Gastautor / 12.03.2024 / 06:15 / Foto: Library of Congress / 106 / Seite ausdrucken

Europa 30 Grad kälter? Ein wissenschaftlicher Amoklauf

Von Andreas Zimmermann.

Kürzlich machten Panikmeldungen die ganz große Runde, die Temperaturen in Europa könnten um 30 Grad absinken. Bereits schlichtes Nachrechnen entlarvt das ganze Szenario als komplett unsinnig.

Irgendeinen Tod muss man sterben. Und nachdem „Corona” bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr die gewünschte Panik-Wirkung erzielt, muss seit einer Weile wieder der gute, alte Klimawandel, neudeutsch gerne auch „Klimakrise” genannt, herhalten. Wobei ich mir als alter, weißer Mann, und damit naturgemäß veränderungsunwillig, wünschen würde, die Klimakrise-Trompeter könnten sich darauf einigen, ob wir demnächst nun verbrennen oder doch erfrieren werden. Hieß es bis Ende letzten Jahres noch zuverlässig „Die Erde brennt”, so wurde Anfang dieses Jahres plötzlich das Szenario aus Roland Emmerichs Desaster-Film (manche würden auch sagen Film-Desaster) “The day after tomorrow” wiederbelebt, wonach Europa demnächst in Eiseskälte erstarren sollte.

Auslöser dieser medialen Panikattacke war eine Veröffentlichung in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Science Advances, einem Ableger des ehemals hoch-renommierten Journals Science Magazine. Landauf, landab, von Spiegel über Karl Lauterbach bis hin zu manchen alternativen Medien, hieß es, in dem Artikel würde ein Absinken der Jahresdurchschnittstemperatur in Europa um bis zu 30 Grad Celsius vorausgesagt, ausgelöst durch ein Versiegen des wärmespendenden Golfstroms. Ich muss zugeben, dass ich vieles an dieser Geschichte ein klein wenig verwirrend fand – plötzlich galt Wärme als lebensspendend und nicht wie bisher als lebensbedrohend.

Dazu kam, dass überhaupt nicht diskutiert wurde, warum der Golfstrom (genauer die “Atlantic meridional overturning circulation” – daher AMOC) eigentlich seinen Dienst einstellen sollte. Und auch das Ausmaß des vorhergesagten Temperatursturzes kam mir eine klein wenig seltsam vor. Denn soweit ich mich erinnern konnte, gab es in jüngerer Zeit, sprich den letzten paar Millionen Jahren, also in einer Zeitspanne, die die evolutionäre Lebensdauer des modernen Menschen von 300.000 Jahren weit übersteigt, keine solch enorme Temperaturschwankung.

Die wissenschaftliche Literatur treibt erstaunlich bunte Blüten

Ein kurzer Blick in die wissenschaftliche Literatur zeigte mir, dass ich mich richtig erinnerte – die Temperaturdifferenz zwischen der tiefsten Temperatur während der Saale-Eiszeit, als die Gletscher in Deutschland bis nach Düsseldorf oder Meißen reichten und Skandinavien kilometertief unter Eis begraben lag, und der darauffolgenden Eem-Warmzeit, als Elefanten durch Deutschland zogen und Nilpferde in der Themse schwammen, betrug gerade einmal 15°C.

Nun treibt die wissenschaftliche Literatur in letzter Zeit erstaunlich bunte Blüten – erinnert sei nur an die maskentragenden Hamster oder den Ratschlag, zur Vermeidung von Coronainfektionen bei Begegnungen mit anderen Menschen fünf Sekunden lang die Luft anzuhalten, beides veröffentlicht in begutachteten Zeitschriften – aber tatsächlich konnte ich in der Original-Veröffentlichung nirgendwo die Behauptung entdecken, dass es in Europa um 30 Grad kälter werden sollte. Auch die Verwendung der Suchfunktion zeitigte keine Erfolge – allerdings dann doch einen ersten Hinweis, wo diese doch reichlich absurde Behauptung ihren Ursprung hat.

