Am Dienstag berichtete die Achse des Guten über die frühmorgendliche Hausdurchsuchung bei zwei Hamburgern, einem ghanaischen Christen und dem regierungskritischen Blogger Heinrich Kordewiner. Diese verfolgte mutmaßlich den Zweck, beide für das Aufdecken der Wahrheit zu bestrafen: dass das an der U-Bahn-Station Jungfernstieg am 12. April ermordete Baby geköpft wurde. Am Mittwoch schrieb Stephanie Lamprecht in der Hamburger MoPo über den Artikel der Achse des Guten – die sie so sehr verschreckt, dass sie sie nicht beim Namen nennt –, und zwar unter dem spannenden Titel: „Kritik an Polizei-Razzia: Wie Rechte den Messermord an Jungfernstieg missbrauchen“. Der „Missbrauch“, Sie ahnen es schon, besteht nicht in der Tat sondern in der Berichterstattung darüber:
„Nach der tödlichen Messerattacke auf Sandra P. (✝ 34) und ihre kleine Tochter (✝ 2) am S-Bahnhof Jungfernstieg tobt im Netz ein von rechten Blogs gesteuerter Shitstorm gegen die Hamburger Polizei. Der Vorwurf: Die Ermittler würden dem Publikum die blutigsten Details gezielt verschweigen, um den Täter, den abgelehnten Asylbewerber Mourtala M. aus dem Niger, zu schützen. Jetzt fand eine Razzia bei einem Blogger in Eilbek statt: Es ging um ein Handyvideo.“
Die Frage, wie man einen „Shitstorm“ „steuert“, außer acht gelassen, müssen wir die Wortwahl rügen: Razzia ist ein hässlicher, historisch belasteter Begriff. Er geht auf das arabische ghazzia zurück und bezeichnet einen Beutezug von Korsaren beziehungsweise „eine bei den arabischen Beduinen übliche Sitte, die schon in vorislamischer Zeit bezeugt ist und gebietsweise bis in die jüngste Zeit fortbesteht: Zur Wahrung der Existenzgrundlage des eigenen Stammes, die durch das Verenden der Kamele nach winterlichen Dürreperioden oder dem Auftreten einer Viehseuche immer wieder bedroht war, wurden kurze Überfälle unternommen, um von einer anderen Sippe oder einem anderen Stamm Kamele, Nahrungsmittel und anderes zu erbeuten.“
Hase und Igel: Die MoPo muss zu den Fakten aufschließen
Es mag ja sein, dass in der Behörde des grünen Justizsenators Till Steffen in letzter Zeit einige Kamele verendet sind und auch in der SPD die Viehseuche grassiert, aber wenn ich mich so sehr für eine abgesicherte Karriere im Ministerium gegen Hass und Hetze empfehlen wollte, wie mit diesem für das ewige Poesiealbum tauglichen Bewerbungsschreiben von Frau MoPo-Lamprecht („Heinrich K. gibt sich uneinsichtig (!), die Ermittler mussten (!) ihren richterlich bestätigten (!) Durchsuchungsbefehl mit einem Schlüsseldienst durchsetzen.“), dann würde ich meine Wortwahl besser bedenken.
Die Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahmung willkürlich ausgewählter Gegenstände fand auch nicht „jetzt“ (wie es im Text heißt) statt, sondern vergangene Woche am Freitag. Wenn das Wort „jetzt“ zum Einsatz kommen soll, um Aktualität vorzugaukeln, müsste es heißen: „Jetzt, nachdem die Katze aus dem Sack ist, müssen wir von der MoPo sehen, wie wir den Fakten einen solchen Spin geben, dass sie in unser täglich ausgewalztes Weltbild passen.“
Warum überhaupt berichtet die MoPo? Frau Lamprecht kann nicht länger schweigen, denn zwei Hausdurchsuchungen und einen Achgut-Artikel später wissen ihre Leser mehr, als der Zensor erlaubt. Meinen Beitrag und dutzende von Leserkommentaren meint sie so zusammenfassen zu können:
„Die Ermittler würden dem Publikum die blutigsten Details gezielt verschweigen, um den Täter, den abgelehnten Asylbewerber Mourtala M. aus dem Niger, zu schützen.“
Wer würde auf eine solche Schnapsidee kommen? Mourtala Madou sitzt in einem deutschen Gefängnis, kann er noch besser geschützt sein? Ich hatte auf der Achse etwas ganz anderes geschildert, nämlich dass Polizei und Staatsanwaltschaft (sprich: der rot-grüne Senat) nicht wollen, dass bekannt wird, dass das Baby geköpft wurde. Das ist eine Tatsache. Über die Gründe habe ich nicht spekuliert.
