„Die Bestrebungen, die zur Einschränkung des Wettbewerbs in einzelnen Produktionszweigen führen, sind in letzter Linie darauf gerichtet, das kapitalistische System der Marktwirtschaft durch ein sozialistisches System der Gemeinwirtschaft zu ersetzen. Es ist dabei ohne Belang, ob dieses Ziel von denen, die es anstreben, als Sozialismus angesehen wird oder nicht.“ (Ludwig von Mises)
Unser Chemielehrer schwenkte den Halbliterkolben bedächtig vor seinem Gesicht. Gelb-braune Schlieren stiegen an der dünnen Glaswand hoch und kleine Bläschen blieben auf der Oberfläche der zähen, dunkelbraunen Flüssigkeit zurück, als er das Gefäß vor uns auf den Tisch stellte. „Das ist Rohöl. Aus Sibirien, um genau zu sein“, waren seine Worte. In dieser Flüssigkeit war also der Stoff enthalten, den wir in unsere frisierten Mofas schütteten, wenn wir illegalerweise und noch ohne Führerschein über die Feldwege jagten. Manche Lehrer schaffen es mit Leidenschaft und Expertise, auch langfristig Fakten sogar in die Hirne pubertierender Jugendlicher zu löten, und an diese Unterrichtsstunde kann ich mich noch gut erinnern.
Da war zunächst die Tatsache, dass Erdöl einer der wenigen Rohstoffe ist, die man zu 100 Prozent verwertet. Genügend technisches Know-how vorausgesetzt, gibt es bei der Verarbeitung von Erdöl keinerlei Abfälle. Und da war der Fakt, dass all die nützlichen Dinge, die im Erdöl enthalten sind, bei seiner Verarbeitung auch immer anfallen. Laienhaft ausgedrückt macht man unter dem braunen Gebräu ordentlich Feuer und lässt die Dämpfe von oben nach unten, von leicht nach schwer, an unterschiedlich temperierten Stellen kondensieren. So bekommt man Gas, Leichtbenzin, Benzin, das sogenannte Mitteldestillat (Kerosin, Diesel, Heizöl), Schweröle und zuletzt Bitumen. Da die Menschheit deutlich höheren Bedarf an den leichten Komponenten wie Benzin, Kerosin und Dieselöl hat, werden außerdem verschiedene Verfahren angewendet, um durch Druck, Katalyse und Zugabe von weiteren Stoffen die schweren, langkettigen Komponenten aufzubrechen (Cracking), und in leichtere zu verwandeln. So weit, so klar.
Hysterie und die Zusammenhänge
Immer neue Preisrekorde für Rohöl wurden Anfang der 2000er Jahre verzeichnet, begleitet von der medialen Panik, die Fördermengen würden bald komplett einbrechen, China würde den Markt demnächst komplett aufkaufen, und dessen steigender Bedarf würde, befeuert vom zweistelligen Wirtschaftswachstum, die Preise immer weiter steigen lassen. Die Zeiten billigen Öls seien vorbei, mittelfristig werde man wohl mit weit über 200 Dollar pro Barrel rechnen müssen. Im Juni 2008 lag der Preis bereits bei fast 150 Dollar und an den Tankstellen stöhnten die Autofahrer bei Preisen von über 1,70 Euro pro Liter, was umgerechnet bereits jenseits der „Drei-Mark-Zehn-Grenze“ aus dem Song von Marcus liegt. Fürsorgliche deutsche Politiker strichen dem deutschen Michel über den Kopf und sagten, „deshalb haben wir die Energiewende in Gang gesetzt, die uns bald in eine decarbonisierte, elektrische Zukunft tragen wird. Öl werden wir bald nicht mehr brauchen, und weil es bald sowieso keines mehr geben wird, ist das auch gut so. Und das Weltklima wird Deutschland ganz nebenbei auch noch retten.“ Doch es kam bekanntlich anders.
Dem energieeffizienten Dieselmotor war zunächst die Rolle zugeteilt, die CO2-Bilanz Deutschlands etwas aufzuhübschen. Waren noch 20 Jahre vorher neben den Nutzfahrzeugen kaum ein paar Prozent Diesel-Pkw unterwegs, kehrte sich das Verhältnis zum Benziner in manchen Fahrzeugsegmenten komplett um. Und noch etwas hat sich mittlerweile vollständig gedreht: War vor 15 Jahren noch der Strom die „billige Energie“, muss man beim Blick auf die aktuellen Benzinpreise an den Tankstellen feststellen, dass diese gerade der preiswerteste Teil unseres Energiebedarfs sind. Denn die durch diverse marktfremde Abgaben explodierenden Stromkosten werden kurioserweise ausgerechnet durch moderate Preise für unsere Mobilität aufgefangen.