Die Autoren der Studie haben nämlich die veränderten Temperaturen für einzelne Städte in Europa vorhergesagt. Wissenschaftlich betrachtet, haben sie also eine Modellierung durchgeführt, auf deren Grundlage sie die Hypothese aufstellen, dass es kälter werden könnte. Dies bleibt aber schlicht eine Hypothese, die der Überprüfung harrt, auch wenn unsere Presstituierten den Output der Modellierung so behandeln, als wären die Autoren der Studie im Besitz einer unfehlbaren Kristallkugel. Aber ich weiche ab, kommen wir auf den Modellierungsoutput der Autoren zurück.

Auf Seite 3 der Studie heißt es “...für mehrere europäische Städte finden wir Temperaturrückgänge zwischen 5°C und 15°C (Abb. 3C)” (“…for several European cities, temperatures are found to drop by 5° to 15°C (Fig. 3C).”). Im Text ist also keine Rede von einem Temperaturrückgang von 30°C, nicht einmal für einzelne Städte und schon gar nicht für ganz Europa. Betrachtet man nun aber Abbildung 3, dann findet man endlich die Lösung, woher der ominöse Temperatursturz um 30°C kommt – er stammt aus Abbildung 3D, in der die „vorhergesagte” Temperaturveränderung innerhalb eines Jahrhunderts nach dem Kollaps des Golfstroms für einzelne Städte, aufgeschlüsselt nach Monaten (!) abgebildet ist (wer solchen pseudogenauen Modellierungsoutputs irgendeine Bedeutung zumisst, hat ohnedies die Kontrolle über sein Leben verloren).

Aber sei’s drum, hier finden wir nach 100 Jahren Dornröschenschlaf des Golfstroms für den Monat Februar einen Temperaturrückgang von 35 Grad in der Stadt Bergen. Wie es drei Kilometer weiter aussieht, darüber schweigen sich die Autoren leider aus. Hier finden wir also die gut 30 Grad, die Geistesriesen wie Karl Lauterbach flugs auf ganz Europa und alle zwölf Monate des Jahres ausgedehnt haben. Woran man wieder einmal sieht, wie Politiker und Journalisten die wissenschaftlichen Arbeiten, auf die sie sich in ihrer Panikmache beziehen, lesen – in den allermeisten Fällen nämlich überhaupt nicht.

Simulation im “Community Earth System Model"

Aber auch wenn die Arbeit in dieser Hinsicht fehlinterpretiert wurde, ist sie insgesamt nicht viel besser als der Wahn, der in sie hineininterpretiert wurde. Das beginnt mit der Frage, warum der Golfstrom beziehungsweise die AMOC denn überhaupt kollabieren sollte. Nun, wie die Autoren selbst schreiben, haben sie dazu eine Simulation im “Community Earth System Model (CESM; version 1.0.5)” durchgeführt. Weiter heißt es: “We start from a statistical equilibrium solution of a preindustrial control simulation (16) and keep greenhouse gas and solar and aerosol forcings constant to preindustrial levels during the simulation.” 

Das ist interessant, weil es bedeutet, dass für die Simulation kein Anstieg etwa der CO2-Konzentration oder der Sonnenaktivität angenommen wird. Stattdessen simulieren sie einen Süßwasserzufluss in den Nordatlantik, dessen Ausmaß sie linear ansteigen lassen, und zwar über den Zeitraum von 2.200 Jahren mit einem Anstieg um 3 × 10−4 Sv (Sverdrup) pro Jahr, so dass folgerichtig nach 2.200 Jahren ein Frischwasserzufluss von 0,66 Sv/Jahr erreicht ist. [“A quasi-equilibrium approach (17–19) is followed by adding a slowlyva rying freshwater flux anomaly FH in the North Atlantic over the region between latitudes 20°N and 50°N… We linearly increased the freshwater flux forcing with a rate of 3 × 10−4 Sv year−1 until model year 2200, where a maximum of FH = 0.66 Sv is reached.]

