Peter Grimm / 22.09.2022 / 06:25 / Foto: Mini Misra / 91 / Seite ausdrucken

Genossen der Zukunft

Die Schlagzeile, wonach ein Berliner SPD-Kreisverband erreichen will, dass schon Siebenjährige ihr Geschlecht selbst bestimmen, hat sicher jeder schon gelesen. Aber der Antragstext hat noch mehr Einblicke in das Weltbild dieser Genossen zu bieten.

Berlin versteht sich ja bekanntlich gern als Vorreiter des gesellschaftlichen Fortschritts. Da hat die deutsche Hauptstadt ja auch einige Erfolge vorzuweisen. Was böse Zungen als Zeichen des Staatsverfalls werten, ist vielleicht einfach nur ein nachhaltigerer Abschied von der alten Normalität, in der der Staat vordringlich bestimmte Aufgaben erfüllte und für eine funktionierende Infrastruktur sorgte, gar versprach, sich dabei an den Bedürfnissen der Bürger zu orientieren. Aber wenn die Bürger Bedürfnisse haben, die nicht zum fortschrittlichen Weltbild der Regierenden passen wollen, dann möchten heutige Verantwortungsträger dem nicht einfach nachgeben, sondern die Bürger lieber zum richtigen Leben drängen. Wozu sonst gibts denn die Möglichkeit viele schöne neue Vorschriften, Verbote und Regeln zu erfinden?

Die SPD ist in Berlin ja so etwas wie eine Dauerregierungspartei, trotz eines nur noch mäßigen Zuspruchs beim Wähler. Das macht aber nichts, denn bei der Organisation von Wahlen hat sich die Hauptstadt ja bekanntlich vor einem Jahr auch schon von der alten Normalität eines westlichen Gemeinwesens verabschiedet und ließ selbige im organisatorischen Chaos versinken. Dass die Hauptstadt-Regierung damit nicht ganz so mustergültig demokratisch legitimiert ist, scheint selbige nicht weiter zu bekümmern. Warum auch? Es fragt ja kaum noch jemand danach.

Unterdessen kümmert sich in der hauptstädtischen SPD die Basis der Partei nicht nur um die langweiligen Alltagsaufgaben im Gemeinwesen, wie das die Genossen früherer Generationen noch taten, sondern sie kümmern sich stattdessen lieber um noch mehr Fortschritt. Auch der Kreisverband Schöneberg-Tempelhof will da in der Gruppe der Vorreiter mitspielen und hat sich dafür ein geeignetes Betätigungsfeld gesucht. Es gibt nun bald das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, mit dem trotz des Namens bekanntlich nicht die Selbstbestimmung der Bürger bei der Gestaltung ihrer eigenen Lebensumstände gestärkt werden soll, dafür aber jedem, der sich seines Geschlechts nicht ganz sicher ist, die Gelegenheit geben wird, selbiges ein Mal im Jahr zu wechseln. Und niemand darf einen Geschlechtswechsler daran erinnern, also die neue Identität ist besonders geschützt.

Keine verkürzte Darstellung

Aber das ist natürlich zu wenig. Sie haben es ja vielleicht auch schon andernorts gelesen, dass die Schöneberger und Tempelhofer Genossen beschlossen haben, beim nächsten SPD-Parteitag zu beantragen, dass sich ihre Regierungspartei für eine Ausweitung der Geschlechtswechselmöglichkeit auch auf Siebenjährige einsetzen soll. Das ist nicht falsch, aber diese verkürzte Darstellung unterschlägt die fortschrittliche Komplexität des Antrags. Werfen wir also noch einmal einen Blick in den Antragstext. Dort beschreiben die Genossen in stilsicherer Ideologen-Sprache, was sie sich vorstellen. Tauchen wir also ein in die Vorstellungswelt eines Berliner SPD-Kreisverbandes, die alle Mängel des gegenwärtigen Gesetzentwurfs folgendermaßen beseitigt wissen will:

„Auch Menschen, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben, müssen das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen können. Die derzeit übliche Prüfung, ob das Recht des Heimatstaats eine vergleichbare Regelung kennt, verursacht unnötigen und zeitraubenden Bürokratieaufwand.

    Auch die Anpassung geschlechtsspezifischer Nachnamen soll in das Selbstbestimmungsgesetz aufgenommen werden. Wenn ein trans* Mensch einen Namen mit geschlechtsspezifischer Endung führt, wie es z.B. in nord- und osteuropäischen Ländern verbreitet ist, würde es andernfalls zu einer sinnwidrigen Diskrepanz zwischen Vor- und Nachnamen kommen.

