An den Charlie Hebdo-Debatten zeigt sich ein Mechanismus unserer Mediengesellschaft besonders deutlich: Die Tendenz letztlich jedes Diskurses, in seinem Verlauf zunehmend reflexiv zu werden. Am Ende diskutieren wir jeweils nicht mehr über die Sache, sondern über unsere Herangehensweise an die Sache. Was nicht schlecht ist oder “weich”, sondern ein Wesenszug aufgeklärter Gesellschaften.
Zumal es in diesem Fall ja auch eine direkte Reaktion auf die „Botschaft“ des Pariser Attentats ist. Dieses bildete das brutale und lächerlich eindimensionale Pendant islamistischen Terrordenkens zur Medienkritik. Insofern ist die ganze Diskussion bei uns eine passende Antwort auf die Attentäter. Auf einer Meta-Ebene lautet die Message: Schaut her, Terroristen, sogar auf Eure plumpen Mordaktionen kann unsere diskursive Kultur reagieren. In diesem Zusammenhang sind auch die (durch die Serviceangebote des Internet natürlich leicht zu realisierenden) „Je suis Charlie“-Posts zu sehen. Auch sie stellen eine den Regeln unserer medial ästhetisierten Kommunikationsgesellschaft entsprechende Reaktion dar. Der Grundzug dieser Gesellschaft ist, da hat Habermas nach wie vor Recht, der offene Diskurs. Auch die autistische Baller-Logik der Attentäter unterminiert diese Logik nicht.
Was nichts daran ändert, dass im Rahmen dieser Diskurslogik auch Untiefen der Mediengesellschaft an die Oberfläche gespühlt werden. Zum Beispiel die strukturelle Überforderung vieler Akteure. Speziell das Prinzip Blog erfordert die permanente Bereitschaft aller Beteiligter, die ganz große Weltlage zu kommentieren, und zwar mit am besten mit einer provokativen These. Dies führt zu absonderlichen Ergebnissen. Da unterliegt dann schnell mal eine thematisch überforderte Berliner Jungbloggerin der Verlockung, die naheliegende Überschrift „Ich bin nicht Charlie Hebdo“ zum Ausgangspunkt ihrer Textproduktion zu machen. Sie wollte halt einfach mal eine ganz kecke These formulieren, und da bot sich diese Überschrift eben an, die zuvor testweise wahrscheinlich bei hunderten anderer Blogger auf dem Bildschirm gestanden hatte. Bei ihr blieb sie dummerweise stehen. Heraus kam eine Ansammlung an Plattitüden, die alle darauf hinaus laufen, dass die Autorin nicht genügend Differenzierungsfähigkeit beweist, um das Gut der freien Meinungsäußerung abzugrenzen von ihren wackeren ethischen Grundregeln wie „Lasst uns doch mal alle nett zueinander sein“. Allerdings erfuhr die Gute dann auch die volle Härte der Logik des Internet, was sie zu einem folgenden, im Wesentlichen nur noch schockierten und entsprechend wirren Folgetext veranlasste.
Auch das, muss man sagen, gehört zu der komplexen und in ihrer Komplexität starken westlichen Medienwelt. Es ist eine Medienwelt der Widersprüchlichkeiten und der nicht immer einfach zu dechiffrierenden Zwischentöne. Das kluge Cover der Nach-Anschlag-Ausgabe von Charlie Hebdo hat genau diese Logik des Zwischentons aufgegriffen. Anders als die IS-inspirierten Terrorzellen. Deren Mordlogik ist der kommunikativen Ausdifferenzierung nicht fähig. Ihnen signalisiert die gesamte Debatte nur: Ihre zerstörerische Grundhaltung hat nicht gesiegt, sie kann gar nicht siegen.