Ganz stolz verweisen die Autoren dann noch darauf, dass eine solche Simulation aufgrund der enormen Rechnerkapazität, die sie erfordert, bisher mit einem komplexen Klimamodell noch nicht durchgeführt wurde und auch nicht so ohne Weiteres repliziert werden kann. [“Such a simulation has not been conducted before with a complex global climate model (GCM) (i.e., used in CMIP5 and beyond) as the CESM version used here because of the high computational costs and it cannot easily be repeated for a suite of different GCMs.”]

Eigentlich ist Replizierbarkeit eine Grundvoraussetzung dafür, dass man Ergebnisse überhaupt als wissenschaftlich betrachtet, aber auf die moderne „Klimawissenschaft” lassen sich wissenschaftliche Grundprinzipien ohnedies nur sehr bedingt anwenden. Viel interessanter sind einige andere Fragen hinsichtlich des simulierten Szenarios.

Woher soll das zusätzliche Süßwasser kommen?

Erstens, woher das zusätzliche Süßwasser, das in dem schönen Modell über 2.200 Jahre lang in ständig ansteigender Menge in den Nordatlantik fließt, eigentlich kommen soll, zweitens, warum jedes Jahr mehr Süßwasser in den Atlantik fließen soll und drittens, um wie viel Süßwasser es sich über den Simulationszeitraum von 2.200 Jahren eigentlich insgesamt handelt. Interessanterweise beantworten die Autoren keine dieser drei Fragen, das Wasser fließt einfach.

Daher habe ich versucht, diese Fragen zu beantworten. Was den Ursprung des zusätzlichen Süßwassers betrifft, gibt es eigentlich nur zwei mögliche Quellen: mehr Niederschlag oder ein Abschmelzen der Gletscher auf der Nordhalbkugel, sprich des grönländischen Eisschilds, da dieser etwa 95 Prozent des Gletschereises der Nordhalbkugel ausmacht. Allerdings stoßen wir hier auf das Problem der zweiten Frage: Warum sollte es wahlweise mehr regnen und/oder der grönländische Eisschild abschmelzen? Schließlich schreiben die Autoren selbst, dass sie Sonneneinstrahlung, Treibhausgaskonzentrationen und sogar Aerosolkonzentrationen für den gesamten Simulationszeitraum konstant auf vorindustriellem Niveau halten. (“We …keep greenhouse gas and solar and aerosol forcings constant to preindustrial levels during the simulation.“) 

Es gibt also überhaupt keinen Grund, warum es mehr Niederschlag geben sollte oder das Grönlandeis schmelzen sollte. Mehr Niederschlag wäre ohnedies ein Nullsummenspiel, denn das Wasser, das als Regen auf die Erde oder die Meere fällt, muss zuerst irgendwo verdunsten, und in diesem Fall wäre der Nordatlantik überwiegend die Quelle. Das heißt, es müsste erst mehr Wasser verdunsten, bevor es mehr regnen könnte, weshalb dadurch kein Nettozufluss entstehen kann. Bleibt also der grönländische Eisschild. Auch wenn es keinen Grund gibt, dass er in der genannten Simulation schmelzen sollte, können wir ihn ja einfach einmal schmelzen lassen. Warum nicht? Realitätsbezug wird ohnedies überschätzt.

Hier stellt sich dann allerdings die dritte Frage: Wie viel Süßwasser bekommen wir denn dadurch? Nun, laut verschiedenen Quellen besteht der grönländische Eisschild aus ungefähr 3 Millionen Kubikkilometern Wasser (gleichbedeutend mit 3 Millionen Gigatonnen Eis, da ein Kubikkilometer Wasser einer Gigatonne entspricht). Klingt nach ziemlich viel Wasser. Aber wie viel Wasser lassen die Autoren denn nun in den Nordatlantik laufen? Nun, dies lässt sich ausrechnen, wobei ich hierzu sagen muss, dass ich es nur nachgerechnet habe, denn die ursprüngliche Rechnung stammt von Willis Eschenbach auf der immer einen Besuch werten Seite “Watts Up With That?”.

