Thomas Rietzschel / 21.02.2020 / 15:00 / 23 / Seite ausdrucken

Die Stunde der Degoutanten

Politik ist ein hartes Geschäft, nichts für schüchterne Charaktere. Wer da seinen Schnitt machen will, muss austeilen. Und dennoch gibt es Grenzen. Der politische Zweck heiligt nicht jede Schamlosigkeit. Was wir seit gestern zu hören und zu lesen bekommen, ist obszön: politische Leichenfledderei. Kaum, dass sich die Nachricht über das Gewaltverbrechen von Hanau verbreitet hatte, waren die üblichen Verdächtigen im Hintergrund ausgemacht. Wie auf Kommando, als hätten sie auf das Ereignis gelauert, bliesen die „demokratischen Parteien“ zur Attacke. Ausgeblendet wurde, was man über den Mörder wusste. Als wahnsinniger Einzeltäter sollte er nicht davonkommen. 

Die Gelegenheit war zu günstig, um sie nicht zu nutzen für den Kampf gegen rechts. Von der „Tat eines offenbar Rechtsradikalen“ sprach die Europaabgeordnete der SPD Katarina Barley. „Rechten Terror in Deutschland“ diagnostizierte ihre Genossin Saskia Esken, indes Christian Lindner dazu aufforderte, sich „dem Rechtsextremismus … mit aller Entschlossenheit entgegen zu stellen“. Für die Grüne Claudia Roth stand sofort fest: „Rechter Terror ist Realität in Deutschland.“ Die „Saat des Rechtsradikalen“ sah die FDP-Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann aufgehen, weshalb Lars Klingbeil forderte: „Wir müssen ein Zeichen gegen rechts setzen, gegen den Terror, gegen den rechten Hass, gegen Faschismus.“ 

Die Opfer sind das Mittel zum Zweck

Um nicht ins Abseits der Kampagne zu geraten, setzte Annegret Kramp-Karrenbauer noch einen drauf, als sie versprach, die „Brandmauer zu halten“, die ihre CDU gegen die AfD errichtet habe. Denn: Mit einer Partei, die „Rechtsextreme, ja, ich sage auch ganz bewusst Nazis, in ihren eigenen Reihen duldet“, könne es keine Zusammenarbeit geben. Die Gebetsmühlen der Propaganda laufen auf Hochtouren. Und manche echauffieren sich dabei, als hätten sie selbst den Verstand verloren. 

Die Linken-Chefin Katja Kipping etwa entblödete sich nicht festzustellen: „Der rassistische Anschlag von Hanau ist kein Unfall.“ Ja, du lieber Himmel, welcher Mord wäre jemals ein "Unfall" gewesen?? Immer handelt es sich um vorsätzlich begangene, um motivierte Taten. In Hanau um die eines offensichtlich Geistesgestörten, der unter anderem glaubte, schon wenige Tage nach seiner Geburt habe sich ein Geheimdienst in sein Hirn „gehackt“. 

Wer das ignoriert, um eine Geschichte auszuspinnen, die ihm in den politischen Kram passt, ist unfähig zu trauern. Wer den Wahnsinn des Mörders – wie mehrfach geschehen – nur in Rechnung stellt, weil ohnehin jeder, der politisch nach rechts tendiert, dem Wahnsinn verfallen sein muss – wer so argumentiert, dem sind die Opfer bloß noch Mittel zum Zweck. Es geht nicht mehr um das schreckliche Verbrechen, sondern um den politischen Profit, der sich daraus schlagen lässt: um eine ritualisierte Betroffenheit, um professionalisiertes Entsetzen. 

Was wir seit seit gestern zu hören und zu lesen bekommen, wirkt so abstoßend geschäftig, dass man nur hoffen kann, die gütige Vorsehung bewahre einen davor, jemals dem Mitleid dieser Politiker und ihrer Journaille ausgeliefert zu sein. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Rudi Knoth / 21.02.2020

Den Leuten, die dieses Ereignis zum Anlass nehmen, Parteipolitik zu betreiebn rufe ich zu:“Schämt Euch”.

Michael Hoffmann / 21.02.2020

Alles Ertrinkende, die in ihrem verzweifelten Überlebenskampf noch alles Erreichbare mit in die Tiefe reißen müssen. Eigentlich bemitleidenswert, wenn sie nicht so viel Schaden anrichten würden. Und darum: Rettungsringe sind aus.

Tim Acker / 21.02.2020

Danke für diesen Kommentar,Herr Rietschel und für Ihren letzten Satz “Was wir seit seit gestern zu hören und zu lesen bekommen, wirkt so abstoßend geschäftig, dass man nur hoffen kann, die gütige Vorsehung bewahre einen davor, jemals dem Mitleid dieser Politiker und ihrer Journaille ausgeliefert zu sein. “ Denn genauso ist es.  

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 17.06.2023 / 15:00 / 12

Kaube weiß, was Habeck mit Börne verbindet

Vor einer Woche wurde der Börne-Preis für Essays, Kritik und Reportage an Wirtschaftsminister Robert Habeck verliehen, in der Frankfurter Paulskirche. Man muss schon eine Weile…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2023 / 16:00 / 24

Der beleidigte Lauterbach

Karl Lauterbach, Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz, hat viel an Ansehen verloren. Aber er vertraut sich selbst noch immer, wie einst der nackte Kaiser,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.01.2023 / 16:00 / 56

Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?

Erinnern Sie sich an Peter Struck, den letzten Bundesminister für Verteidigung, der – mit Verlaub – noch einen Arsch in der Hose hatte? Weil er die…/ mehr

Thomas Rietzschel / 20.12.2022 / 12:00 / 52

Wann kommt die Fahrrad-Steuer?

Warum müssen die Halter von Kraftfahrzeugen KfZ-Steuer zahlen, indes die Radler das öffentliche Straßennetz unentgeltlich nutzen dürfen, es mehr und mehr für sich beanspruchen, zunehmend…/ mehr

Thomas Rietzschel / 26.11.2022 / 15:00 / 23

Die elf Affen von Katar

In den Siebzigern, nach 1968, waren die drei Affen von Benares groß in Mode. Jeder, der auf sich hielt, wusste von ihnen, eng aneinander gedrängt saßen…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / 24

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung…/ mehr

Thomas Rietzschel / 04.11.2022 / 14:30 / 67

Lauterbach im Taumel der Macht

Was er seit seiner Berufung zum Minister veranlasst und ausgeführt hat, ist nicht mehr als die tolldreiste Posse eines Narren, der im Wahn seiner Macht…/ mehr

Thomas Rietzschel / 28.09.2022 / 16:00 / 43

Mehr Licht!

Nach der Umweltverschmutzung im Allgemeinen und der Luftverschmutzung im Besonderen haben sich die Klimabewegten von Thunberg und Neubauer bis zu den Geistesgestörten, die sich auf Autobahnen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com