Alexander Gutzmer / 12.11.2014 / 08:08 / 4 / Seite ausdrucken

Lieblingthema von „Print“: „Print“

Ach ja, der Printjournalismus. Oder allgemein das „Prinzip Print“. Es stirbt, das lesen, hören und wissen wir. Irgendwie zumindest stirbt es. Gefühlt. Sagen doch alle.

Wer immer, wie ich, eine gedruckte Publikation verantwortet, weiß zumindest, dass die Zeiten tatsächlich hart sind. Wir alle suchen, mehr oder minder erfolgreich, nach Wegen, aus Medien Marken zu machen und diese in einer Kombination aus Gedrucktem und elektronisch Veröffentlichtem, aus Live-Events und sozial geteilten Inhalten zukunftsfest und relevant zu gestalten. Es gibt gelungene Beispiele und weniger gelungene. Erfolge und Misserfolge. Wie immer im Wirtschaftsleben.

Was uns dabei treibt, ist sicher auch eine gewisse Liebe zum geschriebenen Wort, zu längeren Texten. Zum guten Journalismus. Und damit auch eine gewisse Voreingenommenheit.

Immerhin: Ich bin mir dieser Voreingenommenheit gewusst. Dass das nicht bei allen Medienschaffenden der Fall ist, beweist auf beeindruckende Weise eine Kolumne im aktuellen (gedruckten) Spiegel. Dort befasst sich der Autor Dirk Kurbjuweit mit dem oben schon erwähnten „Prinzip von Print“. Das ist zunächst einmal ein ziemlich selbstbewusstes Statement. Seine Kolumne soll sich ja mit der Entwicklung unserer Kultur beschäftigen, oder, so der Kolumnentitel, mit der „Lage der Welt“. In einer Zeit, in der im Spiegel-Verlag Grabenkämpfe zwischen unterschiedlichen redaktionellen Einheiten ablaufen, hält der Autor für die wichtigste Frage, die die Lage der Welt momentan bestimmt, offenbar genau diese Grabenkämpfe. „Online“ versus „Print“. Letzterer, inzwischen geradezu nervend allgegenwärtiger Begriff also soll es sein, der den kultursensitiven Deutschen den ganzen Tag im Kopf herumgeistert. Na ja.

Inhaltlich preist Kurbjuweit den Wert des geschliffenen Wortes und der präzisen Argumentation. Von journalistischer Qualität also. Alles nicht neu, aber natürlich richtig. Dann aber wieder der Kurzschluss, den man schon so oft las: Diese Qualität bringe nur der Journalismus mit, der sich in einem gedruckten Medium niederschlägt. Wieso bloß? Man mag es kaum noch mal sagen, aber selbstredend kann man auch in Online-Medien gut recherchierte, gedachte und formulierte Texte verfassen. Und natürlich schreiben gedruckte Medien auch viel Unsinn oder viel Oberflächliches.

Das heißt, Kurbjuweits Argument wäre inhaltlich immer und leicht widerlegbar. Es wäre außerdem jederzeit kritisierbar als allzu offenbares Statement der Selbstrechtfertigung. Hier schriebt eben kein neutraler Beobachter, sondern ein Printredakteur über die eigene Bedeutung in einer digitalisierten Gesellschaft. Das hat etwas Eitles. Und zumal in Zeiten, in denen die Printredakteure des Spiegel verzweifelte Abgrenzungskämpfe gegen ihre Online-Kollegen kämpfen, muss man den Eindruck gewinnen, dass hier auf bemerkenswert direkte Weise Lobbypolitik betrieben wird. Zu Ungunsten des Lesers übrigens. Denn der hätte an dieser Stelle ja auch einen der von Kurbjuweit geforderten, geschliffenen Texte zu einer anderen kulturell interessanten Frage lesen können.

PS: Es wird Sie nicht wundern – online ist der Kurbjuweit-Text nicht verfügbar.

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Leserpost

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Caroline Neufert / 12.11.2014

Ihr Beitrag zeigt leider nicht, dass “selbstredend in Online-Medien gut recherchierte, gedachte und formulierte Texte zu verfassen”, möglich ist ;-) Ich finde übrigens in den letzten Wochen hat der gedruckte Spiegel wieder an Inhalt gewonnen.