Ungefähr das 7,5-fache Volumen des grönländischen Eisschilds 

Dazu muss man erst einmal wissen, wie viele Liter Wasser eigentlich ein Sverdrup sind. Nun, es handelt sich dabei um einen Wasserfluss von immerhin 1 Million Kubikmeter pro Sekunde. Allerdings beginnen die Autoren ja lediglich mit 0,0003 Sverdrup/Jahr, also gerade einmal 300 Kubikmetern pro Sekunde. Auf der anderen Seite hat das Jahr immerhin 365,25 x 24 x 3.600 Sekunden (Schaltjahre berücksichtigt, das Ausfallen des Schaltjahres alle 100 Jahre aber ignoriert) – also immerhin 31.557.600 Sekunden. Multipliziert mit 300 ergibt dies immerhin rund 9,5 Milliarden Kubikmeter oder 9,5 Kubikkilometer Wasser bereits im ersten Jahr.

Nun, im Vergleich mit 3 Millionen Kubikkilometern ist das nicht viel, aber der Süßwassereintrag steigt in der Simulation ja auch linear um diese 0,0003 Sverdrup pro Jahr, erreicht damit also am Ende der Simulation immerhin 0,66 (0,0003 x 2200) Sverdrup oder 660,000 Kubikmeter pro Sekunde. In diesem Jahr kommen wir also bereits auf gut 20.800 Kubikkilometer. Da der Anstieg linear ist, fließen im Durchschnitt aller Jahre pro Jahr also 0,33 Sverdrup oder 10.400 Kubikkilometer Süßwasser in den Nordatlantik. Über den betrachteten Zeitraum von 2.200 Jahren kommen wir damit auf knapp 23 Millionen Kubikkilometer Süßwasser – oder ungefähr das 7,5-fache Volumen des grönländischen Eisschilds.

Gut, aber der Golfstrom kollabiert ja bereits im Jahr 1758 der Simulation (also im Jahr 3782 unserer Zeitrechnung). Vielleicht reicht das grönländische Eis ja zumindest, um den Golfstrom zum Kollabieren zu bringen? Nun, nicht wirklich, denn bis dahin sind immerhin schon mehr als 14 Millionen Kubikkilometer Süßwasser in den Nordatlantik geflossen, also immer noch gut 11 Millionen Kubikkilometer mehr als der gesamte grönländische Eisschild. Es wird also einfach nichts. Versuchen wir es andersherum – bis zu welchem Jahr der Simulation kommen wir, bis der gesamte Eisschild abgeschmolzen ist?

Nun, auch das lässt sich berechnen, indem wir das besagte Jahr als Unbekannte x betrachten. Die Flussmenge nach x Jahren beträgt x-mal 0,3 Sverdrup und die durchschnittliche Flussmenge bis zum Jahr x dann 0,3 Sverdrup mal x/2. Um auf die entsprechende Wassermenge zu kommen, müssen wir diese durchschnittliche Flussmenge mit der Anzahl an Jahren multiplizieren sowie der Anzahl an Sekunden pro Jahr. Und schließlich soll die Gesamtmenge bis einschließlich Jahr x 3 Millionen Kubikkilometer betragen. Damit bekommen wir für die gesamte Wassermenge in Kubikkilometern folgende Gleichung: 0,0003/1.000 Kubikkilometer pro Sekunde *Sekunden (pro Jahr)*(x/2)*x = 3 Millionen Kubikkilometer.

Man kann diese Gleichung nun nach x auflösen (da sich unter den Achse-Lesern vermutlich eher weniger Grünen-Wähler befinden, vertraue ich darauf, dass Achse-Leser zu solchen Rechenoperationen in der Lage sind) und erhält damit: X = 796,1 Jahre (gerundet). Und kommt damit zu dem Ergebnis, dass in der durchgeführten Simulation bereits nach gut 796 Jahren dem Nordatlantik eine Süßwassermenge zugeführt wurde, die dem gesamten grönländischen Eisschild entspricht. Damit sind wir aber noch ganze 962 Jahre vom berechneten Zusammenbruch des Golfstroms entfernt, der sich in der Simulation im Jahr 1758 ereignet. Wobei ich zugeben muss, dass mir weder was in 796 (also im Jahr 2820 unserer Zeitrechnung), noch was in 1.758 Jahren (im Jahr 3782) vielleicht oder auch nicht passieren könnte, schlaflose Nächte bereitet.

