Gastautor / 26.05.2021 / 14:00 / Foto: Pixabay / 27 / Seite ausdrucken

Einfach ist hier gar nichts; also sollten wir auch nicht so tun

Von Markus St. Bugnyár

Der Waffenstillstand hält. Das Zittern, das Leiden, das Sterben hat ein Ende. Vorläufig. Im Gaza-Streifen wie in Israel. Hoffen wir, dass es so bleibt..
 
Es ist beileibe nicht der erste und bei weitem nicht der letzte Waffenstillstand. Wer meint, der Konflikt sei leicht zu lösen, mäandert zwischen Genie und Wahnsinn. Oder meint jemand ernsthaft, den Menschen hier macht es Spaß, immer wieder in solchen Gewaltexzessen aufzuwachen? Wäre es einfach, hätte man lange schon diesen Weg beschritten.
 
Die Lösung muss hier, vor Ort, von den Konfliktpartnern gefunden worden. Oder sie wird keinen dauerhaften Bestand haben. Was EU, USA, westliches Quartett und Arabische Liga einbringen, kann im Idealfall eine Mediatorenrolle sein. Weder Israelis noch Palästinenser werden sich vorschreiben lassen, wie die Lösung auszusehen habe. Die Amtszeit von Obama konnte man aussitzen wie jene von Trump.

Nur Opfer und keine Täter

Warum ist das so? Weil es in diesem nahöstlichen Drama nur Opfer gibt, keine Täter. Das beginnt bei dieser Beobachtung (es gibt zahllose weitere): Wenn Sie nach Jerusalem kommen, hängt Ihre Meinung zum Thema sehr stark davon ab, mit wem Sie zuerst ins Gespräch kommen. Mit einem Israeli oder einem Palästinenser. Wenn Sie ihn sympathisch und glaubwürdig finden (wobei Vertrauen zumeist auf Emotion aufbaut; wer traut schon jemandem, den er nicht mag?), dann werden Sie auch seine Sicht auf die Dinge leichter annehmen.
 
Dabei können Sie ihr Gespräch entweder beim Sechs-Tage-Krieg 1967 beginnen lassen oder bei der Gründung Israels 1948, beim Holocaust oder bei der Nakba. Das aber ist schon zu vereinfachend; wir müssen mindestens bis ins 19. Jahrhundert blicken, um etwas verständnisvoller an die Materie heranzugehen. An die Negligence, mit der die Osmanen Palästina betrachtet haben (ahnend, wie problematisch das noch werden könnte), und an die Pogrome, denen die Juden im zaristischen Russland ausgesetzt waren. Das Wort Pogrom kommt nicht zufällig vom russischen Wort für Verwüstung und Zerstörung.

Die Tragik, die den Alltag bestimmt

Je länger ich in Jerusalem lebe, desto klarer wird mir: Ich bin nicht Teil des Konflikts. Das gibt mir Sicherheit und schärft vielleicht auch den Blick.
 
Das Problem vor Ort versteht man nur bruchstückhaft, wenn man ein- oder paarmal tageweise zu Besuch war und seine Kenntnis Medien verdankt, die angesichts der Flut an Informationen in einer globalen Welt auswählen müssen, wen sie zu Wort kommen lassen – und wen nicht. Man sollte einige Zeit beständig hier gelebt haben, um die Tragik zu erahnen, die den Alltag bestimmt.  
 
Mich lehrt jeder neue Tag, dass es heute komplizierter ist, als ich gestern noch meinte.
 
Beide, Israelis und Palästinenser, haben ihre Geschichte zu erzählen. Beide Narrative sind in sich vollkommen schlüssig und stimmig. Beide empfinden sich als Opfer des jeweils Anderen, der Umstände, der Geschichte. Des Westens wie der arabischen Bruderländer, der Kirche wie des Kolonialismus. Und beide haben dabei auch nicht unrecht. Wer hier Partei ergreift, stärkt logischerweise den Dissens, gießt Öl ins Feuer. Ein Feuer, das Antisemitismus ebenso nähren kann wie den Hass auf Muslime.

Nach der Pandemie kam die Gewalt

Es gibt in diesem Streit nicht Schwarz und Weiß, Täter und Opfer. Es gibt nur Leidende, denen wir zuhören sollten. Am besten schweigend. Gerne auch betend. In einer solchen Haltung können wir vielleicht auch etwas beitragen, damit dieser Konflikt eines Tages eine wirklich belastbare und dauerhafte Lösung findet. Einfach ist hier gar nichts, also sollten wir auch nicht so tun.
 
Für unser Hospiz bedeutet das konkret: Nachdem die Pandemie halbwegs vorüber war, kamen Tage der Gewalt. Auch wenn sie jetzt ausgestanden sind, die Bilder bleiben uns noch lange in den Köpfen. Wenige Tage haben gereicht, um ein weiteres halbes Jahr auf dem Weg zur „Normalität“ zu verlieren. Das zeigen uns brutal die Stornierungen, die uns aktuell erreichen. Aber was ist das schon im Vergleich zu jenen, die ihr Leben verloren haben und zu Schaden gekommen sind. 
 
Im Moment bin ich einfach nur dankbar, dass es vorbei ist. Vorläufig.

Markus Stephan Bugnyár ist ein österreichischer römisch-katholischer Priester der Diözese Eisenstadt und seit dem 1. Mai 2004 Rektor des Österreichischen Hospizes zur Heiligen Familie in Jerusalem.

Foto: Pixabay

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Markus Viktor / 26.05.2021

„Es gibt in diesem Streit nicht Schwarz und Weiß, Täter und Opfer.“ Seit die eine Seite die SS-artige Barbarei des Daesh-IS hervorgebracht hat, habe ich mich, anders als vorher, klar gegen diese Seite entschieden. Der sich hierzulande als Teilströmung abzeichnende Rückfall in diese Barbarei führt ebenso zu entsprechenden Entscheidungen. Zumindest hätte Vorrang die Abschaffung und Verhinderung der Barbarei, die ja erst vor kurzem auch gegen Armenien zum Einsatz kam.

Tomas Poth / 26.05.2021

Danke für diesen Beitrag. Er trifft den Kern des Unfriedens in dieser Region. Und leider wird er noch sehr lange währen, es ist kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen.

Burkhart Berthold / 26.05.2021

Dass Herr Bugnyar als Priester eine unpolitische, rein humane Betrachtungsweise wählt, ist angemessen. Poilitisierende Geistliche haben wir in D genug. Es ist ja auch alles sehr richtig: Kein Schwarz-Weiß. Menschen wir er können zur Beruhigung beitragen, eines Tages auch zur Versöhnung.  Derweil aber ein Konflikt anhält, geht es darum, ihn zu gewinnen. Für Israel bedeutet das: standzuhalten und zu bleiben. Davon profitieren nicht zuletzt auch die Christen in Israel und besonders in Jerusalem. Man kann sich kaum vorstellen, dass das Österreichische Hospiz, zu dessen Besuch ich gerne rate, in einem von der Hamas regierten Jerusalem viele Besucher hätte.

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