Manchmal gibt es noch Meldungen, die es in sich haben, obwohl sie nicht reißerisch aufgemacht, eher schlicht formuliert sind. So kann man heute, am 22. 01. 2015, unter der Überschrift „Politik sucht Austausch mit Pegida-Bewegung“ bei FOCUS Online lesen: „Was bringt die Menschen dazu, sich den Pegida-Protesten anzuschließen? Diese Frage bewegt auch die deutsche Politik.“
Wer hätte das gedacht! Da gibt seit Monaten Kundgebungen, die das Land in Atem halten, da gehen Woche für Woche Zehntausende auf die Straße, um sich Gehör zu verschaffen, und nun erfahren wir, dass das „auch“ die deutschen Politiker „bewegt“, dass sie sich fragen, was „die Menschen“ dazu bringt.
Nicht, dass den Kollegen des FOCUS hier irgendein ein Vorwurf zu machen wäre, weil sie bisher verschlafen hätten, was sich von selbst verstehen sollte. Ganz im Gegenteil haben sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn tatsächlich scheint es unterdessen bemerkenswert zu sein, dass sich „auch“ die politische Klasse hierzulande für das interessiert, was größere Teile des Volkes bewegt. Wie weiland in der abgesoffenen DDR, wenn Honecker zu den „Menschen“ ging, wird heute wieder vermeldet, wenn Sigmar Gabriel (SPD), Gregor Gysi (PDS) und Stanislaw Tillich (CDU) oder sogar Thomas de Maizière (ebenfalls CDU) sich bereit finden, mit den Bürgern zu sprechen.
Der Nachrichtenwert solcher Ereignisse steht umso mehr außer Frage, als die Demonstranten doch eben erst noch als „Rassisten in Nadelstreifen“ diffamiert wurden, der Bundesjustizminister Heiko Mass dekretierte Pegida sei „eine Schande für Deutschland“. Alles Unflätigkeiten einer politischen Klasse, die sich daran gewöhnt hat, die Demokratie zum Vorteil ihrer Parteien zu plündern. Ihre Selbstgefälligkeit hat längst potentatenhafte Züge angenommen. So wie sie den Protest zunächst mit Verleumdung zu ersticken suchte, versucht sie ihn nun mit „Verständnis für die Probleme der Menschen“ zu unterlaufen. Die Wölfe haben Kreide gefressen.
Obwohl wir mittlerweile - dank einer Studie der TU Dresden - wissen, dass es der Mehrheit der Demonstranten keineswegs vorrangig um den Protest gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ geht, befeuert das politische Establishment dieses Thema unverdrossen. Mit dieser Fokussierung lässt sich die außerparlamentarische Opposition, die bürgerliche APO, trefflich spalten, der Westen gegen den Osten ausspielen.
Diese Fixierung verrät aber auch, wie es um das Kartell der Parteien bestellt ist: Es steht mit dem Rücken zur Wand. In den Augen vieler Bürger bilden die Parteien einen Block, der um seiner selbst willen existiert. „Parteien gute Nacht. Bürger an die Macht“ war auf einem Plakat zu lesen, das die Demonstranten in dieser Woche hoch hielten.
In dem Maße, in dem die Parteien den politischen Betrieb kommerzialisiert haben, haben sie abgewirtschaftet. Aus den Volksvertreten sind Berufspolitiker geworden, die existentiell auf den Machterhalt und das Wachstum ihres jeweiligen Unternehmens, dieser oder jener Partei angewiesen sind. Wie die Banker, denen wir die Finanzkrise verdanken, leben sie in ihrer eigenen Welt - äußerlich und mehr noch innerlich abgeschottet, nicht aus Bosheit, sondern weil es die Verhältnisse so mit sich bringen.
Wie der Adel am Ausgang des 18. Jahrhunderts, kurz vor der französischen Revolution, sind sie nur mehr mit dem Selbsterhalt ihrer Kaste beschäftigt. Dem Bürger, dessen Interessen sie nicht mehr wahrnehmen, liegen sie als teure Kostgänger auf der Tasche.
Anders als ihre Vorgänger in der Frühzeit der Demokratie handeln sie weitgehend ohne politisch moralische Legitimation. Bei der ständig steigenden Zahl der Nichtwähler, die das Kartell der Parteien mit ihrer Verweigerung in toto ablehnen, können sie sich erstens nur auf Minderheiten berufen. Und zweitens verfügen sie nicht über die fachlichen Qualifikationen, derer es zu Führung der modernen Gesellschaften bedürfte. Wer im Parteibetrieb angelernt wurde, ist eben schlichtweg überfordert, wenn es etwa um die Organisation stabiler Währungssysteme geht. Die Euro-Krise lässt grüßen.
Was den Politikern an Vertrauen und Kompetenz fehlt, müssen sie als Dogmatiker dieser oder jener Ideologie auszugleichen versuchen. So war es im Kommunismus, und wenig anders verhält es sich heute im Euro-vereinigten Europa. Das ist es, was den Bürgern Angst macht, das bringt sie dazu, sich Pegida anzuschließen. „Auch“ die Politiker könnten dahinter kommen, wenn sie sich wieder an die Gesetze halten und dem Volk, das sie aushält, den nötigen Respekt erweisen würden.
Zu rechnen ist damit so wenig wie in der Vergangenheit. Die Protestbewegungen werden zunehmen. So schnell lassen sich die Bürger nicht wieder von der Straße vertreiben, auch nicht von Angela Merkel, die den Ländern schon die Hilfe des Bundes für die Herstellung von Ruhe und Ordnung angeboten hat.