Ursprünglich hatte ich nicht vor, zum diesjährigen 3. Oktober einen Artikel zu schreiben. Dafür fehlte mir schlicht die Zeit. Eigentlich. Außerdem kann ich meinen Debüt-Beitrag von vor genau einem Jahr nicht toppen. Jeder Versuch, dies zu tun, kann nur in einer Enttäuschung enden. Deshalb wollte ich zu diesem Thema erst wieder im nächsten Jahr, zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung, die Feder spitzen.
Dann aber rebellierte es in mir: „Willst du den Tag der Deutschen Einheit wirklich einfach so an dir vorbei ziehen lassen?“ Nö, natürlich nicht. Nicht ich, die ich von jüngsten Jugendbeinen an davon träumte, in einem Deutschland leben zu dürfen, das nicht durch Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl, durch Selbstschussanlagen und Bodenminen, durch Todesstreifen und Sperrgebiet auseinandergerissen wurde. Die ich davon träumte, ohne lange Planung einfach mal „rüberfahren“ zu können, ohne jene mörderischen Grenzsperranlagen passieren zu müssen. Weil dort ja auch Deutschland war. Mein Land. Weil dort meine Mitbürger wohnten. Die Teilung gab mir einen Stich ins Herz. Für so viel „Sentimentalität“ ließ ich mich gerne verspotten. Für mich war das keine Sentimentalität. Sondern ein Gebot der Menschlichkeit, das Schicksal unserer Landsleute östlich der Elbe nicht zu vergessen.
Ja, lieber Leser Herr Thomas Taterka, ich gestehe: Sie haben mich ein bisschen dazu getrieben, ganz außerplanmäßig noch einmal in die Tastatur zu hämmern. Weil es ja stimmt, was Sie so nett zum Ausdruck gebracht haben: Ich glaube unbeirrt daran, dass die Wiedervereinigung ein Glücksfall für uns Deutsche war und bleibt, und ich lasse es mir nicht nehmen, daran zu erinnern. Auch wenn nicht alles als gelungen bezeichnet werden kann und vieles mittlerweile arg im Argen liegt. Gott sei’s geklagt.
Danke für die Begleitung
Meinen Beitrag vom letzten Jahr kann ich nicht toppen. Aber was ich tun kann, ist, meinen Lesern Danke zu sagen für ihre teils zu Herzen gehenden Zuschriften. Ja, ich bin auch nur ein Mensch und habe Gefühle. So wie Sie, verehrte Leserinnen und Leser. Ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass es eine Schwäche wäre, dazu zu stehen. Viele Zuschriften haben mich bewegt. Besonders berührt mich der Dank von seiten der Ostdeutschen. Und welcher Tag, wenn nicht der 3. Oktober, wäre ein geeigneter Anlass für jemanden wie mich, die ich mich vorrangig über Themen zur Teilung und Einheit Deutschlands auslasse, meinen Lesern für ihre Zeilen zu danken? Für mich ist dies ein Stück gelebte Einheit.
Mein Dank gilt ebenfalls allen, die meine Beiträge kritisch begleitet haben. Besonders konstruktive Kritik weiß ich zu schätzen: Dadurch geben Sie mir als Leser wertvolle Hinweise. Auch ich weiß nicht alles und kann nicht alles wissen. Ja, das eine oder andere Argument hat mir Gedankenanstöße gegeben, und wertvolle Ergänzungen zu meinen Ausführungen haben meinen Horizont erweitert. Bei Gelegenheit habe ich das denn auch in meinen Folgeartikeln eingebracht.
Pluralität lebt vom Austausch der Argumente. Ein Austausch der Meinungen, ohne Angst haben zu müssen, dafür belangt zu werden: das wiederum wäre gelebte Demokratie. Wenn wir ein freiheitlich-demokratisches Land bleiben wollen, dann brauchen wir den Diskurs, die lebhafte Debatte; man muss auch herzhaft streiten dürfen und danach trotzdem noch ein Bier zusammen trinken können. Man glaubt es kaum, das haben früher, in der alten Bundesrepublik, noch erbittertste politische Gegner oder innerparteiliche Rivalen zustandegebracht. Diese Fähigkeit, auch nach einem heftigen Schlagabtausch friedlich zusammenzusitzen, ist weitgehend abhanden gekommen. Wir müssen wieder lernen, im politischen Gegner nicht den Feind, sondern den demokratischen Mitspieler zu sehen.
Zurück in die Knechtschaft?
