Gastautor / 30.01.2021 / 10:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 20 / Seite ausdrucken

Ein Vater beim Distanzunterricht (1): Ärger mit den Lern-Plattformen

Von Paul Andersson.

Beginnen wir das Jahr mit einer neuen Normalität: dem Distanzunterricht. Anstatt in mein Büro zu fahren, für das ich in der Münchner Innenstadt ordentlich Miete bezahle, versuche ich, meinen Söhnen die Teilnahme am Unterricht zu ermöglichen. Erster Termin für meinen Drittklässler heute, am 11. Januar, um 9 Uhr. Die Lehrerin schreibt uns per E-Mail:

„Zu den Meetings dürfen sich die Kinder ab 8.45 Uhr einloggen und bitte nicht früher.“

Wir sind pünktlich fünf Minuten vor 9 Uhr im Meeting. Mein PC, den ich als selbstständiger Digitalunternehmer sonst für's Homeoffice nutze, ist erstmal belegt. Die Internetverbindung hält sehr gut. Fünf andere Kinder aus der Klasse meines Sohnes sind bereits da. Alle sehr diszipliniert, Mikrofone bleiben ausgeschaltet, es wird nicht gechattet. Die Lehrerin müsste stolz sein, wenn sie denn da wäre! Die Kinder sitzen vor den Computern. Wir Eltern warten im Hintergrund. Ich zumindest bräuchte den Rechner, um meiner Arbeit nachzugehen...

Um 20 Minuten nach Neun beende ich die Videokonferenz, die Lehrerin ist noch immer nicht erschienen. Die Teilnehmerzahl schwankte etwas zwischen 6 und 7 Kindern. Bei ungefähr fünf Kindern war die Geduld und die Übertragungsrate der heimischen Internetverbindung ausreichend. Und bei den anderen? Oder konnte der kostenlos nutzbare Dienst meet.jit.si den Ansturm bayerischer Grundschüler Montagmorgen um 9 Uhr nicht standhalten? Wo die Server von meet.jit.si stehen und ob Amazon oder Microsoft als Hoster genutzt werden, ist nicht so einfach herauszufinden. Dabei gäbe es eine große Anzahl an deutschen Instanzen, die genauso genutzt werden könnten. 

Bereits während des ersten Lockdown und dem Distanzunterricht hatte ich der Grundschule einen eigenen Jitsi-Server vorgeschlagen. Der Elternbeirat hatte sich mit großem Engagement um eine Finanzierung durch den Bezirksausschuss gekümmert. Das Projekt scheiterte dann im Dezember 2020, der Vositzende des Elternbeirates schrieb am 14. Dezember 2020, Betreff: Antrag für IT abgelehnt:

„(…) leider haben wir jetzt zum passenden Zeitpunkt eine Absage für (das) Projekt erhalten, die Serverkapazitäten für Videokonferenzen zu verstärken.“

Das Schulreferat der Stadt hat ein Veto eingelegt, jegliche IT-Service/Hardware darf nur über den entsprechenden Lieferanten der Stadt bezogen werden. Auch wenn sie gerade in unserer Situation gar kein passendes Angebot kurzfristig in Aussicht stellen. Das ist sehr frustrierend. Damit kann der Bezirksausschuss den Antrag leider nicht genehmigen.

Der Kultusminister rät von Nutzung der Lernplattform ab

Also Videokonferenz der 3. Klasse abhaken. Zurück zur E-Mail und den Aufgaben der Lehrerin. Für Deutsch und Mathe sind PDF-Dokumente auszudrucken. Im Fach HSU (Heimat- und Sachunterricht) verweist die Lehrerin auf die Plattform Padlet. Dort sei alles bereitgestellt. Der erste Aufruf der Seite bringt eine leere Pinnwand, einige Minuten später kommt eine Fehlermeldung. Jetzt ist es 10:15 Uhr und die Pinnwand ist immer noch leer. Wieder wird ein kostenloser Dienst genutzt, dessen Server nicht in Deutschland stehen. Die Computerzeitschrift Chip schreibt dazu:

„Da sich Padlet als US-Unternehmen nicht an die in Europa geltende DSGVO halten muss, können dennoch sensible Daten gespeichert werden. Dazu zählen neben den geteilten Inhalten die IP-Adressen der User oder gewisse Bewegungsprofile.“

