Es wären die Worte eines Präsidenten

... doch geschrieben hat sie der linke Bürgermeister einer Kleinstadt in Thüringen. Solche klaren Sätze müsste ein Staatsoberhaupt den Bürgern in dieser Krise sagen, aber von dem kommt das Gegenteil.

Faktenbasis? Sachliche Argumentationsgrundlagen? Ausgewogenheit? Anstand? Verhältnismäßigkeit? Stichwort Volksverhetzung? Mögliche Strafbarkeit? All dies sind bei in die Öffentlichkeit posaunten und medial breit gestreuten Äußerungen von Journalisten, Politikern und führenden Organisations-Funktionären zum Impf-Thema offenbar keine begrenzenden Orientierungspunkte mehr. Das in den letzten Jahren in anderen Bereichen stark und oft unsinnig überdehnte Begriffspaar „Hass und Hetze“ kommt hier zu seinem vollen Recht.

Die Beispiele für die Hemmungsfreiheit sind inzwischen Legion. Sarah Frühauf erklärt in ihrem „tagesthemen“-Kommentar: Alle Impfverweigerer müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, an der derzeitigen Situation mit schuld zu sein. Sie tragen Mitverantwortung dafür, dass die Gesellschaft wieder unter Druck gerät… Und sie müssen sich fragen, welche Mitverantwortung sie haben an den wohl tausenden Opfern dieser Corona-Welle. Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes und Inhaber weiterer Spitzenämter in Medizinervereinigungen, spricht von der „Tyrannei der Ungeimpften“. Nikolaus Blome überschreibt eine „Spiegel“-Kolumne mit „Wir Geiseln der Ungeimpften“. Der Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers: „Ich gebe zu, dass sich mein Blutdruck erhöht, wenn ich Menschen treffe, die die Impfung verweigern“. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union Tilman Kuban: „13 Millionen erwachsene Menschen bringen eine Industrienation wie Deutschland an den Rand der Verzweiflung. Denn sie wollen sich nicht impfen lassen und sorgen im 20. Monat der Pandemie dafür, dass unser Gesundheitssystem… nahezu kollabiert.“ Joachim Gauck, ehemaliges Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, hält hinsichtlich von Impfskeptikern es für „schrecklich, dass wir in einem Land leben, in dem nicht nur Bildungswillige leben, sondern auch hinreichende Zahlen von Bekloppten.“ Frank-Walter Steinmeier, amtierendes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, verkündet: "Diejenigen, die sich nicht impfen lassen, setzen ihre eigene Gesundheit aufs Spiel, und sie gefährden uns alle".

Die Liste der Aussagen und Forderungen, die bei weitem nicht mehr als vereinzelte situationsbedingte Entgleisungen gelten können und von denen bislang auch keine vom Urheber zum Missverständnis erklärt wurde, geschweige denn zurückgenommen, wird täglich länger.

Während Verlautbarungen bekannter Namen wie derjenigen der beiden bundespräsidialen Totalausfälle die Schlagzeilen beherrschen, fristen andere Töne zur Impf-Thematik und der damit verbundenen, immer problematischer werdenden gesellschaftlichen Lage ein mediales Randdasein, auch wenn sie aus der Politik kommen. So wie jetzt von einem Vertreter der Linkspartei aus Thüringen. Nein, nicht vom Vorgänger und Nachfolger von Ministerpräsident Thomas Kemmerich, sondern vom Bürgermeister des Städtchens Neuhaus am Rennweg. Uwe Scheler hat mit einem äußerst lesens- und verbreitenswerten Text Stellung bezogen (vollständig hier).

„Wir müssen aufhören, auszugrenzen und abzugrenzen“

In diesen Tagen höre man sehr oft die Frage nach Schuld oder den Vorwurf von Schuld. Schuld am Vorhandensein des Corona-Virus, Schuld daran, dass er immer noch nicht weg ist, Schuld an der hohen Anzahl der Infektionen,… Es handle sich jedoch nicht um eine Frage der Schuld. Vielmehr sei es eine Frage nicht eingelöster Versprechen und nicht erfüllter oder enttäuschter Erwartungen.

Überall werde darauf gewartet, dass das Corona-Virus endlich wieder von der Bildfläche verschwindet und wir alle wieder unser vorheriges Leben zurückerhalten, wenn wir nur dies oder das machen… Von vielen Stellen wurden diese Erwartungen und Hoffnungen noch durch Versprechen genährt und unterstützt. Versprechen, die eigentlich nicht hätten gemacht werden dürfen. Versprechen, die einfach nicht gehalten werden konnten.