Dabei sollte das doch eigentlich nie wieder passieren. Das Öl hat gefälligst immer teurer und knapper zu werden, das hatten die Eingeweideleser und Experten für heiße Luft so verkündet! Doch die Energiewende mit Decarbonisierung und hin zur Elektromobilität scheitert gerade krachend, alle noch laufenden Modellversuche sind defizitäre, quersubventionierte Ideen aus Wolkenkuckucksheim, die man sich vielleicht in Norwegen schön saufen kann, weil man sie mit dem Verkauf von Erdöl bezahlen kann, überall sonst jedoch nicht. Gerade erst musste die neue Umweltministerin von NRW, Christina Schulze-Föcking (CDU), den noch von ihrem grünen Amtsvorgänger angeschafften Dienst-Tesla ausmustern, weil dieser mit seinen knapp 300 km Reichweite den Anforderungen eines ministerlichen Dienstalltags in einem Flächenland wie NRW einfach nicht genügte. Wenn die Theorie nicht zur Realität passt, hat sich die Realität, dieses Miststück, noch nie auch nur ein Stück bewegt.
Diesel-Gate oder Diesel geht?
Wir müssen uns hier nicht darüber unterhalten, ob die Betrügereien der Auto-Branche bezüglich der Schadstoffwerte geahndet werden müssen. Was da ablief, ist kriminell und inakzeptabel. Wir sollten uns aber durchaus Gedanken darüber machen, wie in Europa Umwelt-Normen überhaupt zustande kommen und wie es sein konnte, dass zum Beispiel das Kraftfahrtbundesamt sich derart am Nasenring führen ließ und allem sein Plazet gab, was die Autobauer dort erzählten und zur Zulassung einreichten. Auch wäre es sinnvoll, sich ehrlicher mit der Thematik NOx auseinanderzusetzten, statt Lügen über Todesraten zu verbreiten, wie dies zum Beispiel die "tagesschau" in einem alarmistischen Video tat, in dem man einer Studie der WHO kurzerhand die Zahl von 3.000.000 Todesfällen pro Jahr entnahm und zur Folge von NOx erklärte, obwohl die Studie dies so nie behauptete, sondern von Luftverschmutzung allgemein, von Feinstaub und den Folgen des Kochens und Heizens mit Holz und Kohle spricht und in Wirklichkeit auch noch auf keinem einzigen Totenschein die Todesursache „NOx oder Feinstaub“ zu lesen ist.
Statistiken sind eben stark interpretative Werke, und wer auf der Entenjagd einmal hinter und einmal vor eine fliegende Ente schießt, kann sich eben nur statistisch auf einen Entenbraten freuen. Satt wird aber weder der Jäger noch der Fernsehzuschauer von derart zubereitetem Wildbret. Auch die Tatsache, dass die Stickoxide nicht sehr langlebig sind und vom Sonnenlicht wieder aufgespalten werden, bleibt gern unerwähnt. Ebenso die Tatsache, dass auch die statistisch hochgerechneten Todesraten durch Luftverschmutzung seit Jahren kontinuierlich sinken. 2014 rechnet man noch mit sieben Millionen Toten, davon 3,7 Millionen durch Smog. In Europa werde die Luft außerdem immer besser, berichtete die FAZ damals – und das, obwohl Diesel-Autos seinerzeit noch völlig unerkannt die Luft verpesteten. Zur Zeit wird der Dieselmotor als Sündenbock durchs Mediendorf getrieben und ich frage mich, was wohl eher eintreten wird: die Rückkehr der Vernunft oder die Forderung nach einem kompletten Verbot der Dieselmotoren. Die Diskussionen um Fahrverbote in Innenstädten lassen mich allerdings daran zweifeln, dass wir zuerst wieder vernünftig werden.
Deshalb muss ich an die eingangs beschriebene Chemiestunde von vor vielen Jahren denken. Angesichts der aktuell grassierenden Hysterie und da die Deutschen dazu neigen, das Kind mit dem Bade auszuschütten, ist der Tag wohl wirklich nicht mehr fern, an dem einige besonders schlaue und progressive Aktivisten das totale Verbot des Dieselmotos verlangen werden. Da wir in Deutschland erprobt sind in Volten der grundsätzlichen Art, deren Umsetzung die Politik der Wirtschaft dann in planwirtschaftlicher Manier aufs Auge drückt, sollten wir diesen Fall ruhig schon mal theoretisch durchspielen, um zu sehen, was dann passiert.
Die Frage, was zuerst da war, der Dieselmotor oder der entsprechende Kraftstoff, ist dabei entscheidend. Als Rudolf Diesel in Augsburg seine Experimente durchführte, probierte er so ziemlich alles aus, bis er ein Destillat für geeignet befand, aus welchem sich unser heutiger Dieselkraftstoff entwickelt hat. Bei der Herstellung von Benzin, Schmieröl und Petroleum ist dieses Zeug nämlich schon immer angefallen, nur fand man anfangs kaum Verwendung dafür. Das änderte sich mit den technischen Verbesserungen des Dieselmotors, der seinen Siegeszug aufgrund seiner Effizienz besonders in Nutzfahrzeugen, der Schifffahrt und später auch durch das etwas leichtere Kerosin in der Luftfahrt jede Menge Verwendung fand. Durch den rasch anwachsenden Pkw-Bestand war der Anteil des Benzins bei der Verarbeitung von Erdöl jedoch erheblich größer. Erst als in den 90er und 2000er Jahren der Dieselmotor besonders in Deutschland vermehrt in Pkw eingesetzt wurde und auch der Luftverkehr stark zunahm, stieg der Bedarf dieser „Mitteldestillate“ genannten Stoffgruppe erheblich an. Die Umrüstung der Raffinerien auf den neuen Marktmix dauerte etwa zehn Jahre und kostete Milliarden.
