Vera Lengsfeld / 09.10.2021 / 06:25 / Foto: Instagramm / 119 / Seite ausdrucken

„Geht noch mal in die Schule, ihr Pfeifen!“

Was wir in dieser Woche erleben mussten, war eine Offenbarung an Ahnungslosigkeit, die nur übertroffen wurde vom politikfernen Geschwurbel der Polit-Akteure, die unser Land in den nächsten vier Jahren regieren wollen.

Es geht damit los, dass eine Dreierkoalition als absolute Neuheit in der Geschichte der Bundesrepublik verkauft wurde, ohne dass es einen Aufschrei in den Haltungsmedien dazu gab. Die rühmliche Ausnahme war MDR-Kultur, wo Peter Zudeick freitags einen satirischen Wochenrückblick auf das politische Geschehen gibt und richtig resümiert: „Geht noch mal in die Schule, ihr Pfeifen!“.

Oder nehmt wenigstens Nachhilfeunterricht in Geschichte. Denn Deutschland hat keineswegs „erstmals eine Bundesregierung mit drei Bündnispartnern“ (Armin Laschet), noch ist es „die besondere Herausforderung“, dass es noch „nie ein Dreierbündnis gegeben hat“ (Annalena Baerbock). Die gravierende Unkenntnis unserer führenden Politiker fällt kaum noch jemandem auf, weil inzwischen auch Politikwissenschaftler meinen: „Kann es zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesregierung eine Dreierkoalition richten, kann sie wirklich etwas leisten?“

Was für eine entlarvende Frage: Dreierkoalitionen gab es am Beginn der Bundesrepublik: Von 1949 bis 1953 eine Koalition von Union, FDP und DP (Deutscher Partei), 1953 bis 1955 Union mit FDP, DP und GB/BHE, was immer das war. 1955 bis 1956 und 1956 bis 1957 mit FDP und DP. Diese bewegten Jahre der Regierungen Adenauer legten den Grundstein für den rapiden Aufstieg Deutschlands aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges, während die bräsigen Jahre der Merkelregierungen Stillstand und Abstieg bedeuteten. Armin Laschet war der Einzige, der offen ausgesprochen hat, dass Deutschland zu einem Sanierungsfall geworden ist, mittlerweile scheinen alle zu ahnen, welchen Berg an ungelösten Problemen die Merkeljahre hinterlassen haben. 

„Wenn die Schraube schräg einsetzt, dann wird sie nie wieder gerade“

Aber unsere Politiker wären nicht das, was sie sind, wenn diese Probleme irgendeine Rolle in Ihren Äußerungen über die „Sondierungsgespräche“ für eine zukünftige Regierungskoalition gespielt hätten. Stattdessen herrschte viel Lärm um nichts. Oder eine Woche heiteres Koalitionsraten. Ampel oder Jamaika – das war die Frage, auf die mit Nullsätzen reagiert wurde.

So äußerte sich der FDP-Generalsekretär nach den Gesprächen mit der SPD: „Klar ist, dass es Klippen gibt“. Handelte es sich um einen Ausflug ans Meer? Und nach Gesprächen mit der Union: „Inhaltlich gibt es wenig Klippen“. Aha, aber warum dann die Bereitschaft der FDP, mit der klippenbehafteten SPD weiter zu sondieren und keine „Parallelgespräche“ mit der Union mehr zu führen?

Sind die Grünen trotz oder wegen der Klippen zu „dem Schluss gekommen, dass es sinnvoll ist, vertieft mit der SPD und der FDP“ zu verhandeln (Baerbock)? Klar, denn „Regieren ist besser als nicht regieren“ ( Baerbock). Und die Grünen waren den ersehnten Pfründen vor vier Jahren schon einmal so nahe, dass sie bereits „Wir hier oben, Ihr da unten“ vom Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft gespielt haben – bis zum Absturz. Der soll sich auf keinen Fall wiederholen, deshalb haben sie auch durchblicken lassen, dass sie nicht auf Tempo 130 auf deutschen Autobahnen bestehen werden. Der Verzicht auf die einfachste und billigste Klimaschutzmaßnahme soll kein Koalitionshinderungsgrund sein. 

