Noch 8 Tage Kernkraft in Deutschland: Merkels Fukushima-Panik. Unser Autor Manfred Haferburg nimmt auf seine Weise Abschied.
Es war eine Naturkatastrophe biblischen Ausmaßes. Am 11. März 2011 um 14:46 Uhr „landete ein schwarzer Schwan“ an Japans Ostküste – ein Ereignis mit der statistischen Wahrscheinlichkeit von einem Mal in 1.000 Jahren. Das Tohoku-Erdbeben ereignete sich in Ost-Japan etwa 130 Kilometer vor der Küste auf dem Meeresboden. Es handelte sich um ein Erdbeben der Stärke 9,1 auf der Richterskala. Damit war es das stärkste Erdbeben in der Aufzeichnungsgeschichte Japans. Innerhalb von dreieinhalb Minuten riss die Erdkruste in 32 Kilometer Tiefe auf einer Länge von 400 Kilometern bis in 60 Kilometer Tiefe auf.
Bei dem Beben wurde an der Oberfläche eine Erdbeschleunigung etwa 5 m/s erreicht. Das kann man sich nur ungefähr so vorstellen, dass sich der Raum, in dem man sich gerade befindet, mit einem selbst und allem, was darin ist, in einer Sekunde fünf Meter seitlich bewegt und dann wieder abrupt stoppt. Die Energiefreisetzung des Bebens betrug das ca. 77-fache des Weltenergiebedarfs innerhalb weniger Sekunden. Die Halbinsel Honshu wurde um 2,5 m nach Osten verschoben. Einige Sendai-Städte senkten sich um 80 cm ab. Die Erdachse wurde um 16 cm verschoben, was zur Folge hat, dass die Tage seither um 1,8 Mikrosekunden kürzer sind als vorher.
Das Beben war aber nicht das Schlimmste. 20 Minuten nach dem Beben erreichte ein Tsunami von 14 m Höhe die japanische Küste der Provinz Fukushima, Tochigi und Myiagi. Beim Auftreffen auf die Küste kam es je nach Küstenformation zu lokalen Auflaufhöhen der Welle bis zu 40 m. Die Wassermassen überfluteten 500 Quadratkilometer Landfläche. Japanische Medienberichte beklagten 22.000 Opfer durch Tsunami, Gebäudeeinstürze und Brände.
Reaktorkerne durch teilweise Kernschmelzen zerstört
Ohne der japanischen Regierung den geringsten Vorwurf zu machen: Alle zivilen Tsunami-Gegenmaßnahmen erwiesen sich als unzulänglich – Lautsprecherdurchsagen funktionierten nicht, Tsunami-Dämme waren unterdimensioniert, ihre Höhe war viel zu niedrig berechnet. Von 300 km Deichstrecken wurden 190 km zerstört. Die Katastrophe überstieg jedes menschliche Vorstellungsvermögen.
Vor der Erdbeben-Katastrophe waren in Japan 54 Reaktoren in den 17 Atomkraftwerken in Betrieb und erzeugten zirka 30 Prozent des benötigten Stroms. Beim Eintritt des Bebens befanden sich 11 Reaktoren im Einflussgebiet, die alle erfolgreich automatisch abgeschaltet wurden. Mitten im Tsunami-Auftreffgebiet lag des Groß-Kernkraftwerk Fukushima, dessen Blöcke 1, 2 und 3 in Betrieb waren, während sich die Blöcke 4, 5 und 6 in der jährlichen Revision befanden. Die Betriebsblöcke schalteten sich während des Bebens automatisch ab und gingen auf Notstromdieselbetrieb über, da das Beben die Freileitungen zerstört hatte.
Als die Welle kam, drückte sie die Maschinenhaustore ein und überflutete das Turbinengebäude. Aufgrund eines Mangels des Sicherheitsdesigns – den es in deutschen KKW nicht gibt – wurden die Diesel überflutet, und die Reaktorkerne der Blöcke 1, 2 und 3 konnten nicht notgekühlt werden, worauf sie nach einigen Stunden durch teilweise Kernschmelzen zerstört wurden. Der Dreifach-GAU war eingetreten.
