Dushan Wegner, Gastautor / 16.04.2019 / 09:00 / Foto: Dushan Wegner / 35 / Seite ausdrucken

Gedanken zum Brand der Kathedrale Notre-Dame de Paris

Der Brand der Kathedrale Notre-Dame de Paris fühlt sich an, als würde etwas von uns selbst wegbrennen. Alles ist vergänglich, ich weiß, und doch: Es ist bald Ostern – das Fest der Auferstehung! Notre-Dame wird auferstehen!! Am Montag, den 15. April 2019, einem Frühlingstag in Paris, ist die weltberühmte gothische Kathedrale Notre-Dame in Flammen aufgegangen. Nach ersten Berichten und Vermutungen scheint das Feuer im Kontext von Renovierungsarbeiten ausgebrochen zu sein.

Der Bau von Notre-Dame wurde im zwölften Jahrhundert begonnen. Ihre bildstarken Skulpturen galten als „liber pauperum“, ein „Buch der armen Leute“, welche an ihnen das Evangelium ganz ohne Buchstaben „lesen“ konnten. Die Kathedrale überlebte – nicht immer unbeschädigt – die Französische Revolution, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg; man will die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie wieder aufgebaut werden wird. Während ich diese ersten Gedanken notiere, wird mir deutlich, ist noch längst nicht abzusehen, wie groß der Schaden am Ende ist, aber er wird riesig sein.

Selbstverständlich habe auch ich meine Paris-Erinnerungen, wie viele andere Europäer auch. Ich bin sehr glücklich, auch mit Elli und den Kindern in Paris gewesen zu sein, bis es dort immer kritischer wurde, aus anderen Gründen. Auch ich ringe mit meiner Traurigkeit. Erlauben Sie mir bitte, einen Gedanken zu teilen, der mich in solchen Situationen des Verlustes ein ganz klein wenig tröstet.

Anfang 2001 zerstörten Taliban die großen Buddha-Statuen von Bamiyan (siehe Wikipedia). Ich sprach später mit einem buddhistischen Freund darüber. Ich suchte nach Worten, wie schrecklich ich das fand, und was er sagte, hat sich mir bis heute eingeprägt. Er sagte, sinngemäß: „Ich frage mich, ob der Buddha auch so traurig darüber gewesen wäre. Vielleicht nicht. Die zerstörten Statuen sind ja ein Symbol der Vergänglichkeit.“

Mehr als Holz, Steine und Mörtel

Beim Notre-Dame-Brand von 2019 waren es, nach allem, was man am Abend des Brandes weiß, nicht die Taliban oder ähnliche Zeitgenossen, sondern vermutlich eher ein Fehler bei den Renovierungsarbeiten, der zu der Katastrophe führte – doch die Trauer ist ähnlich. Ein Bauwerk, das vielen Menschen als heilig und symbolisch gilt, ist ja weit mehr als Holz, Steine und Mörtel. Eine Kathedrale wurde gebaut als Ort und Symbol des menschlichen Ringens, seinen Platz in dieser Welt zu verstehen. Menschen beten dort, um Hoffnung und Trost zu finden. Menschen versammeln sich zum Gottesdienst, um etwas von der Angst abzulegen, allein im Universum zu sein. Es ist normal und richtig und wichtig, dass wir traurig sind, wenn große Werke der Kunst und Kultur abbrennen.

In eine so kunstvoll angelegte Kathedrale wie Notre-Dame ist hineincodiert, wie wir als Menschen uns selbst sehen. "Seht her", ruft der Künstler, der sein Allerbestes gibt, wenn der den Stein meißelt oder das glitzernde Glas gießt, „seht her, was wir Menschen können.“ – Ist es gut genug? Das soll der Gläubige selbst beantworten. Wir erfahren heute schmerzlich, wie vergänglich alles Dingliche ist. (Und wenn wir faul werden, dann auch das Geistige.) Wenn Notre-Dame brennt, dann brennen nicht nur Holz, Glas und Steine, sondern Symbole unseres Menschseins, deshalb sind wir so am Boden zerstört.

Am Montag, dem 15. April 2019, brannte Notre-Dame, doch schon am Abend des Brandes wissen wir, dass ein Dienstag, der 16. April 2019, kommen wird, und irgendwann auch der April 2020, und so fort. Wir werden neue Gedanken haben, neue Probleme, aber auch eine neue Perspektive – gewiss auch neuen Mut! Alles ist vergänglich, auch Notre-Dame, doch eine Ahnung sagt mir — oder mag es auch meine sture Hoffnung sein – dass die Geschichte noch lange nicht vorbei ist für „Unsere liebe Frau von Paris" (so die Übersetzung des ganzen Namens „Notre-Dame de Paris“).

Ich entscheide mich dafür, den Brand von Notre-Dame als Symbol der Vergänglichkeit alles menschlichen Mühens zu deuten, sicherlich, und doch zugleich als Anlass der Hoffnung auf einen bald folgenden Neuanfang. Christen feiern in diesen Tage die Karwoche, beginnend mit dem Palmsonntag noch am Tag vor dem Brand, auf sie folgt der Ostersonntag, also die Feier der Wiederauferstehung Christi.

Es ist schmerzhaft, dieses Feuer von Paris, die Bilder verletzen uns, als würde es an uns selbst nagen, doch Notre-Dame wird wiederauferstehen! Es brennt, es treibt uns Tränen in die Augen, wir spüren, dass etwas weg ist, das nicht wiederkehren wird, doch gerade Ostern ist das Fest der Wiederauferstehung! – Es liegt an den Franzosen, an den Europäern, es liegt an uns selbst.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Foto: Dushan Wegner

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beat schaller / 16.04.2019

ja, herr wegner, so kann man es auch sehen und ihre gefühle können viele menschen nachempfinden. der vergleich mit den buddhas in bamiyan ist bezeichnend. ich war 1975 auch dort und hab diese werke besichtigt. es kann durchaus hilfreich sein, die ansichten buddhas in unser leben mit einzubeziehen. es gibt eine andere sicht der dinge als nur unsere eigenen vorstellungen aus unseren köpfen. sogar macron hat unverzüglich “seine positive seite” gefunden indem er politisch geschickt mit 100 mio € zu hilfe kommt?? natürlich “er persönlich”, nicht die steuerzahler vieler länder, die in solchen fällen von “weltkulturerbe” gemeinsam helfen. was schliessen wir daraus? was für die einen ans herz geht, wird für die anderen zum business oder gar zum politischen steigbügel! wie schon oft in der geschichte kommen solche “unglücke” immer für den einen zur richtigen zeit. böse ist, wer da noch anderes andenkt? z.b. brandschutzvorschriften in öffentlichen gebäuden gelten für kirchen nicht…  b.schaller?

Joachim Neander / 16.04.2019

Von der Facebookseite der “Antifaschistischen Aktion”: Notre Dame brennt nieder und wir so: ¯\_(ツ)_/¯ Reißt das Ding ab und schafft Platz für eine Großmoschee! Nur das wäre jetzt ein starkes Zeichen für Toleranz und Vielfalt.

Lutz Herzer / 16.04.2019

Was auch immer die Brandursache war - für mich ist dieses Ereignis neben dem Symbol für Vergänglichkeit auch ein Symbol für die Verwundbarkeit der abendländischen Kultur und der abendländischen Kulturvölker. Die Gemeinschaft der Europäer ist mehr und mehr geschwächt und bedarf dringend einer Art gesellschaftlichen Brandschutzes gegen Brandstiftung von außen und von innen.

Matthias Braun / 16.04.2019

” Der Gedanke an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge ist ein Quell unendlichen Leids – und ein Quell unendlichen Trostes.” ( Marie von Ebner-Eschenbach )

Anders Dairie / 16.04.2019

Alle Kriege, Revolutionen, Besetzungen und Machtwechsel—mehr oder weniger—seit dem 11. Jahrhundert heil überstanden ... und nun das !  Alles ist vergänglich.  Wie Mitteleuropa, das seine Kultur verändern wird.

Anders Dairie / 16.04.2019

Mir fällt dazu auch ein,  dass Muslime seit dem 11.Jahundert (gem. Pabst Benedikt) nichts zur Kultur Europas beigetragen haben. Für die ist die Zerstörung von Notre Dame bestimmt kein schmerzlicher Verlust.  Wie sie sich dazu verhalten, zeigt demnächst AL JAZEERA.  Es ist schlimmer als der 9/11 , obwohl keine Men-schenleben zu beklagen sind.  New York und die USA brauchten 15 Jahre zur Überwindung.  Das wird in Paris bei weitem nicht ausreichen.  Die Feinde werden den Brand symbolisch als Zeichen des göttlichen Willens auslegen,  der im Niedergang des Christentums bestehen soll.  Die Häme brandet in den sozialen Medien auf !  Schon wieder wird Trump runter gemacht, weil er es wagte,  die Löschmethode mit Fliegern vorzuschlagen.  Das sei zumindest nervend.  Ob’s richtig war, sollen Fuerwehr-Fachleute beurteilen.  xEs hat jedenfall zu lange gedauert, bis die ersten C-Rohre aufs Dach der brennenden Kathedrale gerichtet waren. Nach gelungener Brand-Vorbeugung sieht das nicht aus.  Man kann auch nicht froh darüber sein,  dass das berühmte Bauwerk überhaupt noch stehen blieb.

Daniel Gildenhorn / 16.04.2019

Bei allem Respekt für Ihr Wirken und Ihre wunderbaren Texte. Hier greifen Sie m.E. zu kurz bzw. beschränken es aufs Positive. Das physische ist ja vergänglich. Es bringt aber immer das Gestige zum Ausdruck. Wenn der aktuelle Zeitgeist es nicht hergibt, wird man auch nur restaurieren können. Die Stärke und die Willenskraft, den Glauben von damals haben die Europäer nicht mehr. Oder hatten wir in Europa in den letzten 50 Jahren ähnlich beeindruckende Sakralneubauten? EU-Parlament ausgenommen, meine ich!

Leo Hohensee / 16.04.2019

Dieses Unglück löst auch bei mir tiefe Betroffenheit aus auch mit einem wunden Gefühl von Vergänglichkeit allenthalben. Und dennoch, ich mag mich dem nicht lange hingeben. Man mag meine Befürchtungen verurteilen, ich habe aber solche, belehrt durch die jüngste Geschichte: dieses Unglück ist eine hinlängliche Ablenkung der Bevölkerung in dieser EU (vor allem in dieser EU), um erneut irgendwelche politischen “Sauereien” unbemerkt einzuführen, zu organisieren oder ohne Widerstände voran zu treiben! Ich mahne also an, aufmerksam zu bleiben. Was treiben GENAU JETZT Merkel, Macron, die EU-Kommission an der allgemeinen Aufmerksamkeit des Wahlvolkes vorbei?

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