Während ich also meinen zweiten Sohn mit einer missglückten Videokonferenz und zwei Arbeitsblättern abspeisen musste, hat mein erster Sohn sich bereits selbstständig auf seinem Tablet in mebis eingewählt. Mebis ist die bayerische Lernplattform, allerdings immer noch so fehleranfällig, dass Kultusminister Piazolo selbst vor einer Nutzung am ersten Tag des Distanzunterrichtes abgeraten hat (damit die Kapazität nicht überlastet wird, Anm. d. Red.). Hilft aber nicht, auch ein Schüler der 6. Klasse hat Anspruch auf etwas Lernstoff oder Übungsmaterial. Zu Beginn schien mebis auch tatsächlich zu funktionieren. Aber viel hat mein Sohn nicht gefunden. Entweder haben die Lehrer noch nichts eingestellt, oder aber die Plattform ist so unübersichtlich, dass sich ein Schüler dort nicht selbstständig zurechtfindet. Immerhin war er so klug, einen Screenshot von den Mathematik-Aufgaben zu machen, denn kurze Zeit später war Mebis nicht mehr erreichbar.

Auch der Lehrer der 6. Klasse hatte eine E-Mail geschrieben und uns den Distanzunterricht der nächsten Tage und Wochen erläutert. In seiner E-Mail heißt es:

„Anbei finden Sie eine aktualisierte Übersicht zum Distanzlernen in der 6e. Daraus können die Kinder (und Sie) erkennen, welche Fächer jeweils an welchen Tagen Arbeitsaufträge auf mebis hochladen bzw. Unterricht über Teams abhalten.“

Und weiter schreibt der Lehrer:

„Falls mebis erneut überlastet sein sollte, lohnt sich evtl. auch ein Blick auf Teams, denn auch dort können im jeweiligen 'Fachkanal' Arbeitsaufträge gegeben werden oder auch Dateien hochgeladen werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich, bei mebis auch mal außerhalb der Stoßzeiten vorbeizuschauen.“

Einsatz einer Plattform mit Datenschutz-Defiziten

Nun bin ich wirklich irritiert. Teams ist ein Service der Firma Microsoft. Die Süddeutsche Zeitung hat über den Einsatz von MS-Teams in Schulen berichtet: 

„Zuletzt hatten die Datenschutzbeauftragten von Bayern, Baden-Württemberg, Saarland und Hessen erklärt, dass kein 'datenschutzkonformer Einsatz von Office 365 möglich ist'“.

In dem Artikel der SZ vom 29.10.2020 steht außerdem:

„Die Lizenz des Kultusministeriums, die seit Mitte Mai 716 Schulen abgeschlossen haben, läuft am 31. Oktober offiziell aus. Das Ministerium hat den Vertrag um einen Monat verlängert, aber spätestens Ende Dezember soll Schluss sein.“

Das Thema war schon beim Distanzlernen vor Weihnachten aufgekommen. Damals hatte ich mich auch beim Lehrer erkundigt. Wir haben für unseren Sohn keine Einverständniserklärung unterschrieben und es durfte somit kein Benutzerkonto bei Microsoft für ihn eingerichtet werden. Schließlich hat mir die Schulleitung am 17.1 Dezember 2020 per E-Mail zugesichert:

„Es besteht, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, für Ihren Sohn keine Verpflichtung an digitalen Sitzungen teilzunehmen, die in MS-Teams abgehalten werden.“

Schüler lernen mit Produkt, das gegen geltendes Recht verstößt

Wie soll ich das jetzt verstehen? Gibt es jetzt Distanzlernen oder Distanzunterricht? Wird in den angebotenen Videokonferenzen Stoff vermittelt, der dann meinem Sohn fehlt, weil er sich an geltendes Recht hält? Während die bayerische Lernplattform auch nach einem halben Jahr nicht funktioniert? Weil unsere Politiker lieber einem Digitalkonzern ein Produkt abkaufen, das keinen pädagogischen Mehrwert bietet. Gleichzeitig werden 430 Millionen Euro Steuergelder für eine Bayern-Cloud-Schule bereitgestellt. Leider läuft für diese erst die „Anforderungsanalyse“. Während sich Deutschland und die Medien über die Impfstrategie und Testpannen aufregen, wird über diesen Skandal und die Bildungsmisere geschwiegen.

