Leicht ist es nicht, an der momentanen „Grass-Debatte“ Gutes zu finden. Der Text – eine literarische wie politische Absurdität. Noch einmal nervt die alte „Man muss doch wohl was gegen Israel sagen dürfen“-Plattitüde. Schade auch um den Platz, den die SZ diesem, äh, „Gedicht“ einräumen musste und den man schön mit der Besprechung lokaler Filmfestivals hätte füllen können.
Ein Gutes aber hat das Ganze: Die Konsequenz, mit der Grass sich selbst entzaubert hat. Nicht nur durch die antiisraelische Tendenz seiner Zeilen. Die Lücke zwischen deren außenpolitischem Gehalt und ihrer pompösen Rhetorik ist immens. Deren Weinerlichkeit und die implizite Unterstellung, das ganze Land hätte fingernägelkauend die Frage diskutiert, warum Grass „geschwiegen habe“, wirken gestrig. Die deutsche Neigung, Grass-Statements den Nimbus quasi-päpstlicher Einordnungen der ganz großen Zeitläufte zu verleihen, dürfte sich erledigt haben.
Aber nicht nur Grass’ eigenes Image als politphilosophische Koriphäe zerbröselt wie ausgerauchter Pfeifentabak. Der Typus „Dichter als moralische Universalinstanz“ tritt insgesamt ab. Ich habe mich immer gefragt, was die Böll, Grass, Biermann und Co. befähigt, mit großer Geste alle möglichen komplexen politischen Zusammenhänge abschließend zu beurteilen. Auch die aufgeregte Suche von Kanzlerkandidaten nach Nähe zu „den Literaten“ habe ich nie verstanden. Zumal die selten interessante Themen auftreiben. Verglichen mit den meisten ihrer politischen Einlassungen zeugt etwa George Clooneys Engagement für Darfur von bemerkenswerter Originalität und Standhaftigkeit.
Wobei – langweilig sind Literaten in ihrer politrhetorischen Themenfindung nicht immer. Peter Handkes Liebe zu Milosevics Serbien wirkte in ihrer Abstrusität schon wieder originell. Darin aber unterscheidet sich Handke von Grass, der entgegen seiner eigenen Einschätzung gerade kein unglaubliches politisches Tabu verletzt hat. Vielmehr käut sein ressentimentgetriebener Text oft gehörte antiisraelische Plattheiten wieder.
Und noch etwas unterscheidet Grass von Handke: Letzterer konnte wenigstens durch eigene Reisetätigkeit sein Image als Chefkenner der missverstandenen serbischen Volksseele bebildern. Von Günter Grass können wir hingegen annehmen, dass ihm die Verhältnisse im Iran vor allem aus der Lektüre der Lübecker Nachrichten bekannt sind.