Von Jesko Matthes.
Vorab: Als Westberliner des Jahrgangs 1966 gehöre ich zu den zweiten Weißen Jahrgängen, die nicht „gedient“ haben. Als ich mit 27 Jahren, nach Abschluss des Medizinstudiums, in die nun schon ehemalige alte Bundesrepublik zog und mich beim Kreiswehrersatzamt freiwillig meldete, sagte man mir, mit „einem so alten Mann“ könne man nichts anfangen. Erst mit 42 Jahren, nach Abschluss zweier Facharztausbildungen, bot man mir eine Tätigkeit in der Bundeswehr an; inzwischen hatte die Bundeswehr eine Vielzahl von Auslandseinsätzen übernommen, die ich durchaus kritisch sah. Ich wählte die Tätigkeit als Landarzt. Damit blieb ich der erste Mann meiner Familie seit etwa 200 Jahren, der nie die Uniform seines Landes trug. Wenn man mir also vorwirft, ich hätte keine Ahnung, so antworte ich: Ein Insider bin ich nicht. Kritik von außen muss ich daher genauso ertragen wie die Bundeswehr. – Auch die Kritik der eigenen Verteidigungsministerin?
Bei allen Aufgeregtheiten über den Fall des Offiziers Franco A., der sich als Asylbewerber registrieren ließ und mutmaßlich Terror plante, gerät nämlich der Fall selbst ins Hintertreffen. Anstatt diesen Fall aufzuklären, der auf unverständliche Weise im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zustande gekommen ist, das bei fundierter Arbeit das Verteidigungsministerium hätte warnen müssen, ist der Bundesregierung und insbesondere der Verteidigungsministerin offenbar eher daran gelegen, von diesem hanebüchenen Vorgang abzulenken und den Verdacht zu erhärten, nationalsozialistische Netzwerke hätten die Bundeswehr unterwandert. Sie selbst spricht öffentlich von „Säuberungen“.
Sollte dieser scheußliche Begriff in Anwendung auf die ihrer Führung unterstellte Berufsarmee eines demokratischen Rechtsstaates wirklich nötig sein, dann hätte nicht nur diese Verteidigungsministerin versagt, sondern zwei ganze Generationen an Verteidigungsministern vor ihr; die Leitlinien der Inneren Führung, des Staatsbürgers in Uniform und der Traditionspflege wären wirkungslos geblieben, spätestens seit 1982 unter Manfred Wörner, als der Traditionserlass der Bundeswehr in Kraft trat. Es wäre ein klassischer Grund für den Rücktritt der Verteidigungsministerin und einer der größten Skandale der Bundeswehr seit ihrer Gründung.
"Rückhaltlose" Aufklärung oder Aufklärung mir Rückhalt?
Zweimal war ich bisher im Panzermuseum Munster, übrigens auf einer empfehlenswerten, an einem einzigen Tag problemlos möglichen privaten Geschichtstour auch ins ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen und ins nahe gelegene Altensalzkoth, wo Adolf Eichmann sich bis zu seiner Flucht nach Argentinien unter falscher Identität als Kleinbauer versteckte. Da bleibt einem die Tradition im Halse stecken. Ein Besuch im Panzermuseum Munster zeigt allerdings, wie intensiv dort Wehrmachtsdevotionalien ausgestellt und wie sie kuratiert werden. Unter anderem kann man dort auch die Unterschrift Adolf Hitlers und die Uniform Erwin Rommels sehen. Historisch ist das hoch interessant, und es wird auf Schautafeln entsprechend eingeordnet; auf die Verbrechen der Wehrmacht wird hingewiesen. Auch Uniformen der NVA der DDR, bis in die offenen Rockaufschläge sehr nah an den letzten Modellen der Wehrmacht, kann man dort besichtigen.
