Ralf Schuler / 07.02.2018 / 13:21 / Foto: Tim Maxeiner / 20 / Seite ausdrucken

Ein Dokument der Erschöpfung

Es gibt Anfänge, denen wohnt gar nichts inne. Das nächtelange GroKo-Gewürge ist so einer. Das könnte daran liegen, dass es gar kein Anfang ist, sondern der dritte Neuaufguss. Es könnte aber auch damit zu tun haben, dass den Beteiligten das Gespür für die politische Wetterlage völlig abhanden gekommen ist. Und das gleich in vielfacher Hinsicht.

  • Schulz: Ein gescheiterter Parteichef, der einen desaströsen Wahlkampf hingelegt hat und sich das sogar vom „Spiegel“ protokollieren ließ, die Wahl mit Allzeit-Tief verlor, die SPD nicht in eine neue Koalition führen und unter Angela Merkel kein Minister werden wollte, soll jetzt in einer neuen GroKo womöglich nicht nur SPD-Chef bleiben, sondern obendrein noch Außenminister und Vize-Kanzler werden. Absurd.
  • Das Beängstigende daran ist, dass hier offenbar alle gängigen Wettbewerbsregeln des politischen Betriebs nicht mehr gelten und die parteiinterne Konkurrenz auch keine Lust hat, die fällige Quittung für offensichtliches Versagen auszustellen. Bei der Union sieht es nicht besser aus. Der langjährige CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach brachte es am Dienstagabend (6. Februar) bei Markus Lanz auf den Punkt: „Wenn sich die Unionsführung hinstellt und sagt: Das ist das Ergebnis, dann sagt die Basis: Ok. Bei der SPD fängt dann das Theater erst an.“ Bei welcher von beiden Parteien angesichts dessen mehr im Argen liegt, fragte Lanz nicht.
  • Es soll kein „Weiter so“ geben, sagen die drei Wahlverlierer und machen weiter. Das Signal ist verheerend. Zeigen die letzten Umfragen bereits den Trend zum Schrumpfen der ehemals Großen zu einer eher kleinen Koalition, so dürfte sich dieser Vertrauensverlust noch verstärken. Der Denkzettel der Wähler wird zum Regierungsauftrag umdeklariert. Die vermeintlich mit der Regierungsbildung gewonnene Stabilität bedroht so mittelfristig den Akzeptanz-Kern des politischen Systems insgesamt, stärkt die Ränder, treibt Polarisierung und Aggression voran.
  • Inhaltlich ist der Koalitionsvertrag ein Dokument der Erschöpfung. Kleinteilige Sozialstaatsreparatur, die nichts schadet, aber viel kostet. Völlig schräg wird es bei den von der SPD zu Knackpunkten hochgejazzten Schlagworten „sachgrundlose Befristung“, Bürgerversicherung und Familiennachzug. Auf die tiefe und anhaltende Vertrauenskrise durch die unkontrollierte Massenmigration im Jahr 2015 mit 1000er Kontingenten nachziehender Familien zu reagieren, ist schon aberwitzig.

Noch absurder mutet es an, wenn man sich klar macht, dass es diesen Familiennachzug für Migranten mit geringem Schutzstatus faktisch noch nie gab (lediglich einige Monate im Jahr 2015) und die Integration von Menschen befördern soll, die offiziell nicht in Deutschland bleiben können und sollen.

Während das Thema „Flüchtlinge“ noch immer in nahezu allen Befragungen über die Problemwahrnehmung der Menschen ganz oben steht, wird also neuer Zuzug geregelt, während das Wort „Obergrenze“ ausdrücklich mit Tabu belegt wird, obwohl selbst die avisierten 200.000 Migranten pro Jahr die Aufnahme einer Stadt wie Kassel bedeuten würde. Bevölkerung, hör‘ die Signale.

Natürlich kann die SPD-Basis all das ganz anders sehen, sich couragiert für die Erneuerung ihrer Partei in der Regierung aussprechen, und die nun verteilten Minister widerlegen jegliche Miesepetrigkeit durch überzeugende, zupackende Arbeit. Es kann aber auch sein, dass der politische Aschermittwoch künftig auf einen Donnerstag fällt.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

netiquette:

Stülpner Karl / 07.02.2018

Liebe Alle, habt ihr vergessen, dass vor kurzem Wahlen waren? Habt ihr alle gegen diese Gestalten gestimmt? Ich hoffe: ja. Der deutsche Michel ist nun mal sowas von feige und duckmäuserisch, dass die Schwarte kracht. Im privaten Umfeld Sympathie für die AfD zu zeigen, führt in den meisten Fällen zur strikten Ablehnung, vor der der deutsche Michel eben duckt. “Mannesmut vor Königsthronen”, schön wär’s! Aber auch: “Der Krug geht solange zu Wasser, bis er bricht.” (hoffentlich).

Mike Loewe / 07.02.2018

Wenn jetzt so weiterregiert wird wie bisher, wird die politische Blase in gut dreieinhalb Jahren wohl umso heftiger platzen. Dass ein später, heftiger Umschwung gesünder ist als ein frühzeitiger, durchdachter, darf allerdings bezweifelt werden.

Bettina Sodmann / 07.02.2018

Das Dreigestirn kann sich mit Fug und Recht auch den Ehrentitel “Totengräber der Nation” zulegen.  Offensichtlicher und schamloser wurde die Beute noch nie verteilt. “Wir haben verstanden” gilt nur für die Bevölkerung.

Sabine Schubert / 07.02.2018

Eine Partei, die 20,5% bei der Bundestagswahl erreicht hat stellt - den Bundespräsidenten- wird den Vizekanzler stellen, wahrscheinlich den deutschen EU-Kommissar stellen, wird den Außenminister, - den Finanzminister und - den Justizminister stellen?

Oliver Förstl / 07.02.2018

Scholz war im letzten Jahr als Hamburger Erster Bürgermeister, bei den schrecklichen G20-Gipfel-Ausschreitungen, nicht in der Lage die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren und soll nun für die Sicherheit unserer Finanzen zuständig sein? Diese Vorstellung ist schauderhaft. Hatte Naddel schon andersweitige Verpflichtungen?

Dolores Winter / 07.02.2018

Frei nach Monty Python müsste Schulz eigentlich das “Ministerium of silly talks” übernehmen.

Rudolf George / 07.02.2018

Deutschland 2018 riecht immer mehr nach DDR in den 80ern. Eine sklerotische Politführung, die eisern daran festhält alles besser zu wissen und immer alles gut gemacht zu haben, egal was tatsächlich im Lande los ist. Und welche glaubt, mit immer mehr ungedeckten Sozialversprechungen die Menschen kaufen zu können. Den Merkelismus in seinem Lauf…

Ralf Ehrhardt / 07.02.2018

Mit diesem beherzten “weiter so” haben sie sich das “Weiterregieren” wahrlich verdient !

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