Die neuen Umfragen sind für die Grünen ein Desaster. Anderthalb Wochen vor der Wahl sackt die Partei in der Wählergunst weiter ab und liegt nurmehr knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. In Berlin grassiert bereits der Spruch “Die Grünen von 2017 sind wie die FDP von 2013” – es droht der Rauswurf aus dem Bundestag. Tatsächlich sinkt ihr Rückhalt in der Gesellschaft so rapide wie der der Liberalen vor vier Jahren.
Der Zeitraffer-Niedergang ist auf den ersten Blick verblüffend. Denn vor nur einem Jahr schienen die Grünen mit Umfragewerten von 12 Prozent klar die dritte politische Kraft im Land zu sein. Eine schwarz-grüne Regierung wirkte nicht mehr bloß wie eine gefühlte Sehnsucht des deutschen Feuilletons, sondern wie eine reale politische Option, nurmehr eine Frage der Zeit – in Hessen und Baden-Württemberg klappte die Sache ja bereits ganz gut. Der Zeitgeist der Biogemüse-, Windrad- und Gender-Republik wehte alles Grüne auf die Siegerseite der Geschichte.
“Wertkonservativ” war die Brücke, über die die neue Republik zu gehen schien, denn wertkonservativ wollten plötzlich alle sein, die grüne Galeristin ebenso wie der schwarze Versicherungsmakler. Und so kürte die Partei eine Spitzenkandidatin, die so christlich-wertkonservativ ist, dass sie mit Angela Merkel glattweg verwandt sein könnte. Katrin Göring-Eckardt und Angela Merkel sind Schwestern im Geiste – doch genau da beginnt das Problem.
Inzwischen ist das politische Grünsein in etwa so cool wie eine knarzende Tür im Öko-Altersheim. Die Wähler und Unterstützer laufen der Partei davon, als hätte die eine ansteckende Krankheit.
Vier Gründe stehen hinter der Krise
1. Der erste liegt just in Angela Merkel. Ihre grüngeneigte Politik hat den Grünen Kernstücke ihrer Legitimation aus der Hand geschlagen. Atomausstieg, Energiewende, Grenzöffnung, Frauenquote, Abschaffung der Wehrpflicht, Ehe für alle. Merkel hat alle politischen Blütenträume der Grünen politische Realität werden lassen. Bürgerliche Grünenwähler haben in Merkel damit ihre perfekte Kanzlerin gefunden – bis hin zur ausgleichenden Europa- und Friedenspolitik. Sie brauchen eine grüne Partei schlichtweg nicht mehr. Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (infas) sagen 40 Prozent der Grünenwähler, dass Angela Merkel sie sogar “richtig begeistere”.
Eine traurige Kopie der Kanzlerin
Dieser Umstand wird insbesondere für Göring-Eckardt zum Großproblem. Denn sie wirkt in diesem Wahlkampf wie die traurige Kopie der Kanzlerin. Beide aus der ostdeutschen Provinz kommend, beide engagierte evangelische Christinnen, beide in der Bürgerrechtsbewegung der DDR politisiert, beide mit einer Begabung für politische Geschmeidigkeit und im Tonfall konzilianter Bemutterung unterwegs. Für Göring-Eckardt ist das ein bitterer Zufall, denn ihre Integrität, ihre Beliebtheit und ihre politische Kraft stehen außer Frage. Es gibt da freilich eine andere, die das auch alles verkörpert, nur eben mit Kanzler- und Weltpolitikerbonus. Doch im Zweifel kann es nur eine Mutti geben – und die andere wirkt daneben eher wie die biedere Tante.
2. Der zweite Grund liegt darin, dass die Grünen in einem grimmigen Flügelkampf zerstritten sind. Die uralte Kluft zwischen Realos und Fundis, zwischen Bürgerlichen und Linken ist 2017 abgrundtief. Zwischen dem Kretschmann-Palmer-Flügel und der Trittin-Hofreiter-Künast-Fraktion sind die politischen Wege weiter als zwischen CSU und SPD. In allen Schlüsselfragen dieses Wahlkampfes haben die beiden Flügel unterschiedliche Positionen und keilen zuweilen aufeinander los. Das lässt die Partei just in Zeiten indifferent wirken, in denen Klarheit und Haltung vom Wähler mehr gefordert werden als früher. Die Prognose eines wild empörten Winfried Kretschmann, der auf dem Wahlparteitag die Beschlüsse seiner Partei zur Abschaffung des Verbrennungsmotors scharf attackierte, scheint nun Realität zu werden: “Dann seid aber mit sechs Prozent oder acht einfach zufrieden”, wütete er im Juni. Heute wären sie mit acht Prozent überglücklich. Der Streit geht sogar so weit, dass der linke Flügel, der bei der letzten Wahl tonangebend war und mit einer Steuererhöhungskampagne verlor, dem bürgerlichen Flügel diesmal keinen Erfolg gönnt und schon die Messer für den Machtkampf nach dem Wahldebakel wetzt.
3. Der dritte Grund ist personaler Natur. Die Grünen sind mehr als jede andere Partei ein Generationenprojekt gewesen – eine postideologische Wärmestube der 68er. Die aber werden langsam alt. Die Grünen ergrauen daher in ihren Themen, ihrer Sprache, ihrem Politikstil. Die Christian-Lindner-Generation wirkt neben den Veggie-Day-Bevormundern wie lässige Enkel neben meckernden Omas. Der Pädophilen-Skandal und die Hamburger G20-Gewalt-Debatte belasteten die Akzeptanzwerte obendrein.
4. Der vierte Grund liegt in einem kulturellen Paradox der Partei. Die Grünen wurden viele Jahre auch deshalb gerne gewählt, weil sie gegen das Establishment, gegen verkrustete Strukturen, gegen Machtseilschaften standen. Sie sind aus K-Gruppen, der Hausbesetzerszene, Anti-AKW-Aktivisten und Friedensbewegten erwachsen. Als ein Protest gegen Obrigkeit an sich. Da sie inzwischen aber seit Jahren selber Teil der Obrigkeit geworden sind, funktioniert dieser Reflex nicht mehr. Zumal die außerparlamentarische, systemkritische Opposition heute nicht mehr links, sondern eher rechts daherkommt.
Und so ergibt sich die eigenartige Situation, dass die Grünen trotz einer wie für sie gemalten Themenlage (von Erdogan-Attacken auf Cem Özdemir über die Ehe für alle bis zum Diesel und Fipronilskandal) kein Bein mehr auf den Boden der Republik bekommen. Linke Grüne wählen diesmal lieber gleich die Linkspartei – und die bürgerlichen Grünen haben Angela Merkel. Katrin Göring-Eckardt gerät daher mit ihrem mittigen Wahlkampf zwischen alle Stühle der Machtpolitik.
Fazit: Angela Merkel hat bisher alle Koalitionspartner kleinregiert – bei den Grünen scheint das schon zu geschehen, bevor die Koalition überhaupt begonnen hat.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.