Hat Robert Habeck das gemeint, als er sagte: „Wenn die Schraube schräg einsetzt, dann wird sie nie wieder gerade“? Egal, Hauptsache jeden konkreten Bezug vermeiden. Politiker, so Habeck, hätten immer nach „Schnittmengen“ gesucht, vermutlich meint er damit politische Übereinstimmungen in Bezug auf zu lösende Probleme. „Wir haben jetzt vor allem gesucht nach Dynamiken und wenn wir Bewegung in dieses Land bringen, dann schadet es sicher gar nichts.“

Welche Dynamiken, wohin die Bewegung?

Das war ein Satz beinahe im berüchtigten Merkel-Deutsch. Welche Dynamiken, wohin die Bewegung? Und wieso „schadet es sicher gar nichts“? Sind Politiker nicht zuvörderst dafür da, Schaden vom deutschen Volk, oder, wenns neudeutsche politische Korrektheit sein soll, der Bevölkerung abzuwenden? 

Der Philosoph und Buchautor Habeck hat sich in dieser Woche zum Champion der Nullaussagen entwickelt. Als er eine Ampel-Koalition für denkbar erklärte, glaubte er hinzusetzen zu müssen: „Denkbar heißt ausdrücklich, dass der Keks noch nicht gegessen ist“. Dabei hätte er  aus dem Englisch-Unterricht wissen müssen: „The proof of the pudding is in the eating“. Heißt: Wer den Keks nicht gegessen hat, weiß nicht, ob er schmeckt, oder wenigstens bekömmlich ist.

Irgendeiner von der Union hat noch gesagt, dass die Gespräche „spannender Denksport“ gewesen seien. Das hat Zudeick passend kommentiert: „Denksport in der Politik? Das kann nichts werden“. Recht hat er, aber seit Kohl wissen wir: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Zwar kam die geistig-moralische Wende schon damals nicht und ist heute noch weniger zu erwarten. Aber am Ende gibt es eine Koalition, welche, ist egal, denn die „Pfeifen“ (Zudeick) sitzen überall.

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Petra Wilhelmi / 09.10.2021

Wie recht Sie haben, Frau Lengsfeld. Der FDP wird Pillepalle gegeben und die freuen sich, wieder Pöstchen haben zu können. In der Regierung werden sie sowieso nichts zu sagen haben, da Linksgrün überwiegt. Sie sind das Feigenblättchen, mit denen man die FDP-Wähler einlullt.——————————- Der nächste Satz hat nichts mit dem Artikel zu tun.——————- —————————————— PS: Übrigens, Danke Achgut, ich habe immer gedacht, dass hier NICHT zensiert wird. Also habe ich jetzt dazugelernt, dass auch hier die Zensurschere benutzt wird, wenn über Israel die Meinung gesagt wird. Ist die Wahrheit heute auch antisemitisch? Ich bin sehr enttäuscht.

Richard Kaufmann / 09.10.2021

@ Jochen Lindt: Annalena wäre um Faktor 100 schlimmer, auch wenn man es kaum glaubt. Oder möchten Sie Ihr Auto verschrotten und Rischka fahren? Und Ihr Handy am Kerzenlicht aufladen? Und sie kommt, sie kommt ja durch die Hintertür, Merkel hat ihr ja in der Wahlkampagne den Weg geebnet. Und der “Bückling” aus Bayern half bis zuletzt kräftig mit.

Reiner Eckermann / 09.10.2021

GB/BHE: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertiebenen und Entrechteten. Das wissen die Leute heute nicht mehr, die haben ja auch keine Ahnung, welche Aufbauarbeit damals geleistet werden mußte. Und sie haben keine Ahnung von Deutscher Geschichte, wird in der Schule ja auch nicht mehr gelehrt.

