Ein etwas neidischer Abgesang auf die Queen

Wie tief die Wirkung so einer Königin in der Demokratie tatsächlich ist, zeigt sich endgültig, wenn sie stirbt. So tief und so von Herzen trauert bei uns kein Mensch um einen führenden Verstorbenen wie die Briten um ihre Queen.

Als ich 1975 mit Korrespondentenauftrag nach London ging, kam jede Woche ein gewisser Harold Wilson zur Berichterstattung bei der Queen vorbei. Als ich mich 1984 in Richtung Washington verabschiedete, konnte die zweite Elizabeth jede Woche die Belehrungen von Margaret Thatcher genießen. Als Elizabeth 25-jährig ihre Arbeit als Königin begann, nahm Winston Churchill sie väterlich unter seine Fittiche. Zwei Tage vor ihrem Tod in Schottland gab die 96-Jährige der frisch gewählten Liz Truss lächelnd die Hand. 

Es war ihre 15. Ernennung zum Premierminister einschließlich dreimal zur Premierministerin. Diese Frau hat in ihren 70 Amtsjahren nicht nur ständig große und kleine Ereignisse durch ihre Anwesenheit mit royalem Glanz versorgt und die Veranstalter in helle Aufregung versetzt. Diese Frau hat auch alles gewusst, was ihre Regierungschefs so anstellten. Sie durfte zwar jedes Jahr im Oberhaus nur vorlesen, was „my government“ so alles vorhat. Aber die Regierungschefs, denen sie nichts zu sagen hatte, mussten jede Woche bei ihr antanzen und ihr Bericht erstatten.

Die Queen war die verkörperte Kontinuität ihres Landes und sie verkörperte etwas, was wir in Deutschland nicht hingekriegt haben: eine konstitutionelle Monarchie, also eine ordentliche Demokratie mit einem Krönchen obendrauf.

"No sex please, we're British“

Wir hatten in der bundesdeutschen Geschichte fast so viele Präsidenten wie Elizabeth Premierminister, nämlich zwölf. Unsere ungekrönten Staatsoberhäupter kamen und gingen. Auch Frank-Walter Steinmeier wird dieses Schicksal eines schönen Tages ereilen. Und König Charles III wird, wenn die Gesundheit es dem noch 73-Jährigen gestattet, auf dem Thron länger durchhalten, als es unseren bürgerlichen Staatsrepräsentanten vergönnt ist.

Wozu diese Vergleiche? Sie klingen ein bisschen nach Neid. Und da ist was dran. Natürlich braucht heutzutage kein Mensch mehr ein gekröntes Haupt über sich. Unsere etwas langweilige, gutbürgerliche Variante steht uns ganz gut zu Gesicht. Und wir haben sie uns zunächst unredlich, dann aber redlich verdient.

Unsere einst gekrönten Häupter, ob in Berlin, ob in meiner bayerischen Wahlheimat, haben es einfach nicht geschnallt. No democracy please, we're German. Als hätten sie ein englisches Theaterstück der 70er Jahre mit dem schönen Titel gesehen: "No sex please, we're British“. Unsere ersten ungekrönten Häupter haben es auch nicht geschnallt. Sie und ein großer Teil der damaligen Wähler haben sich die Demokratie von einem Verbrecher klauen lassen. 

Seit 1949 können wir aufatmen, auch wenn unsere Staatsoberhäupter im dunkelblauen Anzug im Vergleich zur englischen Show eine Einladung zum Gähnen darstellen. Aber sie sind solide, mal mit silberner Zunge, mal mit schwererer Zunge, und immer so deutsch wie Deutschland gerne sein möchte.

Die britischen Könige und Königinnen haben sich auch nur scheibchenweise an die Demokratie herangearbeitet. Aber sie haben es, halb zog es sie, halb sanken sie hin, schließlich doch hingekriegt. Das Vereinigte Königreich hat eine gut funktionierende Demokratie mit der größten Monarchie-Show der Welt verehelicht.