Die Frage ist nun, ob man zukünftig komplett auf die Herstellung von Diesel-Kraftstoff verzichten könnte, wenn der entsprechende Motor verboten würde, der ihn benötigt. Die Antwort, welche alle kreischenden Umweltretter und NOx-Teufelsaustreiber enttäuschen wird, ist ganz einfach: Nein. Man kann es drehen und wenden wie man will, man kann die Anteile der Endprodukte variieren, man kann unter hohem Energie- und Kostenaufwand nachträglich unerwünschte Bestandteile weiter verarbeiten… man bekommt die Mitteldestillate jedoch nie auf null. Nicht mal annähernd! Es ist und bleibt einfach die mit Abstand größte Stoffgruppe. Die Frage wäre dann: Was machen wir mit all dem Zeug, wenn wir den Dieselmotor verbannen? Wir könnten dann die Innenstädte wieder flächendeckend mit Petroleum-Laternen ausstatten, den Diesel in die Bohrlöcher zurückpressen oder gut gesicherte Endlager für Chemieabfälle in Gorleben bauen – abfackeln oder in die Wupper kippen geht ja wohl schlecht…
Und es einfach für die Ölheizung verwenden? Früher tankte der nervenstarke Dieselfahrer ja – umgekehrt – Heizöl, das war billiger und deshalb verboten, der Zoll färbte das Heizöl ein, um den Sündern auf die Schliche zu kommen. Heute unterscheiden sich Diesel und Heizöl durch zahlreiche Beigaben, damit die modernen Motoren den Stoff auch verdauen können. Aber rühren wir bloß nicht dran: Ölheizungen sind sogar noch böser, weil sie mehr Schwefeldioxid ausstoßen. Es sind noch jede Menge aus den 80er Jahren in Betrieb. Wenn die erst entlarvt sind, wird die Hölle losbrechen! Aber das kann ja noch kommen.
Verknappung, Preissteigerung und politische Dämonisierung
Für einige besonders „progressive“ Zeitgenossen kommt das Diesel-Desaster gerade zur rechten Zeit. Da sich die Zweifel an den elektrifizierten Zukunftsträumen nicht mehr so leicht ideologisch zudecken lassen, prügelt man umso heftiger auf eine bewährte Technologie ein und dämonisiert damit gleich noch den gesamten Individualverkehr. Denn der Traum, es könne individuelle Mobilität quasi sündenfrei und zum ökologischen Nulltarif geben, funktioniert nicht mal in der Theorie der Elektro-Mobilität, deren Ökobilanz noch verheerender ausfällt als die des angeblich schmutzigen Dieselmotors.
Der Diesel ist bei der beabsichtigen Abschaffung des Individualverkehrs deshalb nur der erste Schritt. Denn es würde infolge eines massenhaften Austauschs von Diesel-Pkw durch Benziner zwangsläufig als nächstes die erhöhte CO2-Erzeugung am Pranger stehen, während durch die Umstellungen in den Raffinerien und den gestiegenen Benzin-Bedarf gleichzeitig die Preise an den Tankstellen wieder steil aufwärts gehen würden – ein Trend, der dann die ebenfalls immer weiter steigenden Stromkosten im privaten Energiemix noch stärker ins Gewicht fallen lassen wird. Von der Frage, wie ohne Diesel der Güterverkehr auch nur ansatzweise zu bewerkstelligen sein wird, ganz zu schweigen.
Verknappung, Preissteigerung und politische Dämonisierung knabbern dann noch stärker an der individuellen Mobilität, was besonders auf dem flachen Land schnell zu spüren sein wird, wo die Verkehrsanbindung mit Bus und Bahn schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit erheblich schlechter ist. Um mobil zu bleiben, müssen immer mehr Menschen in die Städte ziehen, besonders in die großen, was dort den bereits völlig aus dem Gleichgewicht geratenen Wohnungs- und Immobilienmarkt weiter aufheizt. Ein Teufelskreis, den man leichtsinnig und kurzsichtig in Gang gesetzt hat, immer in dem Glauben, etwas Gutes zu tun. Doch genauso wie ein Bio-Aufkleber aus einer Tütensuppe kein physiologisch wertvolles Nahrungsmittel macht, ist ein unbedachter staatlicher Eingriff in einen freien, funktionierenden Markt nichts Anderes als ein planwirtschaftliches Instrument, dessen Einsatz eine ganze Reihe anhängender Märkte gleich mit in den Abgrund reißen könnte.
Wenn der letzte Tank vernichtet,
weil der letzte Mensch verzichtet,
wenn Autos uns an Orte fesseln,
die Ladezeiten Tage fressen,
dann wird feststell’n jedermann,
dass Freiheit hat, wer fahren kann.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.