Nur ein Idiot glaubt, dass er über sich die Wahrheit schreiben kann. Schön gesagt und besonders passend, wenn dieser Satz im ersten Kapitel einer Autobiographie zu finden ist. Als Eric Ambler 1985 seinen Lebensrückblick veröffentlichte, war er im Bereich des Thrillers (oder Polit-Thrillers) seit längerem bereits einer der Größten. Als Begründer des Genres wird der britische Autor oft gefeiert, und Superlative kann man hier einfach einmal gelten lassen. Eine derartige Mischung aus Spannung, Persiflage, Ironie und zugleich einem Einblick in politische Abgründe und Verworrenheiten des zweiten Drittels des 20. Jahrhunderts dürfte kaum in ähnlicher Weise zu finden sein. Darüber hinaus finden sich bei Ambler immer wieder auf den Punkt gebrachte Beobachtungen, die zeitlos sind.
1909 geboren, hatte er ein Ingenieurstudium begonnen, war zunächst erfolgreich in der Werbebranche tätig, nachhaltig erfolgreich allerdings dann als Schriftsteller und Drehbuchautor. Am Anfang waren da starke, sich auch im Werk niederschlagende Sympathien für linke Weltverbesserungspotenziale. Das sollte sich aber bald geben. Seinen eher im Stil eines Romans abgefassten Erinnerungen gab er im Sinne des Eingangszitats den wunderbar doppeldeutigen, leider nicht übersetzbaren Titel „Here lies Eric Ambler“. Liegen tut er also in dem Werk – aber eben auch lügen. Sagt er zumindest.
In seinen Romanen darf er lügen, ganz offiziell. Allerdings macht er davon wenig Gebrauch. Amblers oft gar nicht so erfundene, sondern eher Wirklichkeiten abbildende Geschichten zeigen hässliche, gewaltbeherrschte, merkwürdige, exotische und zugleich komische Welten. Entziehen kann man sich nach begonnener Lektüre nur schwer. Zunächst überschaubare, kleine, nicht immer ganz legale Geschäfte oder unangenehmen Situationen, in welche es den von Ambler so geliebten Typus des Antihelden spült, stellen sich überraschend als entscheidende Elemente in einem Räderwerk von größtem politischen Ausmaß heraus. Reizvollerweise kann man das Mosaik, das Gesamtbild der Geschichte, meist erst nach und nach zusammensetzen, mehrfache Perspektivwechsel inklusive. Bevorzugte Schauplätze Amblers sind Europa, gern der „unruhige“ Balkan der Vorkriegszeit, der östliche Mittelmeerraum und weniger ideal funktionierende nachkoloniale Drittweltstaaten.
„Unwissenheit der Mittelmäßigkeit“
Mit seinen eben nicht ganz so starken Helden sympathisiert man und erwischt sich viel zu oft dabei, sich mit deren Sicht auf die Dinge bereits klar identifiziert zu haben, bevor sich die scheinbar souveräne Lagebeurteilung als fatale Selbstüberschätzung herausstellt. Zu spät verstehen sie, dass sie benutzt werden. Der bekannteste dieser typischen „Ambler“ ist wohl „Topkapi“, nicht zuletzt durch die prominent besetzte Verfilmung. Die am Ende zwar davonkommenden, aber heftig reingelegten Leitfiguren tauchen immer wieder auf. Sei es der Sprachlehrer in „Nachruf auf einen Spion“, auf dessen Urlaubsfotos sich zu seiner eigenen Überraschung plötzlich Militäranlagen befinden, der erpressbar ist und dem die Polizei, ihn völlig überfordernd, eine Rolle in ihren Gegenspionageermittlungen zuweist. Oder sei es der Redakteur im „Intercom-Komplott“. Dieser verantwortet in Zeiten des tiefsten Kalten Krieges ein wirtschaftlich unrentables Kampf-Bulletin der westlichen Seite und muss am Ende feststellen, dass er eigentlich nur zwei in ihrer Geheimdienstkarriere zu kurz gekommenen alten Knackern zu einem beträchtlichen Vermögen verhilft. Dieses bekommen sie dafür, dass das Bulletin letztendlich eingestellt wird, damit die von ihnen dort verbreiteten Informationen eben nicht mehr veröffentlicht werden. Wohl nicht nur im „Intercom-Komplott“, sondern auch im Leben stößt man auf Charaktere, die sich mit den Worten beschreiben lassen: Alles was er sagte, war kompletter Unsinn – aber, bei Gott, er war überzeugend. Denn er glaubte tatsächlich, was er sagte.
Ein Antiheld ist auch der Schriftsteller, der sich in „Die Maske des Dimitrios“ dazu anstacheln lässt, auch selbst einmal Detektiv zu sein – unter anderem in Istanbul, Sofia, Genf und Paris. Er verhebt sich natürlich, und Dimitrios stellt sich als eine Art personifiziertes Böses – die ganze Palette von Raubmord bis zur Verursachung von politischen Unruhen – heraus. In diesem Roman lässt Ambler wissen: In einer sterbenden Zivilisation hat nicht der beste Diagnostiker politisches Prestige, sondern der taktvollste Arzt. Es ist der Orden, den die Unwissenheit der Mittelmäßigkeit verleiht. Das kann man ruhig zweimal lesen. Reflexionen sind auch nicht verboten.
Im „Fall Deltschev“ beobachtet ein Reporter in einem fiktiven Balkanstaat den Schauprozess der sogenannten Volkspartei gegen jenen Deltschev, einen Staatsmann, der sich mit seiner Forderung nach freien Wahlen nicht durchsetzen konnte. Klare Fronten? Gut und Böse? Wie so oft bei Ambler ertappt man sich bei schnell eingenommenen, vorurteilenden Positionen, die der sich immer mehr weitende Blick hinter die Kulissen nach und nach als beschämend naiv entpuppt. Allerdings handelt es sich eben nicht um eine Revision, sondern um nur schwer zu ertragende Ambivalenzen.
Denn die „Guten“, für die man so gern Partei ergreifen möchte, lassen sich nicht finden. Und auch hier ein tragischer Klassiker: Und die Lüge steht nirgends so fest und sicher wie auf einem Stecknadelkopf von Wahrheit. Kaum etwas ist aktueller als dieser Satz. Eric Ambler ist vor 20 Jahren, am 22. Oktober 1998, in London gestorben.