Da war dann immer diese ungewöhnliche Frau

Die Symbiose kostet die Briten zwar einen Arm und ein Bein, wie die Engländer sagen, aber das holt die Royal Show leicht wieder rein. Wenn die königliche Star-Parade loslegt, schaut die ganze Welt zu und sie schaut so zahlreich auf der Insel vorbei, dass die Eintrittsgelder die Inszenierungskosten zur klugen Investition machen. Und was die ganzen charities angeht: Wer hat nicht lieber ein gekröntes Haupt als Schirmperson und Promoter der guten Sache vorzuweisen als einen älteren Herrn in Zivil.

Königliche Kontinuität hat natürlich eine viel tiefere Wirkung. Die englischen Politiker und das englische Publikum mag sich noch so sehr in die Haare darüber kriegen, ob es schlau war, die Europäische Union zu verlassen oder nicht. Und darüber, ob die Wirtschaft besser bei Labour oder bei den Torys aufgehoben ist. Und darüber, ob der Nationale Gesundheitsdienst eine Wucht oder ein Fall für die Notaufnahme ist: Da war dann immer diese ungewöhnliche Frau mit der kleinen Stimme und der großen Wirkung im Hintergrund und manchmal auch im Vordergrund, die die Engländer zusammenbrachte. Sogar die, die für die Abschaffung der Monarchie waren, wie einst die inzwischen royal bekehrte neue Premierministerin.

Wie tief die Wirkung so einer Königin in der Demokratie tatsächlich ist, zeigt sich endgültig, wenn sie stirbt. So tief und so von Herzen trauert bei uns kein Mensch um einen führenden Verstorbenen wie die Briten um ihre Queen. Schlicht gesagt: England weint. Auch die Schotten, von denen sich viele vom Brexit-England lossagen wollen, weil sie den Brexit für eine Dummheit halten, trauern nicht weniger als die südlichen Nachbarn. Denn Elizabeth war auch ihre Queen. Und Charles ist jetzt auch ihr King, ob sie sich nun von England verabschieden oder nicht. Er kann ihr König bleiben, so wie er in der Nachfolge seiner Mutter der König von Kanada und Australien und einem Dutzend weiterer Länder ist. Unter der Krone bleibt sogar zusammen, was längst auseinandergegangen ist und was auseinanderstrebt.

Nein, sowas haben wir nicht 

Bei allen politischen und sonstigen Macken, die man auf der Insel ausmachen kann: Der Amerika-Freund Goethe würde, lebte er heute, vielleicht sagen: England, du hast es besser. Goethe bringe ich auch wieder aus Neid ins Spiel, weil wir sowas wie die verstorbene Queen nun mal nicht haben. Goethe ist zwar eher ein Pendant zu Shakespeare, den wir auch nicht hatten. Aber man muss ja nicht so pingelig sein, wie Konrad Adenauer, der erste Kanzler unserer ersten halbwegs vernünftigen Republik in anderem Zusammenhang gesagt hat. 

Sein Präsident war „Nun-siegt-mal-schön“-Theodor Heuss. Ein feiner Herr, der gut zum damals neuen Deutschland passte. Er war gerade drei Jahre im Amt, als Elizabeth, aus Kenia heimkehrend, in London den Thron bestieg. Und als Heuss 1959 vom schwerzüngigen, aber netten Heinrich Lübke abgelöst wurde, legte die Queen erst richtig los. Bis jetzt das letzte, anrührende Foto ihrer Lebzeiten entstand, das sie altersgebeugt und immer noch im Dienst zeigt, wie sie der jungen, schlanken, sie um Haupteslänge überragenden Liz Truss die Hand reicht und sie damit offiziell zur Premierministerin macht.

Nein, sowas haben wir nicht. Man darf ruhig ein bisschen neidisch sein. Ein bisschen. Über unsere deutlich trockenere Republik und ihre Präsidenten kann man immerhin auf Bayerisch sagen: Passt scho.

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Hans Reinhardt / 10.09.2022

“Passt scho”, Herr Bonhorst? Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Es mag vielleicht für die ersten Amtsinhaber passen, aber haben Sie sich mal überlegt, wer die letzten drei waren? Ein weinerlicher Hahnrei, ein falscher Pfaffe und aktuell eine Abscheulichkeit, für deren Beschreibung die deutsche Sprache an ihre Grenzen stößt. Sollte Ihrer Aussage aber eine tiefere Ironie zugrunde liegen und Sie wollen uns damit sagen, dass die deutschen Präsidenten auch den Charakter des größten Teils der Bevölkerung repräsentieren, dann haben Sie natürlich recht. Dann taugt die Liste der deutschen Bundespräsidenten wunderbar als Wasserstandsanzeiger für die geistige und moralische Entwicklung der Deutschen im Allgemeinen und der Parteien, die den Bundespräsidenten auskungeln im Besonderen.