Selbst das Abschmelzen des antarktischen Eisschildes hilft nicht weiter

Auf alle Fälle geht nach 796 Jahren das Süßwasser aus, wobei ja ohnedies unklar ist, warum das Grönlandeis schmelzen sollte, wenn Sonnenaktivität sowie die Konzentrationen von Treibhausgasen und Aerosolen gleich bleiben, wie im Modell der Autoren. Von daher können wir auch ein Abschmelzen des antarktischen Eisschildes als potenzielle Süßwasser-Quelle ausschließen, auch wenn dieser mit gut 26 Millionen Kubikkilometern Eis immerhin eine ausreichende Süßwassermenge zur Verfügung stellen könnte. Dazu kommt, dass selbst der Nordrand des antarktischen Eisschildes gut 10.000 Kilometer von der Region des Nordatlantiks, in die sich der stetige Süßwasserstrom ergießen soll, entfernt ist.

In Ermangelung funktionellen „Beamens“, wie etwa bei Star Trek, wodurch sich die antarktischen Wassermengen in den Nordatlantik teleportieren ließen, hilft selbst ein fiktives Abschmelzen des antarktischen Eisschildes also auch nicht wirklich weiter. Und weil einige Leser in den Kommentaren zu meinem kürzlichen Artikel zu Sinnhaftigkeit des Wassersparens den Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai Vulkans (diesen Namen muss man einfach ausschreiben) Anfang 2022 als mögliche Ursache für den überdurchschnittlichen Niederschlag im letzten Jahr angeführt haben, möchte ich kurz auch noch auf Vulkane als mögliche Quellen größerer Wassermengen eingehen.

Wie aufgrund von Messungen mit Hilfe von Wetterballonen berechnet wurde, gelangte beim Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai die beeindruckende Menge von 150 Millionen Kubikmetern Wasser in die Atmosphäre. Diese Menge relativiert sich allerdings bereits, wenn man sie mit der Jahresniederschlagsmenge für Deutschland vergleicht, die rund gerechnet 300 Milliarden Kubikmeter oder in etwa das 2.000-fache beträgt. Mit anderen Worten, der Vulkanausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai hat mit Sicherheit nichts mit den erhöhten Niederschlagsmengen in Deutschland im letzten Jahr zu tun.

Auf den grönländischen Eisschild mit seinen 3 Millionen Kubikkilometern umgerechnet, lässt sich das Verhältnis kaum noch ausdrücken – 0,15 Kubikkilometer geteilt durch 3 Millionen Kubikkilometer entspricht 0,05 ppm bzw. 50 ppb, also 50 Teile pro Milliarde. Um auf die Wassermenge des Grönlandeises zu kommen, bräuchten wir also 20 Millionen Vulkanausbrüche von der Stärke des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai-Ausbruchs 2022. Und dann hätten wir nicht nur immer noch nicht genug Wasser für den AMOC-Kollaps, sondern mit Sicherheit ganz andere Probleme.

Eine magische Gießkanne eingeführt

Letztlich haben die Autoren dieses grandiosen Papers also nichts anderes gemacht, als eine magische Gießkanne in ihr Modell eingeführt, aus der über 2.200 Jahre jedes Jahr mehr Süßwasser in den Nordatlantik gegossen wird. Das ganze Szenario ist so unsinnig, dass selbst Kollegen aus der Klimawandelzunft leise Zweifel an seiner Plausibilität angemeldet haben. Und irgendwie scheinen das auch die Autoren geahnt zu haben. Deshalb haben sie im zweiten Teil ihres Manuskripts noch eine Pirouette eingebaut, die aber eigentlich alles nur noch schlimmer macht.