Menschen gehen sich auf der Arbeit oder im privaten Bereich an, werfen sich gegenseitig vor, an etwas schuld zu sein. An Infektionen und Quarantänemaßnahmen, an Schließungen von Einrichtungen… Die Ausmaße der Enttäuschung und Wut, oft auch der Machtlosigkeit oder Handlungsunfähigkeit, manchmal aber auch der Angst sind aktuell ebenfalls auf allen Ebenen erlebbar und spürbar. 

Politik und Medien pushen das Ganze noch, Aktionismus und Paniksituationen sind die Folge.

Bürgermeister Scheler fährt fort: Ich gebe zu: Ich habe auch keinen Masterplan. Ich kann nichts versprechen, ich kann nichts in Aussicht stellen. Ich verpflichte niemand zu etwas, ich empfehle niemand etwas. Weil ich es einfach nicht weiß. Ich rate nur jedem, der es auch nicht weiß, es ebenso wie ich zu halten und es einfach zuzugeben, dass man keine Lösung zu bieten hat. Solange den sogenannten Heilsbringer niemand hat, sollte man sich auf allen Ebenen mit Schuldvorwürfen unbedingt zurückhalten. Die… verlagern nur die Verantwortung und machen blind. Ich rate jedem auf allen Ebenen, maßvoll mit Vorwürfen, Beschimpfungen und Anordnungen umzugehen, man sollte sich auch künftig noch in die Augen sehen können, allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz. In solchen Situationen hat niemand mehr Recht als der andere.

Man zerstöre unser ohnehin bereits beschädigtes soziales Gefüge und unseren inneren Frieden im Land, und auch in unseren Gemeinden und in unseren Familien. Schon die Aussage, ein Landkreis und damit die in ihm lebenden Menschen, wären ein Hotspot, ist doch bereits eine Diskriminierung… Das Corona-Virus kennt keine Landkreis- und keine Ländergrenzen.

Wir müssen aufhören, auszugrenzen und abzugrenzen, wir müssen das alle gemeinsam durchstehen. Wir müssen Kräfte, Kenntnisse und Erfahrungen bündeln. Damit jedem – und ich meine wirklich jedem – geholfen werden kann, der krank wird und ärztliche Hilfe braucht. Egal ob geimpft oder ungeimpft, egal ob leider Corona, leider Herzinfarkt oder leider Beinbruch. Die sogenannten Triagen sind nicht erforderlich wegen Geimpften oder Ungeimpften.

Irrwitzige Förderung des Krankenhausbetten-Abbaus

Und damit ist Bürgermeister Scheler noch bei einem speziellen Thema: 

Wir müssen zuallererst aufhören, den Abbau von Krankenhausbetten zu fördern.

Sie glauben das nicht? Tatsächlich ist es so. Wenn Krankenhausbetten reduziert werden, gibt es Förderung dafür, aus dem Krankenhausstrukturfonds.

In der Verordnung heißt es:

„Des Weiteren wird nunmehr der Abbau von krankenhaus-planerisch festgesetzten Betten nach Anzahl der Verminderung pauschal gefördert. Ausgehend von einer Bagatellgrenze von bis zu 10 Betten stellen sich die Förderungen wie folgt dar:

  1. 11 bis 30 Betten: 4.500 € je Bett
  2. 31 bis 60 Betten: 6.000 € je Bett
  3. 61 bis 90 Betten: 8.500 € je Bett
  4. Mehr als 90 Betten: 12.000 € je Bett“

 Im Gesundheitswesen geht es an vielen Stellen nur noch betriebswirtschaftlich orientiert und unternehmerisch denkend zu. Krankenhäuser müssen sich „rechnen“.

Ich finde, das ist der eigentliche Notstand und den haben wir in unserem Land selbst geschaffen… Stellen wir gemeinsam nicht mehr die Frage nach der Schuld. Grenzen wir niemanden aus, weil er etwas nicht genauso macht, wie wir es selbst machen... Ziehen wir in Erwägung, dass der andere eventuell auch recht haben könnte.

Achten wir einfach unser Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Wenn Herr Steinmeier dem Land in den – hoffentlich – letzten Monaten seiner Amtszeit tatsächlich noch etwas Gutes tun will, sollte er die Worte von Uwe Scheler, Bürgermeister der Kleinstadt Neuhaus am Rennweg, öffentlich verlesen. Umgehend, laut, zur besten Sendezeit, mehrfach. Das wäre eine präsidiale Tat. Und es macht kaum zusätzliche Arbeit, den Text kann der Bundespräsident eigentlich so übernehmen, wie er ist, und er muss ihn ja nicht verstehen.

Foto: Stefan Klinkigt

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STeve Acker / 26.11.2021

Uwe Scheler for Bundespräsident !

