Rainer Bonhorst / 05.11.2020 / 10:30 / Foto: Pixabay / 85 / Seite ausdrucken

Halbstarkes Kopfschütteln über Amerika

Man schüttelt wieder den Kopf über diese Amerikaner und ihr verrücktes politisches System. Nicht nur, dass es Leute wie Donald Trump (und Ronald Reagan, und George Bush junior) überhaupt ins Weiße Haus reingelassen hat. Nein, dann sind da auch noch diese aufwändigen und langwierigen Präsidentschaftswahlen! Also, wirklich. Also wirklich? Es ist das Kopfschütteln von demokratisch Halbstarken (und Halbstärkinnen?) über ihre Eltern, die als nervig und gestrig wahrgenommen werden.

Wieso halbstark? Wieso Eltern? Ein bisschen Geschichte hilft da. Die Amerikaner sind nun mal die Eltern unserer jungen Demokratie. Allein haben wir es bekanntlich nicht geschafft. Uns musste erst nach einem verlorenen Krieg eine dauerhafte Demokratie verordnet werden. Vor allem von den Amerikanern. Aus Weimar wurde ja eine Pleite. Die einzigen, die ein Stück selbstgemachte Demokratie für sich beanspruchen können, sind die Ostdeutschen, die sich bei politisch günstiger Großwetterlage tatsächlich selbst befreit haben. Immerhin.

Demokratisch halbstark sind wir im Vergleich zu den Amerikanern sowieso. Wir mit unseren gerade mal siebzig Jahren. Die Amerikaner haben mit ihrer Demokratie vor rund 250 Jahren angefangen. Das war damals ganz und gar unüblich. Die Deutschen wurde noch von Königen, Duodezfürsten, Bischöfen und Gräflein streng geführt, als die Amerikaner ihren ersten Präsidenten frei wählten.

Wilhelm der Zweite und Adolf der Erste

Später trieb der deutsche Demokratie-Versuch von 1848, der im Großen und Ganzen scheiterte, unsere Revolutionäre ins freie Sehnsuchtsland jenseits des Atlantik. Die Großmannssucht unseres zweiten Wilhelm ist im Rückblick nur peinlich und der Hitlerwahnsinn sollte wenigstens Anlass bleiben, sich moralisch nicht allzu sehr über die Nachbarschaft zu erheben.

Was hat das mit dem kuriosen amerikanischen Wahlsystem zu tun? Nun, was alt ist, hat üblicherweise auch ein paar Altersschwächen. Und wie schwierig es ist, eingefahrene politische Systeme zu reformieren, können wir auch im eigenen Haus erleben. Zum Beispiel, wenn versucht wird, den adipösen Bundestag auf ein international übliches Maß zu verschlanken. Es ist immer leichter, anderen Reformen zu empfehlen als sie selber hinzukriegen.

Vor allem aber: Die USA waren von Beginn an ein ausgeprägter Föderalstaat, dessen „Bundesländer“ viel größere Freiheiten genießen als unsere. Und die sie mit Zähnen und Klauen verteidigen. Zu diesen Freiheiten gehört, dass jeder Bundesstaat für sich herausfinden darf, wen er ins Weiße Haus schicken möchte. Die Wahlleute sind als Makler dazwischen geschaltet, damit sich am Ende alles (mehr oder weniger) ordentlich zusammenfügt.

Eine Art Sicherheitsnetz

Als das System seinerzeit ausgeheckt wurde, hat sicher nicht nur der stolze Unabhängigkeitssinn der Staaten eine Rolle gespielt. Dass mit den damaligen Wahlmännern auch eine Art Sicherheitsnetz aufgespannt war, damit das Demokratie-Experiment nicht aus dem Ruder lief, gehört auch zu der Geschichte.

Heute geht es nicht mehr um das Sicherheitsnetz. Die Wahlleute wählen auftragsgemäß und treu nach den Vorgaben ihres Staates den Präsidenten. Aber die Unabhängigkeit der Bundesstaaten geht bis heute so weit, dass jeder weitgehend nach seiner Fasson wählen und Stimmen zählen lässt. Das bietet Raum für das Chaos, das wir heute erleben, und über das sich mancher ein hochmütiges mitteleuropäisches Kopfschütteln gönnt. Verrückt, dass es so lange dauern kann, bis feststeht, wer Präsident wird. 

Moment mal. Wie ist es denn bei uns? Wir können unsere Regierungschefs ja gar nicht direkt wählen. Wir wählen Parteien und Abgeordnete und die kungeln dann aus, wer in welcher Koalition Kanzler oder Kanzlerin wird, während wir gebannt zuschauen. Und zwar deutlich länger als die Amerikaner bei ihrer Präsidenten-Wahl.

Ja, jedes System hat seine Stärken und Schwächen. Und das Alter, auch das demokratiegeschichtliche, hat so seine Zipperlein. Und die halbstarke Jugend? Die weiß bekanntlich alles besser. Das gilt für das wirkliche Leben ebenso wie für die Politik. 

