Susanne Baumstark / 19.08.2018 / 13:30 / Foto: Konstantin Shapiro / 11 / Seite ausdrucken

Dostojewski hat es vorausgeahnt

Die Katholische Uni Eichstätt-Ingolstadt hat sich mit „Vorahnungen des Totalitarismus“ befasst. Interessant ist insbesondere der Abschnitt über Fedor Dostojewski:

„Das von Dostojewski in den Teufeln konzipierte ‚Paradies‘ ist vor allem eine nivellierte Gesellschaft, ein Reich des Egalitarismus“.

Gleichheit sei dort von Sklaverei nicht zu trennen. 

Das neue System treffe Vorkehrungen gegen jeden möglichen Verstoß: „Jedes Mitglied der Gesellschaft beaufsichtigt jedes andere und ist zur Anzeige verpflichtet. Jedes gehört allen und alle jedem. Die Gleichheit – und das ist das Neue – dehnt sich auch auf die menschliche Seele aus und zieht eine allgemeine Niveausenkung der Kultur nach sich.“ Man brauche nämlich keine höher Begabten in der gemeinen Bevölkerung. „Die höher Begabten haben immer die Macht an sich gerissen und sind Despoten gewesen [...], die werden vertrieben.“ Gewisse Personen freilich dürfen Macht an sich reißen und Despoten werden: „In einer merkwürdigen Ambivalenz zum Grundsatz der Gleichheit sind nicht alle gleich gleich (Orwell: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher als die anderen).“ 

Die Zerlegung der Menschheit in zwei ungleiche Teile sei halt unumgänglich. „Ein Zehntel erhält die Freiheit der Persönlichkeit und das unbeschränkte Recht über die übrigen neun Zehntel. Diese aber müssen ihre Persönlichkeit verlieren und sich in eine Art von Herde verwandeln und bei unbegrenztem Gehorsam durch eine Reihe von Wiedergeburten die ursprüngliche Unschuld, gewissermaßen das ursprüngliche Paradies wiedererlangen, obwohl sie übrigens auch arbeiten müssen. Die vom Verfasser vorgeschlagenen Maßregeln, um neun Zehnteln der Menschheit den Willen zu nehmen und dieselben vermittels einer umbildenden Erziehung ganzer Generationen in eine Herde zu verwandeln, sind sehr interessant, auf naturwissenschaftliche Tatsachen gegründet und streng logisch.“

Metaphysische Begründung für die Versklavung der Massen durch die neuen Herren: Für die Mehrheit sei Freiheit eine schwere Bürde. Somit geschehe die Unterjochung der Massen zu ihrem Besten. „Überhaupt werde den einfachen Menschen ein naives Glück beschert. Sie wären zwar gezwungen zu arbeiten, würden aber in der Freizeit singen und tanzen. – Oh, wir werden ihnen auch die Sünde erlauben, denn sie sind ja schwach und ohnmächtig, und sie werden uns wie Kinder dafür lieben, dass wir ihnen erlauben zu sündigen [...] Sie werden sich uns freudig und gern unterwerfen.“ Krönung der teuflischen Utopie vom Neuen Menschen: „Dann wird man die Geschichte in zwei Teile teilen: vom Gorilla zur Vernichtung Gottes [...] und von der Vernichtung Gottes zur  ‚physischen Umgestaltung des Menschen‘.“

Die Autoren resümieren: „Ein exzeptionelles Verdienst Dostojewskis besteht darin, dass er mit unvergleichbarer Schärfe die extrem kulturfeindlichen Konsequenzen des kommunistischen Antiindividualismus aufzeigte und die geistige Armut, die Plebejisierung der Kultur und den Bildersturm unter diesem System voraussagte. Nicht nur bestätigte die Realität seine Prognose, sie übertraf sie sogar. Die kommunistische Diktatur konnte keine herausragenden Personen ertragen.“ Vorausgesehen habe er auch die frappierende Ungleichheit in der Gleichheit: die Macht- und Rechtlosigkeit der großen Masse und die unbeschränkte Macht einer neuen Klasse sowie die ideologische Rechtfertigung dieser Ungleichheit – „angeblich schenken die Machthaber der unreifen Masse ein glückliches Dasein und befreien sie von der schweren Bürde der Verantwortung“.

Dostojewskis „Dämonen“ (auch als Böse Geister, Die Teufel oder Die Besessenen übersetzt) ist im Netz als Hörbuch eingestellt. Man braucht allerdings viel Zeit dafür. Teil 1 steht hier, Teil 2 dort und Teil 3 an dieser Stelle. Eine Biografie des Autors steht zum Beispiel hier.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Luftwurzel.

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Leserpost

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Joachim Lucas / 19.08.2018

Schon St. Just, ein enger Freund Robespierres, hatte in seinen “Institutionen” 1793/94 ein solches Paradies entworfen, das, umgesetzt, zu totaler Vernichtung Andersdenkender geführt hätte. Aber es kam die Guillotine dazwischen. Im “Schwarzbuch des Kommunismus” beschreibt Pin Yatai, ein Überlebender des Pol Pot Regimes (man lese dazu auch mal bei Wikipedia “Joscha Schmierer”) in Kambodscha der 1970iger Jahre diesen Steinzeitkommunismus genannt “Paradies”, seine Erlebnisse. Schon der Besitz einer Brille führte zur Hinrichtung, denn sie entlarvte den Intellektuellen und somit Schmarotzer und Verhinderer der absoluten Gleichheit, weil er sich ja mit seinem Geist über andere erhebt. Niemals in der modernen Gesellschaft kann man sicher sein, dass menschlicher Irrsinn sich nicht so wiederholt. Man hat nur so lange Rechte, solange man sie sich bewahren kann. Sonst kommt Orwells “Animal-Farm” . Kommunismus und seine sämtlichen Spielarten enden immer in der Diktatur, weil Freiheit und Gleichheit ewige Antagonismen sind und alle Sozialisten die Gleichheit (nur für die anderen, versteht sich) bedingungslos über die Freiheit stellen.