    Auch bei Minderjährigen unter 14 Jahren soll das Familiengericht eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen können, wenn die Sorgeberechtigten die Zustimmung zur Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag verweigern. Im familiengerichtlichen Verfahren ist sicherzustellen, dass ein*e Verfahrensbetreuer*in bestellt wird, die mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraut ist.

    Bereits ab Vollendung des siebten Lebensjahres sollen Minderjährige die Erklärung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbst abgeben, wie es im Eckpunktepapier bereits für Minderjährige ab 14 Jahren vorgesehen ist. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, hier von den allgemeinen Regelungen zur Geschäftsfähigkeit Minderjähriger (§§ 104 ff. BGB) abzuweichen.

    Das Standesamt soll von Amts wegen das Familiengericht anrufen, wenn ein*e Minderjährige*r die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag verlangt und die Sorgeberechtigten auch nach Aufforderung durch das Standesamt keine Zustimmung erteilen.

    Sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Familiengericht müssen verpflichtet sein, die Wünsche eines minderjährigen Kindes bezüglich des eigenen Namens und Geschlechtseintrags vorrangig zu berücksichtigen. Bei entsprechender Reife muss die Entscheidung in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fallen. Daher muss auch die Altersgrenze für eine eigenständige Entscheidung ohne Beteiligung der Eltern abgesenkt werden.

    Ergänzend zum Offenbarungsverbot, das mit § 5 TSG bereits Teil der geltenden Rechtslage ist, ist eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, wonach Menschen nach Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag einen gesetzlichen Anspruch gegen private und öffentliche Stellen auf Ausstellung von Dokumenten, Zeugnissen und anderen Bescheinigungen mit den neuen Personendaten haben.

Das Selbstbestimmungsgesetz soll darüber hinaus nur Erleichterungen für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag enthalten. Um die Lebenssituation von trans* Menschen wirksam zu verbessern, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende zusätzliche Maßnahmen einzusetzen und diese zeitnah in die Wege zu leiten:

    Um trans* Menschen zu unterstützen und in die Lage zu versetzen, ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, ist die in den Eckpunkten vorgesehene Stärkung von Beratungsangeboten besonders wichtig. Insbesondere für Minderjährige sind niedrigschwellige spezialisierte Anlauf- und Beratungsstellen auszubauen, abzusichern oder neu zu schaffen, die diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen und während des Verfahrens, das das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, begleiten können. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine qualifizierte Beratung ist zu prüfen. Weiterhin ist zu prüfen, ob Sorgeberechtigte von trans* Kindern zur Wahrnehmung einer Beratung verpflichtet werden können."

Überwundenes Relikt

Wer an dieser Stelle noch nicht genug aus dieser Ideenwelt gelesen hat, kann hier weiterlesen. Manch Ältere haben vielleicht noch eine antiquierte Vorstellung von einer deutschen Sozialdemokratie im Kopf, die sich um Bildung, Aufstiegschancen der „kleinen Leute", sozialen Ausgleich und bei all dem dennoch die Bewahrung des gesunden Menschenverstandes bemühte. Tatsächlich gab es ja auch mal eine SPD, die sich weitgehend von Ideologien mit Umerziehungsanspruch fernhalten wollte. Aber das ist auch so ein in der Hauptstadt längst überwundenes Relikt aus der alten Welt.

Foto: Mini Misra

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Kai Sinn / 22.09.2022

“Wenn ein trans* Mensch einen Namen mit geschlechtsspezifischer Endung führt,” Ja,da hat D. auch mal wieder nicht mitgedacht und erlaubt Ausländern diesen Namen zuführen(Die Frau von Herr Kowalski heisst in Polen Kowalska)obwohl es das hier nicht gibt.Kein Problem meinen sie?Und was ist wenn die geschiedene Kowalska noch einen Sohn bekommt?Der hat dann einen FRAUEN-Nachnamen und wird in Polen zur Lachnummer. Und beim Erben dürfte es auch Schwierigkeiten geben,schliesslich ist es nicht der selbe Name. Ausserdem sieht man in Deutschland immer mehr komische Zeichen unter und über Buchstaben die es im deutschen überhaupt nicht gibt,auch bei Leuten mit deutschem Pass obwohl der Name doch eingedeutscht wird.Was soll das?Niemand weiss wie das ausgesprochen werden soll.

Block Andreas / 22.09.2022

@Claudius Pappe…der M. Ginter kickt ja auch in Freiburg…das sagt doch schon alles…die Freiburger opfern ja sogar ihre weibliche Jugend für den “Willkommenswahn”....

Andreas Berlin / 22.09.2022

Ganz entspannt: mit sieben Jahren können die doch noch nicht einmal das sicherlich notwendige Formular ausfüllen…. Bis man in Berlin lesen und schreiben kann, ist man schon volljährig!

