Während in Deutschland noch gehadert wird, wird in Bagdad gefeiert: Von Generalmajor Qassem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden des islamischen Revolutionsgardencorps (IRGC), wird keine Gefahr mehr ausgehen. Er wurde am Donnerstag bei einem US-Luftangriff im Irak getötet. In einer am späten Donnerstagabend (früher Freitagmorgen nach MEZ) veröffentlichten Erklärung teilte das Pentagon mit:
„Auf Anweisung des Präsidenten hat das US-Militär entschlossene Verteidigungsmaßnahmen ergriffen, um US-Personal im Ausland zu schützen, indem es Qassem Soleimani getötet hat, den Chef der von den USA als ausländische Terrororganisation eingestuften Quds-Truppe der Islamischen Revolutionsgarde.“
Zum Zeitpunkt der Operation sei General Soleimani „aktiv“ dabei gewesen, „Pläne zu entwickeln, um amerikanische Diplomaten und Angehörige der Streitkräfte im Irak und der gesamten Region anzugreifen“. General Soleimani und seine Quds-Truppe seien verantwortlich für den Tod von „Hunderten von Amerikanern und Verbündeten sowie für die Verwundung von Tausenden weiteren“. „In den letzten Monaten hatte er Angriffe auf Koalitionsstützpunkte im Irak durchgeführt – einschließlich des Angriffs am 27. Dezember [am 27. Dezember war ein amerikanischer Zivilist getötet und vier Soldaten verletzt worden, als proiranische Milizen eine amerikanische Luftwaffenbasis bei Kirkuk mit 30 Raketen angriffen; S.F.] – und dabei weitere Amerikaner und Iraker getötet und verwundet.“
Auch die jüngsten Angriffe auf die US-Botschaft in Bagdad habe General Soleimani persönlich genehmigt. Der Angriff auf Soleimani sei eine „Abschreckung gegen zukünftige iranische Angriffspläne“. Die Vereinigten Staaten würden „weiterhin alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um unser Volk und unsere Interessen überall auf der Welt zu schützen“, so das US-Verteidigungsministerium.
Kommandant des Terrors
Es ist kaum möglich, die Rolle zu überschätzen, die Soleimani im iranischen Terrorapparat gespielt hat. Er war der geniale Stratege, Organisator und Planer, dazu selbst Kommandant an den Frontlinien der Schlachtfelder, die die Islamische Republik überall auf der Welt eröffnet hat. Soleimani war als Führer der Revolutionären Garden verantwortlich für den Tod zahlloser Menschen im Iran selbst und in allen Ländern, die das Ajatollah-Regime als seine natürlichen Kolonien betrachtete. Dazu gehörten etwa der Libanon, den Soleimani mittels der von ihm mit aufgebauten Hisbollah beherrschte; Syrien, wo seine Revolutionsgarden mit Russlands Hilfe den Bürgerkrieg für das Assad-Regime gewannen; Irak, wo seine schiitischen Milizen seit Jahren Angst und Schrecken verbreiteten; und der Jemen, wo sich Soleimani auf die Huthi-Milizen stützte.
In den letzten Monaten hatte Soleimani immer wieder mit Terror Schlagzeilen gemacht: Bombenanschläge auf Öltanker im Golf von Oman, Drohnen- und Raketenangriffe auf Saudi-Arabiens Ölförderanlagen, zuletzt der Angriff schiitischer Milizen auf die US-Botschaft in Bagdad. Libanon, Syrien und der Irak waren für Soleimani nichts anderes als Aufmarschgebiete. So sagte er am 7. Oktober 2019 im iranischen Kanal 1:
„Das IRGC [die Revolutionsgarden; S.F.] hat den Widerstand sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht erweitert. Es hat den Widerstand von einem geografischen Gebiet von 2.000 Quadratkilometern im Südlibanon auf ein Gebiet von einer halben Million Quadratkilometern ausgeweitet. Amerika und das zionistische Regime konzentrieren ihre Bemühungen darauf, die qualitative Expansion zu stoppen. Der zweite Punkt ist, dass das IRGC territoriale Kontinuität für [die verschiedenen Teile] des Widerstands geschaffen hat. Es hat den Iran mit dem Irak, den Irak mit Syrien und Syrien mit dem Libanon verbunden.“
Von Scharfschützen ermordet
Gegen diejenigen, die sich seinen Plänen widersetzten, ging Soleimani mit brutaler Gewalt vor. Hunderte zumeist jugendliche Demonstranten, die in Bagdad gegen Misswirtschaft und Korruption protestierten, wurden von Scharfschützen ermordet. Das geschah offenbar auf Soleimanis Anweisung. Anfang Oktober 2019 reiste er persönlich nach Bagdad, um die Demonstrationen niederzuschlagen. MENA Watch übersetzte damals einen Bericht von Arab News, der unter Berufung auf Zeugen meldete, dass die Milizen, die auf die Demonstranten schossen, Soleimani direkt unterstellt seien. Weiter hieß es darin:
„‚Der General ist vor ein paar Tagen persönlich nach Bagdad gereist, um die Krise zu bewältigen‘, sagte ein hochrangiger Sicherheitsbeamter in Bagdad. ‚Er gab den Befehl, mit den Demonstranten brutal umzugehen und sie sogar zu töten, um Angst und Terror in die Herzen der anderen zu säen.‘ ‚Auf seinen Befehl hin wurden irakische Sicherheitsbeamte (von dem Einsatz bei den Protesten) ausgeschlossen, das Internet wurde blockiert, die meisten lokalen Journalisten, die über die Demonstrationen berichteten, wurden bedroht und einige heimische und arabische Satellitenfernsehsender wurden in Brand gesteckt.‘“
Ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom 31. Oktober stützte diese Darstellung:
„Soleimani, dessen Quds-Truppe von Teheran unterstützte Milizen im Irak, in Syrien und im Libanon koordiniert, ist ein häufiger Besucher im Irak. Sein direktes Eingreifen ist jedoch das jüngste Zeichen für den zunehmenden Einfluss des Iran im Irak und in der gesamten Region. Zu Beginn dieses Monats teilten irakische Sicherheitsbeamte Reuters mit, dass von Iran unterstützte Milizen Scharfschützen auf Bagdads Dächern stationiert hätten, um bei der Niederschlagung der Proteste zu helfen.“
„Krieg ist eine große Schule für Liebe“
Soleimani war ein Mann der (terroristischen) Tat, aber immer auch einer der schwülstigen Rhetorik. Am 20. April 2014 sagte er:
„Es gibt keine größere [Quelle] für Stolz auf dieser Welt als das Martyrium. Die Märtyrer des Iran-Irak-Krieges hatten eine sehr einflussreiche Persönlichkeit, ähnlich der des Imam Khomeini. In unserem Land wurde dieser Krieg zu einer großen Schule für die Schaffung des Menschen. Krieg hat die islamische Revolution vollendet, und die Märtyrer leben für immer. Krieg ist eine große Schule für Liebe, Moral, Loyalität und Mystik.“
Am 14. September 2019, kurz nach den Anschlägen auf die saudi-arabischen Ölanlagen, sagte er in einem über Twitter verbreiteten Video:
„Wir sind die Nation des Martyriums … Unsere Siege an allen Fronten wurden durch das Festhalten an der Kultur von Imam Hussein [Enkel des Propheten Mohammed und dritter Imam der Schiiten; S.F.] garantiert. Heute folgt Ansar Allah [die Huthi-Milizen; S.F.] im Jemen dem Weg von Imam Hussein und seine. Heute holt sich auch die PMU [schiitische Miliz im Irak; S.F.] Inspiration und Widerstandskraft aus dieser wertvollen Position.“
Das Video endete mit einem Blick auf den Jerusalemer Felsendom, der in einem Fernglas erscheint. Am 30. Juli 2018 schilderte Soleimani, an US-Präsident Trump gewandt, wie dieser ihn in seinen Träumen verfolge. Kombiniert war das mit einer Drohung:
„Es vergeht keine Nacht, in der wir im Schlaf nicht an Sie denken. Lassen Sie mich Ihnen sagen, Mr. Trump, der Spieler … Lassen Sie mich Ihnen sagen … Sie sollen wissen, dass wir in Ihrer Nähe sind, an Orten, die Ihnen nicht in den Sinn kommen. Wir sind in Ihrer Nähe, an Orten, die Sie sich nicht vorstellen können. Wir sind eine Nation des Martyriums. Wir sind die Nation von Imam Hussein. Erkundigen Sie sich. Kommen Sie, wir warten auf Sie.“
Im Oktober 2018 beeindruckte Soleimani seinen obersten Führer, Ajatollah Khamenei, mit einer Choreografie. Seine Kämpfer stellten sich so auf, dass ihre uniformierten Körper das Bild des Weißen Hauses mit dem Davidstern auf der Spitze ergaben, womit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass das Weiße Haus von Juden bzw. von Israel kontrolliert werde. Dann ließen sie es in ihrer Choreografie einstürzen. Im Video ist zu sehen, wie Khamenei beifällig nickt.
Ein historisches Vorbild
Als das iranische Regime im Juni eine Drohne des amerikanischen Militärs über der Straße von Hormuz abschoss, hatte US-Präsident Donald Trump die Möglichkeit, Vergeltungsaktionen zu befehlen. Presseberichten zufolge erwog er es, entschied sich dann aber dagegen, weil die unschuldigen Opfer es nicht wert gewesen wären. Auch auf die iranischen Anschläge auf Tankschiffe und Saudi-Arabiens Ölanlagen reagierte er nicht.
Rückblickend zeigt sich die Weisheit dieser Entscheidung. Zum einen bekam das iranische Regime auf diese Weise noch einmal die Möglichkeit, von seinen Provokationen abzulassen – was es freilich nicht tat, wie vorauszusehen war.