In der Einverständniserklärung zur Nutzung von Microsoft Teams for Education steht:

„Der Einsatz von Microsoft Teams for Education ist lediglich eine temporäre Lösung, da eine Freigabe der Datenschutzbehörden für den Regelbetrieb nicht vorliegt und auch nicht in Aussicht steht. Daher wird das Produkt nach der Krisensituation wieder abgeschaltet.“

Stellt sich doch die Frage, wer ein Interesse daran hat, dass die Corona-Pandemie niemals endet? Warum bis heute an einer temporären Lösung festgehalten wird, beziehungsweise diese immer weiter zementiert wird? Und schließlich, warum es möglich ist, ein Produkt, das gegen geltendes Recht verstößt, im Unterricht einzusetzen, während man den Schülern beibringt, wie wichtig es ist, sich zum Beispiel an die Straßenverkehrsordnung oder die Infektionsschutzverordnungen zu halten?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Paul Anderssons Blog.

Lesen Sie morgen: Verflixte Links.

Paul Andersson ist Vater von drei Söhnen, vom Kindergartenkind bis zum Gymnasiasten. Er hat Informatik und Journalismus studiert. Schon während seines Studiums gründete er seine erste Firma, programmierte Websites für KMUs und schrieb Artikel für verschiedene Publikationen. Seit über 20 Jahren begleitet und hinterfragt er die Entwicklung des Internets. 2019 schrieb er sein Debüt „Alice im Neuland“ als Märchen und Sachbuch für die ganze Familie.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Nico Schmidt / 30.01.2021

Sehr geehrter Herr Andersson, das Homeschooling ist der größte Mist, den sich unsere Berliner bisher ausgedacht haben. Herr Söder und Frau Dr. Merkel mögen es glauben oder nicht, aber ein Drittel aller Kinder haben, können oder wollen nicht die technischen Mittel, um Homeschooling zu betreiben. Ein Drittel bleibt also schon einmal auf der Strecke. Über die Logik und die selbsterklärenden, leider nicht ausprobierten, Programme schweigt der Gentleman. Wir werden es aber alle sehen, der Erfolg wurde bereits von Berlin für das Homeschooling an die Medien durchbefohlen. Eine Mutter brachte während der Videokonferenz auf den Punkt: “Ich bin alleinerziehende Mutter und muß bis 17Uhr arbeiten. Dann setze ich mich mit meinem Kind hin und soll alle Fächer durcharbeiten, Musiknoten lernen und ein Schneetier basteln. Wie soll das gehen? Ich versuche die Hauptfächer zu machen und Musik und Werken bleibt eben liegen. Dann müssen sie mein Kind eben sitzenlassen.” Herzlichen Glückwunsch nach Berlin. Operation gelungen, Patient tot. MFG Nico Schmidt

Jochen Becker / 30.01.2021

Hinzu kommt, dass die allermeisten Lehrer keine Ahnung haben, wie man digitale Materialien erstellt. Z.B. werden Aufgaben als pdf eingestellt, mit Leerzeilen für die Antworten. Es sind aber nicht pdf-Formulare, in die man die Antworten einfügen könnte. Auch editierbare Text-Formate werden nicht angeboten. Also muß man das pdf ausdrucken, die Antworten von Hand einfügen, das Ergebnis scannen und als pdf abgeben. Dieser analog-digital Mix ist aufwendig, teuer und unsinnig. Meine Tochter (14) glaubt die Lehrer sind doof.

J.G.R. Benthien / 30.01.2021

Merkwürdig: Bundestagsabgeordnete werden mit rund 15.000 Euro pro Monat alimentiert. Geld spielt keine Rolle. Für Neubürger werden pro Jahr 70 Milliarden ausgegeben. Geld spielt keine Rolle. Aber wenn für deutsche Schüler etwas gemacht werden soll, muss es eine »kostenlose« Plattform sein, die nur dem Ziel dient, Daten abzugreifen. Da spielt Geld plötzlich eine Rolle, aber deutsches Recht (DSGVO) nicht mehr. Der Würgegriff und die Willkür der Beamten muss schnellstmöglich ein Ende finden!

Rüdiger Jungbeck / 30.01.2021

Wenn man für die Schulen in der Wirtschaft hervorragend funktionierende technische Lösungen (Teams, Skype, Zoom, Google Meet) aus fundamentalen Gründen ablehnt, darf man sich nicht wundern wenn nichts geht. Das ist ungefähr so, als würde man Handy Provider ablehnen und alles mit CB Funk machen wollen um dann festzustellen dass drahlose Kommunikation nicht funktioniert. Grosse Teile der heutigen digitalen Welt (Facebook, Google Maps, Google Search, TikTok, Android, iOS) sind sicher nicht mit dem deutschen Datenschutzverständnis kompatibel.  Sie gibt es nur, weil sie nicht aus Deutschland kommen, und die Behörden etablierte Plattformen nicht ohne ein Aufstand der Nutzer verbieten konnten

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