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Günter Schaumburg / 05.11.2020

Interessanter Beitrag, besonders der Aspekt, der die Macht der Bundesstaaten, wasdie meisten schon länger hier Lebenden schlicht nicht wissen, oder im Krampf gegendas Monster Trump ignorieren. Besonders perfide sieht man das in der momentanenCorona-Hysterie. Als Hobbyhistoriker darf ich Ihnen, werter Herr Bonhorst, aber em-pfehlen, sich etwas genauer mit Willhelm zwo zu befassen. Die ihm angedichteteGroßmannssucht, politisch gesehen, stammt aus der Feder der Sieger. Inzwischen gibtes aber genügend objektive Literatur, die ein anderes Bild vom letzten deutschen Kai-ser zeichnet.

Hans Kloss / 05.11.2020

US Wahlsystem ist auch ziemlich divers. Grobe Fälschungen, mindestens bis Einführung der generellen Briefwahl, waren eher unpraktikable da man genau divers agieren musste und das ist dann sehr aufwendig und auffällig für die Beobachter. Briefwahl für alle ist dann doch ein Problem. Ich bin aber sicher dass nach einem Unfall wird das direkt modifiziert und zwar überall. Ich frage mich allerdings wieso unsere Mutti das Machtwort nicht gesagt hat. Das tut sie doch so gerne. Vlt aber muss sie für solche Gelegenheiten in Südafrika sein. In jedem Fall sollte sie das tun. Das ganze hin und her ist doch albern.

Steffen Huebner / 05.11.2020

Egal, wie es letztlich ausgeht, die großen Verlierer sind die amerikanischen Mainstreammedien und Meinungsforscher. Trotz Hass & Hetze, einseitiger Berichterstattung, Demagogie und Nachrichtenfilter gegen Donald Trump auf fast allen Kanälen über die Amtszeit hinweg, hat der amerikanische Wähler zur Hälfte für eine zweite Amtsperiode gestimmt - eine beeindruckende Niederlage aller großen Medien in den USA. Der amerikanische Wähler ist nicht darauf herein gefallen, ist sich offenbar bewusst, manipuliert zu werden und hat damit gezeigt, politisch aufgeklärter zu sein, als das deutsche Schaf, welches mehrheitlich immer noch nicht begreift, einer politisch einseitigen Propaganda zu unterliegen. Donald Trump hat viele heiße Eisen angepackt, von Krieg, Frieden mit Israel, China über Steuern bis Medikamentenpreise - darin wird man sich messen lassen müssen...

Angelika Meier / 05.11.2020

Was deutsche Besserwisser über die USA schreiben oder sagen, spielt keine Rolle, weil das ganze Land Deutschland keine Rolle spielt.Um es einfach zu sagen: Die USA braucht die EU überhaupt nicht. Die EU kann ohne USA nicht überleben.Sollten sich die USA ernsthaft aus Europa zurückziehen, würde Russland sich als Erstes das Baltikum schnappen. Nicht weil Russland so böse ist, sondern weil Machtpolitik so abläuft. Und die EU könnte nichts dagegen machen. Maximal könnten sich die baltischen Staaten schützen, wenn ihnen ein anderen Player, z.B. China realistischen Schutz anbietet. Die EU und keiner der europäischen Staaten wäre dazu in der Lage.Die deutschen Medienberichte sind nur dazu da, das Publikum hier entsprechend zu bearbeiten.

Wolfgang Nirada / 05.11.2020

Einem unförmigen nägelkauenden schlotternden (sobald die Hymne des Kalifats Buntesrepublik Asylantenheim gespielt wird) Honeckerzwilling am Rockzipfel hängen und sich gleichzeitig über andere lustig machen... das ist sooo deutsch!!! Ausgerechnet so Gestalten wie Linder, Gysi und der Rooobert... die überbezahlten Pausenclowns der deutschen Politik...

Hannes Krautner / 05.11.2020

Richtig. Die Bürger der BRD haben sich ihre Demokratie (was ja bisher auch nur eine Demokratie "Version Light" war) nicht selber nach dem Krieg erkämpft. Sie wurde ihnen 1949 von den Alliierten übergestülpt. Deshalb können die Deutschen auch mit Demokratie nicht umgehen. Die Demokratie ist ihnen auch nichts wert, denn was man sich nicht selber erkämpft hat, das ist auch nichts wert. Deshalb empfinden die Deutschen in der Mehrheit auch nichts Negatives, wenn derzeit das bisschen Demokratie (wohl eher Scheindemokratie), was wir seit 1949 in der BRD hatten, rapide und ohne Rücksicht abgeschafft wird. Demokratische Vorgänge in anderen Ländern (insb. in USA, Schweiz, GB) sind für viele Deutsche, die mentalitätsbedingt autoritäre politische Führungen bevorzugen, Schockerlebnisse und für deutsche Politiker führt allein schon der Gedanke an das Wort Demokratie zu Alpträumen.

Christa Born / 05.11.2020

Danke! Das gebe ich den zahlreichen halbstarken grossmäuligen Antiamerikanern in meiner Umgebung zu lesen. Erstaunlich wie stets sprungbereit man die US-Amerikaner verurteilt, während man das Despotische andernorts grosszügig übersieht. Die Gehirnwäsche durch unsere Linksmedien funktioniert bestens.

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