Der wichtigere Unterschied zwischen einer hypothetischen damaligen Vergeltung und dem jetzigen Schritt ist, dass alles, was die USA damals hätten tun können, rein symbolisch gewesen wäre. Die jetzt erfolgte Tötung Soleimanis hingegen trifft einen der Hauptschuldigen, ist aber mehr als nur ein Akt rückwirkender Gerechtigkeit. Mit Soleimanis Tod ist dem Teheraner Terrorapparat wie auch dem Militär auf dem traditionellen Schlachtfeld der wichtigste Denker, Planer und Befehlshaber verlorengegangen. Seine Fähigkeiten wurden dadurch geschmälert.
Alle Anschläge, die Khamenei in Zukunft verüben will, muss er ohne Soleimani durchführen lassen, wodurch sie wahrscheinlich weniger effektiv sein werden. Der Kommandant des Terrors wurde ausgeschaltet. Weil Soleimani in seinem Metier offensichtlich hochbegabt war, wird er nicht leicht zu ersetzen sein.
Auf das stärkste Pferd setzen
Die Aktion erinnert an eine der bekanntesten Szenen der amerikanischen Militärgeschichte. Bei der Schlacht von Bemis Heights in Saratoga bei New York standen sich am 7. Oktober 1777 die britischen Truppen und die aufständischen Amerikaner gegenüber. Die Briten wurden von Brigadegeneral Simon Fraser angeführt. Ähnlich wie Soleimani war Fraser ein großer Stratege und gleichzeitig immer nah an der Front. Der amerikanische Oberst Benedict Arnold ritt zu seinem General und sagte: „Dieser Mann [Fraser] ist soviel wert wie ein Regiment.“ General Morgan befahl, Scharfschützen auf Fraser anzusetzen.
Timothy Murphy, ein irischstämmiger Scharfschütze aus Pennsylvania, erschoss Fraser aus angeblich fast 300 Metern Entfernung, der Schuss gilt vielen Historikern als der folgenreichste der Militärgeschichte. Denn als ihr Anführer vom Pferd stürzte, flohen die britischen Truppen, die Amerikaner gewannen die Schlacht; das überzeugte den König von Frankreich davon, dass sie gegen die Briten eine Chance haben könnten, und bewog ihn, ihnen Unterstützung zu schicken. Die Schlacht von Saratoga gilt als der Wendepunkt im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg.
Die Tötung Soleimanis könnte für den Nahen Osten ebenso folgenreich sein. In der nahöstlichen Kultur geht es bei Allianzen darum, auf das stärkste Pferd zu setzen: sich mit dem zu verbünden, der echte Macht hat und seine Bündnispartner in die Lage versetzen kann, Schlachten zu gewinnen. Über viele Jahre waren die Vereinigten Staaten in der Region nicht sehr populär, der Iran hingegen auf dem Vormarsch, weil amerikanische Präsidenten als schwach galten, Soleimani hingegen als das stärkste Pferd. Das ist er nun nicht mehr.
Weitere Schritte müssen folgen
Um das Heft in der Hand zu behalten und die Ajatollahs zurückzudrängen, muss Amerika aber mehr tun. Es muss seine Verbündeten stärken und seine Feinde in Angst versetzen. Zu oft haben amerikanische Präsidenten in der Vergangenheit das Gegenteil getan. Jetzt, wo Amerika angefangen hat, seinen Feinden Respekt einzuflößen, darf auch der zweite Teil nicht vergessen werden: Diejenigen im Nahen Osten, die Freiheit wollen und Sympathien für die Vereinigten Staaten haben, bedürfen der Unterstützung – angefangen bei der iranischen Bevölkerung und all jenen Irakern, die seit Monaten öffentlich und unter Einsatz ihres Lebens gegen den iranischen Kolonialismus demonstrieren.
Dass Amerikas Feinde nun gespürt haben, dass es den Nahen Osten doch noch nicht verlassen hat, ist gut – aber es reicht nicht. Auch Amerikas Freunde müssen sich sicher sein, dass das stärkste Pferd an ihrer Seite ist. Das wird sie ermutigen, sich gegen das Diktat der Ajatollahs zu erheben, auch im Iran selbst.
Was am Donnerstag in Bagdad wieder einmal bestätigt wurde, ist die biblische Weisheit: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Das Ajatollah-Regime war sich sicher, dass es unbesiegbar sei und Amerika „viel zu schwach“, als dass es irgendetwas gegen die immer dreisteren Angriffe Irans auf Amerika und seine Verbündeten unternehmen könne.
So sicher war sich Soleimani, dass er in den Irak reiste, um dort persönlich Abu Mahdi al-Muhandis zu treffen, den stellvertretenden Führer der proiranischen Hashd-al-Shaabi-Milizen, der als „Irans Mann in Bagdad“ galt. Man kann mutmaßen, dass es ihm darum ging, weitere Angriffe auf US-Ziele zu besprechen. Soleimani handelte wohl deshalb so sorglos, weil der Irak aus Sicht Teherans schon gar kein Ausland mehr ist, sondern ein Teil des Iran. Im Iran aber wäre Soleimani wohl nichts passiert. Übermut und Größenwahn kosteten ihn das Leben.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Mena-Watch.