Uwe Manns / 09.10.2021

Jochen Lindt schrieb, alles ist besser als Merkel, mal sehen, es kann noch schlimmer werden. Diese Regel ist oft schon eingetroffen. Merkel hat uns an den Abgrund geführt, die nächste Regierung wird dann trittsicher den nächsten folgerichtigen Schritt machen. Ich frage mich, warum die Wähler tatsächlich diese Loser-SPD auf den 1. Platz gehoben haben. War es der treuherzige Dackelblick von Olaf? War es das Gelächter von Armin, während unser Staatsoberhaupt eine seiner berühmten Reden hielt. Wollen tatsächlich 26,4% + 14% + 5% volkseigene Wohnsilos, Lastenfahrräder, Windräder und Stromsperren. Oder Söder und natürlich auch Merkel haben sie an Armins Thron gesägt. Merkel allein schon ob der verbrannten Erde, dem gespaltenen Land das sie jedem Nachfolger hinterlasst. Es waren sicher nicht die Qualitäten einer Partei oder irgendeinem Kandidaten. Eher das allerkleinste Übel wurde in der Summe gewählt. Mal sehen was aus den dubiosen Aktivitäten und Gedächtnisverlusten unseres neuen Bundeskanzlers wird. In Österreich funktioniert wenigstens noch die Justiz, sie haben keine Angst vorm Bundeskanzler. Die nächsten Jahre werden sicher turbulent.

Jutta Schäfer / 09.10.2021

Wer hätte auch in den Reihen dieser Larifari-Schwätzer so etwas wie Bildung vermutet? Die Ampel-Intelligenzbestien werden uns absehbar gegen die Wand fahren. Geliefert wie bestellt, liebe deutsche WählerINNEN.

Richard Loewe / 09.10.2021

hab ich was verpaßt, Frau Lengsfeld? Sie haben doch fleißig die Wahltrommel für die CDU geschlagen und jetzt sind das alles Pfeifen? Sind Sie der AfD beigetreten? Wär super., wir können Sie da sehr gut gebrauchen.

G. Böhm / 09.10.2021

Nachtrag 1 - @ Claudius Pappe: Herles formuliert ja 10 Paradoxa. Eigentlich sind seine Feststellungen schon lange in dem Satz subsumiert: Das Nichtnormale ist das neue NORMAL. Selbst wenn alles im Augenblick noch relativ folgenlose Rhetorik ist, meine ich, daß Ihre Landsleute die Konsequenzen überhaupt nicht absehen. Vermutlich wird es nicht mehr lange dauern und die Ampel wird in Funktion gesetzt, was Rot und Grün im Konkreten dann bedeutet, kann man schon jetzt in deren Programmatik nachlesen, Gelb ist eine eigentlich unbedeutende Ampelfunktion, die lediglich hinweist, daß die Hauptfarbe wechselt. Schaut man im Grünen Manifest nach, steht u. a. geschrieben, daß es in der Perspektive Strom, also Elektroenergie, nach Angebot geben wird. Wer da meint, daß es dabei nur um ein Wechselspiel zwischen Licht und Wind handele, der täuscht sich sehr. Etwas NEUES ist dies ebenso nicht, alles schon bekannt und tatsächlich praktiziert in der besten Demokratischen Republik Deutschlands aller Zeiten. Kohle, das hauptsächliche Heizmittel, gab es auf Gutschein in begrenzter Menge zum festen Preis. Was über das Angebot hinaus ging, mußte zu hohem Preis erworben oder sonstwie organisiert werden. Auch Strom und Gas waren quasi rationiert, durch begrenzte erforderliche Gerätezulassungen. Brauchte ein Hausbesitzer ein paar Essenziegel, um den Schornstein zu sanieren, war ein Bilanzanteil erforderlich, was keineswegs heißt, daß man dann welche bekam. Selbst der Erwerb einer Badewanne unterfiel der Obhut der Gemeindeverwaltung, und in dieser wurden natürlich die Social-Points, wie man heute modernistisch sagt, zusätzlich geprüft. Dies war die Situation nicht unmittelbar nach dem Kriege, sondern in der zweiten Hälfte der vergangenen achtziger Jahre in der Republik. - Auch wenn es sarkastisch klingen mag, die Zeit scheint nicht mehr fern, daß nach Corona ähnliche Verhältnisse, natürlich trendy-gendy neu formuliert, einkehren werden. Ich lache schon jetzt über Ihre Landsleute.

Silas Loy / 09.10.2021

Die Ampel wird wohl auch die FDP zerstören. Soviele Kröten, wie die wird schlucken müssen, können nur tödlich sein. Ganz abgesehen von der zu erwartenden Regierungsarbeit. Wir bekommen bundesweit Verhältnisse wie in Berlin, mitsamt entsprechenden “Wahlen”. Dann ist die immerwährende Misswirtschaft der Hochstapler*innen garantiert. Ist es auch Wahnsinn, so ist es doch in Mode. Finis Absurdistan.

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