Volker Seitz / 27.06.2020 / 11:00 / Foto: Seitz / 12 / Seite ausdrucken

Entwicklungshilfe: Berichte über Korruption für jedermann zugänglich

Den Bonner Aufruf (BA) für eine Reform der Entwicklungspolitik erreichen immer wieder Anfragen von Journalisten und Privatpersonen, die konkrete Beispiele von Unterschleif in Afrika bekommen möchten. Der Koordinator des BA, Kurt Gerhardt, hat solche Berichte seit vielen Jahren gesammelt. Er macht sie seit ein paar Wochen auf der Homepage www.bonner-aufruf.eu in der Rubrik „Korruption & Misswirtschaft" jedem Interessierten zugänglich.

Diese Medienberichte sollen deutlich machen, wie hemmungslos Herrschaftscliquen afrikanischer Länder sich am Vermögen ihrer Völker bereichern, und zugleich sollen sie auf das Versagen unserer Politiker hinweisen, auf diesen Skandal angemessen zu reagieren. 
 
OXFAM hat ausgerechnet, dass jährlich etwa 200 Milliarden Dollar Afrika illegal verlassen und damit der Entwicklung fehlen. Die Korruption und der Missbrauch von öffentlichen Geldern stellt eines der größten Hindernisse für die Entwicklung afrikanischer Staaten dar.

Die meisten Entwicklungsländer erkennen die wirklichen Kosten der Korruption nicht. Das hohe Maß an Bestechlichkeit ist ein Grund für den mageren Zustrom ausländischer Direktinvestitionen, die Afrika dringend für den Bau neuer Straßen, Fabriken und für die Verbesserung der Elektrizitäts- und Wasserversorgung braucht. Der Zustrom von Direktinvestitionen wird nicht nur für jede Form von Infrastruktur und Industrialisierung gebraucht, sondern ist auch entscheidend für Bildung und Ausbildung der Bevölkerung – langfristig die wohl entscheidenden Faktoren für Entwicklung. Tatsächlich wäre die Bekämpfung der Korruption für afrikanische Regierungen die beste Selbsthilfe.

Mehltau über jede Kritik

David Signer schreibt in seinem Beitrag für das Buch „Das Ende der Armut“ „Entwicklungshilfe statt Entwicklung“, Seite 88: „Jörn Sommer, ein deutscher Soziologe, der jahrelang über Korruption in Benin geforscht hat, spricht von einer ‚repressiven Verständigungsgemeinschaft‘.“ Schon die normale Überprüfung der Geschäftsführung werde als „Unruhestiftung“ gedeutet. Man scheue Dissens, weil oft nicht der Ertappte, sondern der Kontrolleur vom Kollektiv geächtet werde. Der Appell an Harmonie und „einvernehmliche Lösungen“ lege sich wie Mehltau über jede Kritik. Im schlimmsten Fall, so Sommer, genüge das „Verteilen“ von unterschlagenem Geld, um den Frieden wieder herzustellen, mit anderen Worten: eine weitere Bestechung.  
 
Bereits 2016 kamen eine Gruppe von Wissenschaftlern und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die für das Ministerium die staatliche Entwicklungshilfe durchleuchtet haben, zu dem Schluss, dass gerade im BMZ die Korruptionsbekämpfung sehr vernachlässigt wird. Die Prüfer konstatieren „diverse Lücken in der Einbindung von Antikorruption in Dokumente und Prozesse“ des Ministeriums. Es herrsche „teilweise Unklarheit über Regeln und Berichtswege sowie das konkrete Vorgehen bei Korruptionsfällen“. Der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Linke), Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kritisiert, „dass ausgerechnet dem BMZ unter Minister Gerd Müller, der von den Partnerländern regelmäßig Good Governance einfordert und Korruption geißelt, eine sehr mangelhafte Korruptionsbekämpfung bescheinigt wird“.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Seitz

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Jürgen Fischer / 27.06.2020

Bevor unsere Politiker ihr Versagen einsehen, wie man auf diesen Skandal angemessen reagiert, nehmen sie die Berichte als Gebrauchsanweisung, wie sie sich selber am Vermögen ihres Volkes bereichern. Angefangen haben sie ja schon damit.

Andreas Rochow / 27.06.2020

Der Bonner Aufruf ist für die Politik nicht akzeptabel, weil vernünftig und faktenbezogen. BMZ-Politik ist teure Zeichensetzerei von Typen, denen es aus vermeintlich moralischen Gründe völlig gleichgültig ist, dass echte Vorteile nicht generierbar sind, wenn Abhängigkeit und Korruption zwangsläufige Folgen sind. Wo bleiben hier die “Watcher”, die sonst jedes Übel in der Welt lauthals anprangern und die Schuld immer beim weißen Mann suchen? In Entwicklungshilfefragen hätten die verantwortlichen weißen Männer sogar einen Namen! Wir sollten ihr Tun gründlichst evaluieren, Vor-Ort-Personal rotieren lassen und bei den Geldflüssen genau hinsehen! Flüchtlingsströme als Ergebnis der hehren Bemühung um das “Abschaffen von Fluchtgründen” sind eine traurige Tatsache.  Auf Geheiß der UN sollen wir Verwerfungen im Geberland in Kauf nehmen. Das ist einigermaßen bizarr. Es gibt nämlich sehr wohl Zahlen und Fakten, an denen man ablesen kann, ob sich die BMZ-Aktionen mit der Geldgießkanne sozioökonomisch angemessen positiv ausgewirkt haben oder eben nicht! Aber hier scheint die Prämisse zu gelten: Sie wollen das Gute und fürchten die Wahrheit. Der Schaden, den Politiker, Diplomaten und vernetzte Aktivisten mit einer solchen Auffassung - egal, ob mit oder ohne persönliche Vorteilsnahme! - anrichten, ist schwerwiegend und wirkt fort, wenn nicht umgesteuert wird. - Und erst die NROs (syn. NGOs)! Aber das ist ein anderes Thema.

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