Robert Jankowski / 19.08.2018

In den Medien und im Sprachgebrauch findet mittlerweile eine Gleichschaltung statt die wahrhaftig faschitisch und totalitär ist. Es kommt beispielsweise nicht mehr darauf an, wie man mit einem Afrikaner umgeht, sondern nur noch, dass sprachlich Alles korrekt ist. Dann ist man/frau/* auf der sicheren Seite. Das ist die Übertragung der Beamtenrealität (bloß ja immer den Arsch an der Wand haben!) in die Wirklichkeit. Es kommt nicht mehr auf den Inhalt an, die Packung muss stimmen. Wahlweise ist diese Denke auch auf unsere Gesetzgebung übertragbar: Alles wird geregelt, es gibt nur kein Personal, um die Gesetze wirksam werden zu lassen. Aber auf dem Papier ist Alles korrekt! Es ist einfach nur noch verlogen!!!

Alexander Mazurek / 19.08.2018

Ich lese gerade “Die Revolution des Nihilismus” von Hermann Rauschning, 1938, über das III. Reich. Es passt so wunderbar zur aktuellen “Moderne”: “[S. 49] Es ist vielmehr gerade die bewusste Bejahung dieses Nihilismus, die Rechtfertigung des Lebens durch das Leben selbst. […] Nach der Demaskierung aller Normen unter dem totalen Ideologieverdacht ist selbst die Vernunft entwertet. Die antiintellektuelle und antinoetische Haltung des Dynamismus ist kein Einfall, sondern der notwendige Ausdruck einer totalen Normenleere. Der Mensch ist kein logisches Wesen, er ist kein Vernunft- oder Geistwesen, sondern ein Triebwesen, das Impulsen folgt, wie ein Tier. Darum ist die Vernunft unfähig, der Halt einer Gesellschaftsordnung oder eines politischen Systems zu sein. Was der reformierte Sozialismus, der gemäßigte Marxismus unter sicheren Verschluss halten wollte, die barbarische Kraft der Gewaltsamkeit, gerade sie ist es, die allein eine Gesellschaftsordnung zu ändern vermöchte. Daher hat die revolutionäre direkte Aktion den Sieg über den verbürgerlichten unrevolutionären Sozialismus der Arbeiterschaft davongetragen, ebenso wie er das Bürgertum selbst, die alten führenden Schichten durch seine Gewaltsamkeit überwunden hat. Antispiritualismus, Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit, Gleichgültigkeit gegen die bürgerlichen Moralbegriffe der Ehrbarkeit und Rechtlichkeit, […] sind keine Auswüchse, sondern es sind die legitimen Äußerungen einer Gesamthaltung [… S. 51 ff] Die Masse glaubt schließlich alles, aber sie liebt die Freiheit. „Wenn man also, sagt Pareto, den Menschen den Zwang schmackhaft machen will, muss man ihn zweckmäßigerweise auf den Namen Freiheit umtaufen.“ Man kann auch noch Würde, […] damit verbinden und hat dann das Geheimnis der [grünen] Manipulationen. Der Sieg der Propaganda über jede Art von Wahrheit, die Macht der Lüge über die Wirklichkeit, -das ist der Weg der dynamischen Revolution, der Revolution ohne Doktrin.“ [] meine Hinzufüg-, Ersetz-, Auslassung.

Udo Kemmerling / 19.08.2018

Und ich habe die ganze Zeit gedacht, es ginge um das Parteiprogramm der Grünen…

Gertraude Wenz / 19.08.2018

Alle Utopien sind teuflisch, selbst die bestgemeinten. Sie stülpen dem Menschen, ohne ihn so wie er ist zu betrachten, eine Ideologie über, ein Zwangskorsett, das seiner Natur gar nicht entspricht. Das hat noch nie einer Gesellschaft gut getan und wird es auch niemals tun! Thilo Sarrazin hat das sehr verständlich in seinem Buch “Wunschdenken” dargelegt. Das Leben ist viel zu komplex für von Menschen erdachte Utopien und der Mensch dazu in seiner Erkenntnis beschränkt. Man kann sich politisch nur tastend vorwärtsbewegen und jeweilige Fehlentwicklungen, wenn sie als solche zu erkennen sind, rechtzeitig stoppen. Wissenschaft und Bildung, Vernunft und Verantwortung nebst einem gehörigen Realitätssinn wären gute Begleiter! Übrigens - eine “ursprüngliche Unschuld” hat es nie gegeben!!!

Frank Holdergrün / 19.08.2018

Ein ehemaliger Kinderbuchautor propagiert heute die Interessen einer Lehre in einem diffus gefärbten religiös-politischen Feld, aufgepeppt mit infantilen Sprüchen und Ablasshandel für die unreife Masse, ein besonders übler Zeitgenosse – bar jeglicher Verantwortung für das von ihm von der grünen Kanzel Abgelassene. Mit dem Kreuz auf den Wahlzetteln schenkt er seinen JüngerInnen ein glückliches, denkbefreites Dasein und auf den Ev. Kirchentagen finden dann umfassende Motivationsveranstaltungen für diese religiöse Ideologie statt.

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