Merkels irrationale Überreaktion
Beim Schmelzen der Zirkonium-Brennstäbe werden große Mengen Wasserstoff freigesetzt, es bestand die Gefahr der Zerstörung der Sicherheitscontainment-Behälter. In einem heldenhaften Einsatz ließ die Betriebsmannschaft den Wasserstoffdruck manuell durch die Venting-Ventile in die Turbinengebäude entweichen, wo er sich mit der Raumluft mischte. Wasserstoff hat die unangenehme Eigenschaft, dass er mit Luft gemischt zur Explosion neigt, was dann auch geschah. Es gab drei Wasserstoff-Explosionen, deren Bilder in den Medien um die Welt gingen und als Reaktorexplosionen wahrgenommen wurden. Alle Kernenergie-Gegner sahen sich bestätigt.
In den deutschen Medien, die besonders atompanikaffin sind, liefen diese Explosionen in Dauerschleife, gemischt mit frei erfundenen Horrorgeschichten über verheiztes Personal, mit vorgehaltener Waffe gezwungene Liquidatoren und ähnlichem. Nichts davon entsprach der Wahrheit. Es kam in Fukushima kein einziger Mensch durch Strahlung ums Leben, auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird.
In Deutschland traf dieses Unglück auf eine angespannte politische Situation. Ohnehin war 2011 die Kernenergie-Gegnerschaft in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet. Dazu kam, dass die Merkel-Koalition ein gutes halbes Jahr vorher eine Laufzeitverlängerung um 10 Jahre für die deutschen Kernkraftwerke beschlossen hatte. Und in Baden-Württemberg war Wahlkampf. Merkel musste nach einer Serie von Wahlniederlagen den Verlust der schwarzen Mehrheit auch in diesem Bundesland befürchten.
Ich schätze Frau Merkel persönlich als etwas hypochondrisch und panikaffin ein. Gleichzeitig hat sie wohl einen sehr ausgeprägten Sinn für Macht. Diese Mischung, untermalt von den Bildern der Wasserstoff-Explosionen, den Umfragewerten im freien Fall und dem Mediengeheul, führte bei ihr zu einer irrationalen Überreaktion.
Rolle rückwärts in die Kohleverstromung
Es folgte die 180-Grad-Wende von Kanzlerin Angela Merkel. Vier Tage nach dem Reaktorunglück verkündete sie – gemeinsam mit den fünf Ministerpräsidenten der Länder mit Kernkraftwerken – am 15. März 2011: Alle sieben vor 1980 gebauten AKW werden mindestens drei Monate abgeschaltet. In dieser Zeit wird die Sicherheit sämtlicher AKW überprüft. Die Verlängerung der Restlaufzeit hatte sie schon am Tag zuvor für drei Monate ausgesetzt. Im Mai verkündete Merkel dann den endgültigen Atomausstieg bis 2022 und versprach, dass Deutschland dadurch eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der erneuerbaren Energietechnologie einnehmen werde. Ein Teil dieses Versprechens wird in einer Woche Realität sein. Von der Vorreiterrolle ist die Rolle rückwärts in die Kohleverstromung und Kopfschütteln weltweit geblieben.
Genützt hat es Merkel wenig. Rund zwei Monate nach der Katastrophe in Japan kam es in Baden-Württemberg zu einem historischen Machtwechsel: Nach 58 Jahren CDU-Herrschaft im Ländle wurde Winfried Kretschmann der bundesweit erste grüne Ministerpräsident.
In Japan gab es nach dem Unglück trotz niedriger Strahlenbelastung die überstürzte Evakuierung einer 20-km-Sicherheitszone, die bis heute erst teilweise wiederbesiedelt ist – wenn auch zum größten Teil. Die panische Evakuierung kostete einige Menschenleben, da auch Intensivstationen evakuiert wurden. Der Rückbau der beschädigten Reaktorblöcke in Fukushima macht große Fortschritte. Japan ist trotz der Fukushima-Katastrophe inzwischen zur Kernenergie zurückgekehrt, nimmt seine nachgerüsteten Kernkraftwerke wieder in Betrieb und verlängert ihre Laufzeiten. 10 Kernkraftwerke produzieren wieder Strom, sieben werden derzeit angefahren und zwei Neubauten sind geplant.
Was bleibt für Deutschland? Dass ein Tsunami in Japan mehr Reaktoren in Deutschland zerstören kann als im 10.000 Kilometer entfernten Japan.