Ralf Berzborn / 22.09.2022

es scheint einen überparteilichen Wettbewerb zu geben , wer das meiste Holz sammelt , um den Frosch zu kochen , und damit von den Problemen ( Entschuldigung “Herausforderungen ” ) ausserhalb des Topfes abzulenken .

Hartmut Laun / 22.09.2022

Wenn die Genossen weiter nach wichtigen Forderungen suchen, warum dann nicht die Forderung, dass jeder Bürger, wenn er Lust dazu hat, seine Notdurft dort verrichten darf, wo er gerade das Bedürfnis dazu verspürt, auf den Gehweg, den Fahrdamm, den Bahnsteig, in den Hausflur e.t.c?

Horst Jungsbluth / 22.09.2022

Also von der Schöneberger SPD ist man Irrsinn seit Jahrzehnten gewöhnt, da hat damals die Stasi erheblichen Einfluss genommen, bei der Tempelhofer hat wohl der “Regierende Partymeister” eher seine DNA hinterlassen. Das Grundgesetz räumt in Artikel 21 (1) den Parteien “lediglich ein Mitwirkungsrecht bei der Willensbildung des Volkes ein”  und ich frage ich, ob es mit unserer Bildung so schecht steht, dass nicht einmal Politiker richtig lesen können. Offenkundig, denn ich erinnere mich urplötzlich daran, dass ich bereits in den neuziger Jahren der damaligen Berliner Parlamentspräsidentin Laurien ein Brille zugesandt habe und sie in dem beigefügten Schreiben gebeten habe, sie möge doch diese an die Mitglieder des Berliner Petitionsausschusses weiterleiten, da diese “des Lesens nicht kundig sind” und sie auch aufgefordert als ehemalige Lehrerin denen Nachhilfeunterricht zu erteilen. Eines weiß ich mit Sicherheit, Frau Laurien hat mir diese Aktion nicht übelgenommen, andere umso mehr.

Reinhard Schilde / 22.09.2022

Ohne Worte, was für wohlstandsverblödete Spinner, die haben den Schuss echt nicht gehört. Eigentlich ein Fall für die geschlossene Abteilung in der Irrenanstalt. Ach ja, hätte ich ja fast vergessen, eine Irrenanstalt ist Berlin ja schon.

Dr. Klaus Schmid / 22.09.2022

Die Geschichte wird einfach über diese lebensfernen Knalltypen hinweggehen, robustere Kulturen werden diese Schneeflöcken wegschmelzen lassen. Und Deutschland als Episode der Weltgeschichte gleich mit. Mir tun nur die Zeitgenossen leid, die zwangsläufig und unverschuldet hierbei mit unter die Räder kommen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 18.05.2024 / 11:00 / 29

Dendi und Dinka für Deutschland

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mag mit seinen eigentlichen Aufgaben zuweilen überfordert sein, aber um weltweite Sprachpflege scheint es sich engagiert zu kümmern. „Den Menschen…/ mehr

Peter Grimm / 14.05.2024 / 11:00 / 132

Demokratie gefährdendes Irrlicht nach dem AfD-Urteil

Was bedeutet es, wenn ein CDU-Politiker wie Marco Wanderwitz (Foto) erklärt, eine „bedrohliche“ Partei nicht mehr „auf politischem Weg kleinbekommen“ zu können und deshalb nach…/ mehr

Peter Grimm / 09.05.2024 / 06:15 / 122

Sind normale Bürger Gewaltopfer minderer Güte?

Wer „demokratischen“ Politikern Gewalt antut, soll härter bestraft werden, als wenn er den gemeinen Bürger angreift? Welch undemokratische Idee. Selbst als es für Politiker der…/ mehr

Peter Grimm / 08.05.2024 / 06:15 / 61

Die CDU feiert Parteitag

In Berlin sollen ein neues Grundsatzprogramm und schöne Reden den einen zeigen, dass die Merkel-CDU Geschichte ist und den Merkelianern das Gegenteil beweisen. Und alle…/ mehr

Peter Grimm / 06.05.2024 / 10:00 / 103

Politik für ausgewählte Gewalttaten?

Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Europaparlamentarier in Dresden rufen die Regierenden wieder zum „Kampf gegen rechts“, und die Innenministerin will mit „Maßnahmen“ reagieren. Die…/ mehr

Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / 29

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab…/ mehr

Peter Grimm / 01.05.2024 / 06:00 / 52

Durchsicht: Grenzen der Ausgrenzung

Die AfD solle nicht mehr zum städtischen Gedenken an NS-Verbrechen eingeladen werden, forderten die Grünen im Leipziger Stadtrat, und sorgten für eine interessante Debatte. / mehr

Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com