Im Traditionserlass der Bundeswehr heißt es:
„22. Begegnungen im Rahmen der Traditionspflege dürfen nur mit solchen Personen oder Verbänden erfolgen, die in ihrer politischen Grundeinstellung den Werten und Zielvorstellungen unserer verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet sind. Traditionen von Truppenteilen ehemaliger deutscher Streitkräfte werden an Bundeswehrtruppenteile nicht verliehen. Fahnen und Standarten früherer deutscher Truppenteile werden in der Bundeswehr nicht mitgeführt oder begleitet. Dienstliche Kontakte mit Nachfolgeorganisationen der ehemaligen Waffen-SS sind untersagt. Nationalsozialistische Kennzeichen, insbesondere das Hakenkreuz, dürfen nicht gezeigt werden. Ausgenommen von diesem Verbot sind Darstellungen, die der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der politischen oder historischen Bildung dienen, Ausstellungen des Wehrgeschichtlichen Museums sowie die Verwendung dieser Kennzeichen im Rahmen der Forschung und Lehre.“
Und, weiter unten:
„25. Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist erlaubt. Es dient der Kenntnis und dem Interesse an der Geschichte und belegt, was gewesen ist. Die Art und Weise, in der wehrkundliche Exponate gezeigt werden, muss die Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang erkennen lassen. Die äußere Aufmachung muss diesen Richtlinien entsprechen.“
Inwiefern also in Kasernen gezeigte Exponate der Wehrmacht in diesem Rahmen gezeigt werden oder eventuell nicht gezeigt worden sind, gilt es für die Verteidigungsministerin zu ermitteln, bevor sie Verdächtigungen gegen die eigene Truppe als Vorverurteilungen veröffentlicht oder die eigene Historie hektisch entsorgen lässt. Das liefe trotz gegenteiliger Stoßrichtung auf nichts anderes heraus als auf den Schlussstrich, mit dem 1949 die frühe FDP für sich gewoarben hat. Verboten oder fragwürdig sind die genannten Exponate in der Bundeswehr nach deren Selbstverständnis und eigenem Bekenntnis also keineswegs, sie sind vielmehr umso nötiger, je mehr die Verteidigungsministerin öffentlichkeitswirksam den Kopf in den Sand stecken möchte. Aufklärung ist nötig, aber nicht wie üblich „rückhaltlos“, sondern mit dem Rückhalt der angemessenen historischen Einordnung. Woraus sonst soll ein deutscher Soldat lernen, was es heute bedeutet, ein deutscher Soldat zu sein?
Blick auf das Wachbataillon der Bundeswehr
Auch ein Blick auf das Wachbataillon der Bundeswehr lohnt sich. Man erkennt sofort, dass dort bereits formal Wehrmachtstraditionen gepflegt werden. Der Helm M92 ist eine Weiterentwicklung des Stahlhelms M35 der Wehrmacht, nur, dass er für das Wachbataillon in dunkelgrauem Hochglanz als Paradehelm ausgeliefert wird. Die Stiefel des Wachbataillons sind die letzten in der Bundeswehr getragenen „Knobelbecher“. Auf dem Feldzeichen des Schellenbaums sitzt nicht der Bundesadler, sondern ein modifizierter preußischer Adler. Zum „Präsentiert das Gewehr!“ wird nicht das G36 präsentiert, sondern der Karabiner 98k der Wehrmacht. Formal ist der „Große Zapfenstreich“ bis ins Detail eine Fortentwicklung des entsprechenden Wehrmachtszeremoniells. Dementsprechend sind also alle bisherigen Bundespräsidenten, Bundeskanzler und Verteidigungsminister unter Nutzung zeremonieller, optischer und akustischer Wehrmachtsdevotionalien verabschiedet worden.
Die Verteidigungsministerin dagegen agiert öffentlich unter Nutzung zeremonieller, optischer und akustischer Vorverurteilungen. - Wo also liegt der eigentliche Skandal im Fall des Franco A.? In der Bundeswehr allein oder auch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge?
Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern.