Henryk M. Broder / 26.01.2024 / 12:00 / Foto: Bernd Schwabe / 70 / Seite ausdrucken

Frau Assmann denkt über 1945 hinaus

Eine „Expertin für Erinnerungskultur“ möchte die Erinnerung an die Shoa mit der an die Nakba verbinden. Den Palästinensern wäre mehr geholfen, wenn Deutschland ihnen ein Stück Land abtreten würde.

Wann immer sich die „Kultur- und Literaturwissenschaftlerin“ Aleida Assmann zu Wort meldet, füllen Nebelschwaden den Diskursraum. Meint sie es so, wie sie es sagt? Sagt sie wirklich, was sie meint? Im Deutschlandfunk erklärt sie, Deutschland könne „den Raum für einen zukünftigen Frieden im Nahen Osten offenhalten“, weil es nicht unmittelbar betroffen sei, die Involvierten könnten dagegen jeweils nur die eigene Seite sehen.

In einem Offenen Brief an die damalige Kanzlerin Merkel machte sie sich 2020 Sorgen um die „drohende Annexion palästinensischer Gebiete durch Israel“ und darüber, dass der „Gebrauch des Antisemitismusbegriffs“ darauf ziele, „legitime Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu unterdrücken“. Als „Expertin für Erinnerungskultur“ stellt sie im SWR fest: „Es gibt einen Bevölkerungskreis, der sich der Erinnerungskultur nicht anschließt und stolz ist, dagegen zu opponieren.“

Thierry Chervel hat das Treiben der Multitaskerin Anfang 2021 einer gründlichen Analyse im Perlentaucher unterzogen. Ergebnis: „Krasser wurde die Relativierung des Holocaust in Deutschland seit Ernst Nolte nicht gefordert.“

Nun hat Aleida Assmann dem Spiegel für sein Sonderheft zum Thema „Was ist deutsch?“ ein längeres Interview gegeben. Darin geht es um alles, was Frau Assmann derzeit umtreibt. Unter anderem die Frage, wie man die „historische Erinnerung“ an den Holocaust „ergänzen“ könnte. Dazu sagt sie Folgendes:

Drei Jahre nach dem Holocaust

Assmann: Es leben auch Menschen in unserem Land, die ein anderes historisches Schlüsselerlebnis im Kopf haben, von dem aber fast nie die Rede ist. Drei Jahre nach dem Ende des Holocaust wurde der Staat Israel gegründet. Gleichzeitig mussten 700.000 Palästinenser ihre Häuser verlassen. Sie leben seit drei Generationen in Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon, in Syrien. In der arabischen Welt wird das als „Nakba“ erinnert  .

SPIEGEL: Übersetzt bedeutet das Katastrophe, ebenso wie das hebräische „Schoa“.

Assmann: Nun kommen diese Menschen in unsere deutsche Gesellschaft und stellen fest, dass bei uns der Holocaust den Kern des historischen Erinnerns ausmacht. Für viele Menschen aus muslimischen Ländern ist es dagegen die Nakba. Und ich meine, wir dürfen diese beiden Erinnerungen nicht gegeneinanderstellen, sondern müssen versuchen, beides anzuerkennen, sie füreinander zu öffnen und anschließbar zu machen.

SPIEGEL: Die Gefahr ist, dass man so den Holocaust relativiert. Die Folge wäre, dass die Erinnerung daran geschwächt würde.

Assmann: Ich glaube, man macht vielen Zugewanderten überhaupt erst deutlich, warum die Erinnerung an den Holocaust so wichtig ist, wenn man ihre eigenen Erfahrungen anerkennt und den Holocaust dazu in Beziehung setzt. Die Frage ist doch, wie wir Lehren aus der Vergangenheit ziehen und die deutsche Verantwortung in die Zukunft weitertragen wollen, in einem Land, das eben nicht mehr ethnisch deutsch ist. Das geht nur dann, wenn man über 1945 hinausdenkt und die Ereignisse von 1948 in die kollektive Erinnerung einbezieht. Man kann die Vertreibung der Palästinenser auch als indirekte Folge des Holocausts sehen – die Deutschen haben auch dafür eine Mitverantwortung.

Und wo bleiben die Armenier?

Was soll man dazu sagen? Ist das noch Erinnerungskultur oder bereits kulturell unterlegter Antisemitismus? Natürlich kann man alles mit allem verknüpfen, füreinander öffnen und anschließbar machen. Man könnte auch die Frage stellen, wie es eine deutsche Vordenkerin geschafft hat, sich mit so einem Geschwurbel eine relativ markante Position im deutschen Kulturbetrieb zu erarbeiten, noch vor Carolin Emcke und Navid Kermani.

Wieso kommt sie nicht auf die Idee, die Aufnahme des Völkermordes an den Armeniern in den Katalog der deutschen Erinnerungskultur anzumahnen? Ist ihr nicht bekannt, welchen Anteil das Kaiserreich an diesem Verbrechen hatte, das der Shoah vorausging? Die Anregung, die Shoa und die Nakba füreinander zu öffnen und anschließbar zu machen, würde nicht nur, wie Der Spiegel vermutet, den Holocaust relativieren, sie würde auch eine antisemitische Hetzparole in den Rang einer historischen Tatsache erheben: Die Juden tun den Palästinensern das an, was die Nazis den Juden angetan haben. Ein unter linken und rechten Antisemiten gleichermaßen beliebter Schmäh. 

Und außerdem: Statt den Palästinensern symbolisch entgegenzukommen und der Nakba einen Platz neben der Shoa im Geschichtscurriculum zu geben, wäre es doch viel nützlicher, als Anerkennung der indirekten Mitverantwortung für die Nakba den Palästinensern einen Teil von Meck-Pomm zu überlassen, dauerhaft oder temporär, bis Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, einen Plan für die Zwei-Staaten-Lösung ausgearbeitet hat.

 

Henryk M. Broder ist einer der Herausgeber der Achse des Guten

Foto: Bernd Schwabe CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Erwin Gubbel / 27.01.2024

Frau Assmann hat vor einiger Zeit mit ihrem Gatten ein recht banales Modell zur Erinnerungskultur entwickelt, dass sich in den Geschichtswissenschaften sehr festgesetzt hat und mit dem sich heutzutage viele Schüler in verschiedenen Bundesländern herumquälen müssen, wenn sie das Abitur im Fach Geschichte bestehen wollen. Dabei ist Frau Assmann keine Historikerin im klassischen Sinne, also eigentlich fachfremd. Nun also mindestens indirekte Holocaustrelativierung. Sehr bedauerlich. Wäre sie doch nur bei ihrer Ägyptologie geblieben!

Markus Viktor / 26.01.2024

@Johannes Schuster: es soll Menschen geben, die meinen, das mit dem Tetragrammaton Angesprochene sei weder groß noch nicht groß noch weder groß noch nicht groß noch weder groß noch nicht groß noch weder groß noch nicht groß. Kurz: ἄρρητον. Allah, den die Muslime für den Größten halten, ist dabei nur der eine unter den vielen Göttern, der der Einzige sein will - es aber nicht ist. Das erklärt ihren Hass. Sie halten sich für Monotheisten und sind verblendete Polytheisten.

W. Renner / 26.01.2024

@Ach du Liebezeit. Seltsame Marionetten der Industrie, welche letztere mit Wonne ruinieren. Wenn schon, würde ich mir als Industrie tauglichere Marionetten halten.

Markus Viktor / 26.01.2024

Im Übrigen sollte in Südafrika genug Raum für die Aufnahme aller muslimischen Palästinenser aus dem Gazastreifen und der Westbank sein. Durch die Klage Südafrikas vor dem IStGH gegen Israel wegen Völkermord hat es sich dafür qualifiziert und auserwählt. Eine wunderbare Gelegenheit, Willkommenskultur zu praktizieren und der Welt zu zeigen, dass Afrikaner die besseren Deutschen sind.

Maximilian Esser / 26.01.2024

Man kann alles mit allem verknüpfen. Man kann auch bei allem und jedem routinemäßig “Antisemitus” rufen, weil das anscheinend das einzige Argument ist, das man hat. Fakt ist, daß die Nakba Leid bedeutet. Und Fakt is,t daß Deutschland den Palästinensern kein Land abtreten muss, weil die ihr eigenes haben.

gerhard giesemann / 26.01.2024

@Thomas Sz.: Ist der Russe christophob, weil er auf die orthodoxen Ukrainer losgeht? Was war im 100-Jährigen, im 30-jährigen 1.0 und 2.0, von 1618 - 48 und 1914 - 45? Der Moslem lacht und sackt Byzanz ein (1453), Wien beinahe (1683), und alles andere. Inschrift an der Wand in einem Pissoir zu Wien: Die Welt ist voller Tücken, Wien 1683. Die Kreuzzüge haben die gewonnen, niemand sonst. Die Christenhunde sind selber schuld. Usw.

Martin Müller / 26.01.2024

Die Juden sind also nach Frau Assmann jetzt Massenmörder, also auch Nazis. Na dieser perfiden Logik bekommt der politische Slogan “Nazis raus” eine ganze neue gesellschaftliche Bedeutung,:....Vom River to the Sea….Oder MeckPom Nazifrei…

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