dann bitte an deinem Arbeitstag nicht, die Mülltonnen für morgen rauszustellen, noch einzukaufen, mach den Steuerquatsch und sieh mal nach, wie viel Heizöl wir noch haben. Unser Teenie kommt übrigens um zwei, die freut sich, wenn sie sich dann mal nicht selbst was machen muss. Sie mag Fischstäbchen oder Pizza. Außerdem brauchen wir noch einen Termin beim Tierarzt, denkst du bitte dran?“ Spricht es, schnappt sich seinen Schlüssel, gibt mir noch einen Kuss und entschwindet auf seinen Arbeitsplatz. 

Ich gehe ins Bad, rasiere mich und ziehe mich an. Heute ist kein guter Tag für Home-Office. Ich habe im Büro zu tun! Dringend! Da liegt eine Menge Zeug! 

(Weitere Artikel aus dem Home-Office des Autors gibt´s unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Employee/US Embassy Kabul Flickr via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Peter Woller / 12.04.2022

Sie haben noch eine Frau? Schatzi hier, Mausi da. ? Ja, ich bin seit 31 Jahren allein unterwegs. Alles nicht so easy, ne? Traumfrau hat jemand anders geheiratet. Neue Frau will ich nicht. So kanns auch gehen.

Lutz Gütter / 12.04.2022

Herr Lotze, es war die Rede von Fischstäbchen oder Pizza. Obwohl, und jetzt wird es Ihnen den Kalten Schweiß auf die Stirn treiben, ich sah letztens im Supermarkt eine Pizza mit Spinat und Fischstäbchen. ECHT!!! So etwas gibt es tatsächlich. Vom vielen Kopfschütteln schmerzt mir heute noch der Nacken und meine Oberschenkel haben Hämatome, die hab ich mir vor Lachen blau gehauen. Pizza mit Spinat und Fischstäbchen, kreiert vom bekanntesten Kapitän Deutschlands. Aber jedem, wie es ihm beliebt, stellen Sie sich vor, die halbe Menschheit hätte Appetit auf Krabben oder den Muslimen wäre plötzlich Scheinefleisch erlaubt und dem Hindu auf einmal die Kuh nicht mehr heilig. Schinken oder Salami gäbe es nur noch an hohen Feiertagen, ein 400-Gramm- Filetsteak wäre das Geschenk an einem runden Geburtstag (wenn alle zusammenlegen) und Ihre Enkel müßten Sie mit Pizza Spinat+Fischstäbchen bewirten. Bitte bringen Sie die Leute nicht auf dumme Gedanken, lassen Sie sie bei ihren Eßgewohnheiten.

H.Wess / 12.04.2022

Butternutellabrötchen? Na da setzte ich noch einen drauf! Frischer HEFEZOPF… mit Butter (noch nicht Streichfähig), Nutella dick aufgetragen (Zimmertemparatur) und eine feine schicht kalte Erdbeermarmelade… ein Gedicht, als ob ein Engel auf deine Zunge gepinkelt hat… der Sonntag ist gerettetet!

Hans-Peter Dollhopf / 12.04.2022

Herr Schmid, Sie zitieren Lagerfeld mit: «Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren». Zunächst stellt sich die Frage, was man sonst wohl zum Joggen anziehen sollte. Was zum Schwimmen. Zum Autolackieren. Zum Weltraumspaziergang. Im Gegenteil. Kontrolle über sein Leben verloren hat der, welcher zur Besteigung des Himalajas bürgerlich gekleidet erscheint. Eher würde ich behaupten, dass Antreten in unpassender Bekleidung bei Gelegenheit Nachteile förmlich vorbestellt. “Es gibt kein schlechtes Wetter. Nur falsche Kleidung.” Es gab auch niemals Probleme. Nur Unvermögen.

Mona Müller / 12.04.2022

Moin Herr Schneider, danke für Ihren Bericht. Als ich den las, kamen mir wieder die Erinnerungen ans Home office, weit vor Corona in den Sinn. Vor ca. 10 Jahren habe ich in einer großen Energie-Firma in HH gearbeitet. Leise, ganz leise hat sich unter den Führungskräften, Vorgesetzten, die alle übertariflich bezahlt wurden, das Home-office-Syndrom eingeschlichen. Ausgestattet mit einem Laptop waren sie fast jeden Freitag im Home office! Ob sie da wirklich gearbeitet haben oder nicht, konnte keiner kontrollieren. Videokonferenzen (heute doofdeutsch: Videoschalte) gab es zu dieser Zeit selten. Ich behaupte heute: die haben sich einen weiteren freien, bezahlten Tag gegönnt. Zu ihrem Nutellabutterbrötchen kann ich nur meine kluge Uroma zitieren: Gschmacksach hot der Aff gsacht, als er in die Seef gebisse hot (Geschmacksache hat der Affe gesagt, als er in die Seife gebissen hat). Alles eine Frage des Geschmacks.

Stanley Milgram / 12.04.2022

75.000 Abfindung statt der im o.g. Bild dargestellten Zelle für Frau Spiegel für über mindestens 130 fahrlässig-verursachte Tote. Wer jetzt nicht erwacht…

Stanley Milgram / 12.04.2022

p.s.: Nutella-Brötchen in den Kaffee tunken. Leggor…

Stanley Milgram / 12.04.2022

Ab Freitag 12 Uhr war ich, nach meiner Selbstständigkeit angestellt in einer sinnlosen Heuschrecken-Klitsche, im “Kundengespräch” (Schwimmbad), und hatte daher das Handy aus. Was gibt es Schöneres als junge nackte Haut und ab und zu eine Arschbombe vom Dreier? Dazu ein kaltes Blondes aus der Kühltasche und Vitamin-D produzieren. Dann mal eine Stunde bei guter Musik unter dem Schirm entspannen, während “Schatz” in der prallen Sonne brät und ihren weißen Hautkrebs mit dem Notwendigsten versorgt. Kann man später rausschneiden, großräumig. Heute Löcher im Arm und am Rücken, na dann. Heute gabs noch lecker Elsässer Flammkuchen. Meinem Vermieter ein Regal an die Wand gebohrt, Tag vorbei. Wie jeder. Nix war, was einen glücklich gemacht hätte. Aber es war ja niemals anders… weil sich Glück und Leid die Hand geben. IMMER! (Besoffen ins Net geschmiert, sorry)

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