Freihändige Fantasie
Es bleibt dabei: Ich spekuliere nicht über die Gründe, sondern halte mich an Tatsachen. Mit denen hat es Frau Lamprecht nicht, aber als MoPo-Redakteurin wird sie ja auch nicht dafür bezahlt. Sie fantasiert freihändig:
„Das Video, das Heinrich K. aus Eilbek über seinen Youtube Kanal hochgeladen hat, zeigt die Rettungskräfte am 12. April auf dem S-Bahnsteig Jungfernstieg. Zu sehen sind die Körper von Mutter und Tochter, die in großen Blutlachen auf dem Boden liegen, Helfer knien um sie herum.“
Blödsinn. Wie jeder weiß, der das Video gesehen hat, zeigt es vor allem den Fußboden und die Wandpaneele. Das mit der Blutlache ist richtig, und schon die darf offenbar nicht gezeigt werden. Dann hat Lamprecht eine Begegnung mit einem Engel, der Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg:
„Polizei und Staatsanwaltschaft haben gegenüber der Öffentlichkeit nicht von der tatsächlich nahezu erfolgten Enthauptung des Kindes gesprochen, sondern von ‚schweren Schnittverletzungen am Hals’. Das erfolgte nicht aus Gründen des Täterschutzes, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft betont, sondern aus Respekt vor der Würde des getöteten Kindes.“
Die Sprecherin hat das also nicht bloß gesagt (schon gar nicht hat sie gewettert, geschimpft oder gehetzt, wie es die Art der Rechten ist), sondern sie hat es mit Engelszungen betont. Dann muss es ja stimmen, es ist gewissermaßen in Stein gemeißelt. Das wird das ermordete Kind beeindrucken. Noch schöner wäre es natürlich gewesen, wenn die Staatsanwaltschaft ein so betontes Interesse an dessen Würde gezeigt hätte, als es und seine Mutter noch lebten, also so rein zeitlich irgendwie früher. Ein guter Zeitpunkt (im Unterschied zu dem jetzigen schlechten), den späteren Mörder zu stoppen wäre zum Beispiel gewesen, als dieser gegenüber der Mutter ankündigte: „Ich werde unsere Tochter töten – und danach dich!“
Warum geschah das nicht? Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg, Oberstaatsanwältin Nana Frombach (just jene, die so gut betont) hat eine hieb- und stichfeste Erklärung: „Es hat Anfang des Jahres eine Strafanzeige der jetzigen Geschädigten [gemeint ist die ermordete Frau; S.F.] gegen den Beschuldigten gegeben. Sie hat ihm vorgeworfen, sie und das gemeinsame Kind bedroht zu haben. Aufgrund dieser Anzeigen wurden auch Ermittlungen eingeleitet, es wurde eine Gefährderansprache mit dem Beschuldigten geführt, in deren Verlauf er aber gesagt hat, dass er eine solche Bedrohung nicht ernst gemeint habe.“
Pietätsgründe! Bei der MoPo!
Man sieht, es wurde alles Polizeimögliche unternommen, mehr war nicht drin. Obwohl, ein bisschen unfair ist es schon: Die ermordete Frau gehörte einfach der falschen Kaste an. Man stelle sich vor, Madou hätte die Drohung „Ich werde dich töten“ gegen einen Hamburger Staatsanwalt ausgesprochen. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass die Sache dann etwas anders ausgegangen wäre. Wie auch immer, Frau Lamprecht hat alles erfahren, was sie wissen musste: Es gibt in Hamburg keine Nachrichtenzensur, sondern „Respekt vor der Würde des getöteten Kindes. Warum Frau Lamprecht und ihre Medienkollegen über Einzelheiten des Doppelmordes wie etwa den Zustand des Kindes nach der Tat lieber hatten hinweghudeln wollen, erklärt sie so:
„Die meisten Medien, auch die MOPO, haben aus Pietätsgründen ebenfalls darauf verzichtet, dieses monströse Detail der unfassbaren Tat zu nennen.“
Bis jetzt, denn auch Pietätsgründe haben ein Verfallsdatum. Pietätsgründe! Jeder, der die MoPo ein wenig kennt, muss sich bei diesem Satz in die Hose machen, wenn er zuviel Alster getrunken hat. Wer sie nicht kennt – wie soll man ihm das Wesen der Zeitung erklären, ohne dass es justiziabel wird? Ein paar pietätsvolle MoPo-Artikel, zufällig im Internet gefunden:
16.4.2014: Unter der Schlagzeile „Ich sah abgerissene Beine, abgerissene Füße, Menschen auf Menschen getürmt“ berichtet die MoPo vom Terroranschlag auf den Boston-Marathon. In einer Bilderstrecke sind Fotos von Verletzten, auch Kindern, zu sehen. Die Gesichter wurden nicht unkenntlich gemacht. Zwischen den Fotos wird Werbung eingeblendet, u.a. für Laufschuhe.
