Wollen wir jetzt die Welt retten oder nicht? Das könnte Honorarprofessor Dr. Stephan Harbarth, seit November 2018 Vorsitzender Richter am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), seine vier weiblichen und drei männlichen Mitstreiter bei der initialen Diskussion über die Klage zum Klimaschutzgesetz gefragt haben. Und als nicht alle sofort Ja! riefen, könnte er mit der Frage nachgelegt haben, ob sich hier im Raum vielleicht der eine oder andere Klimaleugner aufhalte. Tatsächlich dürfte die z.B. hier und hier bereits gewürdigte BVerfG-Entscheidung zum Klimaschutz anders zustandegekommen sein. Aber wie kann es angehen, dass ein so radikales Urteil zu einem so dermaßen komplexen und eigentlich kontroversen Thema auch noch einstimmig zustande kam?
Die Abstimmung von 8:0 ist zweifellos ein starkes Ergebnis für den Novizen Harbarth. Es dokumentiert nachdrücklich, dass er den Laden im Griff hat, selbst bei politisch hochbrisanten Entscheidungen mit schwerwiegendsten Auswirkungen auf zahllose gesellschaftliche Bereiche. Für diejenigen, die einer ausschließlich oder überwiegend menschengemachten globalen Erwärmung skeptisch gegenüberstehen – und natürlich auch für alle Anhänger einer freien Gesellschaft – macht diese bleierne Geschlossenheit des Ersten Senats die ganze Angelegenheit noch eine Spur trostloser. Denn von unseren höchsten Richtern hat ganz offensichtlich keiner ernstere Probleme damit, im Namen des Klimaschutzes die Grundrechte großzügig zur Disposition zu stellen.
Bei einem solch eingriffsintensiven Verfahren hätte im Übrigen die einfache Mehrheit zur Annahme der Entscheidung nicht ausgereicht, sondern es waren mindestens sechs Ja-Stimmen erforderlich. Anders formuliert: Auch zwei Abweichler hätten die Entscheidung nicht aufgehalten, aber vielleicht doch wenigstens ein kleines Zeichen von Restvernunft gesetzt.
Die im Verborgenen wirken, kennt man nicht
Das BVerfG besteht bekanntlich aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern, die für zwölf Jahre je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt wurden. Seit Juni 2020 fungiert Harbarth auch als Präsident des Gerichts, der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats ist sein Vize. Je drei Richter des Ersten Senats erlangten ihre Position auf einem Ticket von CDU/CSU oder SPD, ein Richter steht der FDP nahe und Susanne Baer, von 2003 bis 2010 Direktorin des „GenderKompetenzZentrums“ der Humboldt-Universität, den Grünen.
Jeder der sechzehn Richter des BVerfG wird von vier wissenschaftlichen Mitarbeitern unterstützt, die im Internetauftritt des BVerfG anonym bleiben. Besonders bei einem weit von der Rechtswissenschaft entfernten naturwissenschaftlichen Thema wie der Klimaforschung waren Sichtung und Auswahl der für die Entscheidung herangezogenen Quellen wahrscheinlich ganz überwiegend Sache der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Auch die Aufbereitung der sehr einseitig ausgewählten Quellen dürften die wissenschaftlichen Mitarbeiter zu verantworten haben, einschließlich grob fehlerhafter Feststellungen und Berechnungen – mit durchaus weitreichenden Konsequenzen. Gleichwohl verbleibt natürlich die Verantwortung für ihr Urteil bei den Richtern. Aber es stellt sich doch die Frage, welchen Einfluss eigentlich diese namenlosen Zuträger haben und von welchen (politischen) Motiven sie gegebenenfalls getrieben werden.
Ein äußerst umstrittener Kandidat
Harbarth trägt zwar auch – wie die meisten seiner Kollegen – einen Professorentitel, aber weder einen „ordentlichen“ noch „außerplanmäßigen“. Vielmehr verlieh ihm kurz vor seiner Wahl zum BVerfG-Richter die Juristische Fakultät der Universität Heidelberg den Titel eines Honorarprofessors – in Anerkennung seiner langjährigen Tätigkeit als Lehrbeauftragter und angeblich „besonderen wissenschaftlichen Verdiensten“, über die sich Universität und Harbarth allerdings in Schweigen hüllen.