Claudius Pappe / 10.09.2022

Wir reden hier über Winke-Liz…..................................................Das ganz Deutschland vor die Hunde geht ist der Achse keinen Artikel wert…...................................

Marcel Seiler / 10.09.2022

Wenn wir jedenfalls Präsidenten mit Format hätten. Der Verfall der politischen Klasse Deutschlands lässt sich klar am Verfall des Formats seiner Präsidenten ablesen. Der letzte, dessen Namen ich nicht in den Mund nehmen werde, ist nur noch dies: Präsidentendarsteller. Englands Königin war Königin bis zum Schluss.

Thomas Szabó / 10.09.2022

Ich bin auch für die Demokratie mit dem Krönchen drauf. Die faden Argumente gegen eine konstitutionelle Monarchie sind genauso falsch, wie wenn man Märchen & Mythen als unnütz & überflüssig abschaffen wollte. In einer funktionierenden konstitutionellen Monarchie spielen alle brav im Märchen mit. Der König weiß genauso wie sein Volk, dass man die Monarchie nach rein rationalen Überlegungen abschaffen könnte, aber dann würde der Mehrwert als Märchen & Mythos verloren gehen. Das Argument die Monarchie koste etliche Millionen ist genauso seicht, wie wenn man sagte Kunst & Kultur seien überflüssig. Das Mehrwert der Monarchie zahlt sich sogar monetär aus. Alleine die Kaffeetassen mit der Konterfei der Queen spülen mehr Steuern in die Staatskasse, als die Staatseinnahmen mancher Entwicklungsländer. Die Monarchie ist ein Geschäftsmodell mit Glanz & Gloria & Geldsegen. Ich plädiere für die Ausschreibung eines Stellenangebotes als Sissi & Franzl in meiner Heimat Österreich-Ungarn. Sissi & Franzl sollten Mann & Frau sein und einen Thronfolger zeugen. Falls der Thronfolger schwul wird, so wollen wir mit der Zeit gehen und Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit den Prinzgemahl samt adoptierten Erzherzöglein gönnen. Die Deutschen könnten sich nach einem heterosexuellen Friedrich dem auch-Großen umsehen.

Claudius Pappe / 10.09.2022

Kolonialmacht England…....................................................God save the green King…................................................... Nicht vergessen sind die Bomben auf das Ruhrgebietes und auf Königsberg durch die Briten. Wer war das in Dresden ?

Thomas Kache / 10.09.2022

Ob Royalist, oder nicht. Elisabeth II. ist der berühmte Fels in der Brandung gewesen. Darum kann man die großen Briten nur beneiden. Die Politdarsteller in goG sind eben ein Abbild ihrer Untertanen: Kleinbürgerlich, ziemlich schlicht gestrickt und fürchterlich narzisstisch. HRH muß nicht es nicht explizit betonen, sie (oder er) steht über den Dingen. Was man wohl auch nicht extra zu betonen brauchte, mir macht es aber in diesem Zusammenhang ein gewisses Vergnügen: die britischen Premiers haben allesamt etwas vorzuweisen, was man bei den deutschen Regierenden vergeblich sucht. Eine Grandezza, welche aus exzellenter Bildung resultiert. Dafür haben die Deutsch*innen die schöneren Gartenzwerge. Die Königin ist tot- es lebe der König.

Wilfried Düring / 10.09.2022

Wie können Sie nur so etwas Gehässiges schreiben. Was ist so eine Königin gegen frei gewählten ‘Präsentanten’ ‘Unserer Demokratie’: Haltungs-Walt-Herr, Ostfront-Lena, Cannabis-Bauer ‘Mischpoke-Cem’ oder Spritzen-Karl, Kerosin-Katha und Langstrecken-Luisa. Haben Sie denn gar keinen Respekt?

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