Anhand „idealisierter Klimamodelle” will man nämlich herausgefunden haben, dass der Frischwassertransport (abgekürzt FovS) der Atlantic meridional overturning circulation auf 34° südlicher Breite (fragen Sie mich bitte nicht, warum ausgerechnet 34°S und nicht 33°S oder 35°S) ein entscheidender Indikator für die AMOC-Stabilität sein soll. Und ha!, kurz bevor der Golfstrom in der Simulation kollabiert, erreicht FovS in eben dieser Simulation ein Minimum. Und jetzt kommt’s: Die letzten 40 Jahre ist FovS auch zurückgegangen, weshalb zumindest für die Autoren völlig klar ist, dass der Golfstrom demnächst kollabieren wird.

Sie geben in der Diskussion sogar zu, dass sie in ihrer Simulation unrealistisch hohe Mengen an Süßwasser in den Nordatlantik kippen, aber das wäre kein Problem, weil die Ursache dafür in Fehlannahmen im Modell in Bezug auf den Niederschlag in anderen Regionen, speziell über dem Indischen Ozean, lägen [“This is due to biases in precipitation elsewhere in the models and mainly over the Indian Ocean (37).”] Die Autoren erklären also ernsthaft, dass das verwendete Modell fehlerhaft ist, aber die Schlussfolgerungen seien trotzdem gültig. Ja, sie gehen so weit, nun ganz ohne Modellierung schlicht zu behaupten, dass der Golfstrom, würde man diese Fehlannahmen im Modell korrigieren, schon bei viel geringeren Mengen an zugefügtem Süßwasser kollabieren würde. Also vermutlich bereits, nachdem der grönländische Eisschild zweimal und nicht erst nachdem er fast fünfmal abgeschmolzen ist.

Es gibt noch viel mehr Seltsamkeiten in diesem seltsamen Paper, aber statt mich zu sehr in Details zu verzetteln, versuche ich einmal zu übersetzen, was die Autoren gemacht haben. Stellen Sie sich ein Grundstück vor, auf dem ein Haus steht. Jetzt simulieren Sie, dass jeden Tag ein Stück Erdboden um das Haus herum entfernt wird und dass dieses entfernte Stück Erdboden jeden Tag größer wird. Sie erklären nicht, wie dieses Stück Erdboden entfernt wird, aber es gibt explizit keinen Bagger, der dies erledigen könnte. Der Erdboden verschwindet einfach. Irgendwann bricht das Haus zusammen.

Jetzt untersuchen Sie, was sich so kurz vor dem Zusammenbruch des Hauses auf dem Grundstück noch verändert hat und sie stellen fest, dass der Zaun um das Grundstück kurz vorher etwas gekippt ist. Daraus schließen Sie messerscharf, dass ein Haus, dass auf einem Grundstück steht, das von einem leicht gekippten Zaun umzäunt ist, demnächst einstürzen wird. Erklären Sie das dem durchschnittlichen Hausbesitzer, wird er Sie vermutlich mindestens für etwas seltsam halten. Machen Sie das Ganze in den „Klimawissenschaften” können Sie die „Ergebnisse” in einer wissenschaftlichen „Top-Zeitschrift” veröffentlichen.

Was ja prinzipiell harmlos wäre, würden Politiker solche Publikationen nicht als Vorwand missbrauchen, um neue Zwangsmaßnahmen gegen die Bevölkerung zu begründen. Und das ist die eigentliche Tragik der modernen Wissenschaft – hat die Aufklärung wissenschaftliche Erkenntnis noch als Weg gesehen, über den der Mensch der selbstgewählten Unmündigkeit entkommen konnte (und sollte!), so ist der Wissenschaftsbetrieb mittlerweile mehr und mehr zu einer Begründungsmaschinerie für die verschiedensten Repressionen der Herrschenden gegen die Normalbevölkerung verkommen. Und Immanuel Kant rotiert im Grabe. 

 

Andreas Zimmermann ist promovierter Naturwissenschaftler und lehrt an einer deutschen Hochschule. Er schreibt hier unter einem Pseudonym.                        