Liebe Linke, ob dunkelrotlinks, rotlinks, grünlinks – oder mittlerweile auch schwarzlinks: vergesst nicht, dass Ihr Eure Meinungsfreiheit einer Ordnung verdankt, die Ihr einst bekämpft habt. Einer Ordnung, für die das Grundgesetz steht, die Ihr als „FDGO“ verhöhnt habt. Ohne diese freiheitlich-demokratische Grundordnung hättet Ihr heute nichts zu sagen. Sie ermöglichte Euch den Protest, den ihr lautstark und auch gerne mal durch kräftiges „Zupacken“ zum Ausdruck brachtet, als es in diesem Land noch liberale und konservative Stimmen von Format und Gewicht gab. Sie waren es nicht, die Euch mundtot machen wollten. Sie hielten vielmehr den Rechtsstaat aufrecht, den Ihr auf Eure Weise zu nutzen wusstet. Aber Ihr fallt nach Eurem angekündigten und erfolgreich durchgezogenen Marsch durch die Institutionen vor allem dadurch auf, dass Ihr am liebsten jedem den Mund verbieten würdet, der nicht Eurer Meinung ist. Wie sich das mit Demokratie und Meinungsfreiheit verträgt, bleibt Euer Geheimnis.
Der tapfere Jacques Schuster beklagte einmal: „Große Teile der Politik und Publizistik haben die Probleme lange verschwiegen. Sie passen nicht in ihr Weltbild. Wer sie ansprach, den traf tiefe Verachtung.“ Und er nannte deutlich beim Namen, was mit denjenigen geschieht, die anders denken: „Geschickt im Gewerbe der Niedertracht, nutzen zahlreiche Politiker und Kommentatoren den Widerwillen gegen alles Rechte, der seit 1945 herrscht. Sie verwandeln alle diejenigen zu Halb- und Vollnazis, die meist weder das eine noch das andere waren, sondern nur die Missstände beim Namen nennen.“ Nun, Schuster muss es wissen. Er ist Journalist bei der WELT. In der Tat: Viele Missstände lassen sich nicht mehr unter den Teppich kehren, ohne dass dieser sich auffallend wölbt. Vor allem aber bedrohen diese Missstände die Funktionsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Wir brauchen dringend eine breit angelegte Debatte über die Zukunft unseres Landes. Niemand hat die alleinige Weisheit und Wahrheit für sich gepachtet. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit. Es kann nicht sein, dass in einer Demokratie ein selbsternanntes linkes Establishment über unsere Zukunft würfelt. Eine echte Demokratie zeichnet sich durch ein breites Meinungsspektrum von links über die Mitte bis nach rechts aus; das muss auch von der Politik und in den Medien so abgebildet werden. Differenzen muss jeder aushalten können, egal in welchem politischen Spektrum er sich verortet. Oder die Demokratie stirbt. Und mit ihr die Freiheit. Am Ende würden, da sollten die Linken sich nichts vormachen, auch sie am eigenen Leib zu spüren bekommen, was es heißt, unfrei zu sein. Also, überlegt Euch gut, ob Ihr das wirklich wollt: zurück in die Knechtschaft, gegen die Ihr angeblich einmal angetreten wart.
Lösungen statt Denk- und Sprechverbote
Vergessen wir nicht: Das Volk besteht aus mündigen Bürgern. Diese Feststellung gilt uneingeschränkt auch für die Ostdeutschen, denen vor allem westdeutsche Linke so gerne demokratische Reife und humanitäre Gesinnung absprechen möchten. Sie, die niemals der Willkür eines totalitären Staates ausgesetzt waren und die das SED-Regime auch nicht abgeschüttelt, sondern oft genug hofiert haben – ausgerechnet diese Leute meinen, über die einzig richtige und wahre Ansicht zu verfügen und jeden ächten zu dürfen, der ihnen nicht folgt? Wie anmaßend ist das eigentlich?
Wir alle, ob in Ost oder West, müssen deutlich machen: Wir Bürger wissen selbst am besten, was für uns und damit für Deutschland richtig ist. Nicht ein Über-Staat, wie Linke aller Couleur ihn anstreben. „Gerade wir als Deutsche“, die wir „aus der Geschichte gelernt haben“, sollten von jeglichem auf Gewalt und Unterdrückung beruhenden Herrschaftssystem, das nicht nur anderen, sondern auch uns selbst so viel Unglück gebracht hat, genug haben. Und zwar ein für allemal.
Der Staat hat die innere und äußere Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, er hat die Rahmenbedingungen zu setzen, über die ein breiter Konsens herrschen muss. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen muss es für jedermann möglich sein, angstfrei seine Meinung zu den verschiedensten Themen zu äußern. Nur in einem angstfreien Umfeld kann es neue Anstöße und Debatten geben, die zu zukunftsweisenden Lösungen führen, ja beflügeln können. Lösungen, die, ganz nebenbei, mehr zur inneren Einheit Deutschlands beitragen würden als alle Denk- und Sprechverbote.
Ohne den inneren Zusammenhalt und ohne gegenseitiges Vertrauen funktioniert auf Dauer kein Gemeinwesen und kein freiheitlich-demokratisch verfasster Rechtsstaat. Und auch kein freier Zusammenschluss aus mehreren Staaten. Sondern nur eine Diktatur. Doch selbst Diktaturen, das zeigt ein Blick auf 1989, währen nicht ewig, weil dort jeder jedem misstraut und Humanität ein Fremdwort ist.