Ulla Schneider / 26.11.2021

Ach Herr Lommatzsch, Sie haben tatsächlich Gottvertrauen. Wenn Walter Steinmeier ......  nein, Gott bewahre, nicht der. Der würde diese klugen Worte des Bürgermeisters gar nicht verstehn! Der hat nämlich das berühmte Brett vor dem Kopf, daß zusammenhängende Gedanken verhindert. Oder ist er mit einem solchen groß geworden? Sie erwarten zuviel. Wenn Walter Steinmeier, jaaaa, wenn seine Biografie eine andere wäre, dann könnte er kluge Sätze formulieren. Ach ja, träumen darf man noch ..... Und es gibt derer soviele - in Hamburg überlegt der “Bremer” Bürgermeister einen Lokdown. Nichts anderes fällt denen ein. Schuld haben die, die solche durchs Examina gehoben haben. Leben die noch?

Christoph Kaiser / 26.11.2021

@ Gerhard Rachor: Machen wir uns Nichts vor, das ist Absicht! Und welche, sollte auch klar sein.

Eugen Richter / 26.11.2021

ICH BIN KEIN IMPFVERWEIGERER. Ich lehne nur diese Gentherapie ab.

Harro Heyer / 26.11.2021

Ich stimme den Vorbemerkungen und dem Bürgermeister Uwe Scheler aus tiefstem Herzen zu. Die zitierten hemmungslosen Sätze aus Politik und Medien, gerichtet gegen die sehr große Gruppe der bisher nicht Geimpften, basieren auf einem Denken, das Vernunft und Verstand offenbar absichtsvoll vernachlässigt. Wie weit wollen diese Personen in der Öffentlichkeit noch gehen? Diese Frage beschäftigt mich schon einige Wochen. Offenbar wurden bisher die persönliche Defizite dieser hemmungslos Agierenden nur durch ihr problemloses Dasein verdeckt.  Wenn es schwierig wird, wenn man selbst nicht frei von Fehlern ist, wenn man die Probleme nicht klug und kreativ angehen kann, wenn man sich nicht frei machen kann von äußeren Randbedingungen, wenn man sich sicher in einer Mehrheit wähnt, dann sucht der schwache Mensch die Schuldigen. Schwächlinge suchen die Schuld nie bei sich selbst. Wo sind die Starken, die Kreativität an den Tag legen und uns ggf. wieder einigen können? Uwe Scheler wäre dafür ein Hoffnungsschimmer.

S. Busche / 26.11.2021

Üblicherweise nutzen Feuerwehrleute bei einem Brand die Chance, erstmal neue Ausstattung zu verlangen, Hydranten zu prüfen und alles zu tun. Nur nicht zu löschen. Wäre es so, dann würde es ganz anders brennen. Nein, natürlich wird zuerst sofort der Brandherd gelöscht. Bei Corona ist das anders: Statt den Brandherd, die GAIN OF FUNCTION FORSCHUNG zu VERBIETEN, erdreisten sich dumme oder gerissene Akteure aller Kragenweiten eine SCHULD für alles mögliche großflächig zu streuen. Damit ruft man den BÜRGERKRIEG aus. Die Spaltung findet statt und ist nicht aufzuhalten. Und das Problem ist nicht gelöst. Hitze spürt jeder, Dummheit nicht. Es wird da enden, wo es enden muss. Leider!

Volker Kleinophorst / 26.11.2021

@ B. Meyer Der Sänger der Red Hot Chilli Peppers Anthony Kiedis spielt in “Gefährliche Brandung” eine Nebenrolle. Die anderen Bandmitglieder spielen nicht mit. Die Hauptrollen gingen an Keanu Reeves und Patrick Swayze. Kiedis hatte nicht nur mit Nina Hagen („Sie war meine Mentorin, sexuell und spirituell. (…) An ihr faszinierte mich alles. Ihr krasser Akzent, ihr schriller Look“) ein Verhältnis sondern auch mit Heidi Klum („Die Zeit mit Heidi gehört zu den schönsten Erinnerungen in meinem Leben“.) (Zitate Rolling Stone.) The Winner takes it all. Die Verbindung zu Steinmeier ist mir noch unklar.

Gerald Weinbehr / 26.11.2021

“Wenn Herr Steinmeier dem Land in den – hoffentlich – letzten Monaten seiner Amtszeit ...” - Auch wenn es die letzten Monate seiner Amtszeit sein sollten, so wäre es doch nur wie mit dem Wunsch “Merkel muss weg!” Merkel ist bald weg (zumindest offiziell, was sie von ihrem mit neun Lakaien ausgestatteten Büro aus tun wird, bleibt abzuwarten), aber danach kommt nichts besseres. Im Gegenteil, die neue Regierung wird die Probleme nur verschärfen und den Abstieg Deutschlands beschleunigen. Auf Steinmeier würde auch nur der/die nächste linksgrüne Bundespräsidenten-Darsteller***!_*!**IN folgen.

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