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Leserpost

netiquette:

A. Ostrovsky / 12.03.2024

@L. Luhmann : >>Was Sie meinen, Hr. O. ist die Gleichsetzung. Soviel zu Ihrem “Ver” ...<<  ## Nein ischwör. Ich kenne mich aus mit den Operatoren: <  >  ==  !=  und = . Gleichsetzen wäre =, also man zwingt die eine Seite auf den Wert der anderen. Das ist aber nicht meine Intention. Ich wollte tatsächlich den != verwenden, um damit zu zeigen, dass Ver eben nicht gleich Ver ist, sondern dass es gutes und böses Ver gibt. Das kann ja niemals gleich sein, weil gut nicht böse ist und umgekehrt. Rechnen ist Wissenschaft und Schätzen ist Astrologie, so sagt man bei uns. Aber die einen sagen so und die anderen sagen so. Je nachdem. Es kommt eben darauf an.

Carlo Mayer / 12.03.2024

Das erinnert mich an einen Talkshow-Ausschnitt, als der alte weiße Mann Stefan Aust zwischen zwei zänkischen bösartigen Tanten saß - eine war diese überhebliche Wirtschafts“expertin“ Anja Kohl - die unisono auf ihn einschrieen, dass der Golfstrom demnächst versiege und ob er die Wissenschaft leugne. Ja, meinte Aust, zum Entsetzen der beiden Medusen, ja, er glaube nicht an jeden Kram, der irgendwo als Wissenschaft durchgehe. Quod erat demonstrandum.

Holger Kammel / 12.03.2024

Ach ja, noch was. Die Zeitdilatation in Ahängigkeit von der Geschwindigkeit ist doch bekannt. Nun sind Standpunkte ja relativ, Heißt, der Beobachter könnte ja mit halber Lichtgeschwindigkeit unterwegs sein und das Beobachtungsobjekt ruhen, Woher weiß die Zeit, wo sie dilatieren (deliriren) muß? Läuft ja auf einen Ruhepunkt des Universums hinaus. Die Quelle des Urknalls oder alles nur Quatsch und Geschwindigkeit beruht nur auf Bewegung zur nächstgrößeren Masse?  Zur Diskussion gestellt. Ich lasse mich auch gern als Hanswurst bezeichnen, wenn die Argumente stichhaltig sind.

Thomin Weller / 12.03.2024

Sabine Hossenfelder hat die Probleme der Wissenschaft auf den Punkt gebracht. YT “Sabine Hossenfelder: Was läuft falsch in der gegenwärtigen Physik?” Eine gewaltige Stagnation. Und nun basteln sie Gender, Klima und Relotius Artikel und dienen sich der Versicherungswirtschaft und Hochfinanz an.

S. Marek / 12.03.2024

Ich hatte einen sehr guten Elektronik Lehrer, diesen haben wir mal vor einer Prüfung aufgezogen, da wir behaupteten, daß eine ziemlich kompakte Elektro-Magnetische Formel einen Fehler haben muß. Anstatt der Prüfung, hat der Lehrer 45 Minuten gebraucht um auf großer Tafel die Formel herzuleiten um zu beweisen, daß diese korrekt ist. Das nenne ich Wissenschaftler, die Prüfung kam dann in der nächsten Woche. ;-)

S. Marek / 12.03.2024

Das Älterwerden hat seine Vor- und Nachteile, man sieht die Buchstaben nicht mehr aus der Nähe, aber man erkennt die Idioten aus der Ferne.

Fred Burig / 12.03.2024

@A. Ostrovsky:”.....@Fred Burig :.....“Das “Verrechnen” ist ein kleiner Fehler auf wissenschaftlicher Basis.”.... und sie meinen da kommt als Ergebnis was Besseres als “falsch!” raus? Oha, dann ist also die Habeck’sche Denkweise doch wissenschaftlicher Natur und bedeutet, wenn etwas offensichtlich falsch ist, muss es dennoch nicht wirklich falsch sein - es kann auch nur nicht richtig sein ..... Da hab’ ich mich aber wirklich verschätzt, schätze ich mal! Das verzeihe ich meinem Privatastrologen niemals!  MfG

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