Außer mit seinem im äußerst unangenehm schneidenden Tonfall vorgetragenen Plädoyer für den UN-Migrationspakt hat er als Bundestagsabgeordneter in knapp drei Legislaturperioden nach meinem Kenntnisstand keine nennenswerten Spuren hinterlassen. Dafür aber die bis heute offene Frage, wie man es schaffen kann, neben seiner Abgeordnetentätigkeit ungewöhnlich hohe Einkünfte als Anwalt zu generieren. Fast überflüssig zu erwähnen, dass er aufgrund seiner anwaltlichen Tätigkeit auf den Gebieten von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht auch keine besonderen Kenntnisse und Erfahrungen im öffentlichen Recht sammeln konnte, obwohl Richter des BVerfG sich dadurch eigentlich auszeichnen sollten.
Eine gruppendynamische Perspektive
Kurz gesagt: Ihm fehlt Wesentliches von dem, was seine Richter-Kollegen in fachlicher Hinsicht überwiegend aufzuweisen haben. Lediglich finanziell dürfte er deutlich besser aufgestellt sein. Betrachtet man vor diesem Hintergrund den Ersten Senat aus einer gruppendynamischen Perspektive, dürfte angesichts seiner Vita das Standing des Präsidenten Harbarth bei den Richterkollegen eigentlich nicht sonderlich hoch sein. Einen Nimbus als Häuptling in verfassungs- oder auch staatsrechtlichen Fragen muss er sich erst noch erarbeiten. Dafür weiß Harbarth als langjähriges Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion, wie Politik funktioniert, wie man zu Mehrheiten kommt und wie Abweichler zurückgepfiffen oder vorab eingehegt werden.
Aber: Richter am BVerfG sind keine Abgeordneten, dürften meist auch ein deutlich größeres Ego haben und sind zudem wesentlich unabhängiger. Schließlich ist auch der Vorsitzende Richter und Präsident kein Einpeitscher im Stile eines CDU-Fraktionsvorsitzenden, der Disziplin einfordert oder anordnet. Aber in gewisser Weise ist er eben doch Erster unter Gleichen und speziell im Falle Harbarths auch herausgehoben durch seine langjährige enge Nähe zum politischen Machtzentrum in Berlin.
Wie kam es zur Einstimmigkeit?
Überlegungen aus der Kategorie „Richter sind auch nur Menschen“ möchte ich hier außen vor lassen. Also etwa Erklärungen, die einen Einfluss der klimaaktivistisch gesinnten Ehefrau unterstellen oder auch der Tochter, die vor lauter Klimawandel-Panik in die Drogensucht abzugleiten droht. Was aber an BVerfG-Richtern mit Sicherheit nicht spurlos vorübergeht, sind die prägenden gesellschaftlichen Trends, das vorherrschende politische Klima und, davon nicht unabhängig, der Modus des öffentlichen Diskurses zum hier interessierenden Thema. Meist passt sich die Rechtsprechung solchen gesellschaftlichen und politischen Megatrends an: manchmal schneller, manchmal langsamer, manchmal 1:1, manchmal abgeschwächt, manchmal auch vorauseilend.
Vergleichsweise selten dagegen werden Rechtspositionen so lange verteidigt und gehalten, bis der Wind sich nach Jahren vielleicht wieder dreht. Eine radikale Rechtsentscheidung wie die vorliegende fällt den Akteuren zweifellos leichter, wenn ihnen vorab Beifall von den für sie relevanten Politikern, Parteien und Medien sicher ist. Darüber hinaus ist es für eine einstimmige Entscheidung sicherlich hilfreich, wenn die Abweichler befürchten müssen, ganz rasch nicht nur im rechten, sondern auch noch im Lager der Klimawandelleugner verortet zu werden – da reicht bekanntlich schon der Beifall von der falschen Seite.
Insgesamt kann die Entscheidung der Karlsruher Richter und auch ihre Einstimmigkeit den kritischen Beobachter nicht wirklich überraschen. Denn letztlich wird mit dem Urteil nur ein – wenngleich dickes – juristisches Ausrufezeichen hinter den seit mehreren Jahren real betriebenen wissenschaftlichen, medialen und vor allem auch politischen Umgang mit diesen Problemen gesetzt.
Mit der Gewährung eines radikalen Vorrangs von Klimaschutz gegenüber Grundrechten sowie ökonomischen und damit auch sozialen Belangen nimmt das BVerfG nur scheinbar eine Vorreiterrolle ein. Tatsächlich ergreift es bloß die schon länger ausgestreckte Hand der Politik, erleichtert ihr die letzten Schritte eines schon lange geschriebenen Drehbuchs. Denn merke: Wer sich zur Weltenrettung auf den Klimaschutz-Kriegspfad gegen die böse menschengemachte Klimakatastrophe begibt, kann keine falschen Rücksichten nehmen.