15.10.2017: Die MoPo berichtet über eine Mutter, die nach der Geburt durch einen „Ärztefehler“ „Gliedmaßen verloren“ habe. „Fleischfressende Bakterien“ hätten sich „an der Vagina festgesetzt“.
22.3.2018: Die MoPo berichtet von einem „Schock-Video auf Facebook“: „Mutter lässt ihr Baby Zigarre rauchen“ Klar, dass das „Schock-Video“ auf der Website der MoPo zu sehen ist.
9.4.2018: Die MoPo berichtet: „Sohail A. (34) tötete seine zweijährige Tochter mit einem Messer, enthauptete sie dabei fast … Die 33-jährige Lubna A. erzählte während der Vernehmung durch den Richter, dass Drohungen wie ‚Ich reiße euch die Gedärme raus’ und ‚Ich werde euch zerstückeln’ bei ihrem Ex gegenüber ihr und den Kindern keine Seltenheit gewesen seien.“
23.4.2018: Die MoPo berichtet: „Horror-Unfall im Garten. Kind (7) kommt unter Rasenmäher – Fuß abgetrennt!“
23.4.2018: „Vermisster Schotte im Video: Hier wird Liams Leiche geborgen“
23.4.2018: Unter der Überschrift „Blutige Tat auf dem Kiez – Frau mit Messer attackiert“ zeigt die MoPo ein Video vom Schauplatz des versuchten Mordes, die Blutlache und blutdurchtränkte Tücher immer wieder in Großaufnahme.
23.11.2017: Die MoPo berichtet: „Horror-Szenen in einem chinesischen OP-Saal: Ärzte holten dort einen Aal aus den Gedärmen eines Mannes – der Chinese hatte sich den Fisch offenbar rektal eingeführt! … Das Tier war zu diesem Zeitpunkt noch lebendig und kroch den Darm des Mannes hoch.“
All das lesen MoPo-Leser zum Frühstück. Wie gesagt: ganz besondere Menschen – und ganz besondere Redakteure. Just nach dem Doppelmord am Jungfernstieg brachte die MoPo eine ganze Serie zum Thema: „Wenn Väter morden. Diese Fälle schockten Hamburg“. Da heißt es etwa: „Januar 2014, Glinde (Kreis Stormarn): Ein Vater tötet seine beiden Kinder (4 und 6), indem er ihnen im Schlaf die Kehlen durchschneidet. Der Zahnarzt stellt sich kurz darauf der Polizei und wird in die Psychiatrie eingewiesen. Angeblich hat er im religiösen Wahn gehandelt, wandte sich nach einem Urlaub plötzlich dem Islam zu.“
Welch eine Hetze. Nicht nur, dass die Anhänger einer Religionsgemeinschaft hier für verrückt erklärt werden, es wird auch noch eine Verbindung hergestellt zwischen dem muslimischen Glauben einerseits und dem Durchtrennen von Larynx und Cervix andererseits. Das geht diese Woche noch an den Presserat!
Unterdessen feiern die MoPo-Leser auf Facebook das Revolverblatt für die „Pietät“, die es sich selbst zuschreibt:
„Müssen wir bei allen immer live und in Farbe dabei sein?“, schreibt einer. „Ich bin froh, dass sich Medien und Polizei daran gehalten haben, diese Details (bis jetzt) nicht zu veröffentlichen. Ich wünschte das wir alle die Würde des Menschen respektieren würden.“
Ja, das wäre schön, dann wären Mutter und Tochter noch am Leben.
Frau Lamprecht wiederum findet, dass man Zensur und Verschweigen irgendwie anders bezeichnen sollte als mit den Wörtern „Zensur“ und „Verschweigen“. Dass Journalisten zu Trappisten werden, wenn es um Einzelheiten eines weltweit beachteten Mordfalls geht, ist höchst moralisch, meint sie. Und das, meint sie weiter, würde jeder so sehen. Mit einer Ausnahme, dem schäumenden Mob:
„Der schäumende Mob im Internet legt diese Haltung jedoch als ‚Zensur’ und ‚Verschweigen’ aus. Es solle verhindert werden, dass die ganze archaische Brutalität des afrikanischen Kindsvaters bekannt werde.“
Wieder ein Pappkameradenargument: Wo will sie dieses Zitat gefunden haben? Der Rassismus, der hier anderen unterstellt wird, ist in Wirklichkeit ihr eigener: Sie schickt „afrikanische Kindsväter“ – gemeint ist der Kindesmörder – vor, gegen die es angeblich gehe. Was mir – dem Autor des Artikels, der Frau Lamprecht so wütend macht – und vielen anderen in Wahrheit Sorgen bereitet, ist die archaische Brutalität deutscher Behörden, Verbrechen nicht zu verhindern, sondern das Berichten über sie.