Max Wedell / 12.11.2014

Kurbjuweits Sicht ist tatsächlich etwas starr, wenn er eine Print-Welt und eine Online-Welt ausmacht, jeder dieser Welten bestimmte Eigenschaften zuordnet, und das Ganze dann irgendwie für gottgegeben und unveränderlich hält. Muß aber Online-Journalismus immer auch schnell sein? Muß Online-Journalismus nicht nur durch multimediale Elemente aufgepeppt werden, die wirklich inhaltlich was bringen, sondern immer auch durch solche, die reiner Schnickschnack sind? In Wahrheit geht es doch um Informationsvermittlung (zum Zwecke der Information und/oder Unterhaltung). Die Qualität dieser Informationsvermittlung hängt im Einzelfall weniger vom Medium ab als von Talent und Aufwand des Erzeugers der Botschaften. Daß in bestimmten Medien häufiger untalentiertere Menschen wirken als in anderen, oder in bestimmten Medien die übermittelten Botschaften häufiger in Hast und Eile zusammengestellt werden, mag ja sein, aber muß das so sein, sind das unvermeidbare Eigenheiten der Übertragungswege, oder könnte das auch anders verteilt sein? Wie Herr Gutzmer bezweifle ich das. Festzuhalten bleibt, daß “Online” in der Summe der Möglichkeiten (des Mediums) hinter “Print” zurückfällt. Es gibt kein technisches Feature von “Print”, das “Online” nicht hätte, aber es gibt ein paar Features, die “Online” hat, aber “Print” nicht… etwa die Möglichkeit bewegter Bilder, oder die Möglichkeit des schnellen “Updates”. Kurbjuweit hat recht, daß diese neuen Möglichkeiten natürlich auch zu eher Unerwünschtem nicht nur führen, sondern auch verführen können… etwa zum weiter oben genanntem Schnickschnack und Huschhusch. Die eigentlichen Probleme des Journalismus liegen aktuell ganz woanders… in der Demographie und in langfristigen Veränderungen der Gewohnheiten der Menschen, die über die Tatsache der ziemlich allgemein gewordenen Netznutzung hinausgehen. Kurbjuweit wird das aber auch wissen, denn er selber ist doch Autor der Titelgeschichte in der gleichen Ausgabe des Spiegels: “Generation Merkel - unkritisch, ehrgeizig, unpolitisch”. Alle Zeit der Welt fürs Erstellen eines “Print”-Artikels zu haben nützt ja recht wenig, wenn niemand mehr die Zeit für wert erachtet, ihn zu lesen. Die maue finanzielle Lage im Sektor liegt weniger an einem zu geringen Angebot, sondern eher an der zu geringen Nachfrage. Daß Kurbjuweit auf exzellenten Journalismus steht, ist da schon was wert… ein Leser mehr für solche Texte (hoffentlich zahlend und nicht nur als online-freebies)!

Dominik Schmid / 12.11.2014

Es ist mir schleierhaft, woher dieser nicht tot zu kriegende Mythos stammt, Qualität könne sich nur in gedruckter Form niederschlagen. Inhalt ist Inhalt und das Medium ist das Medium. Andersrum: Inhalt ist das Transportgut, das Medium ist das Transportmittel. Beurteilt man im Güterverkehr die Qualität des Transportguts anhand des Transportmittels? Was per Bahn kommt ist qualitativ hochstehender als das, was per LKW angeliefert wird? Natürlich nicht, das wäre vollkommen absurd. Ich erinnere mich immer wieder mit Grauen an die vollmundige Aussage des Schweizer Verlegers Michael Ringier: “Wir brauchen Edelmetall, den Schrott gibt es im Internet”. Wohlgemerkt, der Ringier Verlag publiziert Perlen wie Blick, Schweizer Illustrierte oder Glückspost. Wie weit diese Erzeugnisse das Prädikat ‘Qualitätsjournalismus’ verdienen, sei dem einzelnen Betrachter überlassen. Ich für meinen Geschmack habe einen deutlich anderen Anspruch, was Qualität betrifft.

Waldemar Undig / 12.11.2014

Ich lese seit Jahren nur noch online, da kriegt man von den Grabenkämpfen kaum was mit.

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